Monatsarchiv: Februar 2016

Ausgerechnet Amerika – Wie man eine Jugendrevolte erledigt: Die kubanische Hip-Hop-Szene lebte von der Kritik am greisen Castro-Regime. Dann wurde sie von US-Behörden unterwandert. Das konnte sie nicht überleben

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Samstagnacht in Havanna: Die Straßenlaternen im Park waren defekt, und der Flachbau, Sitz der Jugendorganisation der Künstlergewerkschaft Asociación Hermanos Saíz, war nur schemenhaft zu erkennen. Trotzdem ließ sich die Hip-Hop-Show leicht finden. Einfach dem harten Klatschen der Beats folgen, bis man die Conga-Wirbel hörte. Dies war die unsentimentale Seite Havannas: junge Männer und Frauen, die mit Rastafrisuren, Afros und Hip-Hop-Käppis auch von einem Campus in Miami stammen konnten. Diese jungen Kubaner hatten nichts zu verkaufen – außer ein wenig Widerstand gegen den realen Sozialismus. Die Hip-Hop-Fans reichten Plastikbecher mit Rum weiter. Bis ein Refrain alle Fäuste hochriss.

  „Meine Rasse ist dunkel und diskriminiert / und meine Arbeit lohnt sich nicht“. Ein 50 Jahre altes Revolutionsgedicht, umgemünzt auf die Missstände von heute: Die Jugendlichen kannten die wütenden Refrains, die Rapper wie Kokino, Anónimo Consejo oder Escuadrón Patriota in den Nachthimmel brüllten. Das Mikro ging von Hand zu Hand. Diese Show war nirgends angekündigt: Seit Hip-Hop sich zur größten Jugendbewegung der Zuckerrohrinsel aufgeschwungen hatte und Rapper die greisen Revolutionseliten kritisierten, war jedes Konzert gefährlich.

  Wer sich „unpatriotischer Umtriebe“ verdächtig machte, musste mit Strafen rechnen: Studioverbote, keine Aufträge mehr durch die Gewerkschaft – oder Gefängnis. „Alle politischen Diskussionen hier werden von Rappern angestoßen“, sagt Aldo Rodriguez, eine Hälfte des Rap-Duos Los Aldeanos: „Es gibt ein Idealbild von Kuba, das nach außen aufrechterhalten wird. Aber wer uns zuhört, weiß, hinter der Fassade gärt es.“

  Als er die Bühne betrat, ging ein Raunen durch das Publikum. Was er sich heute trauen würde? Alle wussten, dass Aldo wegen seiner Texte im Gefängnis war und ihn nur gute Beziehungen gerettet haben. Aber er pfiff mal wieder auf poetische Umschreibungen: „Die Leute hauen ab/ weil es kein Shampoo, kein Waschmittel, keine Kleider, keinen Strom, keine Zukunft und keinen Respekt gibt . . .“ Zustimmendes Gelächter. So redete man unter sich.

  Das alles ist fünf Jahre her. Damals ahnte noch niemand, dass Amerika und Kuba 2015 wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen würden. Und die Rapper wussten auch nicht, dass die amerikanische Regierung sie als politische Schachfiguren benutzte und mit ihrer Hilfe versuchte, das verhasste Castro-Regime doch noch zu stürzen, aber am Ende lediglich die kubanischen Rapper zu Fall bringen würde. Ausgerechnet Amerika. Ausgerechnet das Mutterland des Hip-Hop.

  Erst vor einem Jahr kam die Undercover-Aktion ans Licht. Die staatliche Agentur Usaid (U.S. Agency for International Development) hatte zwei Jahre lang, von 2009 bis 2010, versucht, den kubanischen Hip-Hop-Untergrund zu infiltrieren. Über eine Mittlerorganisation namens Creative Associates, serbische Promoter und panamaische Bankkonten sollte der kubanische Hip-Hop medienwirksam aufgerüstet und ein Aufstand der Jugend über Konzerte regimekritischer Rapper gefördert werden. Doch das Unternehmen ging nach hinten los und erinnerte an andere spektakulär gescheiterte Geheimdienstaktionen gegen das Castro-Regime: von explodierenden Zigaretten über vergiftete Badeanzüge bis zum ebenfalls von Usaid lancierten „kubanischen Twitter“.

