Monatsarchiv: August 2022

So kämpft eine Unternehmerin gegen das Verderben

Eine Agrarwissenschaftlerin aus Mali kehrt in ihre Heimat zurück und baut eine eigene Firma auf. Sie macht Früchte haltbar, die sonst vergammeln würden – und liefert die Lösung für ein großes Problem.

Am Stadtrand von Malis Hauptstadt Bamako steht inmitten von Feldern und Brachen ein zweistöckiger Kasten. Gleich nebenan entladen kleine Boote am Nigerufer ihre Fracht. Nur eine löchrige Piste führt hierher. Die Mauern sind vom roten Staub eingefärbt. Auf einer Werbetafel am Eingang glänzen bunte Saftflaschen. „Zabbaan – le secret de ma journée“ steht darauf, „Zabbaan – das Geheimnis meines Tages“. Daneben parken ein paar dreirädrige Lastwagen – die Infrastruktur, um Supermärkte, Hotels und Restaurants in Bamako mit Säften zu beliefern. Dass sich die Marke Zabbaan einmal gegen die überzuckerten, künstlich geschmacksverstärkten Produkte der Konkurrenz durchsetzen würde, das war die Hoffnung von Firmengründerin Assiata Diakite. Aber was hat sie dazu motiviert, einen gut bezahlten Job in Europa aufzugeben, um in einem der ärmsten Länder der Welt zu investieren?

Die meisten Lebensmittel verderben, bevor sie auf den Markt kommen

Mali sei ein Land der ungenutzten Ressourcen, sagt Diakite. „Wir haben in der Landwirtschaft eine Lebensmittel-Verlustrate von bis zu 65 Prozent.“ Das sind fast zwei Drittel. „Mangels Lager- und Konservierungsmöglichkeiten verdirbt in der Erntezeit ein Großteil der Früchte, bevor sie auf den Markt kommen, weil wir keine Industrie haben, um sie zu verarbeiten und zu veredeln.“ Erschwert wird der Handel durch die seit Jahren anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen im Norden des Landes und instabile politische Verhältnisse.

Wie in den Nachbarstaaten der Sahel-Region ist die Mehrheit der erwerbstätigen Malier in der Landwirtschaft beschäftigt. Doch es fehle an langfristigen Strategien, meint die Unternehmerin. Besonders in der Mango-Saison werde das deutlich: Da könne niemand die riesigen Mengen an frischen Früchte kaufen und essen, die Verkäuferinnen am Straßenrand anbieten, sagt Diakite. Doch als Trockenfrüchte in Form von Mangochips, als Marmeladen und Säfte im Glas ließen sie sich lange haltbar machen. In einem Regal vor ihrem Büro präsentiert Diakite ihre Produkte: Mango-, Ingwer-, Marengo- und Baobab-Säfte. Dazu kommen Hibiskusblütentees, zahlreiche Konfitüren – und demnächst auch Fruchtjoghurts.

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Assiata Diakite ist gerade mal 25 Jahre alt, als sie 2016 ihre eigene Firma mit knapp 15 Angestellten, einer Fabrikhalle und einer kleinen Flotte von Lieferwagen gründet. Dazu gehört eine gute Portion Mut. Zum einen weil eine Uni-Absolventin ohne vermögende Eltern so ziemlich zu den Letzten gehört, denen eine heimische Bank einen Gründungskredit gewähren würde. Zum anderen ganz einfach, weil sie jung ist. Und eine Frau. Sich unter dieser Voraussetzung eine Führungsposition oder gar eine Firmenleitung zuzutrauen – das löst in einer patriarchalen und von den Älteren geprägten Gesellschaft wie Mali zwangsläufig Widerstand aus. Die Agrarwissenschaftlerin bekam das etwa auf Konferenzen zu spüren, bei denen sie über Lebensmittelverluste und deren Minimierung sprach. „Glaubt diese junge Frau etwa, sie habe uns etwas im Wissen voraus?“, hieß es da. Die alten Männer hätten sie statt als Unternehmerin und Expertin eher wie „eine etwas zu vorlaute Tochter“ behandelt. Für Diakite mit ein Grund, warum man in Westafrika trotz enormer Lebensmittelverluste einen langen Atem für Innovationen brauche.

Eine Aufsteigerin ohne Chefallüren

„Ich bin im Norden Malis als Tochter von Landwirten aufgewachsen“, erzählt die Firmengründerin im klimatisierten Büro im Obergeschoss der Fabrik. „Zu Hause haben wir alle Lebensmittel selbst angebaut und weiterverarbeitet.“ Sie wirkt nicht wie eine Aufsteigerin, die sich mit Chefallüren beweisen muss. Ihr Gesicht leuchtet freundlich, wenn ihr einer der Angestellten – es sind inzwischen mehr als 30 – im Flur begegnet.

