Monatsarchiv: Dezember 2010

Rückblick 2010, der zweite Gast … von KopfHörer (Der Blog des Wiener Soulliebhabers, Journalisten und Standard-Redakteurs Karl Fluch)

Der Münchner Journalist, DJ und Black-Music-Spezialist Jonathan Fischer und seine Lieblingsalben von 2010.

Den Jonathan habe ich heuer wieder um eine Auflistung der besten Musik im Dunstkreis schwarzer Popkultur gebeten. Einmal aus Egoismus, weil ich über ihn schon viele lässige Musik entdeckt habe, und weil sein Blick bei allem Spezialistentum kein Tunnelblick ist. Seine Aufzählung zeigt das deutlich.

Ganz unten kommen die Black Keys mit ihrem jüngsten Album „Brothers“ zu Ehren. Sogar wenn Jonathan Fischer eine weiße Band würdigt, führt diese wenigstens ein „Black“ im Namen. Muss wohl so sein. Aber ohne schwarze Musik gebe es die Black Keys in der Form ja auch gar nicht.

Für schwarze (Pop-)Kultur interressiert er sich schon ewig. Während sich seine Altergenossen in den 1980ern mit Van Halen oder Nena herumschlugen, interessierte er sich für Otis Redding und andere Soul-Größen.

Weil über diese eher wenig im „Bravo“ und den anderen üblichen Hefteln für junge Weißbröter zu finden war, machte er sich bald selbst auf die Suche nach den noch lebenden Protagonisten dieser Musik, flog zu ihnen, läutete an ihren Türen und hörte sich ihre Geschichten an. Und hielt diese fest.

Daraus wurde eine innige Beziehung, ein Lebensinhalt, eine Lebensgrundlage. Jonathan schreibt für die „Süddeutsche“, den „Spiegel“, die „FAZ“ und andere mehr. Wenn es irgendwie um schwarze Musik aus Ghana, Rio, L.A., Cuba oder Detroit geht, läutet bei ihm das Telefon. Wenn er nicht gleich abhebt, dann malt er gerade. Oder er boxt – oder er ist wieder einmal verreist. Meist dorthin, wo gerade einschlägige Musik entsteht.

Seinen missionar(r)ischen Eifer bezüglich seiner Entdeckungen teilt er mit uns immer wieder über ihresgleichen suchende, immer themenbezogene Sampler, in deren üppigen Booklets er uns an seinen Erkenntnissen teilhaben lässt.

Einmal im Jahr reicht auch eine Liste.
Siehe: http://derstandard.at/1293369459842/Rueckblick-2010-der-zweite-Gast-

Wie von Göttern besessen – Weißer Soul, schwarze Stimme: Zum Tod von Teena Marie

Schon die Aufmachung ihres 1979er- Debutalbums „Wild And Peaceful“ verriet Teena Maries Ausnahmestellung: Anstatt ein Hochglanzbild der zierlichen, langhaarigen Schönheit – welche Plattenfirma würde sich das entgehen lassen? – zeigte das Cover lediglich: Meereswellen. Man wolle die Käufer nicht verschrecken, argumentierte ihr Label Motown. Also präsentierte es die weiße Frau mit der expressiv-verführerischen Soulstimme incognito, wie in den 60er Jahren so manchen schwarzen Country- und Easy- Listening-Sänger. Tatsächlich hatte der Schwindel den gewünschten Erfolg: Programmdirektoren von Black Music Radiosendern glaubten an eine schwarze Sängerin und spielten Teena Maries und Rick James’ Duett „I’m A Sucker For Your Love“ in die Top Ten der Rhythm- ’n’-Blues-Charts. „Wild And Peaceful“ bestach durch eine ungewöhnliche Bandbreite: Jazzige Balladen im Stevie-Wonder-Stil wechselten mit Straßen-Funk. Das Motown-Erbe hatte eine Musikerin, die mit den Genres jonglieren konnte, sich mal auf romantischen Latin-Rhythmen räkelte, mal energisch die neuesten Boombox-Beats ritt. Die schmale weiße Frau war eine der besten Rhythm-’n’- Blues-Sängerinnen aller Zeiten.