  „Die US-Regierung hat unsere Rapper für ihre Zwecke missbraucht“, sagt Ariel Fernández Díaz. Bis 2007 arbeitete er als Hip-Hop-Promoter der Kulturgewerkschaft und moderierte die erste und einzige Hip-Hop-Sendung im kubanischen Radio. Inzwischen lebt er wie Los Aldeanos in Miami. Die Aktion von Usaid hält er für schlecht durchdacht: „Wenn sie wirklich glaubten, über Hip-Hop einen Aufstand der Jugendlichen in Kuba anzetteln zu können, dann hatten sie definitiv den falschen Zeitpunkt gewählt.“

  Nachdem die kubanischen Behörden das Komplott aufgedeckt hatten, stellte sich heraus, dass die Hip-Hop-Stars gar nichts von ihrer Rolle geahnt hatten. Hätte jemand freiwillig mitgemacht? Fernández glaubt das nicht. Selbst die kritischsten Rapper würden sich niemals mit einer US-Institution einlassen, sagt er: „Unsere Bewegung hat die Regierung nicht aus kapitalistischer Perspektive kritisiert, sondern weil sie sich nicht an die Ideale der Revolution gehalten hat. Wir betrachteten uns stets als die besseren Revolutionäre!“

  Außerdem bekam der kubanische Hip-Hop längst Förderung aus Amerika – allerdings von der ideologischen Gegenseite: Linke Black-Power-Gruppen wie Black August hatten enge Beziehungen zur lokalen Hip-Hop-Szene aufgebaut. Ex-Black Panther im kubanischen Exil waren die Vermittler. Sie brachten Equipment und US-Stars auf die Insel: So reisten Mos Def, Common oder Talib Kweli auf eigene Kosten nach Havanna, um mit lokalen Rappern aufzutreten und Assata Shakur, Patentante des Rappers Tupac Shakur, zu besuchen. Die im Exil lebende Black-Panther-Aktivistin steht seit ihrer Flucht aus einem amerikanischen Gefängnis auf der „Most wanted terrorists“-Liste des FBI, zwei Millionen Dollar sind für ihre Ergreifung ausgesetzt. Im Hip-Hop wird sie als Ikone des afroamerikanischen Widerstands gefeiert.

  Anfang der Neunziger waren die ersten Hip-Hop-Bands in Havanna aufgetaucht: Jugendliche, die sich aus Drahtbügeln Radio-Antennen bastelten, begeisterten sich für Sounds aus Miami. Fehlende Plattenspieler und Sampler machten erfinderisch. Wer sich die 20 Dollar nicht leisten konnte, um bei einem Produzenten einen Beat zu bestellen, der ließ sich von traditionellen Bata-Trommeln begleiten.

  Außerhalb von Kuba hörte man kaum etwas davon: „Die Zensur verhindert, dass unsere Songs im Radio gespielt werden“, sagt Kokino, Rapper von Anonimo Consejo: „So nehmen wir unsere Musik zu Hause auf und verteilen sie über CDs und USB-Sticks.“ Ironischerweise garantierte gerade die Zensur die ureigene Qualität des Rap Cubano: Seine lyrische Vieldeutigkeit wurde zu seinem Markenzeichen. So münzten die Reyes de las Calles den Karnevals-Schlager „Que la vida es un carneval“ um zur Anklage gegen die Gelegenheitsprostitution. Andere rappten über die schlechte Luft in Havanna. Und jeder wusste, dass das Spitzelsystem gemeint war.

