München – Sonntagnachmittag in einem grau gefilzten Kellerraum in der Nähe der Sendlinger Großmarkthalle: „Muzik“ stand auf dem Klingelschild vor der Tür. Ein Scherz? Selbstironische Anspielung auf die multikulturelle Bastard-Musik, die hier geprobt wird? „Nein, das Namensschild hat unser Hausmeister geschrieben“, erklärt Barbara Fried, die hier wochentags als Percussion-Lehrerin arbeitet. Tssss-ts-ts-tssss, tssss-ts-ts-tsssss fegt der Besen über das Becken. Die Conga lässt einen Shuffle-Beat dahinschlurfen, während die große umgehängte Samba-Trommel dumpfe Bassdonner dazwischen schlägt. Ein Rhythmus, der mindestens so viel Fernweh macht wie das Schwellengeratter vom benachbarten Verladebahnhof. Bis die Heimat mit hellen Frauenstimmen ruft. Und Stub’nmusi-Gesänge durch den Keller wehen: „Wir sind das Rhythmusschwestern-Move-and-Groove-Orchester / sind die Stöckeschwinger und Wirbelfinger / sind die Stimmungsbringer, now lets groove along. . .“
Wenn Andrea Schick, Barbara Fried und Julia Braun-Podeschwa – auch bekannt als Wonnebeats – in Fahrt kommen, dann treffen präzise und hart geschlagene, afrokubanische und brasilianische Rhythmen auf heimelige Harmoniegesänge, wie sie eigentlich zur bayerischen Volksmusik gehören. Bei ihnen sieht das verdammt leicht aus: Trommelbreaks, Gesangseinsätze, choreographierte Tanzschritte und Gesten. „Wir sind die Synkopenwipper, Offbeat-Schnipper, Beatversteher und Taktverdreher. . .“ Nein, Angeberei ist das kaum.
Erst letzten Sommer haben die – namentlich nicht ganz zufällig auf Wannabes deutenden – Damen sich einen überregionalen Ruf erspielt. Und das vor allem dank des Gstanzl-Slams im Hofbräuhaus. Sie waren als krasse Außenseiter gestartet: Zwei Preißn-Madl in der Band, dazu noch ein Repertoire, das die bayerische Mundart nur am Rande streift. Dennoch lehrten sie die Konkurrenz Respekt: die Rapper; die derben Mannsbilder; und auch die Hardcore-Gstanzler. Sie alle konnten gegen den Charme dieser so feschen wie feinsinnigen Rhythmus-Furien nicht an und mussten sich am Ende vor den Kameras des Bayerischen Fernsehens widerwillig geschlagen geben.
„Wir selbst“, sagt Julia, „waren am meisten überrascht. Schließlich hatten wir bei der ersten Runde gerade mal ein einziges Gstanzl im Repertoire.“ Zwar leben alle drei Musikerinnen seit Jahrzehnten in München. Doch nur Barbara Fried spricht von Haus aus Bairisch. Bei der Aussprache des Bajuwarischen helfe sie schon mal nach, dafür würden die Wonnebeats-Kolleginnen ihre Samba-Gesänge schleifen. Am Ende gab sich selbst Jury-Mitglied Stofferl Well überrascht: „Dass di jetzt Preißn san, des hob i mir jetzt ned denkt / was beweist, dass d’ Preißn auch musikalisch san.“ Der erste Preis: ein Auftritt auf der Oiden Wiesn. Mit Holzlöffeln vom Viktualienmarkt, Tamborins, Maracas und Boom-Whackers ließen die drei Musikerinnen dort exotischste Rhythmen auf das Bierpublikum los – nebst ein wenig Selbstironie: „Von Kuba nach Bavaria, ihr habt’s es gehört / mir meng reisen / da kenn’ ma nix / denn mir san Preißn.“
Klar, dass Barbara Fried an dieser Stelle neckisch auf ihre Kolleginnen zeigt. Ihre Musiker-Eltern luden regelmäßig Nachbarn zur Hausmusik mit Zither und Hackbrett ein – und schon als Kind hatte sie Spaß daran, die Harmonie-Stimme zu singen. Ihre Mitmusikerinnen lernte sie vor 15 Jahren auf der Münchner Latin Percussion Schule kennen. Doch erst bei einem Wiedertreffen im Theaterchor für Dieter Dorns „Die Bacchien“ entstand die Band-Idee: Zwar hatten sich alle drei Wonnebeats von dem Kuba- und Samba-Percussion-Boom im München der neunziger Jahre infizieren lassen, haben bei lokalen Bands wie Quizumba und Macondo mitgemischt. „Aber das war dann doch alles sehr traditionell orientiert, man spielte nur wie in Brasilien oder Kuba.“ Warum nicht das Ganze autobiographisch brechen? Und statt eines ewig vor sich hintreibenden Percussion-Geklöppels sich an ganz eigene Gesänge wagen? „Das rein instrumentale Rumsti-Wumsti“, sagt Julia Podeschwa-Braun, „hält doch auf Dauer niemand aus – es sei denn, man tanzt oder ist selbst Percussionist.“ Also wagte man einen Weg, den zuvor schon Rudi Zapfs Bavario oder die Kuba-Boarischen gegangen waren – allerdings in umgekehrter Richtung: von der rhythmisch komplexen Weltmusik zu den Heimat-Gesängen.
Dass Fusionen aus Mundart und Karibisch-Südamerikanischem nun mal gerade hip sind, das geben die Wonnebeats gerne zu. „Gstanzln können wir inzwischen aus dem Stand“, sagt Andrea Schick. „Aber den Gesang so mit den Rhythmen zu verzahnen, dass nichts mehr aufgesetzt wirkt – das ist die Herausforderung.“ Aufgesetzt soll auch sonst nichts sein: Das heißt: kein Dirndl auf der Bühne, höchstens ein buntes Haartuch, wie es die drei berufstätigen Mütter auch privat tragen würden. Den gut gemeinten Rat jedenfalls, jetzt doch ganz aufs Bayerische zu setzen, haben die Wonnebeats in den Wind geschlagen. Dafür macht das Rumwildern zu viel Spaß. Etwa beim „Rhythmus-Western“, bei dem sie zu Triangel, Kazoo, Surdo und Congas das Wort „Lonely“ wie eine große Kinomelodie daher schluchzen, um zum Schluss ihre imaginären Colts auszublasen. Ob bayerischer Comparsa oder Bajão: Bei jedem Song wird durchgewechselt. Am Ende der Probe – Dutzende Instrumente liegen wie Spielzeug über den Boden verstreut – intonieren die Rhythmusschwestern einen Alperer-Jodler. Mit Cajon und Kalimba. Ist es die untergehende Sonne oder der Nachklang der „Muzik“? Auf dem Heimweg strahlt Sendling in wunderbar rosigem Licht.
SZ 29.10.2011
JONATHAN FISCHER