Diakite hatte dank eines Stipendiums in Frankreich Ernährungswissenschaft und Lebensmittellogistik studiert, anschließend kamen Praktika und Anstellungen in Paris und London. „Ich hätte in Europa viel Geld verdienen können. Für mich aber war von vorneherein klar: Ich kehre zurück und gründe eine Firma in Mali. Mein Land braucht mich.“ Während in Europa bereits alle Nischen besetzt, das Potenzial ausgereizt sei, könne man mit einer guten Idee in Mali enormes Wachstum generieren. „Zabbaan zeigt das Potenzial der gesamten heimischen Agrarindustrie.“

Ihre Fabrik habe mit 200 bis 300 Flaschen täglich angefangen, sagt sie. Im Moment würden 5000 Flaschen Fruchtsaft täglich produziert. Das bedeutet ein enormes Wachstum. „Wir arbeiten wie die Chinesen“, ergänzt die Firmenchefin mit einem Augenzwinkern und spielt damit auf den Fleiß an, der den Asiaten nachgesagt wird. „Und es zahlt sich aus.“ Selbst nach Frankreich exportiere sie inzwischen.

Wie aber konnte sie ihr Unternehmen finanzieren? Zumal die Banken in Mali Kredite nur an Vermögende vergeben, und dann noch mit satten 25 Prozent Zinsen?

Diakite erzählt von den internationalen wissenschaftlichen Wettbewerben, die sie als Uni-Absolventin noch in Europa gewonnen hatte. Ihr Thema: Innovationen für das Agrobusiness und nachhaltige Lebensmittelverarbeitung. Die Preisgelder hätten ihr finanzielles Fundament gebildet. Dazu habe sie in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr noch als Beraterin für ausländische Unternehmen in Mali gearbeitet.

Viele Einheimische glauben noch immer, dass Importiertes besser sei

Gerade baue sie eine kleine Nische für Bioprodukte auf. „Wir werben mit dem Geschmack unserer Säfte. Aber das braucht Zeit und viel Kommunikation: Die Menschen hier sind derart an die überzuckerten und künstlich aromatisierten Importprodukte gewöhnt, dass sich ihr Geschmack erst mal umstellen muss.“ Zudem müsse sie gegen den Irrglauben ankämpfen, dass Importiertes besser sei. „Viele unserer Kunden dachten anfangs, unsere professionell aufgemachte und beworbene Produktpalette könnte nur aus Frankreich oder Libanon stammen.“

Die Firmenchefin führt die Treppe hinunter in die gekachelten Produktionsräume. Zwei gewaltige, glänzende Metallzylinder, die sie gebraucht aus Deutschland importiert habe, sind das Kernstück ihrer Saftproduktion. Daneben gibt es noch eine Abfüllstation, einen Lagerraum und Türme von Plastikkästen mit Saftflaschen. Diakite tippt mit dem Finger auf eine Landkarte von Mali, die an der Wand hängt: Sie zeigt die landwirtschaftlichen Kooperativen, mit denen sie zusammenarbeitet, derzeit sind es 21. „Wegen der Krise brechen viele Märkte in Mali zusammen. So schaffen und sichern wir zumindest Arbeitsplätze.“ Außerdem habe sie zusammen mit der Unicef 2500 Frauen in Mopti, in einer von Dschihadisten bedrohten Region, in landwirtschaftlichen Kooperativen organisiert.

Um die hohen Verluste an Lebensmitteln dauerhaft zu senken, hat die Unternehmerin in einigen Räumen im Obergeschoss ein Weiterbildungsinstitut für junge Firmengründerinnen eingerichtet. Sie lernen dort, Ernteüberschuss zu konservieren, wie man etwa aus Tomaten Pulver und Paste herstellt. Dazu kommt ein theoretischer Part, in dem sie lernen, ihre Marktchancen zu bewerten, einen Businessplan zu erstellen und ihre Produkte zu vertreiben. Vierwöchige Fortbildungen diese Art gebe es in Mali noch nicht, sagt Diakite. „Den Menschen hier fehlt es nicht an Ehrgeiz und Arbeitswillen – aber oft an dem notwendigen Know-how.“ Know-how, das sie nur allzu gern weitergibt.

JONATHAN FISCHER

SZ 23.8.2022