Monatsarchiv: März 2016

Schmerzgrenzen: Der Rapper Anderson Paak über die Musik seiner Eltern, seinen Mentor Dr. Dre und Aushilfsjobs

hh03Der 30-jährige Anderson Paak wuchs als Sohn eines afroamerikanischen Soldaten und einer koreanischen Bauerstochter in Oxnard auf, einem Küstenstädtchen nordwestlich von Los Angeles. Zum Interview im Münchner Ampere-Club erscheint er mit Häkelmütze, Nasenring und einem Curtis-Mayfield-Graffito auf seiner abgewetzten Jeansjacke. Bekannt wurde er, als der Hip-Hop-Mogul Dr. Dre den Sänger, Rapper und Produzenten für sechs Songs seines jüngsten Albums „Compton“ engagierte. Zuvor hatte Paak bereits die zwei Alben „Lovejoy“ und „O.B.E. Vol. 1“ unter dem Pseudonym Breezy Lovejoy eingespielt und unter eigenem Namen die Platte „Venice“ veröffentlicht. Im Januar erschien sein zweites Studioalbum unter eigenem Namen: „Malibu“. Es ist sein bislang bestes. Eine melancholische Melange aus Soul, Garage House der Achtziger und experimentellem Hip-Hop.

SZ: Mr. Paak, Sie schreiben sehr persönliche Songs, in denen Sie über Ihren abwesenden Vater, Ihre spielsüchtige Mutter und ein Leben zwischen Mini-Jobs und Obdachlosigkeit singen.Was haben Sie sich dabei gedacht?

Paak: Songwriting ist für mich die beste Art, mit dem Wahnsinn meines Lebens umzugehen. Sowohl mein Vater als auch mein Stiefvater und meine Mutter waren viele Jahre im Gefängnis. In meinen letzten Erinnerungen an meinen Vater nimmt er Drogen, ist gewalttätig und bringt beinahe meine Mutter um. Da war ich 14 Jahre alt. Eine Szene voller Blut und Geschrei. Später wurde auch meine Mutter eingesperrt, weil sie Anleger um einige Millionen Dollar geprellt hatte. Ich habe das als Warnung gesehen und mich für ein Leben entschieden, das meinem siebenjährigen Sohn nun erlaubt, zu mir aufzuschauen.

Ist Musik für Sie nur Therapie oder haben Sie eine Botschaft?

Ich schreibe meine Songs nicht nur für mich. Im Leiden ein Wir zu schaffen – das war doch immer die große Stärke von Soulmusik.

Warum bezeichnen Sie Ihre Musik selbst eigentlich als Soul, obwohl Sie offiziell als Hip-Hop-Künstler gelten?

Ich rappe und singe und tanze zwar, aber Soul bleibt die Grundlage für mein Schaffen. Meine Mutter hat zu Hause immer Platten von Curtis Mayfield, Al Green und Marvin Gaye gespielt. Ich habe mich schon als kleines Kind zu dieser Musik hingezogen gefühlt.

Ihre eigene Version klingt allerdings ganz und gar zeitgenössisch. Inwieweit kann die überlieferte afroamerikanischen Ästhetik von Jazz und Soul heute noch neue Impulse liefern?

Das Alte kehrt heute unter neuen Vorzeichen zurück. Selbst Jay-Z hat den Bluessänger Bobby Blue Bland verarbeitet, weil er zu Hause bei seiner Mutter dessen Platten gehört hat. Soul hat mich jedenfalls erwischt wie eine Droge: Als ich anfing, Schlagzeug zu spielen, war mein erster Song „Tighten Up“ von Archie Bell & The Drells – ein Sechzigerjahre-Song, aber immer noch frisch. Danach begleitete ich jahrelang Gospelgottesdienste in der Kirche meiner Mutter.

Vom peitschenden Gospeldrive sind Sie allerdings längst auf ziemlich vertrackte Hip-Hop-Beats umgestiegen.