Mary Christine Brockert alias Teena Marie hatte das nötige Selbstbewusstsein von klein auf mitgebracht. Sie war in einer achtköpfigen Familie in Oakwoods im Westen von Los Angeles aufgewachsen, ihre Eltern spielten daheim Soul-Platten und ermutigten die Tochter, selbst zu singen. Klar, dass Mary bald wie Tausende andere Kinder in Amerika vor dem Spiegel stand und sich als eine der Supremes imaginierte. Es folgten Restaurant-Gigs, Fernseh-Shows, Radio- Jingles. Ende der 60er hörte Teena Marie in ihrem Heimatviertel Latino-Rhythmen, den Hippie-Funk von Sly & The Family Stone, weißen Rock und Motown- Soul, später versuchte sie in ihrer Musik etwas von allem zusammenzubringen. Schließlich beeindruckte nicht nur ihr Gesang. Marie schrieb die meisten ihrer Songs selbst, später arrangierte und produzierte sie. Seit ihrem erfolgreichen 1981er Album „It Must Be Magic“ – und zu einer Zeit, als Frauen im Rhythm ’n’ Blues vor allem hübsche Frontbilder abzugeben hatten – übernahm sie die Regie über alle künstlerischen Aspekte ihrer Karriere und beschritt dabei eineinhalb Jahrzehnte vor Alicia Keys, Erykah Badu und Missy Elliott Neuland.

Den Startschub aber verpasste ihr Rick James. Der Motown-Superstar stolperte im Probestudio über die Sängerin und war hingerissen von „diesem winzigen weißen Körper, der am Piano saß, und wie von Göttern besessen sang“. So widmete er das Album, das er eigentlich mit Diana Ross hätte aufnehmen sollen, lieber der weißen Sängerin. Bis zu James’ Tod 2004 sangen die beiden immer wieder Duette – während Teena Marie ihm, Shakespeare und den afroamerikanischen Dichterinnen Maya Angelou und Nikki Giovanni auf ihrem 1981er-Hit „Square Biz“ Tribut zollte. Ein Song, der mit Maries langer Rap-Sequenz dem Hip-Hop eine Lanze brach: „I’m wild and peaceful Lady T/ I got to keep my irons in the fire, you see.“ 1988 landete Marie ihren – später von den Fugees gecoverten – größten Hit: „Ooh La La La“. Danach blieb sie innerhalb einer verschworenen Fangemeinde Kult, 2004 überraschte sie mit dem Comeback „La Dona“ auf dem Hip-Hop-Label CashMoney Records, und vier Jahre später entdeckte sie auf „Congo Square“ den Jazz.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag starb die wohl schwärzeste aller weißen RnB-Sängerinnen. Teena Marie wurde 54 Jahre alt.
Jonathan Fischer
SZ 28.12.2010

Schluchz – Der House-Pionier Robert Owens bringt den Soul in die Technoclubs

Doppelalben sind im House ein eher ungewöhnliches Format, besonders dann, wenn sie nicht nur eine Sammlung von Singles sind, sondern ein Konzept haben. Für „Art“ (Compost) hat sich der legendäre House-Sänger Robert Owens auf eine Zeitreise eingelassen. Das Album beschwört das Gemeinschaftsgefühl des Chicago-House der achtziger Jahre. Owens ätherischer Gesang prägte damals Klassiker wie „Tears“ oder „Can You Feel It“, die die Clubmusik mit dem Soul versöhnten. Schon die Produzenten des neuen Albums deuten auf ein ganz ähnliches Projekt hin: Es sind einerseits deutsche Elektro-Eklektizisten wie Beanfield und Funkjazz-Bass-Bastler wie Atjazz dabei, aber eben auch Owens alter Fingers,Inc.-Kumpel Larry Heard, der knapp die Hälfte der 19 Tracks produzierte. Wie elegant besonders die beiden Veteranen zu Werke gingen zeigt der erste Track „Pipe Dreams“: Ein Beat federt auf halber House-Geschwindigkeit und Piano-Loops und windspielartige Klangeffekte entwickeln einen meditativen Sog. Vor allem wenn Owens mal samtig-coole, mal verzweifelt sehnsüchtige Croonerstimme anhebt, bei „One Love“ etwa, oder bei „Reach Inside“ und „Counting Blessings“. Selbst im härteren, technoiden zweiten Teil bleibt Owens seiner Mission treu: Den Soul zurück in die Technoclubs zu tragen.
JONATHAN FISCHER
SZ 22.12.2010