  Der kubanische Staat, der Hip-Hop erst als „imperialistischen Dreck“ verurteilt hatte, besann sich, als er merkte, dass ihm diese Bewegung gefährlich wurde. 2002 hatte der Rapper Papa Humbertico beim Hip-Hop-Festival in Alamar die Polizei angeklagt: „Für junge Kubaner seid ihr der schlimmste Albtraum / seid ihr die wahren Kriminellen.“ Das war zwar nicht weiter ungewöhnlich, doch die versammelte ausländische Presse hatte mitgeschrieben – und es fälschlicherweise als „Rebellion gegen das Castro-Regime“ ausgelegt.

  Der Staat reagierte zügig. Fünf Tage später setzte er sich selbst an die Spitze der Hip-Hop-Bewegung. Die schwarzen Jugendlichen aus den armen Vierteln, die das Gros der Rapper stellten, wurden nun von einer staatlichen Rap-Agentur unter der Ägide einer linientreuen Philologin gemanagt. Das hatte nicht nur Nachteile. Viele Rapper bekamen als Staatsangestellte ein festes Gehalt, der Staat übernahm die Organisation von Festivals und veranstaltete Rap-Wettbewerbe für den kommunistischen Parteinachwuchs.

  Doch mit der staatlichen Finanzierung kam eine rigorose Kontrolle. Und der Trend zur karibischen Sex- und-Gute-Laune-Musik namens Reggaeton. „Der Reggaeton wird hier sehr vom Staat gefördert“, beschwerte sich Kokino einst. Ariel Fernández Díaz glaubt, dass dahinter eine Strategie steckt. „Wollen wir lieber Rapper, die über politische Anliegen reden oder über kreisende Hinterteile? Also ließ der Staat viel Geld für Songs über Sex und Beziehungsprobleme fließen – und wenn du dir erst einmal ein Handy und ein Auto und ein Haus für deine Mutter verdient hast, dann bleibst du bei dieser Partymusik.“

  Nur wenige notorisch aufmüpfige Bands wie Los Aldeanos verweigerten sich der Rap-Agentur. Lieber traten sie nur noch vor Freunden auf: Ihre wöchentlichen Sessions nannten sie ironischerweise „Comisión Depuradora“ – Reinigungskommission.

  So gerieten Los Aldeanos ins Visier der von Usaid bestellten serbischen Hip-Hop-Promoter. Zusammen mit ähnlich denkenden Acts wurden sie zu Video-Seminaren, politischen Schulungen und Konzerten nach Amsterdam und Belgrad geladen. Um sie – ohne ihr Wissen – zu Kristallisationspunkten einer künftigen Umsturzbewegung aufzubauen.

  Als die Kubaner schließlich über konfiszierte Laptops dem Unterfangen auf die Schliche kamen, war die Empörung groß, selbst in den Vereinigten Staaten: US-Senator Patrick Leahy nannte die Geheimoperation „rücksichtslos und dumm“. Während acht kubanische Rapper umgehend einen Song verfassten, in dem sie Usaid angriffen: „A mi no me pueden comprar“. Ich kann nicht gekauft werden.

  Nichtsdestotrotz übernahm die kubanische Regierung das unabhängige Musikfestival Rotilla, wo Los Aldeanos 2010 ihren letzten großen Auftritt mit einem wütenden Song hatten über „Polizisten, die Scheißelöffler und Opfer des Systems“. „Glaubt wirklich jemand, dass wir unsere Texte einem serbischen Promoter zuliebe geändert haben, der unser Land nicht kennt und nicht einmal Spanisch spricht?“, fragte Aldo von Los Aldeanos in einem Interview mit einer Nachrichtenagentur.

