Samstagnacht in Havanna: Die Straßenlaternen im Park waren defekt, und der Flachbau, Sitz der Jugendorganisation der Künstlergewerkschaft Asociación Hermanos Saíz, war nur schemenhaft zu erkennen. Trotzdem ließ sich die Hip-Hop-Show leicht finden. Einfach dem harten Klatschen der Beats folgen, bis man die Conga-Wirbel hörte. Dies war die unsentimentale Seite Havannas: junge Männer und Frauen, die mit Rastafrisuren, Afros und Hip-Hop-Käppis auch von einem Campus in Miami stammen konnten. Diese jungen Kubaner hatten nichts zu verkaufen – außer ein wenig Widerstand gegen den realen Sozialismus. Die Hip-Hop-Fans reichten Plastikbecher mit Rum weiter. Bis ein Refrain alle Fäuste hochriss.
„Meine Rasse ist dunkel und diskriminiert / und meine Arbeit lohnt sich nicht“. Ein 50 Jahre altes Revolutionsgedicht, umgemünzt auf die Missstände von heute: Die Jugendlichen kannten die wütenden Refrains, die Rapper wie Kokino, Anónimo Consejo oder Escuadrón Patriota in den Nachthimmel brüllten. Das Mikro ging von Hand zu Hand. Diese Show war nirgends angekündigt: Seit Hip-Hop sich zur größten Jugendbewegung der Zuckerrohrinsel aufgeschwungen hatte und Rapper die greisen Revolutionseliten kritisierten, war jedes Konzert gefährlich.
Wer sich „unpatriotischer Umtriebe“ verdächtig machte, musste mit Strafen rechnen: Studioverbote, keine Aufträge mehr durch die Gewerkschaft – oder Gefängnis. „Alle politischen Diskussionen hier werden von Rappern angestoßen“, sagt Aldo Rodriguez, eine Hälfte des Rap-Duos Los Aldeanos: „Es gibt ein Idealbild von Kuba, das nach außen aufrechterhalten wird. Aber wer uns zuhört, weiß, hinter der Fassade gärt es.“
Als er die Bühne betrat, ging ein Raunen durch das Publikum. Was er sich heute trauen würde? Alle wussten, dass Aldo wegen seiner Texte im Gefängnis war und ihn nur gute Beziehungen gerettet haben. Aber er pfiff mal wieder auf poetische Umschreibungen: „Die Leute hauen ab/ weil es kein Shampoo, kein Waschmittel, keine Kleider, keinen Strom, keine Zukunft und keinen Respekt gibt . . .“ Zustimmendes Gelächter. So redete man unter sich.
Das alles ist fünf Jahre her. Damals ahnte noch niemand, dass Amerika und Kuba 2015 wieder diplomatische Beziehungen aufnehmen würden. Und die Rapper wussten auch nicht, dass die amerikanische Regierung sie als politische Schachfiguren benutzte und mit ihrer Hilfe versuchte, das verhasste Castro-Regime doch noch zu stürzen, aber am Ende lediglich die kubanischen Rapper zu Fall bringen würde. Ausgerechnet Amerika. Ausgerechnet das Mutterland des Hip-Hop.
Erst vor einem Jahr kam die Undercover-Aktion ans Licht. Die staatliche Agentur Usaid (U.S. Agency for International Development) hatte zwei Jahre lang, von 2009 bis 2010, versucht, den kubanischen Hip-Hop-Untergrund zu infiltrieren. Über eine Mittlerorganisation namens Creative Associates, serbische Promoter und panamaische Bankkonten sollte der kubanische Hip-Hop medienwirksam aufgerüstet und ein Aufstand der Jugend über Konzerte regimekritischer Rapper gefördert werden. Doch das Unternehmen ging nach hinten los und erinnerte an andere spektakulär gescheiterte Geheimdienstaktionen gegen das Castro-Regime: von explodierenden Zigaretten über vergiftete Badeanzüge bis zum ebenfalls von Usaid lancierten „kubanischen Twitter“.
