Monatsarchiv: April 2016

Papa Wemba: Trauer um einen Outlaw mit Stil

Eine der skurrilsten Szenen jenes Feldforschungstrips, der Damon Albarn 2007 zusammen mit seiner Band Gorillaz, sowie einer Menge HipHop-Stars von De La Soul bis zu den Roots nach Kinshasa führte, war eine Audienz beim König des kongolesischen Pop. Papa Wemba empfing wie ein Papst: Einzeln durften die westlichen Kollegen ins Separee von Wembas Nachtklub im Viertel Matonge, wo der rundliche Sänger seinen Besuchern nachlässig seine Siegelringe zum Handkuss darbot. Ein Auftritt irgendwo zwischen esoterischer Popshow und Größenwahnsinn.

  An Selbstbewusstsein hat es Papa Wemba nie gefehlt. Als Sänger, Mode-Idol und Aushängeschild des kongolesischen New Wave Rumba beeinflusste er seit den Siebzigern mehrere Generationen afrikanischer Musiker. Und er begründete einen quasi-religiösen Kult um teure westliche Designermode. 1949 als Jules Shungu Webadio im Kasai geboren, gehörte Papa Wemba als 20-Jähriger zu den Mitbegründern von Zaiko Langa Langa, einer Band die oft als „die Rolling Stones Afrikas“ bezeichnet wurde und die traditionelle Musik des Kongo mit Mod-Attitüden und europäischen Pop-Posen aufrüstetet.

  1974 gründete Papa Wemba mit Kollegen die Formation Isifi Lokole kurz für  Institut de Savoir Ideologique pour la Formation des Idoles. Der große Erfolg aber kam erst ein paar Jahre später, als er sich mit Viva La Musica selbständig machte. Nun folgte ein Pophit auf den nächsten: „Yolele“, „Bakaba Dia Kuba“, „L’Esclave“…. Papa Wembas hohe, nasale Klagegesänge schienen dabei über den galoppierenden Rumba-Rhythmen und den süßlich klingenden Gitarren seiner Band zu schweben. Seine Bühnenshow mit Großorchester, Tänzerinnen und aufwendigen Kostümwechseln füllte Stadien in ganz Afrika.

  Papa Wemba inszenierte sich gerne als Outlaw mit Stil. Er stieg mit Dreiteiler, Gaultier-Hemd und italienischen Designer-Schuhen zum Idol der Sapeurs auf. La Sape („Societé des Sapeurs et Personnes Elegantes“), das war eine entrückte Parallelwelt, in der Haute Couture den Staub und das Elend von Kinshasas Straßen konterkarierte. Das Stilbewusstsein Papa Wembas wurde zum Initiationsritual einer politisch desillusionierten Jugend. Das junge urbane Afrika hatte in ihm eine Identifikationsfigur irgendwo zwischen David Bowie und Prince gefunden.

  Ende der Achtziger gelang Wemba der Crossover in den Westen. Mit Peter Gabriel spielte er Alben mit einer Rumba-Rock-Fusion ein. Als er 2004 nach dreimonatiger Haft wegen Menschenschmuggels aus einem französischen Gefängnis zurückkehrte, wurde seine Heimkunft in den Straßen Kinshasas begeistert gefeiert. Nicht einmal der Präsident konnte ähnliche Fähnchenparaden für sich reklamieren. Am vergangenen Sonntag brach der Sänger während eines Auftritts in Abidjan auf der Bühne zusammen. Der selbsterklärte Sapeur Numero Un wurimagesde 66 Jahre alt.

JONATHAN FISCHER

SZ 25.4.2016

Chronist der neuen Freiheit: Zum Tod des Fotografen Malick Sidibé, Vorreiter einer modernen afrikanischen Großstadt-Kunst

02ARTSWE4-master675 imagesAls Malick Sidibés Schwarz-Weiß-Fotografien aus den Sechziger- und Siebzigerjahren bereits in den Museen und Galerien Europas und Amerikas gezeigt wurden, blieb sein Studio in Bamako ein gut versteckter Ort. Nicht einmal im Telefonbuch war es zu finden. Man musste schon Passanten im Stadtteil Bagadadji nach ihm fragen, dann wiesen sie einem freundlich den Weg zu einem kleinen unverputzten Flachbau, der sich äußerlich lediglich durch die schwarz-weiße Tafel „Malick Sidibe“ von den benachbarten Teeküchen und Frisiersalons unterscheidet.

