Jeff Bezos, Bill Gates? Nein, der reichste Mann der Weltgeschichte war ein König von Mali, der im 14. Jahrhundert zu einer einzigartigen Pilgerreise aufbrach.

Von Jonathan Fischer
Glaubt man der Forbes-Milliardärsliste von 2020, dann ist Amazon-Gründer Jeff Bezos der reichste Mann der Welt, gefolgt von Microsoft-Mogul Bill Gates. Mit einem geschätzten Vermögen von 113 beziehungsweise 98 Milliarden US-Dollar können beide als Krösusse unserer Zeit gelten. Doch sind Bezos und Gates auch die reichsten Männer aller Zeiten?
Nein, dieser Titel gebührt wohl einem Afrikaner: Mansa Musa, König von Mali, der zwischen 1312 und 1337 regierte. Einer der mächtigsten Herrscher seiner Zeit.
Ironie der Geschichte, dass Mali knapp 700 Jahre später zu den ärmsten Ländern der Welt gehört und nur wenige historisch interessierte Menschen im Westen von Mansa Musa und der goldenen Vergangenheit seines westafrikanischen Reiches gehört haben. Das könnte sich demnächst ändern: Gerade feierte der Kinofilm „Sun Of The Soil“ Premiere, eine semidokumentarische Spurensuche, in der sich die Lebenslinien eines jungen malischen Künstlers und des Mansa Musa miteinander verweben.
Es ist auch ein offenes Geheimnis, dass der legendäre malische König den Blockbuster „Black Panther“ inspirierte: Im fiktiven Universum von Marvel Comics ist ihm die Figur von T’Challa alias Black Panther, superreicher König von Wakanda, nachempfunden. Und hört man den Namen Mansa Musa – neben Malcolm X oder Nelson Mandela – nicht immer wieder in Hip-Hop-Lyrics? Als Statthalter für die Kombination „reich und schwarz“?
„Man stelle sich alles Gold vor, das ein Mensch besitzen kann, und verdoppele es dann.“
Mansa Musa soll, umgerechnet, mehr als doppelt so vermögend gewesen sein wie Bezos und Gates zusammen. Auf, kaufkraftbereinigt, gut 400 Milliarden Dollar hat die amerikanische Website Celebrity Net Worth Mansa Musas sagenumwobenes Vermögen geschätzt. Genau verifizieren lässt sich das heute zwar nicht mehr, die Quellenlage ist schwierig. Zeitgenössische arabische Historiker und Gelehrte wie al-Umari, Ibn Khaldun und Ibn Battuta waren sich jedoch einig: Mansa Musas Reichtum sei „atemberaubend“ und „unbezifferbar“ gewesen. „Man stelle sich alles Gold vor, das ein Mensch besitzen kann und verdoppele es dann“, sagt der amerikanische Geschichtsprofessor Rudolph Ware von der University of Michigan: „Das ist der Kern aller Berichte über ihn.“
1312 besteigt Mansa Musa den Thron. Er ist der zehnte Mansa oder König des Mali-Reiches. Seine Vorgänger aus der Ethnie der Malinke hatten ein Imperium aufgebaut, das von der bewaldeten Atlantikküste bis zum Nigerbogen und den Ausläufern der Sahara reicht.
In der Region des heuten Südmali fanden sich gewaltige Vorräte an Gold und Kupfer. Aber auch die Kontrolle der Handelswege zwischen Nord- und Westafrika und hier vor allem der Handel mit Salz und Sklaven trugen zum Reichtum des Imperiums bei. Dennoch war das Königreich Mali lange kaum bekannt – bis es Mansa Musa auf die Landkarten setzte. Und zwar wortwörtlich.
Der 1375 von Abraham Cresques verfasste Katalanische Atlas zeigt oberhalb der Stadt Timbuktu einen schwarzen König mit Krone, ein Zepter in der einen und eine Goldkugel in der anderen Hand. Die Darstellung war für europäische Königshäuser gemacht. Hatten Afrikaner in Europa und in Arabien bisher meist als Sklaven gegolten, wurde dieses Vorurteil nun revidiert: Es gibt in Afrika einen mächtigen König. Einen Herrscher über ein Land voller Reichtum und Prosperität. Und das zur selben Zeit, als in Europa die Pest, Hungersnöte und Kriege wüteten.