„Die US-Regierung hat unsere Rapper für ihre Zwecke missbraucht“, sagt Ariel Fernández Díaz. Bis 2007 arbeitete er als Hip-Hop-Promoter der Kulturgewerkschaft und moderierte die erste und einzige Hip-Hop-Sendung im kubanischen Radio. Inzwischen lebt er wie Los Aldeanos in Miami. Die Aktion von Usaid hält er für schlecht durchdacht: „Wenn sie wirklich glaubten, über Hip-Hop einen Aufstand der Jugendlichen in Kuba anzetteln zu können, dann hatten sie definitiv den falschen Zeitpunkt gewählt.“
Nachdem die kubanischen Behörden das Komplott aufgedeckt hatten, stellte sich heraus, dass die Hip-Hop-Stars gar nichts von ihrer Rolle geahnt hatten. Hätte jemand freiwillig mitgemacht? Fernández glaubt das nicht. Selbst die kritischsten Rapper würden sich niemals mit einer US-Institution einlassen, sagt er: „Unsere Bewegung hat die Regierung nicht aus kapitalistischer Perspektive kritisiert, sondern weil sie sich nicht an die Ideale der Revolution gehalten hat. Wir betrachteten uns stets als die besseren Revolutionäre!“
Außerdem bekam der kubanische Hip-Hop längst Förderung aus Amerika – allerdings von der ideologischen Gegenseite: Linke Black-Power-Gruppen wie Black August hatten enge Beziehungen zur lokalen Hip-Hop-Szene aufgebaut. Ex-Black Panther im kubanischen Exil waren die Vermittler. Sie brachten Equipment und US-Stars auf die Insel: So reisten Mos Def, Common oder Talib Kweli auf eigene Kosten nach Havanna, um mit lokalen Rappern aufzutreten und Assata Shakur, Patentante des Rappers Tupac Shakur, zu besuchen. Die im Exil lebende Black-Panther-Aktivistin steht seit ihrer Flucht aus einem amerikanischen Gefängnis auf der „Most wanted terrorists“-Liste des FBI, zwei Millionen Dollar sind für ihre Ergreifung ausgesetzt. Im Hip-Hop wird sie als Ikone des afroamerikanischen Widerstands gefeiert.
Anfang der Neunziger waren die ersten Hip-Hop-Bands in Havanna aufgetaucht: Jugendliche, die sich aus Drahtbügeln Radio-Antennen bastelten, begeisterten sich für Sounds aus Miami. Fehlende Plattenspieler und Sampler machten erfinderisch. Wer sich die 20 Dollar nicht leisten konnte, um bei einem Produzenten einen Beat zu bestellen, der ließ sich von traditionellen Bata-Trommeln begleiten.
Außerhalb von Kuba hörte man kaum etwas davon: „Die Zensur verhindert, dass unsere Songs im Radio gespielt werden“, sagt Kokino, Rapper von Anonimo Consejo: „So nehmen wir unsere Musik zu Hause auf und verteilen sie über CDs und USB-Sticks.“ Ironischerweise garantierte gerade die Zensur die ureigene Qualität des Rap Cubano: Seine lyrische Vieldeutigkeit wurde zu seinem Markenzeichen. So münzten die Reyes de las Calles den Karnevals-Schlager „Que la vida es un carneval“ um zur Anklage gegen die Gelegenheitsprostitution. Andere rappten über die schlechte Luft in Havanna. Und jeder wusste, dass das Spitzelsystem gemeint war.
Der kubanische Staat, der Hip-Hop erst als „imperialistischen Dreck“ verurteilt hatte, besann sich, als er merkte, dass ihm diese Bewegung gefährlich wurde. 2002 hatte der Rapper Papa Humbertico beim Hip-Hop-Festival in Alamar die Polizei angeklagt: „Für junge Kubaner seid ihr der schlimmste Albtraum / seid ihr die wahren Kriminellen.“ Das war zwar nicht weiter ungewöhnlich, doch die versammelte ausländische Presse hatte mitgeschrieben – und es fälschlicherweise als „Rebellion gegen das Castro-Regime“ ausgelegt.