  Wenn Malick selbst da war – und seinem Sohn und Fotografen-Nachfolger Karim Gesellschaft leistete – dann befeuerte ein gutmütiges Lachen die Teerunde vor seiner Tür. Und Malick Sidibé beschwor mit leiser Stimme eine Ära, in der Schlangen junger Menschen in zusammengeliehener Kleidung und mit frischen Frisuren in der abendlichen Schwüle vor seinem Laden anstanden.

  Das ist inzwischen ein Stück afrikanische Geschichte. Das Studio aber hat sich bis heute nicht verändert. In Regalen verstauben Dutzende alter Rolleiflex-Kameras. Und tiefer im Halbdunkel erkennt man die schwarz-weiß karierten Linoleumböden und die Vorhänge, die als Kulisse für viele von Sidibés Klassikern dienten: Junge Männer in Schlaghosen, die stolz ihre Uhren, Radios oder Motorräder herzeigen. Frauen mit traditioneller Kleidung und Sonnenbrillen. Und manchmal auch Paare, die – bis dato in Mali undenkbar – selbstbewusst miteinander flirten.

  Nicht nur die offenen Blicke beeindrucken. Mode und Posen der oft auf den Tanzflächen lokaler Clubs fotografierten Jugendlichen spiegeln den gesellschaftlichen Aufbruch. Die jungen Menschen in Mali sahen sich nach der Unabhängigkeit 1960 wie überall in Afrika als Teil einer weltweiten Bewegung. London und Paris waren nicht weit. Und das Versprechen von Mobilität und der Teilhabe an einer Popkultur, die damals noch eine Zukunft für alle versprach, lag in der Luft. Malick Sidibé gehörte mit seinem malischen Kollegen Seydou Keita zu den besten Chronisten dieser Zeit. Er stellte in einer auf Tradition fixierten Kultur den Überschwang jugendlicher Lebensfreude in den Fokus seiner Fotografie. Eine Revolution.

  Als Malick Sidibé geboren wurde, hieß Mali noch Französisch-Sudan. Als der Sohn eines Schafzüchters 1952 ein Stipendium an der Ecole des Artisans Soudanais in Bamako gewann, kam er dort mit der Gesellschaftsfotografie in Berührung. Er lernte bei Gérard Guillat. Der Franzose fotografierte die Weißen. Die schwarzen Parties überließ er Malick mit seiner Brownie-Kamera. Ab 1962 betrieb der sein eigenes Studio. Samstagabends pendelte er mit seinem Fahrrad zwischen den verschiedenen Nachtclubs und In-Bars. Nach einer durchgearbeiteten Nacht hatte er sonntagmorgens die Schwarz-Weiß-Abzüge in seinem Laden hängen.

  Im Westen wurde Malick Sidibé Anfang der 1990er-Jahre entdeckt. Heute sind seine Bilder – auf Großformat gezogen – Ikonen der modernen Fotografie und Bestandteile renommierter Sammlungen vom New York Museum of Modern Art bis zum Getty Museum in Los Angeles. 2007 wurde Malick Sidibé als erstem Fotografen überhaupt für sein Lebenswerk der goldene Löwe der Biennale in Venedig verliehen. Sidibé genoss die späte Anerkennung. Sein Geld allerdings gab er – „ er kann nicht anders“, seufzte sein Sohn Karim einmal – vor allem dafür aus, seinem alten Dorf Schulen und Erntefahrzeuge zu finanzieren, und jedem unter die Arme zu greifen, der Hilfe suchend sein Studio aufsuchte.

  Was an Sidibés Fotos bis heute fasziniert: ihr authentisch malischer Soul, die tief humanistische Fusion alter und neuer Ideen. Nicht zuletzt deshalb wird sein Werk noch lange leuchten. Am 15. April starb Malick Sidibé in Bamako. Er wurde 80 Jahre alt.

JONATHAN FISCHER

SZ 18.4.2016

Altes Eisen und neue Musik: Auf «African Fabrics» spielt der Berliner Produzent Daniel Haaksman mit afrikanischen Klängen und Verfahren

Im Internet kursiert eine Fotostrecke eines jungen Namibiers vor seinem selbstgebauten Flugzeug. Der Ingenieur hat angeblich keinen Schulabschluss. Dennoch ist es ihm gelungen, eine Maschine mit fünf Passagierplätzen zu basteln – aus alten Autoteilen und nach Anleitungen aus dem Internet. Nun sammelt er imagesSpenden für Düsenmotoren. Wen kümmert es, dass das Gerät – halb Abenteuerspielplatz, halb Sci-Fi-Phantasie – bis jetzt nur ein paar Handbreit abzuheben vermag? Viel erstaunlicher ist der Optimismus hinter dem Vorhaben.

