«Notes From The Native Yards» heisst das neue Album von Ill Skillz. Unterstützt von DJ Intelligent Design, thematisieren die südafrikanischen Rapper Jimmy Flexx und Uno July das Ghetto Guguletu, wo sie aufgewachsen sind.
Kneift man die Augen zusammen, kann Guguletu tatsächlich ein wenig an South Central Los Angeles erinnern: Staubige Strassen ziehen sich durch scheinbar endlose Gittermuster symmetrischer Flachbauten. Die Mauern sind mit Gang-Graffiti beschmiert. Arbeitslose Männer sitzen auf den Stufen ihrer Häuser, grosse Bierflaschen in der Hand. Und an jeder Strassenecke lungern Jugendliche in überweiten Hip-Hop-Uniformen. «Alle Ghettos in der Welt sind doch irgendwie miteinander verbunden», sagt Sitole alias Jimmy Flexx, der hier in der schwarzen «Vorhölle von Kapstadt» aufgewachsen ist. «Wir schwarzen Südafrikaner haben uns von Anfang an mit Hip-Hop identifiziert», sagt sein Rap-Partner Uno July. «Wir haben die CD und Platten verschlungen, die uns Verwandte aus Amerika mitbrachten. Weil sie das Leben, die Gedanken und Hoffnungen von Menschen im Abseits spiegelten.»
Erschreckende Armut
Abseits: Bei näherem Hinsehen verkörpert Guguletu dieses Wort noch besser als jedes amerikanische Ghetto. Hierher wurden im Rahmen der Rassentrennung nach der «Group Act» des Apartheidregimes in den fünfziger Jahren Tausende Schwarze zwangsumgesiedelt. Die Armut ist erschreckend. Zwischendrin aus Sperrholz, Blech und Plasticplanen gebaute Squattersiedlungen. Eine aufgegebene Stadt, deren Grenzen oft noch die alten Strassenschilder aus den Zeiten der Apartheid markieren: NY, dann eine Nummer. Das hat nichts mit New York zu tun – es bedeutet «Native Yards». Einheimischen-Reservate.
«Notes From The Native Yards»: So haben Jimmy Flexx und Uno, zusammen als Rap-Duo Ill Skillz unterwegs, ihr neues Album genannt. Schon immer haben die Südafrikaner – angefangen beim Jazz der dreissiger Jahre über den Soul der sechziger bis zur House-Music der achtziger Jahre – die Musik ihrer afroamerikanischen Leidensgenossen imitiert, auch weil Schwarze in Cape Town und Teilen Amerikas ähnliche kulturelle und politische Marginalisierungen und Kolonisations-Prozesse durchlebt haben. Und stellt Hip-Hop nicht wie alle afroamerikanische Musik einen universellen Akt des Widerstands dar? So sehen es zumindest die beiden Rapper von Ill Skillz. Ihr klassischer Beat holt sich Afrika aus New York zurück. KRS-One, Rakim, Nas – man kann die Helden der Südafrikaner sehr deutlich aus ihrer Musik heraushören. Die Single «To The Beat Y’All» sampelt gar den Chicagoer Common.
Trotzdem konnte ein Album wie «Notes From The Native Yards» nur in Südafrika entstehen. Das fängt schon beim Cover an: Zwei in naiver Façon gemalte Rapper mit Mikro, Reimbuch, Kassettenrekorder stecken bis zur Brust im Boden. Die Kleidung mag Hip-Hop-Standard sein. Ihre Gesichter aber haben die beiden hinter bunten Masken verborgen. Traditionelle Holzmasken, wie sie ihre Ethnie, die Xhosa, seit Jahrhunderten zu rituellen Tänzen trägt. Für die vom US-Mainstream infizierte südafrikanische Hip-Hop-Szene eine Provokation. «Die Menschen hier», sagt Uno, «werden mit Videos aus Amerika bombardiert. Nigger this, nigger that . . . Lächerlich, wenn Südafrikaner jeden Hip-Hop-Modetrend aufgreifen! Wir glauben, dass Künstler einen Ankerpunkt brauchen, von dem aus sie mit Autorität sprechen können.»