Eine Flotte aus Mali suchte die Ränder des Ozeans
In seinem Buch „A Fistful of Shells“ zeichnet der britische Historiker Toby Green ein Bild von der Blütezeit des Malinke-Imperiums. Lange bevor die Europäer Handelsstationen errichteten, um die Eingeborenen zu „zivilisieren“, gab es hier ein kulturell und politisch ausgefeiltes Staatswesen, das global vernetzt war.
Spekulationen ranken sich sogar um die Entdeckung Südamerikas durch die Malinke – und zwar lange vor der Landung des Christoph Kolumbus 1492.
Mansa Musas Bruder und Vorgänger Abubakari Keita II., so berichtet der ägyptische Historiker al-Umari, sei 1311 mit angeblich 2000 Schiffen von der Mündung des Senegal-Flusses aufgebrochen, um an den Rand des Atlantiks zu segeln. Die Flotte wurde nie wieder gesehen.
Kankan Musa, besser als Mansa Musa bekannt, bestieg in der Folge den verwaisten Thron. Unter seiner Herrschaft sollte das Reich nach Osten hin expandieren und Teile des heutigen Burkina Faso und Niger sowie die Handelsstädte Gao und Timbuktu erobern.
Die Gefolgschaft trug persische Seide und Brokat
Seinen Ruf aber verdankt der König einer Pilgerfahrt. Der Hadsch gilt als eine der fünf Säulen des Islam. Mansa Musa, ein gläubiger Muslim, übergab 1324 seinem Sohn die Regierungsgeschäfte in der Hauptstadt Niani und brach zu einer zweijährigen Expedition nach Mekka auf.
Um die Motive dieser Reise ranken sich Spekulationen: War es ein raffinierter machtpolitischer Schachzug, um Kairo, das damalige Weltzentrum des Goldhandels, in seine Abhängigkeit zu bringen? Immerhin hatte Mali damals bereits Handelsbeziehungen bis nach Marokko und Ägypten, lieferte das malische Gold die Grundlage der Finanzwirtschaft vieler Reiche.
Eine andere Theorie besagt, dass König Musa seinen Hadsch als persönliche Buße betrachtete. Hinweise darauf gibt die „Tarik al-Fattash“, eine Chronik, die ein westafrikanischer Gelehrter im 16. Jahrhundert verfasste. Ihr zufolge soll Mansa Musa durch ein Missgeschick seine eigene Mutter getötet haben.
Er befragte daraufhin die Weisen seines Reiches, wie er diese Untat wieder gutmachen könne und bekam folgenden Ratschlag: Suche Zuflucht beim Propheten. Noch am selben Tag soll er die Vorbereitungen für die Pilgerfahrt nach Mekka begonnen haben.
Wie auch immer: Der König reiste nicht allein. Eine Entourage von Tausenden Angehörigen, Soldaten, Dienern, Boten und Griots genannten Hofmusikern begleitete ihn, dazu Sklaven und Kurtisanen. Auch seine politischen Rivalen verpflichtete Mansa Musa zum Mitkommen – so konnten sie ihm in seiner Abwesenheit nicht in den Rücken fallen.
Die Karawane erstreckte sich so lang, schrieb ein Chronist, dass sie einen ganzen Tag zum Passieren eines Ortes gebraucht habe. Sie führte Herden von Schafen und Ziegen mit sich, Maulesel, Pferde und Kamele – die Historiker berichten von einer Reisekasse, die viele Kisten voller Gold umfasste.
Bereits Jahre zuvor hatte der malische König befohlen, die Goldförderung zu intensivieren. Dort, wo heute amerikanische, russische und südafrikanische Firmen die drittgrößten Goldvorräte Afrikas schürfen, gruben sich damals die Menschen in Handarbeit durch die roterdigen Hügel im Süden Malis.
Was ihnen beim Ausschaufeln, Sieben und Waschen der Goldkörner zugutekam: Hier liegen die Adern des Edelmetalls relativ nahe an der Oberfläche. So hatten sie fast unbegrenzten Zugang zu diesem Bodenschatz. Nach Angaben des British Museum gehörte dem malischen König beinahe die Hälfte der Goldvorräte der alten Welt.