Das Rezyklieren vorgefundener Teile zu etwas Neuem ist typisch auch für digitale Pop-Musik aus Afrika. Westliche Technologie trifft dabei auf afrikanische Lust am Hybriden. Knirschen, Zirpen, verzerrtes Brummen – genau passt da gar nichts. Doch es ist gerade gut so. Denn wer übersättigt ist mit überproduzierter westlicher Klubmusik, dem pusten Bass-Musiken wie angolanischer Kuduro, Pandza aus Moçambique oder südafrikanischer Kwaito die Gehörgänge durch. Dass diese Musikstile zunehmend Liebhaber auch auf den Dancefloors des Nordens finden, ist ein paar weltoffenen Mix-Pionieren und Musik-Missionaren zu verdanken. Zu ihnen zählt in der ersten Reihe auch Daniel Haaksman. Gerade hat der Berliner DJ ,Techno-Produzent und Betreiber des Labels Man Recordings sein neues Album vorgelegt – und mit ihm die richtigen Fragen gestellt: Wie tickt das urbane Afrika im digitalen Zeitalter? Was bastelt die DJ-Jugend Afrikas an ihren Laptops? Und wie klingt der ständige Techno-Import-Export aus Berliner Perspektive?

Die Liebe zu den rauen Digital-Musiken der südlichen Hemisphäre überkam Haaksman zunächst in Brasilien. 2004 produzierte er «Rio Baile Funk: Favela Booty Beats». Mit Kollegen wie Diplo ebnete er den Lo-Fi-Electro-Hip-Hop-Klängen der Favelas den Weg in die hiesige Dancefloor-Avantgarde. Doch die Ghettos lärmen überall. Und ihre Rhythmen kommen in vielen lokalen Varianten. Bei einem DJ-Trip nach Angola entdeckte der Berliner die örtliche Techno-Variante Kuduro, weitere Reisen durch das lusophone Afrika spülten auch mosambikanischen und südafrikanischen Electro und Reggaeton in seine Plattenkoffer.

Da war es nur eine Frage der Zeit, bis er diese zu etwas Eigenem umformte. «Kultur bewegt sich immer in beide Richtungen», sagt Haaksman. Und wenn sein amerikanischer Produzenten-Kollege DJ Spooky von afrikanischer Kultur als Folie aller Open-Source-Technologien und Vorbote einer hypermultikulturellen Zukunft schwärmt, dann gehört «African Fabrics» zu den zwingenden Belegen. Haaksman stampft ganz nebenbei die Idee der Authentizität ein – und erst recht das überholte folkloristische Etikett Weltmusik. So wie die Afrikaner Electro, europäischen House und amerikanischen Trap mit lokalen Vokal-Stilen panschen, mischt er verwegen drauflos. Hauptsache der Kick stimmt. Hauptsache, der Remix bleibt im Fluss. Dabei nutzt er Samples und afrikanische Musiker nicht als Geschmacksverstärker, sondern baut seine Beats – bald im elastisch pumpenden Kwaito-Stil, bald gebrochen bis minimal – geschickt um die Vokalparts herum. Das Spektrum ist panafrikanisch: Der südafrikanische Rapper Spoek Mathambo wird zitiert, es tauchen Stimmen ugandischer und mosambikanischer Sänger auf, es klingeln kongolesische Soukous-Gitarren.

Und über allem rasselt der Kuduro: Mit der angolanischen Band Throes And the Shine wie auch dem Genre-Erfinder Tony Amado verbeugt sich Haaksman vor der Genialität des afrikanischen Do-it-yourself-Techno. «African Fabrics» ist Zukunftsmusik: Bald wird Afrika mit einer Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 18 Jahren und einer rasenden Digitalisierung den globalen Pop neu buchstabieren.

JONATHAN FISCHER

NZZ 9.4.2016

Nach Afrika! Zu Besuch beim Berliner Schlagzeuger, Komponisten und Produzenten Max Weissenfeldt, der für die Retropop-Diva Lana Del Rey trommelt und in Ghana die Ursprünge des Blues sucht

hh03Max Weissenfeldt lehnt an der blätternden, schmutzig-weißen Fassade einer Kolonialvilla in Saltpond, Ghana, die Digitalkamera im Anschlag. Während dem Berliner Musiker der Schweiß über die Stirn auf das rotgeblümte Hemd perlt, gibt er Regieanweisungen: „Links-rechts-links, hau ihn zu Boden wie Bruce Lee!“ Immer wieder erledigt der ghanaische Held des Musikvideos, das hier gerade entsteht, den Schurken mit seinen Fäusten. Es ist eine etwas holzschnittartig inszenierte Beziehungsgeschichte, in die Weissenfeldt in seinem Berliner Studio nur noch ein paar Sprechblasen montieren wird. Die Magie der Sache entsteht durch die Musik: hüpfende Bässe, etwas Orgel und eine luftig kontrapunktierende Gitarre – wie die James-Brown-Band im Palmweinrausch. „All die Musik, zu der wir im Westen gerne tanzen, hat hier ihre Ursprünge: in den Rhythmen Westafrikas“, sagt Schlagzeuger und Produzent Weissenfeldt. Wie ein Showman wirkt er nicht. Eher ähnelt der 40-Jährige einem Feldforscher, der seinen spleenigen Ideen folgt.

