Wenn der Wu-Tang Clan ein neues Album ankündigt, sind die Erwartungen hoch. Denn es geht immer noch um die Fortschreibung des phänomenalen 1993er Debüts „Enter The Wu-Tang (36 Chambers)“, das damals scheinbar aus dem Nichts kam, eine geheimnisvolle Shaolin-Soul-Ästhetik etablierte und die Spielregeln des Hip-Hop noch einmal neu definierte. Auch wenn die Hoffnungen immer wieder durch Halbherzigkeiten enttäuscht wurden: In einer Ära, in der ein manischer Internet-Provokateur wie Lil B oder die psychopathischen Clownereien von Skater-Kids aus dem Kollektiv Odd Future zu Recht gefeiert werden, bleibt der Wu-Tang Clan immer noch das Mutterschiff aller Hip-Hop-Surrealismen. Kraftzentrum einer Welt zwischen Comicstrip, Ghetto-Realismus und Bruce-Lee-Kult.
„Legendary Weapons“ (Groove Attack) verspricht schon auf dem Cover entsprechende Großtaten: Nicht nur sind auf dem neuen Album – bis auf GZA und den verstorbenen Ol’ Dirty Bastard – alle Rapper der ersten Stunde vertreten. Sie haben sich auch wieder der Federführung von RZA anvertraut, dem Mann, der den Wu-Tang Clan als Klangkonzept und Lebensphilosophie aus der Taufe hob, und der – bei aller Kritik seiner Rapper an der „Hippie-Gitarren-Musik“ des letzten Wu-Tang Clan Albums „8 Diagrams“ – sich stets darum bemühte, das Klangbild seiner Crew zu erweitern.
Als Wu-Tang-Produzent hatte RZA einst die Paradigmen der Popkultur provoziert: Mit schief zusammengeflickten Soulsamples, aggressiven Beats und Todesverachtung für all die Süßmacher, die einen typischen Top-Ten-Hit ausmachen. Was würde Hip-Hop ohne diese Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit auch noch bedeuten? Womit auch schon das grundsätzliche Problem eines Wu-Tang Clan Albums im Jahre 2011 angesprochen ist: In den letzten drei Jahren hat eine Schwemme von Solo-Werken der Wu-tang-Rapper Raekwon, GZA, Ghostface Killa den klassischen RZA-Sound in nostalgischer Weise kopiert, machte sich eine Armada von Adepten die Kombination von rauchigen Soulstimmen, Krimi-Streichern und eiernden Synthesizern zu eigen.
RZA aber hat da schon längst das Spielfeld gewechselt. Er weiß, dass es besser ist einen Haken zu viel zu schlagen als auf der Stelle zu verweilen. Und diesmal heißt seine Geheimwaffe: The Revelations. Der Wu-Tang Produzent hat die Brooklyner Band ins Studio geholt, um all die Dramatik, die er einst am Sampler schuf, live einzuspielen. Böse Zungen behaupten, dass es RZA wohl vor allem darum ging die Tantiemen für die Samples zu sparen. In Wirklichkeit aber kommt er einem alten Traum näher: Vom bloßen Klangwilderer zum Musiker aufzusteigen. Die einst emotional erspürten Soundscapes zu Band-Kompositionen umzuschreiben.
„Ich will der Welt zeigen“, sagt RZA, „dass wir Hip-Hop-Künstler uns nicht auf unsere kleine Blase beschränken müssen, dass wir unsere Kreativität, unser technisches Wissen und unsere Fähigkeiten weiterentwickeln können“. Sind also Verkaufserfolge wirklich die letzte Hip-Hop-Instanz? Oder gibt es auch hier eine Emanzipations-Geschichte jenseits von Charts und Fan-Foren? Lange konnte der Platin-dekorierte Wu-Tang-Produzent weder Noten lesen noch Akkorde einordnen: Bis er in einem Musikgeschäft auf einen völlig entnervten Schlagzeuger traf. „Er sagte, er bekäme wegen Typen wie mir keine Studiojobs mehr. Ich könnte zwar einen Sampler bedienen, aber als richtigen Musiker könne er mich nicht betrachten. Und er hatte Recht.“ Darauf hin habe er sich Bücher über Musiktheorie besorgt.
In diesem Sinne schreibt „Legendary Weapons“ ein neues Kapitel in der Saga der Selfmade-Hip-Hopper, zeigt es doch einen RZA, der seinen aggressiven Sound ins auskomponierte Reich der Klassik überführt: Eine düstere Atmosphäre der Bedrohung hängt über den Songs. Erotisierte Gewalt in Comic-Szenen. Etwa wenn Inspectah Deck befeuert von dreckigen Bluesbläsern der Obama-Depression nachspürt („Never Feel This Pain“), RZA zu einer Kakophonie aus Stimmen und Saxofon-Schlieren über Afrika und den Islam räsoniert, oder Method Man wie selbstverständlich die Ungerechtigkeiten der New Yorker Justiz mit seiner Liebe für die Schlümpfe verschränkt („Diesel Fluid“).
Die absurdesten Metaphern aber liefert Ghostface Killah. Ganze acht Tracks lang entführen seine atemlos gehetzten Raps in eine Welt voll doppelter Böden, gescheiterter Gangster und bizarrer Shaolin-Kämpfe. Am Ende von „Black Diamonds“ hinterlässt er einen Toten auf dem Schachbrett, und die Gewissheit, dass der pechschwarze Surrealismus des Wu-Tang Clan immer noch die selben Adrenalin-Schübe zu liefern vermag wie vor 15 Jahren.
RZA aber arbeitet schon längst an seinen nächsten Projekten: Nicht nur verpasst er gerade seinem mit Quentin Tarantino gedrehten Kung-Fu Film „The Man With The Iron Fist“ den letzten Schnitt. Auch ein Nachfolge-Album hat er bereits für 2012 angekündigt. Die Charts sind ihm eigenen Angaben nach inzwischen egal – nur die Begeisterung der Odd-Future-Generation nicht.
Jonathan Fischer
SZ 30.7.2011