Der Staat reagierte zügig. Fünf Tage später setzte er sich selbst an die Spitze der Hip-Hop-Bewegung. Die schwarzen Jugendlichen aus den armen Vierteln, die das Gros der Rapper stellten, wurden nun von einer staatlichen Rap-Agentur unter der Ägide einer linientreuen Philologin gemanagt. Das hatte nicht nur Nachteile. Viele Rapper bekamen als Staatsangestellte ein festes Gehalt, der Staat übernahm die Organisation von Festivals und veranstaltete Rap-Wettbewerbe für den kommunistischen Parteinachwuchs.
Doch mit der staatlichen Finanzierung kam eine rigorose Kontrolle. Und der Trend zur karibischen Sex- und-Gute-Laune-Musik namens Reggaeton. „Der Reggaeton wird hier sehr vom Staat gefördert“, beschwerte sich Kokino einst. Ariel Fernández Díaz glaubt, dass dahinter eine Strategie steckt. „Wollen wir lieber Rapper, die über politische Anliegen reden oder über kreisende Hinterteile? Also ließ der Staat viel Geld für Songs über Sex und Beziehungsprobleme fließen – und wenn du dir erst einmal ein Handy und ein Auto und ein Haus für deine Mutter verdient hast, dann bleibst du bei dieser Partymusik.“
Nur wenige notorisch aufmüpfige Bands wie Los Aldeanos verweigerten sich der Rap-Agentur. Lieber traten sie nur noch vor Freunden auf: Ihre wöchentlichen Sessions nannten sie ironischerweise „Comisión Depuradora“ – Reinigungskommission.
So gerieten Los Aldeanos ins Visier der von Usaid bestellten serbischen Hip-Hop-Promoter. Zusammen mit ähnlich denkenden Acts wurden sie zu Video-Seminaren, politischen Schulungen und Konzerten nach Amsterdam und Belgrad geladen. Um sie – ohne ihr Wissen – zu Kristallisationspunkten einer künftigen Umsturzbewegung aufzubauen.
Als die Kubaner schließlich über konfiszierte Laptops dem Unterfangen auf die Schliche kamen, war die Empörung groß, selbst in den Vereinigten Staaten: US-Senator Patrick Leahy nannte die Geheimoperation „rücksichtslos und dumm“. Während acht kubanische Rapper umgehend einen Song verfassten, in dem sie Usaid angriffen: „A mi no me pueden comprar“. Ich kann nicht gekauft werden.
Nichtsdestotrotz übernahm die kubanische Regierung das unabhängige Musikfestival Rotilla, wo Los Aldeanos 2010 ihren letzten großen Auftritt mit einem wütenden Song hatten über „Polizisten, die Scheißelöffler und Opfer des Systems“. „Glaubt wirklich jemand, dass wir unsere Texte einem serbischen Promoter zuliebe geändert haben, der unser Land nicht kennt und nicht einmal Spanisch spricht?“, fragte Aldo von Los Aldeanos in einem Interview mit einer Nachrichtenagentur.
Leidtragende waren zum Schluss vor allem die kubanischen Rapper. Die Regierungen in Havanna und Washington spielten die Affäre im Zeichen des neuen Tauwetters herunter. Der Direktor von Usaid nahm still seinen Hut. Von Los Aldeanos hört man nichts mehr. Sie sind im Exil zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Dutzende andere kubanische Hip-Hop-Aktivisten wurden verhört und inhaftiert. Wer – wissentlich oder unwissentlich – mit Usaid in Verbindung stand, kann in Kuba nicht mehr auftreten. „Die Szene ist tot. 80 Prozent der Pioniere von einst haben sich ins Ausland abgesetzt“, konstatiert Ariel Fernández Díaz. „Höchstens ein, zwei politische Rapper sind noch aktiv. Was ist das gegen Hunderte Bands, die vor zehn Jahren die Jugend Havannas mobilisierten?“ Die kubanische Regierung, die Kritikern gerne Verbindungen zu feindlichen Geheimdiensten unterstellt, könne sich nun bestätigt fühlen: „Amerika hat den kubanischen Hip-Hop erledigt.“
SZ 16.2.2016
JONATHAN FISCHER