  Leidtragende waren zum Schluss vor allem die kubanischen Rapper. Die Regierungen in Havanna und Washington spielten die Affäre im Zeichen des neuen Tauwetters herunter. Der Direktor von Usaid nahm still seinen Hut. Von Los Aldeanos hört man nichts mehr. Sie sind im Exil zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Dutzende andere kubanische Hip-Hop-Aktivisten wurden verhört und inhaftiert. Wer – wissentlich oder unwissentlich – mit Usaid in Verbindung stand, kann in Kuba nicht mehr auftreten. „Die Szene ist tot. 80 Prozent der Pioniere von einst haben sich ins Ausland abgesetzt“, konstatiert Ariel Fernández Díaz. „Höchstens ein, zwei politische Rapper sind noch aktiv. Was ist das gegen Hunderte Bands, die vor zehn Jahren die Jugend Havannas mobilisierten?“ Die kubanische Regierung, die Kritikern gerne Verbindungen zu feindlichen Geheimdiensten unterstellt, könne sich nun bestätigt fühlen: „Amerika hat den kubanischen Hip-Hop erledigt.“

SZ 16.2.2016

JONATHAN FISCHER

Musiker im Widerstand: Bedroht von Terrorismus, radikalen Imamen und einer korrupten Regierung verteidigen in Mali Griots, Pop-Stars und Rapper die traditionell tolerante Kultur des Landes und einen aufgeklärten Islam

hh03Das Zuwandererviertel Banconi im Norden Bamakos: Bassekou Kouyaté, ein stattlicher Mann mit spitzbübischem Lachen, hält wie jeden Nachmittag Teerunde. Auf dem Dach seines Hauses, zwischen Hühnern und Gänsen lagern ein halbes Dutzend Freunde und Musikerkollegen auf Bastmatten, schlürfen Minztee und diskutieren über ein malisches Reizthema: „Vielleicht müssen wir Griots jetzt in die Politik gehen“, sagt Kouyaté. Griots sind eine Art bezahlte Geschichtenerzähler. Kouyaté blickt als Barde auf eine lange Ahnenlinie zurück: „Wir können nicht allein den Politikern vertrauen.“

  Der 46-jährige Musiker tätschelt seine Lieblingsgans. Die Tiere, sagt er, halte er nicht zum Schlachten. Sondern weil sie sein Gemüt beruhigten. Er deutet mit dem Finger über die staubigen Lehmmauern und Minarett-Türme von Bamako: „Da draußen, da tobt ein Krieg.“ Um nicht mehr und nicht weniger gehe es als um die Seele Malis. Darum, welcher Islam zu den Maliern gehöre und ob sie weiterhin Musik spielen und tanzen dürfen, wie ihre Vorfahren es seit tausend Jahren tun.

  „Wer Mali die Musik nimmt, reißt uns das Herz heraus“, sagt Bassekou. Einiges Kopfnicken. Wer kennt sie nicht? Salif Keita, Ali Farka Touré, Amadou & Mariam, der Kora-Virtuose Toumani Diabate oder die Tuareg-Rocker Tinariwen, all die Musiker, die den Reichtum des bettelarmen Sahel-Landes auch im Westen bekannt gemacht haben. Sie haben das Selbstverständnis des Landes geprägt. Und das hört nicht mal bei den Rappern auf, die, wie Amkoullel, stolz traditionelle Instrumente einsetzen.

  Aber welches Standing haben diese Weltklasse-Musiker daheim in Mali? Und wie wehren sie sich gegen einen Islam, dessen radikale Strömungen auch in Westafrika an Boden gewinnen? Der Überfall bewaffneter Dschihadisten auf das Radisson Blu Hotel in Bamako Ende November, nur ein paar Tage nach den Anschlägen in Paris, hat nicht nur 22 Tote hinterlassen, sondern einen Dauerkonflikt zwischen verschiedenen Auslegungen des Islam sichtbar gemacht.