Ich habe es immer geliebt, die Sachen ein wenig gegen den Mainstream zu bürsten. Gerade jetzt, wo viele den spannungsreichen Trap-Hip-Hop schätzen, schreibe ich bewusst anders, favorisiere ich sehr viel entspanntere Ansätze, wie ich sie auf alten Soul- oder auch Jimi-Hendrix-Platten höre. Außerdem beeinflusst mich natürlich meine Heimat Kalifornien: das warme Wetter, die bekifften Jam Sessions mit meinem Mentor Shafiq Husayn (vom Hip-Hop-Kollektiv Sa-Ra) und genialen Außenseitern wie Madlib und Flying Lotus. Ihr Beispiel hat mich ermutigt.

Trotz erster von der Kritik gefeierter Aufnahmen unter dem Künstlernamen Breezy Lovejoy, mussten Sie nebenbei noch auf einer Marihuana-Plantage in Santa Barbara arbeiten. Warum?

Ich brauchte dringend Geld, um meine Frau und unseren Sohn zu versorgen. Ich nahm jeden nur erdenklichen Job an: Windeln wechseln im Altersheim, Tüten packen im Supermarkt, und dann eben gärtnern auf einer Marihuana-Plantage. Als sie mich dort ohne Vorankündigung feuerten, konnte ich nicht mal mehr die Miete zahlen. Meine ganze Familie wurde obdachlos. Wir mussten alle im Wohnzimmer einer Bekannten auf dem Boden schlafen, bis ich als Schlagzeuger für eine Sängerin, die Finalistin bei der Fernseh-Casting-Show „American Idol“ war, wieder genug Geld verdiente.

Nur ein Jahr später, 2014, drehte sich Ihr Schicksal auf märchenhafte Weise: Hip-Hop-Produzentenlegende Dr. Dre rief Sie an und bestellte Sie für gleich sechs Songs seines letzten Albums „Compton“ ins Studio. Was hat ihn so beeindruckt an Ihnen?

Dre hatte wohl ein paar Instrumentals von mir gehört. Er bestellte mich zu sich ins Studio, und ich improvisierte ein wenig Gesang. Das überzeugte ihn. Er sagte mir, ich hätte diesen natürlichen Schmerz in der Stimme. Er wollte jemanden, der auf Anhieb anders klingt.

Er hat ja schon Snoop Dogg und Eminem zu Superstars aufgebaut.

Snoop Dogg und Eminems Karrieren sind für mich kein Maßstab. Die Erfahrung mit Dr. Dre hat mich nicht nur einiges in Sachen Liebe zum Detail gelehrt. Sie hat mir auch eine Menge Selbstzweifel genommen: Nach zehn Jahren des erfolglosen Rumprobierens stehe ich heute kompromisslos zu meinem eigenen Sound. Außerdem kann ich mir endlich ein Auto leisten.

Auch das Männerbild, das Sie in Ihrer Musik vertreten, bricht mit alten Hip-Hop-Klischees. Wächst da gerade eine neue Generation von Hip-Hop- und R’n’B-Künstlern heran, die es wagt, Nachdenklichkeit und Verletzlichkeit zu zeigen?

Wir sind heute längst über die Macho-Posen der Vergangenheit hinweg. Ich möchte mich vor meinem Publikum in meiner Unvollkommenheit, meinem Entwicklungsprozess zeigen. Das verbindet mich mit Sängern wie Anthony Hamilton oder Rappern wie Kendrick Lamar.

Kendrick Lamars Album „To Pimp A Butterfly“, für das er gerade auch einen Grammy bekommen hat, hat im vergangenen Jahr mit seiner Mischung aus schwarzer Geschichte, Selbstbekenntnis und Jazz-Gestus den Hip-Hop neu erfunden. Ist es Zufall, dass Sie ganz ähnlich vorgehen?

Kendricks Alben haben mich schon sehr inspiriert. Wir haben am Telefon auch häufiger über die Arbeit mit Dr. Dre und dessen Label Aftermath geredet, bei dem wir zukünftig beide unter Vertrag stehen werden. Ich wusste allerdings nicht, wie sehr er auch ein Fan von mir ist. Als mein Album „Malibu“ erschien, rief er mich an: „Danke“ sagte er immer wieder: „Du hast mir etwas wirklich Neues zum Hören geschenkt.“ Wir werden uns wohl bald im Studio treffen, um gemeinsam die Grenzen des Hip-Hop zu erkunden.

INTERVIEW: JONATHAN FISCHER

SZ 2.3.2016