Torsten und Aida Schreiber versorgen mit ihrer Firma Africa Greentec Dörfer in der Sahelzone mit Strom. Das Ehepaar sieht darin auch ein Mittel, um Armut und Flucht zu bekämpfen.
Fernsehbilder von Africa Greentecs Arbeit zeigen schwer beladene Sattelschlepper über eine Lehmpiste rollen – rötliche Staubfahnen wirbeln auf, der rot-gelb-grün lackierte Container reflektiert die Sonne. Eine sogenannter „Solartainer“ auf dem Weg durch die Halbwüste Westafrikas. In der tonnenschweren Metallkiste befindet sich eine Menge deutscher Solar-Technik, die ein abgelegenes Dorf in der Sahelzone elektrifizieren wird. Auf den Weg geschickt hat sie Torsten Schreiber, dessen Unternehmen Africa Greentec in den letzten vier Jahren bereits mehr als 100 000 Menschen in der Sahelzone Licht und Strom gebracht hat.
Singende Frauen erwarten bereits den Konvoi. Die Dorfältesten haben Verträge mit Africa Greentec unterschrieben, auf dem örtlichen Markt werden zusätzliche Kunden angeworben. Etwa Händler, die mit einem Kühlschrank Lebensmittel oder Medikamente frisch halten wollen, ein Restaurant, das eine Nachtbeleuchtung braucht oder ein Schmied, der einen Dynamo betreiben will. Nur 24 Stunden später – nach Montage, Wartung und Ausklappen der Sonnenpaneele – kommt endlich der große Moment. Der örtliche Techniker legt den Sicherungsschalter um. Gleißendes Licht erhellt den gerade noch stockfinsteren Dorfplatz. Hunderte Dorfbewohner tanzen ausgelassen um das Ehepaar Torsten und Aida Schreiber, die Gründer von Africa Greentec.
„Es sind diese Momente, die uns motivieren, weiterzumachen“. sagt Schreiber, bullige Figur, schulterlanges Haar, sauber gestutzter Bart. Der hessische Unternehmer spricht per Videokonferenz aus seinem Büro in einer Fabrikhalle in Hainburg – gleich nebenan montieren Techniker von Africa Greentec Prototypen der Solaranlagen. Auf seinem schwarzen T-Shirt steht „Unfuck The World“. Tatsächlich versteht er sich weniger als Techniker denn Motivationsexperte. „Man darf angesichts des Klimawandels nicht nur jammern. Sondern muss etwas tun. Deshalb unser Hashtag Nixblabla#“. Verschmitztes Lächeln, Schreibers rundes Gesicht leuchtet. Man ahnt, dass der 48-jährige andere Menschen mitzureißen vermag.
21 Dörfer hat Schreibers deutsch-malische Unternehmen im Niger und Mali bereits elektrifiziert. 50 weitere Solartainer sind bereits in Auftrag. Immerhin hat der Sahel Sonne im Überfluss. Dennoch ist Schreibers Solarstrom-Firma der einzige deutsche Investor in einem Gebiet von der Größe halb Europas. Zu arm die Region, zu instabil, zu gefährlich. Seit Jahren machen Ableger von Al Quaida und IS den Sahel unsicher, Sprengfallen und dschihadistische Attentate sind an der Tagesordnung. Ein No-Go-Gebiet für Unternehmer und Banken – eigentlich. Aber Schreiber denkt als Unternehmer nicht in konventionellen Risikomaßstäben. „Die Elektrifizierung ist für uns nur Mittel zum Zweck. Letztlich geht es darum, den Menschen Freiheit und Selbstbestimmung zu ermöglichen“. Große Worte. Denen der Unternehmer ein leidenschaftliches Plädoyer nachschiebt: Deutschland schicke 800 Soldaten der Bundeswehr zur Friedenssicherung nach Mali. Aber was nütze das schon, wenn gleichzeitig keine wirtschaftlichen Anreize für eine perspektivlose Jugend geschaffen würden? Wenn immer noch 99 Prozent der Dorfbewohner ohne Strom bleiben?
Die Probleme sind bekannt: Armut und Hoffnungslosigkeit treiben junge Männer in die Arme der Schlepper und Dschihadisten. Dürreperioden verschärfen die Konflikte zwischen Bauern und Hirten um das knappe Weideland. „Wir wollen mit Africa Greentec dazu beitragen, diesen Teufelskreis aufzubrechen“, sagt Schreiber, „und Fluchtursachen an der Wurzel bekämpfen“.
Das heißt vor allem: Die Stärkung örtlicher Märkte und Handwerksbetriebe – und damit den Anreiz, zu bleiben und in das eigene Dorf zu investieren. Deswegen will Schreiber zum Strom auch die Infrastruktur entwickeln. Zu seinem Service-Angebot gehören unter anderem die Trinkwasseraufbereitung, Kühlketten, Internetanschluss, energieeffiziente Endgeräte und Biogas-Herde. Zudem bildet Africa Greentec jeweils zwei Techniker vor Ort aus, die die Wartung der Anlagen garantieren. Schreibers Ziel für die nächsten 10 Jahre: 3 Millionen Menschen an seine mobilen Mini-Grids anzuschließen.