  Für Bassekou und seine Freunde ist klar: Der Anschlag galt der malischen Lebensart, dem friedlichen Miteinander der Kulturen und Religionen. „Diese Banditen nutzen den Deckmantel der Religion“, sagt der Griot. „In Wirklichkeit wollen sie nur zerstören. Sie wollen die Musik auslöschen, das Fernsehen abschaffen. Zigaretten und Alkohol verbieten. Wenn wir uns nicht wehren, befördern sie uns zurück ins Mittelalter.“

  Mali ist ein zutiefst religiöses Land. Seit den Zeiten, als an den Universitäten von Timbuktu islamische Gelehrte Zehntausende Studenten in Physik, Medizin, Literatur und Wissenschaften unterrichteten, strahlte von hier aus ein gebildeter und toleranter Islam auf ganz Westafrika aus. Und auch oder gerade weil 80 Prozent der Malier Muslime sind, wird vor und nach dem Gebet gefeiert. In den vielen Lehm- und Wellblech-Clubs, die entlang der Koulikoro Road aus dem Boden sprießen. Bei Familienfeiern in den Hinterhöfen. Oder auf der Straße. So braucht das Taxi sonntags doppelt so lange wie sonst zu Bassekous Haus: An diesem traditionellen Hochzeitstag sind in Bamako ganze Straßenzüge gesperrt, strömen Trauben festlich gekleideter Männer und Frauen aus den Nachbarschaften zum gemeinschaftlichen Feiern, Essen und Tanzen.

  Bassekou selbst hatte lange von Hochzeitsauftritten gelebt, bevor ihn die großen Festivals im Westen entdeckten, der bluesige Sound seiner Ngoni, einer Art traditionellen Laute, Indie-Rocker von Damon Albarn über Taj Mahal bis zum Arcade Fire-Bassisten Howard Bilerman zu ihm ins Studio trieb. Sein letztes, von Walkabouts-Kopf Chris Eckman produziertes Album „Ngoni Ba“ lädt die pentatonischen Loops traditioneller Bambara-Musik mit der Energie des Afrofunk und Krautrock-Riffs auf. Eine Mischung aus archaischen Klängen und Experimentierfreude, die das Land am Niger seit einigen Jahren zum Wallfahrtsort für westliche Popstars gemacht hat. Zuletzt kam Ludovic Navarre aka St. Germain, um sich hier Gitarristen, Ngoni-Spieler und Sänger für sein neues Album „Real Blues“ zu suchen.

  Heute aber leben viele malische Musiker dauerhaft im Exil. Das Festival au Desert bei Timbuktu, einst Treffpunkt von Tuareg-Bands mit malischen und ausländischen Gästen wie Robert Plant und Manu Chao kann aus Sicherheitsgründen nicht mehr stattfinden. „Inzwischen setzt jedes Konzert ein politisches Statement“, sagt Manny Ansar.

  Der schmale hellhäutige Targi im weißen Kaftan gehört zu Bassekou Kouyatés engsten Freunden. Vor 15 Jahren hatte er das Festival au Desert mitbegründet. Heute zieht er mit einer Sammlung heimatvertriebener Popstars aus dem Norden als „Karawane für den Frieden“ durch Westafrika und Europa. Seine einstigen Freunde sind heute zu erbitterten Feinden geworden. „Mit Iyad Ag Ghaly verband mich lange eine gemeinsame Leidenschaft für die Tuareg-Kultur“, erklärt Ansar mit Blick auf Malis Ober-Dschihadisten.

  Der mächtige Clanchef hatte 2012 mit seiner „Ansar Dine“-Miliz große Teile Nordmalis besetzt, ein Scharia-Regime eingeführt, die Zerstörung von Musikinstrumenten und Auspeitschung von Frauen angeordnet. Auch zum jüngsten Anschlag auf das Radisson Blu bekannte er sich. „Iyad hatte anfangs unser Musikfestival unterstützt. Bis er unter den Einfluss gewisser Prediger aus Arabien geriet.“

  Bassekou wirft ein, ob man den Fula-König Sinaly Diarra kenne? Er hat einen Song über ihn geschrieben. So wie Frankreich vor zwei Jahren die Islamisten militärisch gestoppt habe, so habe er die Araber einst daran gehindert, den Süden Malis zu kolonisieren. Das war bereits im 15. Jahrhundert. „Heute geht es um dieselbe Sache, dieselbe Islamisierung. Nur dass sie diesmal mit viel Geld kommen – und sich die Moscheen und die Politiker kaufen.“ Er spielt auf die Salafisten an, die sich in Mali nach saudischem Vorbild Wahhabiten nennen: „Sie haben sich niemals öffentlich von den Dschihadisten im Norden distanziert“, ruft Bassekou zornig.