Mindestens zweimal im Jahr kommt Weissenfeldt nach Ghana. Sein Job hier? Kombinieren. In diesem Fall trifft eine in seinem Kreuzberger Studio eingespielte Afro-Funk-Nummer auf die Stimme des Videohelden Roy X. Der ghanaische Sänger und Rapper ist der jüngste Sohn des 80-jährigen Highlife-Stars Ebo Taylor.

„Wir haben in Ghana unsere Highlife-Vergangenheit jahrzehntelang vergessen“, sagt Roy X in seinem kleinen Studioverschlag in Saltpond, wo er zwischen Friseursalon und Krämerladen mit Weissenfeldt das Video bearbeitet: „Es sind Typen wie Max, die sich dafür begeistern und meinen Vater Ebo Taylor zurück auf die Festivalbühnen holen.“ Letztlich profitiere auch seine eigene Hip-Hop-Musik davon. Roy klickt eine Percussion-Spur an, ein traditionelles Drum-Loop, das ihm Max eingespielt hat: „Ich wäre vorher nie auf die Idee gekommen, unsere eigene Tradition zu samplen.“

Weissenfeldt kennt die schwarzen Traditionen Afrikas und der Diaspora wie wenige andere westliche Musiker. „Soulpower des 21. Jahrhunderts“, schwärmte eine amerikanische Hip-Hop-Seite. Seine Musik entsteht an Zwischenorten und auf Reisen. Sie lebt vom „Black Atlantic“. So nennt der afrobritische Kulturkritiker Paul Gilroy die Hybridkultur, die der Austausch zwischen den westafrikanischen Hafenstädten, New Orleans, den USA und Europa ständig aufs Neue hervorbringt. So ist Max Weissenfeldt zu einem der interessantesten deutschen Musiker der Gegenwart geworden. Im vergangenen Jahr reiste er mit seiner neuen siebenköpfigen Berliner Band, den Polyversal Souls, quer durch Ghana, spielte auf Marktplätzen und nahm vor Ort Teile des gemeinsamen Debütalbums „Invisible Joy“ auf.

Als Trommler beherrscht Weissenfeldt Mandinke-Rhythmen so gut wie Hip-Hop-Beats: „Meine eigene Plattenfirma Philophon ist ein Stein im Gemeinschaftshaus einer globalen menschlichen Kultur, wie wir sie zum ersten Mal in der menschlichen Geschichte erleben.“ Man könne die Globalisierung nicht nur wirtschaftlich denken. Sie komme auch einem kulturellen Austauschbedürfnis entgegen: „Ich mag den Kosmos in seiner Vielfalt.“

Dafür reiste er oft monatelang mit nicht viel mehr als seinen Drumsticks in der Welt herum. In Amerika spielte er mit Veteranen des Sun Ra Arkestras, in Burma studierte er die traditionelle Saing-Waing-Musik, er tourte er mit der sagenumwobenen Münchner Weltmusik-Formation Embryo mehrmals durch den Maghreb – um daraus schließlich eine Art Esperanto des Funk zu entwickeln.

Wenn Weissenfeldt für sein Label Songs mit ghanaischen Rappern und äthiopischen Orglern einspielt, dann spielt er stets selbst mit. Am Schlagzeug verflüssigt er die Traditionen und leitet sie um. Selbst der ghanaische König von Kumasi war einmal von Weissenfeldts Soul-Zaubereien so beeindruckt, dass er bei ihm eine Komposition in Auftrag gab.