Mansa Musa war nicht der erste malische König, der nach Mekka pilgerte. Aber er sollte – das hatte es noch nie gegeben – seine Expedition quer durch die Sahara nach Mekka zu einem Schaulauf seines Reichtums machen: Jeden Freitag soll er eine Moschee entlang seiner Reiseroute errichtet haben.
Armen Bewohnern gab er reichlich Almosen aus. Der Anblick seiner Pilgerkarawane jedenfalls muss atemberaubend gewesen sein. Musas Gefolgschaft war in feinste persische Seide und Goldbrokat gekleidet.
Der ägyptische Historiker Ibn Fadl al-Umari, der 1342, also zwanzig Jahre nach Mansa Musa in Kairo ankam, notierte, dass die Einwohner immer noch von nichts anderem als dem Einzug des malischen Königs sprachen: Seine Schönheit, seine Frömmigkeit wie auch seine Gelehrtheit suchten ihresgleichen.
Untergebene durften ihm nicht in die Augen sehen
Selbst diplomatische Krisen ließen sich mit dem Edelmetall lösen. Als Kairos Sultan al-Malik al-Nasir den malischen König zu sich lud, hatte dieser ein Treffen zunächst ausgeschlagen.
Er wollte dem Herrscher des ägyptischen Mamelucken-Reiches nicht wie im Protokoll vorgesehen die Füße küssen – ein Unterwerfungsakt, der dem Selbstverständnis Mansa Musas zuwiderlief. Daheim in Mali durften ihm seine Untergebenen nicht einmal in die Augen sehen.
Als Musa dann doch zur Audienz erschien, erklärte er, sein Kniefall gelte nicht dem Sultan, sondern allein Allah. Ein raffinierter Schachzug, der ihn das Gesicht wahren ließ und zugleich als strenggläubigen Muslim auswies. Anschließend waren sich die beiden Männer schnell handelseinig.
Der Sultan überließ dem malischen König und seinem Gefolge für die Monate bis zur nächsten Pilgersaison einen seiner Paläste – während dieser sich mit Goldbarren im Gewicht von 180 Kilo revanchierte.
Bald schon merkten die Kairoer Bürger, dass sie für ihre Waren von den Maliern das bis zu Fünffache des normalen Preises verlangen konnten. Gold war in Ägypten rar – und die Händlerschaft ob der Kauffreudigkeit der Gäste in Feierstimmung.
Laut einem Bericht von Ibn al-Dawadari „kauften die Getreuen (Mansa Musas) alle Arten von Waren (…) Sie glaubten, ihr Geld sei unerschöpflich.“ Womit sie aber nicht gerechnet hatten: Die Unmengen des Edelmetalls, die Kairos Märkte überschwemmten, verursachten eine Inflation. Musa selbst bekam auf seiner Rückreise aus Mekka die Folgen zu spüren.
Seine Vorräte waren aufgebraucht, räuberische Beduinen hatten seinen Tross, der sich immer wieder in den Bergen der arabischen Halbinsel verlief, überfallen. Als er nun wieder in Kairo ankam, musste er für die Heimreise nach Mali bei örtlichen Kaufleuten Kredit nehmen.
Die ägyptische Wirtschaft litt noch lange unter der Krise: Ganze zwölf Jahre brauchten die Goldpreise, um sich von der Inflation zu erholen. Mansa Musa aber hatte die Handelsbeziehungen seines Reiches gestärkt: Denn nun mussten die Kairoer Kaufleute nach Mali kommen, um sich ihre Schulden samt Zinsen zurückzuholen.
Mansa Musas Hadsch sollte seinem Reich kulturell einen gewaltigen Schub bringen: Während seiner Abwesenheit erreichte ihn die Nachricht, dass seine Generäle die wichtigen Handelsstädte Timbuktu und Gao eingenommen hatten.
Für Mansa Musa ein Zeichen Gottes. Er war fest entschlossen, diese Orte zu Zentren der Gelehrsamkeit zu machen.