  Tatsächlich folgen nur etwa 15 Prozent der Malier den Wahhabiten-Predigern. Die Mehrheit gehört dem toleranten sufistischen Islam an, in Mali lange Zeit eine Art Schmiermittel, um den Austausch zwischen den verschiedenen Volksgruppen zu erleichtern. Gift wurde daraus, nachdem die von Saudi-Arabien und den Golfstaaten unterstützten Wahhabiten – als Gegenleistung für politisches Stillhalten – Macht und Ämter an sich rissen. Die Schwäche des Staates kommt ihnen entgegen: Ihre am Golf ausgebildeten Imame bieten Hilfe und soziale Netzwerke, und gerieren sich als moralische Autoritäten: Die religiöse Alternative zu den von den Minibussen prangenden Pop-Helden Che Guevara, Bob Marley oder Tupac.

  „Die Menschen sind wütend/ ihr tötet ihre Träume/ sie wissen nicht mehr, an was sie glauben können“, rappte Amkoullel in „S.O.S.“ Der Song wurde – anonymen Morddrohungen gegen den jungen Rapper zum Trotz – 2013 zum Internet-Hit. Und Amkoullel, ein einstiger Protegé von Bassekou Kouyaté, zum Sprachrohr einer ohnmächtigen Wut, die das Land nach der Besetzung des Nordens durch Islamisten und dem darauffolgenden Militärputsch in Bamako erfasst hatte.

  Selbst Musiker, die bisher nur die Liebe besangen, forderten die Jugendlichen auf, zu demonstrieren. Manche mischten sich gar – in Mali unerhört – in die religiöse Diskussion ein: „Ich bin Muslim und singe über die Religion“, sagt Kouyaté. „Jeder hat das Recht, sich auszudrücken, sich zu vergnügen. Ich singe über die Rechte der Frauen. Warum hat Gott die Frauen so schön gemacht? Doch nicht, damit wir sie zwingen, sich zu verschleiern. Warum hat Gott den Frauen einen eigenen Kopf gegeben, wenn sie ihn nicht benutzen dürfen?“ Mali sei noch immer ein laizistischer Staat und keine islamische Republik.

  Oft haben die jungen Hip-Hop-Stars die Griots, die traditionell die Herrscher besingen, als bezahlte Opportunisten abgetan: Bassekou gehörte nicht dazu. Nicht einmal den neuen demokratisch gewählten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita verschont er: „Wenn seine Regierung es fertigbrächte, nicht nur seine Statthalter zu versorgen, sondern bezahlte Arbeitsplätze für unsere Jugendlichen zu schaffen, dann wäre die Versuchung, diesen islamistischen Brandstiftern zu folgen, sehr viel geringer.“ Die Brandstifter. Das können in Mali auch hochrangige Imame sein, wie Imam Mahmoud Dicko, der Vorsitzende des Islamischen Hohen Rats und Anführer der malischen Wahhabiten-Gemeinden. Er hat zwar das Attentat auf das Radisson Blu verurteilt, doch gleichzeitig bezeichnete er es als „Gottes Warnung“ an all die, die Homosexualität und Hip-Hop propagierten.