Angefangen hat alles in München mit einer Band namens Poets of Rhythm. Max Weissenfeldt, ein junger Hip-Hop-Fan, der eine goldfarbig besprühte Plastikkette vom Baumarkt durch die Straßen seiner Heimatstadt trug, blieb damals an den Samples seiner Lieblingstracks hängen: Wo kamen die nur her? Zusammen mit seinem Bruder Jan und drei weiteren Schulfreunden spürt er dem Sound obskurer Sechzigerjahre-Singles aus New Orleans und Memphis nach und löste – kein Witz – bald ein weltweites Funk-Revival aus. Die New Yorker Hipstersoul-Szene um das Label Daptone eiferte den Vorbildern von der Isar nach. 2006 nahm Mark Ronson schließlich das gefeierte und sagenhaft erfolgreiche zweite Album „Back To Black“ der Retrosoul-Königin Amy Winehouse mit den Dap Kings auf, der Daptone-Studioband. „Ohne die Poets of Rhythm“, sagt Daptone-Gründer Gabe Roth, „wäre die Popgeschichte womöglich anders verlaufen. Wir hätten ohne sie nie den analogen schmutzigen Funk von Sharon Jones und Amy Winehouse geschaffen.“

 Die Weissenfeldts blieben allerdings nicht im Retrosoul stecken, sondern erweiterten als Whitefield Brothers ihr Repertoire um Ethio-Jazz und Afrobeat. Irgendwann hörte Dan Auerbach von den Black Keys einen ihrer Tracks und engagierte Max als neuen Lieblingsschlagzeuger. So tauchte der Name Weissenfeldt plötzlich auf großen amerikanischen Pop-Alben auf. Auf Dr. Johns phänomenaler Comeback-Platte „Locked Down“ etwa, die Auerbach produzierte, oder dem ebenfalls von Auerbach produzierten famosen dritten Album „Ultraviolence“ der somnambulen Retropop-Diva Lana Del Rey.

Dieser Job finanzierte übrigens am Ende Weissenfeldts großen Traum: Den goldenen Schnitt zu finden zwischen Accra, Addis Abeba und New Orleans – in einem alten, höhlenartigen Fabrikdachgeschoss in Berlin-Kreuzberg. Er nennt es die Joy Sound Studios. Gästen wird dort in einer Sofa-Ecke mit abgewetztem Perserteppich, handgemalten Jazz-Postern und einer gelb abgeklebten Neonröhre grüner Tee serviert.

Der Laptop dort ist voller Feldaufnahmen: Gospelgesänge und Musik mit bluesigen afrikanischen Kologo-Lauten, die er während eines zweiwöchigen Aufenthalts in Bolgatanga ganz im Norden des Landes an der Grenze zu Burkina Faso einsammelte: „Ich habe vor Ort mit einem Keyboard Song-Skizzen komponiert und dann in meinem Hotelzimmer aufgenommen. Einmal drängten sich sieben Musiker euphorisch singend zwischen Bett, Schrank und Schreibtisch. Solche Momente sind ein großes Geschenk.“ Dass er dafür 16 Stunden in einem etwas heruntergekommenen Bus aus der Hauptstadt Accra anreisen musste, und anschließend zwei Wochen mit einer Infektion im Krankenhaus verbrachte – halb so schlimm.

Sein großer Stolz ist die Instrumentensammlung: eine alte Leslie-Hammond-Orgel, ein elektrisches Wurlitzer-Piano, ein Synthesizer aus dem Jahr 1961 und – „unendlich schwer zu finden“ – eine 40 Jahre alte finnische Transistor-Orgel. Weissenfeldt drückt ein paar Tasten, improvisiert eine seiner typischen, warmen pulsierenden Basslinien. Klingt nach Patina und Hip-Hop-Avantgarde. Und passt ganz selbstverständlich zu den ghanischen Rhythmen, die Toningenieur Benjamin Spitzmüller im Nebenraum laufen lässt.

Schon seit 2012 feilt er mit Weissenfeldt an ihrem unverwechselbaren Sound, irgendwo zwischen Afrofuturismus, Retrosoul und der Erdigkeit früher Aufnahmen von Art Blakey oder Aretha Franklin. „Mich kratzen unsere nächtlichen Sessions immer noch so auf wie damals die Proben mit den Poets im Keller unserer Mutter in München“, sagt Max Weissenfeldt. Wenn er aus dem Dachfenster schaut, sieht er ein paar Hundert Meter spreeaufwärts ein Hochhaus. Auf dessen Fassade leuchtet in riesigen blauen Buchstaben der Name des größten Musikkonzerns der Welt: „Universal“. Früher, zu Zeiten der Poets of Rhythm, waren die großen Plattenfirmen, Radio-Hits, der Pop-Mainstream die großen Feinde. Heute sieht er das nicht mehr so eng. Universal schickt ihm seine Künstler. Der deutsche Hip-Hop-Star Max Herre wird der erste sein. Weissenfeldt freut sich darauf: „Irgendwann pilgern doch alle nach Afrika – und mein Studio ist eben der nördlichste Vorposten Afrikas.“

JONATHAN FISCHER

SZ 5.4.2016