Tiefschwarz – „Radio Citizen“ vertont Filme, die es leider gar nicht gibt

Es wurden schon einige sehr schmeichelhafte Vergleiche bemüht, um Radio Citizen , das Projekt des Münchner Multi-Instrumentalisten und Produzenten Niko Schabel, einzuordnen: Sun Ra, Quincy Jones, Tricky, Lalo Schifrin oder das Art Ensemble Of Chicago . Das wichtigste amerikanische Internet-Musikmagazin Pitchfork lobte Radio Citizens Debüt 2006 als „Soundtrack des großartigsten noch nicht verfilmten europäischen Spionage-Dramas“. Doch auch wenn es seitdem einige von Schabels Songs bis in Serien wie „Californication“ schafften – der Sound dieses Band-Experiments scheint noch nicht ausformuliert: Zwar bleibt das neue Album „Hope And Despair“ (Ubiquity) dem cinematografischen Klangdesign treu. Es werden auch ein Dutzend Genres von Ethio-Pop bis zum Free Jazz gestreift. Doch letztlich klingt es viel düsterer als der Vorgänger. Zusammen mit Musikern aus dem Umfeld von Embryo und der Express Brass Band schichtet Schabel schräge Bläserriffs, afrikanische Trommler und Dub-Effekte übereinander. Atmosphäre ist hier fast alles. Etwa wenn die Beat-Poetin Ursula Rucker auf „Test Me“ von schroffen Streichern und Holzbläsern angetrieben wird. Ein Song heißt „Isarwellen“. Der Münchner Fluss ist bei Schabel allerdings ein mysteriöser, tiefschwarzer Ausläufer des Nils.
JONATHAN FISCHER
SZ 15.12.2010

Was sollen wir mit den Hits der Sechziger? Der beste Mann diesseits des Atlantiks: Ben L’Oncle Soul

Noch eine Retro-Nummer für die Charts? Oder doch der gelungene Versuch, die großartige musikalische Historie Afroamerikas für die Pop-Gegenwart urbar zu machen? Der Erfolg des französischen Soulsängers mit dem etwas ulkigen Namen Ben L’Oncle Soul hängt jedenfalls wohl kaum an der Originalität seines Albumkonzepts. Tummeln sich doch gerade überall in Westeuropa und Nordamerika Songs in den Charts, die sich anhören wie Wiedergänger aus einer Oldie-Kiste mit der Aufschrift: „Die besten Soul-Mitschnipper der sechziger und siebziger Jahre“.

Das ist einerseits der rechtmäßigen Bewunderung der Smokey-Robinson-, Otis-Redding- und Marvin-Gaye-Klassiker geschuldet, andererseits dem traurigen Umstand, dass sich der zeitgenössische Rhythm & Blues immer mehr zu einer Musik von Hip-Hop-affinen Titeln und Grooves entwickelt hat, während das eigentliche Songwriting nur noch die zweite Geige spielt. Wer würde sonst schon ein Album mit Soul-Covern von Rod Stewart, Mick Hucknall oder, noch schlimmer, Phil Collins hören?

Und doch ist die Bewertung des Begriffs „Retro“ gerade im Umbruch und bleibt die Neu-Interpretation alter schwarzer Musik kein Privileg saturierter alter weißer Interpreten. So kommen die jüngsten Soul-Adepten aus der Hip-Hop-Ecke: Da singt sich der kalifornische Rapper Aloe Blacc mit „I Need A Dollar“ in die Hitparaden, covert John Legend ein gutes Dutzend Klassiker des Message-Soul der Siebziger, überschreitet Cee-Lo Greens, bis auf den Titel, wie ein Motown-Nachzügler daherkommendes „Fuck You“ längst die Zwanzig-Millionen-Klick-Grenze. Alle drei ignorieren für ihre jüngsten Alben das ungeschriebene Hip-Hop-Gesetz, das Alte doch bestenfalls als Steinbruch für ein revolutionäres Neues zu benutzen, und frönen stattdessen ganz ungeniert ihrer Liebe zu einer einst nur in Sample-Form goutierten Ära. Ja, sie unterwerfen sich freiwillig den Klangdiktaten einer vergangenen Zeit, spielen mit den Pop-Masken einer nicht ernsthaft zurückgewünschten Epoche, um nur gelegentlich – etwa in Cee-Lo Green’s gefluchtem Refrain – daran zu erinnern, dass die Zeiten von Schlaghosen, Fliege, Benimmschule und kostümierten Background-Sängerinnen lange vorbei sind.