Nun ließ der König in Gao und Timbuktu nicht nur einige der imposantesten Lehmbau-Moscheen Westafrikas errichten, sondern auch Bibliotheken und Schulen. Zu diesem Zweck hatte er in Kairo, Mekka und Medina einige Hundert Architekten, Wissenschaftler und Islam-Gelehrte angeheuert, darunter angeblich direkte Nachfahren des Propheten Mohammed.
Ein Islam mit Schulen und weltlicher Bildung
Was Mansa Musa wohl von den radikalen Islamisten gehalten hätte, die 2012 Timbuktu und den Norden Malis besetzten, drakonische Scharia-Gesetze einführten und im Namen des Dschihad einige der uralten Manuskripte verbrannten?
Der berühmte malische König jedenfalls stand für einen weltoffenen Islam. In seinem Reich spielten Schulen und weltliche Bildung eine wichtige Rolle. Auch die Regierungsform der Malinke-Könige war weniger diktatorisch, als es die höfischen Unterwerfungszeremonien vermuten lassen.
Der König musste vielmehr vor jeder Entscheidung den Rat der Weisen, der die militärischen, zivilen und religiösen Führer einschloss, konsultieren. Sie stellten dem Herrscher einen Minister zur Regierungsführung zur Seite.
Das malische Imperium allerdings sollte wenige Jahrzehnte nach der Rückkehr des Königs aus Mekka zerbröckeln. Als Mansa Musa 1337 starb, trat sein Sohn die Thronnachfolge an. Bald darauf fielen immer mehr der kleinen Staaten des Riesenreiches ab.
Die Ankunft der Europäer an den Küsten Westafrikas beschleunigte dessen Machtverfall. Hätte Mansa Musa ahnen können, dass gerade seine Großzügigkeit und sein Goldruhm die europäischen Kolonisatoren anlocken und letztlich zum Untergang so vieler afrikanischer Reiche führen sollten?
Die Kolonisatoren manipulierten und überfluteten bestehende Märkte mit ihren Waren. Der Wert einstiger Zahlungsmittel wie Goldstaub oder Kaurimuscheln zerfiel. An ihre Stelle traten Importgüter wie Eisenbarren und Stoffballen. Je mehr die westafrikanischen Länder mit den Europäern handelten, umso ärmer wurden sie.
Denkt man die Geschichte zu Ende, liegt hier auch eine der Wurzeln des heutigen Dschihadismus. Das behauptet jedenfalls der britische Historiker Toby Green: Die politische Auslegung des Islam, schreibt er in „A Fistful Of Shells“, rekrutiere seit dem 19. Jahrhundert die Abgehängten „im Kampf gegen die Ungleichheit und die aufstrebende Macht des (westlich geprägten) Kapitalismus“.
Höchste Zeit also, um an Mansa Musa nicht nur als den Goldkönig zu erinnern. Sondern auch als denjenigen, der damals ein gänzlich neues und selbstbewusstes Bild von Afrika – jenseits aller Klischees von Armut und Geschichtslosigkeit – in die Welt trug.
Timbuktu und sein mythischer Ruf
Bis ins 19. Jahrhundert hinein strahlte der mythische Ruf Timbuktus – der Stadt, die Mansa Musas Erbe wie keine zweite verkörperte. Berühmt war sie für ihre Bibliotheken und die Sankoré-Universität, an der zeitweise bis zu 25 000 Schüler unterrichtet wurden.
Neben Koranauslegungen standen Medizin, Astrologie, Erdkunde und Rechtswissenschaften auf dem Lehrplan. Immer wieder machten sich später Abenteurer auf den Weg, die Stadt der Gelehrten mit ihren „Dächern aus Gold“ zu erreichen.
Der Schotte Alexander Laing sollte 1826 als erster Europäer die sagenumwobene Oase erreichen. Seine Aufzeichnungen jedoch gingen nach einem tödlichen Überfall im Norden Timbuktus verloren. Erst der Hamburger Heinrich Barth erkannte 1853, dass die auf die Zeit Mansa Musas zurückgehenden Universitäten einen Reichtum wissenschaftlicher und geistiger Schätze hinterlassen hatten.
JONATHAN FISCHER
SZ 22.12.2ß2ß