Dazu braucht er vor allem Investoren. Investoren, die Schreibers Vision einer nachhaltigeren Form von Entwicklungshilfe teilen. Africa Greentec versteht sich zwar als Profit-orientiertes Unternehmen, ausschlaggebend aber sind nicht die Gewinnmargen sondern, wie Schreiber formuliert, „die Optimierung des gesellschaftlichen Nutzens“. Praktisch bedeutet das: Alle Gewinne werden reinvestiert. Für die bisherigen Anleihen von 6 Millionen Euro zahlt Africa Greentec satte 6,5 Prozent Zinsen. Ein Dorf, das auf Kredit einen 150 000 Euro teuren Solartainer bekommt, muss genügend Abnehmer stellen, damit die Rechnung für das deutsche Unternehmen aufgeht: 30 Cent pro Kilowattstunde zahlen die Endverbraucher im Durchschnitt. In 15 Jahren, so der Plan, hat sich das Solarkraftwerk amortisiert. Um die Kosten so gering wie möglich zu halten, zahlen Torsten und Aida Schreiber sich und ihren Mitarbeitern lediglich so viel aus, wie sie zur eigenen Lebenssicherung brauchen: „Wir halten uns an den Gehaltsreport für Sozialunternehmer“, sagt Schreiber, „und verdienen damit ungefähr die Hälfte dessen, was Branchen-üblich ist“.
Nun rührt der Unternehmer die Trommel für Crowdfunding. An Überzeugungskraft fehlt es ihm nicht: Allein eine Million Menschen folgen der Facebook-Seite von Africa Greentec, fast 400 haben sich bisher als Privatinvestoren verpflichtet. Dabei ist die Unterstützung durch Nobelpreisträger und Mikrofinanz-Pionier Mohammad Yunus nicht ganz unwesentlich. Er steht dem Unternehmer-Ehepaar Schreiber als Mentor zur Seite, lädt sie regelmäßig zu Weltwirtschafts-Podien – und bezeichnet ihre Arbeit als „persönliche Inspiration“.
Dabei kam Torsten Schreiber, der von sich selbst sagt, sein „Erscheinungsbild sei für den Politikbetrieb immer ein Hindernis gewesen“, einst aus der Modebranche. Als gelernter Verlagskaufmann wühlte er sich in die Welt des E-commerce und der sozialen Netzwerke. Schreiber baute die Piratenpartei mit auf. Gründete die Energieplattform „Bettervest“. Begeisterte sich für „Faktor Fünf“ von Ernst Ulrich von Weizsäcker, eine Öko-Bibel, die die Beibehaltung des gleichen Lebensstandards bei Einsparung von 80 Prozent der Energie für möglich erklärt.
Von der Schwarmpolitik über die Schwarmfinanzierung kam Schreiber so zum Schwarmstrom. „Hätte ich nicht meine Firma für Solarstrom gegründet, würde ich vermutlich für eine Klimarettungs-Initiative wie Extinction Rebellion arbeiten“. Heute sehe er sich als „sustainable entrepreneur“ oder Sozialunternehmer. „Um die Welt strukturell besser zu machen, reicht es einfach nicht, ein paar Leuten eine Solarlampe in die Hütte zu bringen.“
Schreiber erläutert das am Beispiel einer seiner Kunden: Fode Diakite. Der Malier hatte seine Flucht nach Europa bereits geplant und vorbereitet. Als er davon erfuhr, dass ein Team von Africa Greentec anrücken wird, um sein Dorf Dakane zu elektrifizieren, hat er sich umentschieden. Er gründete einen Dorfladen, wo er alle Dinge des täglichen Bedarfs von Milch über Gemüse bis zu Waschpulver verkauft – und nebenbei eine Ladestation für Mobiltelefone betreibt.
Seine Erfolgsgeschichte ist durchaus typisch. Über 500 Mikrounternehmen haben in den bisher 20 elektrifizierten Dörfern in Mali Arbeitsplätze und wirtschaftliche Perspektiven geschaffen. Schulkinder müssen nicht mehr im Qualm von Kerosinlampen lernen. Elektrische Pumpen und Filteranlagen garantieren sauberes Wasser. Auch wenn das Aufstellen eines „Solartainer“ mitsamt seiner 67 KW Lithiumbatterien ein unternehmerisches Risiko darstellt: Die Zahlungsmoral der Kunden sei gut, die Nachfrage so groß, dass man mancherorts einen zweiten Solartainer ankoppeln müsse. Die KW-Stunde kostet dennoch nur die Hälfte des Stroms aus Dieselgeneratoren, Schreiber nennt sie „Dreckschleudern“. Daneben gäbe es in Mali zwar ein paar mit Entwicklungshilfe subventionierte Solarkraftanlagen, aber deren Bleibatterien würden nur ein Jahr lang halten und Menschen sich immer wieder beim unsachgemäßen Recycling vergiften.