In dieselbe Kerbe schlägt nun Ben L’Oncle Soul; nur, dass der aus Tours stammende Soulmann meistens französisch singt und natürlich auf Motown France veröffentlicht. Dabei kommt Benjamin Duterde alias Ben um einiges charmanter daher als das Gros seiner deutschen Kollegen. Soul hat bei ihm nichts Schweres. Die vokale Leistungsschau eines DSDS-Sternchens liegt ihm so fern wie das Predigen Xavier Naidoos. Vielmehr inszeniert er sich von Anfang an, und mit einem Augenzwinkern, als Phantasieprodukt: Uncle Ben’s Rice lieh ihm den Namen, die Album-Aufmachung ist bei klassischen Motown-Produkten abgekupfert, das Booklet voller Schöner-Wohnen-Klischees aus den Sechzigern.

Na und?, scheint das Lächeln des gelockten und bebrillten Schwiegermuttertraums auf dem Cover zu sagen. Geht es doch um ein Spiel mit Geschichtsbildern. Die Posen, die einst dem weißen Amerika den Zugang zu schwarzer Musik erleichtern und die Angst vor der Gewalt und Sexualität des Blues bändigen sollten, werden bei Ben L’Oncle Soul im Jahr 2010 zu reinen Markenreferenzen. Motown: Das bedeutet hier Optimismus, große Gesten und die Inszenierung als empathischer Gentleman.

Bleibt die Frage, wie unterhaltsam beziehungsweise intelligent Ben L’Oncle Soul seinem Album diese Zutaten arrangiert. Zumindest das erste Lied gehört noch in die Gimmick-Abteilung: ein swingendes Cover des White-Stripes-Hits „Seven Nation Army“. Ben L’Oncle Soul hatte es bereits auf seiner Debüt-EP „Soul Wash“ veröffentlicht, nun gibt es den etwas ranschmeißerischen Party-Auftakt. Auch „Otherside“ von den Red Hot Chili Peppers oder Gnarls Barkleys „Crazy“ hätten nicht zwingend eines Retro-Mitklatsch-Gewandes bedurft.

Dabei hat der Soulmann ein gutes Dutzend selbstgeschriebener Songs beigesteuert, das charismatische Sam-Cooke-Pastiche „Soulman“ etwa, „Little Sister“ oder „Mon Amour“. Wirklich interessant aber wird es, sobald Ben L’Oncle Soul die ausgetretenen Motown-Pfade verlässt, man die Vorbilder nicht gleich auf die ersten Takte hin erkennt. So legt „Elle Me Dit“ einen bläsergetriebenen Funk-Groove vor, zu dem der Soulonkel sich zu verzweifelt-sexy Schmachten steigert. Zu ähnlicher Intensität läuft „Ain’t Off to the Back“ auf: Diese psychedelisch angehauchte Uptempo-Gospel-Nummer überrascht mit einer stimmigen Rap-Einlage, und plötzlich sind all die billigen Füllnummern davor und danach vergessen, und Ben L’Oncle Soul wird ganz tanzbare Gegenwart. Zum originellen Songwriter mag ihm noch einiges fehlen. Der größte Soulunterhalter diesseits des Atlantiks aber ist er bereits. An diesem Samstag tritt er in München auf, Sonntag in Berlin.
JONATHAN FISCHER
FAZ 18.12.2010

Meine Top Ten 2010 (Spex-Autorencharts)

Jonathan Fischer  Top Ten Alben:

1) Lee Fields: My World
2) Flying Lotus: Cosmogramma
3) Erykah Badu: New Amerykah Pt.II – Return Of the Ankh
4) Radio Citizen: Hope And Despair
5) Robert Owens: Art
6) Whitefield Brothers: Earthology
7) Mavis Staples: You Are Not Alone und Cassandra Wilson: Silver Pony
9) Gil-Scott Heron: I’m New Here
10) Gilles Peterson: Havana Cultura

Wir sind Afrika: Mit Macht rollt eine neue Welle des Afrobeat auf uns zu – allen voran Femi Kuti und Ebo Taylor