  Die Krise schmiedet überraschende Allianzen: Als Bassekou Kouyaté auf der Flussbühne des „Festival du Niger“ in Segou spielt, bittet der Griot einen jungen Rapper zu sich. Schlagartig gehen Tausende Fäuste in die Luft, leuchten Smartphones auf, wo sonst nur Glühwürmchen schweben. „Master Soumy“ skandieren die Jugendlichen. Endlich ist einer der ihren auf der Bühne. Einer, der laut ausspricht, was sonst nur in den Teerunden am Straßenrand verhandelt wird. Die Energie des schlaksigen Rappers überträgt sich sofort. Bei „Commissariat“ schwillt der Refrain zum Massenprotest, brüllen Zehntausende die korrupte Polizei an. Später erklärt Master Soumy unter einem Bastmatten-Unterstand am Nigerufer seine Mission „Zwei Drittel unserer Bevölkerung sind unter 20 Jahre alt. Trotzdem bleiben sie in der politischen Diskussion außen vor. Nur wir Rapper reden zu ihnen in ihrer Sprache.“ Vom Äußeren erinnert Master Soumy an Snoop Dogg. Nur wirkt er weniger umnebelt, verrät sein Blick eine messerscharfe Intelligenz.

  Die Rapper, sagt er, würden in Mali ganze Stadien füllen – etwas, das sonst nur die großen Imame schaffen. „Deshalb fürchten uns die Politiker: Weil wir uns über das Tabu hinwegsetzen, die Älteren nicht zu kritisieren.“ Griots wie Bassekou Kouyaté müssten eine Lösung für alle finden und sich deshalb im Zaum halten. „Ich verstehe das. Aber wir Jungen haben nichts zu verlieren.“

  Als manche Konkurrenten noch die Gangster-Rap-Moden von jenseits des Atlantiks in Bambara übersetzten, rappte Master Soumy bereits über fehlende Gesundheitsversorgung und den Strom junger Migranten nach Europa. Mit malischen Kollegen forderte er „ein Ende der Polizei-Korruption oder die Revolte“. Es war Teil einer Welle kritischer Rap-Songs, die die Gruppe Tata Pound 2002 mit Parolen wie „Raub vom Staat, Nepotismus, wir wollen das nicht mehr“ losgetreten hatte.

  Selbst der Präsident konnte das nicht überhören: Er lud die Hip-Hop-Band ein, in seinem Palast aufzutreten. Tata Pound aber ließen sich nicht kaufen, sondern rappten vor der versammelten Regierungsmannschaft Songs wie „Politichiens“ – ein Wortspiel aus Politiker und Hund – und wiederholten die Anklagen, die sie zu Helden der malischen Jugend gemacht hatten. Alles live übertragen vom malischen Fernsehen. Am Ende schüttelte ihnen Präsident Amani Amadou Toure ungerührt lächelnd die Hände. „Er behauptete in seiner Neujahrsansprache“, erinnert sich Amkoullel, „er habe die Botschaft der jungen Menschen gehört und verstanden. Seine Politik aber änderte sich nicht.“

  Auch Master Soumy hat schon Angebote von Politikern erhalten, einen Song über sie zu schreiben. Cash gegen Lob: das alte Griot-Prinzip eben. Natürlich habe er strikt abgelehnt. „Wir Rapper sind die Schiedsrichter, nicht die Spieler, sonst zählt unsere Stimme nicht mehr.“

  Hip-Hopper hatten zusammen mit Studenten und Polit-Aktivisten 2012 die Bürgerinitiative „Les Sofas de la République“ gegründet. Sofas, so hießen die Krieger des Manding-Reiches, das im 13. bis 17. Jahrhundert große Teile Malis umfasste. „Wir hatten die Schnauze voll von der Selbstbedienungsmentalität der politischen Klasse“, erklärt Amkoullel: „Du kannst in Mali fast alles mit Geld erkaufen. Sogar religiöse Anhänger.“ Man müsse sich auf die eigene Tradition besinnen.

  Das Thema nimmt Master Soumy in einem Song auf: „Explique ton Islam“, „Erklär mir deinen Islam“: „Meine Religion erlaubt mir, das Gebet nachzuholen“, rappt er, „wenn ich auf Reisen oder krank bin. Sie hat nichts damit zu tun, Menschen zu verurteilen, die Hände abzuhacken. Mein Islam predigt die Liebe, den Respekt.“ Dann verabschiedet er sich eilig. Der Muezzin hat zum Gebet gerufen.

SZ 4.1.2016

JONATHAN FISCHERhh03