„Anfangs begegnen uns viele Menschen mit Misstrauen, weil ihre Erwartungen schon zu oft enttäuscht wurden.“ Als Beispiel nennt er ein Programm der Weltbank: Um die Jahrtausendwende wollte sie einige hundert malische Dörfer elektrifizieren – mit Dieselgeneratoren. Bis die Stromnetze und Generatorenhäuschen gebaut waren, hatte sich der Dieselpreis verdoppelt. Einige der Dörfer wurden nach Ende der Subventionen sich selbst überlassen. In anderen wurden die nagelneuen Dieselgeneratoren erst gar nicht angeworfen. Die bereits gelegten Leitungsnetze aber kommen nun Africa Greentec zu Gute: Mit Billigung der malischen Regierung stellt sie Solartainer in diese Dörfer, die Renovierung des Netzes wird zur Hälfte von der Deutschen Entwicklungs Gesellschaft getragen. Ansonsten aber bekäme Africa Greentec keinen Cent von der staatlichen deutschen Entwicklungshilfe – als privatwirtschaftliches Unternehmen sei es de jure davon ausgeschlossen.
Schreiber hat dafür einen unschätzbaren Heimvorteil: seine Frau Aida Schreiber. „Ich bin Greentec, sie ist Afrika“ scherzt der Firmengründer. Die Arbeitsteilung zwischen beiden – auch ihre drei gemeinsamen Kinder nehmen sie oft nach Mali mit – beruht auf afrikanischen Prinzipien. Aida Schreiber erklärt es so: „Ich vermittle den Frauen in den malischen Dörfern unser Konzept, stelle sicher, dass sie gleichberechtigt vom Strom profitieren und organisiere zusätzliche Bildungsprogramme.“ Als Firmenschefs aber, versichert die Co-Chefin, träten sie immer gemeinsam vor den Ältestenrat. So viel weibliche Selbstermächtigung habe schon einige Irritationen ausgelöst. Einerseits. Andererseits gelte sie vielen malischen Dorffrauen als Rollenvorbild: „Frauen und Mütter können als Unternehmerinnen erfolgreich sein. Und warum nicht mit dem Geld, das man dank dem neuen Kühlschrank verdient, auch die Mädchen zur Schule schicken?“
Forscher der HTW Dresden, TU München und FU Berlin begleiten Africa Greentec und messen die ökonomischen und soziologischen Auswirkungen der Dorf-Elektrifizierung. Ihre Forschungsergebnisse bestärken den hessischen Unternehmer: „Unsere Arbeit spart nicht nur viele Tonnen CO2 ein. Sie wirkt nachweisbar positiv auf die meisten Nachhaltigkeitsziele, auf die sich die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 geeinigt haben.“ Was Schreiber allerdings wütend macht: Dass Deutschland und die EU so wenig zur Bekämpfung der Fluchtursachen im Sahel beitragen, während sie bis zu 40 000 Euro für die Rückführung eines Flüchtlings bezahlen. Die von der Bundeswehr gestützten UN- und EU-Friedensmissionen in Mali kosten 1,2 Milliarden im Jahr – und dennoch habe sich die Sicherheitslage der Bevölkerung seitdem noch verschlechtert. Wäre es nicht sinnvoller, fragt Schreiber, dieses Geld stattdessen für mehr Beschäftigung und Nahrungsmittelsicherheit einsetzen? Mit dem Zwei-Jahres-Etat der Minusma könne man ganz Mali bis ins letzte Hirtendorf elektrifizieren: „Ich mache das für 100 Euro pro Kunde und das Geld ist nicht weg. Es ist investiert in Menschen, die etwas bewegen wollen“
Man mag das als Illusion eines unbeirrbaren Weltverbesserers abtun. Schreiber aber meint es ernst: Er expandiert mitten im Krisengebiet, auch wenn er Dorfbesuche nur noch mit militärischem Geleit unternimmt. Die Auftragslage unterfüttert seinen Optimismus. Das Unternehmen, das im Gründungsjahr 2016 nur aus Aida und Torsten Schreiber sowie einem malischen Techniker bestand, beschäftigt inzwischen 30 Angestellte in Deutschland und über 100 in Mali, Niger und Senegal. Die neuesten Anfragen kommen aus Togo, Äthiopien, Madagaskar und Namibia, Schreiber steht nach eigenen Angaben in direktem Kontakt mit deren Staatspräsidenten. Die Idee von Africa Greentec mit dem Strom auch sozialen Wandel anzustoßen, stößt dort auf offene Ohren: „Noch wichtiger als der Strom ist uns der Glauben der Menschen“ sagt der Sozialunternehmer, „der Glauben an die eigene Zukunft“.
JONATHAN FISCHER
in gekürzter Fassung am 20.10.2020 in der Süddeutschen Zeitung