Ein gutes Jahrzehnt nach Fela Kutis Tod schwebt der Afrobeat auf einer zu Lebzeiten nie erreichten Welle der Popularität. Nicht nur, weil Indie-Rockbands wie Vampire Weekend, Fool’s Gold oder The Very Best neuerdings sehr erfolgreich afrikanische Klänge für den Mainstream urbar machen, sondern auch, weil Kutis Vermächtnis offensichtlich flexibel genug ist, um jede musikalische Erneuerung in seinen Mahlstrom aus flirrenden Gitarren, riffenden Bläsern und treibenden Polyrhythmen aufzusaugen. Zuletzt bewiesen das Hiphop-Produzenten wie Questlove und J Dilla, Funkmusiker wie das Kollektiv Truth And Soul aus Brooklyn oder auch Damon Albarns Gorillaz: Kutis Rhythmen sind offensichtlich gegen jede Alterung resistent.

Da erinnern sich nicht wenige an die Prophezeiung von Miles Davis, dem Afrobeat gehöre die Zukunft, zumal gerade ein neues Musical auf New Yorker und Londoner Bühnen den nigerianischen Multiinstrumentalisten und Menschenrechtsaktivisten feiert. So übermächtig, wie Fela Kuti über dem Afrobeat thront, so schwer haben es seine Erben, eine eigene Version dieser Musik zu etablieren. Aber wer könnte dazu berufener sein als sein Sohn Femi? Zwar trennten sich seine Eltern, und Femi wuchs zunächst bei der Mutter auf, doch als Teenager kehrte er zu seinem Vater zurück. Als dieser 1984 wieder einmal von Nigerias Diktatoren unter fadenscheinigen Gründen ins Gefängnis geworfen wurde, übernahm er gar dessen Band Egypt 80. Damals war Femi Kuti zweiundzwanzig Jahre alt. Später gründete er eine eigene Formation, die sich einerseits der Musik des Vaters verpflichtet fühlte, andererseits sich an vorsichtigen Reformen versuchte: Während sich Fela noch von James Brown zu zwanzigminütigen Jams inspirieren ließ, straffte Femi seine Songs und ging auf die Generation Hiphop zu. Auch sonst wagte er eine Modernisierung des Familienmythos: Den väterlichen Kampf gegen korrupte afrikanische Politiker erweiterte er um die Dimension globalisierter Ausbeutung, um sich gleichzeitig als Aufklärungsanwalt von den irrationaleren Seiten Fela Kutis wie dessen afrikanischem Ahnenglauben, sexuellen Ausschweifungen und Drogenmissbrauch zu distanzieren.

Mit seinem neuen Album „Africa For Africa“ aber geht der achtundvierzigjährige Sänger und Saxophonist noch einmal einen Schritt auf den Vater zu: Während sein jüngerer Bruder Seun Kuti mit Egypt 80 und Brian Eno an einem (für Februar 2011 angekündigten) Neuentwurf des Afrobeat arbeitet, donnert er so rauh und ungehobelt wie lange nicht mehr: Keine musikalische Kosmetik soll die Botschaft verwässern. Da brüllen die Bläser im Stakkato, hüpft der Bass wie ein Gummiball unter wimmernden Orgeln und hart geschlagenen Congas, da chanten Femi Kuti und sein weiblicher Backgroundchor mit der Verve von teufelsaustreibenden Baptistenpredigern: „Nobody Beg“, „Bad Government“ oder „Can’t Buy Me“ – die Titel sprechen für sich.

Im Zuge des Afrobeat-Booms aber bekommen gerade auch hierzulande kaum bekannte afrikanische Legenden eine zweite Chance: etwa der vierundsiebzigjährige Gitarrist und Sänger Ebo Taylor aus Ghana. Während zuletzt einige Kompilationen historischer afrikanischer Aufnahmen (etwa „Ghana Soundz“) auf dem Wiederveröffentlichungslabel Soundway seinen Namen wieder ins Gespräch brachten, hat er so gut wie nie für den westlichen Markt aufgenommen. Dabei studierte Taylor in den frühen sechziger Jahren zusammen mit Fela Kuti an einer Londoner Musikhochschule und nahm später in Ghana eine ähnliche Führungsrolle ein wie Kuti in Nigeria. Nicht nur brachte er den Jazz zurück nach Afrika. Als Bandleader der Stargazers oder Broadway Dance Band fusionierte er die heimische Highlife-Musik mit Afrobeat-Rhythmen und letztlich der Musik Afroamerikas. Der Black Atlantic war mehr als nur ein Schlagwort. Vielmehr segelten die Grooves zwischen Afrika und der schwarzen Diaspora hin und her.