Ill Skillz‘ Ankerpunkt ist Guguletu. Der Ort, wo sie aufwuchsen, ihre Freunde haben, tanzen und sich durchzubeissen lernten und wohin Uno nach einem Zwischenspiel in der City zurückgekehrt ist. Es ist acht Jahre her, dass Jimmy Flexx und Uno ihre erste EP, «Another Day Another Rhyme», herausbrachten. Die Beats hatten sie da noch selbst produziert. Und für die sozialkritischen Lyrics fanden sie Vorbilder bei den Pionieren der örtlichen Rap-Szene wie Prophets Of Da City. Dass sie auf Englisch rappen würden – das war für sie von Anfang an keine Frage. Sie wollen nicht nur von Xhosa, sondern auch von Zulus, San oder Weissen verstanden werden. Politik fängt in Südafrika mit der Sprachwahl an. Uno hatte auf der weiterführenden Schule seine Hip-Hop-Begeisterung mit weissen Kumpels geteilt und beschlossen, dem Rest der Welt vom Leben in den Cape Flats zu berichten. Selbst viele Südafrikaner würden Paris und London besser kennen als ihre eigenen Townships.
«Unser Song ‹7750 Bottle Kop›», sagt Uno, «erinnert an die Gangsterkriege, die sich hier vor 15 Jahren abspielten. Einige identifizierten sich mit der Ostküste und Biggie. Andere mit Tupac und der Westküste. Am Ende haben sie tatsächlich aufeinander geschossen. Ich war damals erst zehn Jahre alt. Aber mein 17-jähriger Onkel wurde regelrecht hingerichtet.»
Studenten und Kleinkriminelle
Während sein Partner Sitole mit den Kleinkriminellen in der Township abhing, zog es Uno in die Studenten-Klubs von Kapstadt. Dort lernte er das zukünftige dritte Bandmitglied kennen: den aus den Vereinigten Staaten kommenden weissen DJ Intelligent Design. Er perfektionierte den Sound von Ill Skillz. Verbaute den südafrikanischen Jazz, den die beiden Rapper bisweilen mit Live-Musikern auf die Bühne brachten, so geschickt in die Beats, wie man es sonst nur von US-Avantgardisten wie Madlib kennt. Ill Skillz‘ Ruf reichte bald weit über die Townships hinaus: Die Band trat auf dem renommierten Cape Town International Jazz Festival auf, gab Gastspiele in Johannesburg und London und trat im Vorprogramm amerikanischer Acts wie Mos Def auf.
Ihre Kreativität beschränkte sich nicht auf Musik: Mit minimalen Mitteln produzierten sie herausragende Videos. Und machten nebenbei als Botschafter für die lokale Urban Wear von Head Honcho von sich reden. Doch lokaler Hip-Hop tat sich erst einmal schwer. Nach der Unabhängigkeit dominierte Kwaito den Markt. Gangster-Klone und Party-Einpeitscher lieferten zu verlangsamten House-Beats die Parolen des jungen optimistischen Südafrika. Hauptsache laut, Hauptsache tanzbar. Klassische Hip-Hopper galten dagegen lange als Nerds. Erst als sich die Party legte, der Enthusiasmus über die Rainbow-Nation den nach wie vor bitteren Alltagsrealitäten wich, wuchs Hip-Hop zur Massenbewegung, wurden die Stimmen der Rapper gehört: als diejenigen, die – um mit dem Soziologen George Lipsitz zu sprechen – «die wirklichen und vorgestellten Beziehungen zwischen Menschen in der postindustriellen Wirklichkeit von Entfremdung, Desillusionierung und Verzweiflung kartieren».
Rückbesinnung
Zeit für eine Rückbesinnung: Ill Skillz haben einige ihrer alten Partner aus Guguletu für ihr neues Album geholt. Und erinnern sich an die Apartheid-Zeiten: «It’s kinda hard to be a black man in Cape Town / racing against the racist regime and not just playground / I’m just on a hustle to make my mama proud?» Im dazugehörigen Video spazieren die Rapper über Strassen und Basketballplätze von Guguletu, besuchen Orte, wo sie einst ihre ersten Hip-Hop-Jams gaben. Persönliche Erinnerungen, ja. Aber das Persönliche ist bei Ill Skillz immer auch politisch. Und in die Ghetto-Nostalgie mischen sich ganz unromantische Beobachtungen. Etwa über Flaschenköpfe. «Die Menschen benutzen sie entweder als Waffen oder um Mandrax zu rauchen», sagt Sitole. Mandrax, synthetisches Rauschgift, sei heute eines der grössten Probleme der Cape Flats. Und verantwortlich für die höchste Mordrate Südafrikas. Armut, Drogen, Alkohol und Gewalt hingen zusammen. Aber wen könne man dafür verantwortlich machen? «Wir haben erst seit 20 Jahren eine Demokratie und müssen mit den wirtschaftlichen und psychologischen Folgen von 300 Jahren Apartheid zurande kommen: Die Regierung kann nicht alles lösen. Deshalb erinnern wir die Menschen daran, dass sie jeden Tag selber die Wahl haben – unsere Botschaft ist grösser als Hip-Hop.»
JONATHAN FISCHER
NZZ 25.5.2014