Nun hat Taylor sein erstes Album seit zwei Jahrzehnten aufgenommen: „Love And Death“. Die im Idiom der siebziger Jahre daherkommende, enorm tanzbare Platte verdankt sich dabei vor allem der Hingabe seiner Begleitmusiker von der Berliner Afrobeat Academy. Die deutschen Adepten aus dem Umfeld der Poets Of Rhythm haben ihr Idol offensichtlich genau studiert und dem alten Mann einen spektakulären Energieschub verpasst. Etwa in dem Titelstück: Da gelingt es Taylor, den Sturm und Drang seiner Band mit der Melancholie eines alten Mannes zu kontrastieren und glaubhaft die Geschichte einer betrogenen Liebe zu erzählen. Trauer und Tanz liegen hier ganz nahe zusammen: „Love and death walk hand in hand.“ Anders als Kuti hält sich Taylor mit politischen Kommentaren zurück; doch wo er steht, das drückt er umso radikaler in der Musik solcher Songs wie „Kwamé“, einer Verbeugung vor dem revolutionären ghanaischen Staatsmann Kwamé Nkrumah, aus: Ratternde Rhythmen und kreiselnde Gitarrenmotive schließen die Aufbruchsstimmung eines gerade von den Fesseln des Kolonialismus befreiten Afrika mit der Zukunft des Funk kurz.

Allein die Konstellation dieses Albums – afrikanische Legende erhält durch junge weiße Verehrer ein zweites Leben – steht für die Weitergabe schwarzer Kulturformen an eine junge Musikergeneration, die nicht mehr nur an soziale und geographische Faktoren gebunden ist. Am Ende könnte Ebo Taylor auf dem Umweg über den Westen auch die ghanaische Jugend zurückgewinnen. Zwar hört die längst amerikanischen Pop oder lokale Hiphop-Varianten wie Hiplife; doch hat nicht selbst der Rhythm-&-Blues-Superstar Usher ganz offiziell ein Gitarrenriff von Ebo Taylor gesampelt? Manchmal liegt die Zukunft des Westens eben doch in Afrikas Vergangenheit.
JONATHAN FISCHER, FAZ 2.12.2010

Femi Kuti, Africa For Africa

Wrasse 1440754

Ebo Taylor, Love And Death

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Krar – Pop und Hip-Hop suchen ihre Grenzen jetzt in Äthiopien

Um in der Reibung mit dem Exotischen altbekannte Formen aufzubrechen, sich in neuen Synergien aufzuputschen hat die Popmusik immer Grenzerfahrungen gesucht: In den sechziger Jahren gab die indische Musik dieses Andere, ab den siebziger Jahren befeuerten Reggae und Dancehall den Pop, im vergangenen Jahrzehnt war es der Afrobeat. Und heute?

Die Kompassnadeln richten sich wieder mal auf Afrika, aber nicht auf dessen gut erforschte anglo- und frankophone Musikszene, sondern eine Ethiojazz getaufte äthiopische Soul-Spielart, die erst 2004 durch den Soundtrack von Jim Jarmuschs Film „Broken Flowers“ ein breiteres westliches Publikum erreichte.

Dessen Musik schenkte dem Film eine ganz eigene bluesige Geheimnishaftigkeit. Vor allem aber katapultierte „Broken Flowers“ den Ethio-Jazz ins Rampenlicht: Wer kannte bis dahin schon Mulatu Astatke ?

Nun stieg der äthiopische Vibrafonist, Komponist und Arrangeur – er hatte in den sechziger Jahren den Ethiojazz beinahe im Alleingang aus der Taufe gehoben – plötzlich zum Stilgott auf. Das Bostoner Either/Orchestra ließ sich ebenso von ihm anleiten wie die englische Hip-Hop-Jazz-Combo The Heliocentrics . Die Kooperation mit letzteren führte 2009 zu einem gemeinsamen Album: „Inspiration Information“. Großartiger Groove – nur dass Mulatu Astatke, ein akademisch gebildeter Jazzer, der 1972 für den in Addis Abeba gastierenden Duke Ellington äthiopische Musik in Jazz-Arrangements übersetzte, dabei wie ein in die Niederungen des Pop verirrter Würdenträger wirkte.

Sein neues, ebenfalls auf dem Label Strut veröffentlichtes Werk „Mulatu Steps Ahead“ (Strut/ K7) zeigt nun Astatkes andere große Lieben: elegische, tiefgründige Orchestermusik, die vom Kollektiv getragen wird und sich denselben spirituellen Orten nähert, die einst bereits Sun Ra und John Coltrane aufgesucht hatten – diesmal aber von der äthiopischen Seite her.

Astatkes erstes Solo-Album seit 20 Jahren ist dabei an verschiedenen Orten auf der ganzen Welt aufgenommen worden. Das Either/Orchestra und die Heliocentrics sind wieder dabei, dazu kommen Aufnahmen mit traditionellen Musikern in Addis Abeba. Das Ergebnis: Boogaloo-Rhythmen, äthiopische Traditionals und kosmischer Jazz, eingespielt mit Blas- und Streichinstrumenten, Klavier, Kontrabass, der ostafrikanischen Krar und Latin Congas. Zusammengehalten wird dieser erstaunlich homogene Ethiojazz von Astatkes flüssig perlendem Vibraphon-Spiel.

Dass der Albumtitel auf Miles Davis’ „Steps Ahead“ anspielt, dürfte kein Zufall sein. Letzterer hatte Astatke einst ermutigt. Der Äthiopier war nach dem Abschluss seines Jazz-Studiums (als erster Afrikaner) am Berklee College of Music in Boston in die New Yorker Fusion-Szene eingetaucht, wo er mit seinen Freunden Fela Kuti und Hugh Masekela versuchte, afrikanische Musik für westliche Ohren aufzubereiten, schließlich waren chromatische Skalen und Polyrhythmik seit Charlie Parker im Jazz wie in der äthiopischen Tradition bekannt. Doch das richtige Mischungsverhältnis fand er erst nach seiner Rückkehr 1969 nach Addis Abeba: Dort verschmolz Astatke die amerikanischen Soul- und Latin-Rhythmen mit uralten ostafrikanischen Folkgesängen, eröffnete eigene Jazz-Clubs und sogar eine Radiostation. Die Folge war „Swinging Addis“.

Die stärksten Stücke aus dieser Zeit (und mit seinem New Yorker Ethiopian Quintet) trägt nun der Sampler „Mulatu Astatke: New York, Addis, London – The Story of Ethio Jazz 1965-1975“ (Strut/K7) zusammen. Dunkle, exotische, sexy schillernde Jazz-Melangen. Hip-Hop-Fans mag einiges vertraut vorkommen. Kanye West etwa verwendete eines von Astatkes Stücken für den Common-Hit „The Game“, K’naan samplete Astatke auf seinem Album „Troubadour“, ebenso wie Nas’ und Damian Marleys in ihrem großartigem Somg „As We Enter“ oder die Budos Band : eine zehnköpfige Bläser-Truppe aus Staten Island, New York, die im Umfeld der Retro-Soul-Schule der Dapkings auftritt.

Auch ihr dritter Longplayer „The Budos Band III“ (Daptone) bringt wieder Soul, Funk, Afrobeat, und die entscheidende Prise äthiopische Magie zusammen. Es ist ein fiktiver Astatke-Soundtrack für einem Blaxploitation-Film geworden. Besonderen Sog entwickeln „Nature’s Wrath“ oder „Raja Haje“: Sich orientalisch schlängelnde Gitarren- und Bassläufe werden da von einer Orgel eingekocht, während fette Bläserriffs den Groove unterschieben.

Noch weiter geht der Hip-Hop-Produzent Oh No . Auf „Dr. No’s Ethiopium“ (Stones Throw/Groove Attack) schraubt er drei Dutzend äthiopische Funk, Soul und Jazz-Breaks auf seine selbst produzierten Beats und bringt so den Boom-Bap zum Glühen. Man höre nur die schrägen, aber unglaublich funkigen Bläserfanfaren auf „Xcalibur“, die scharf hackende Krar-Harfe auf „Madness“, oder „Louder“, auf dem äthiopische Soulriffs aus einem J-Dilla-Beat hevorstechen. Oh No benutzt dabei genug Originalmaterial um dessen Herkunft erkennen zu lassen. Und er baut die sägenden Loops in vertraute Rhythmusgitter ein. Nun liegt es an den Hip-Hop-MCs, den Rest zu besorgen: Gebt diesen Beats endlich die Reime, die sie verdienen!

JONATHAN FISCHER
SZ 30.11.2010