Monatsarchiv: September 2019

Danke Digger! Afropop-Kolumne

Nachdem um die Jahrtausendwende herum Plattensammler und Rare-Groove-Fetischisten noch die letzte Soul-Single aus den Lagern irgendeines Ware Houses in den Südstaaten gezogen hatten, alle raren B-Seiten und unveröffentlichten Studiotakes jeder lokalen Funk-Band wiederveröffentlicht worden waren, kam die Frage auf, ob man nicht mal den Blick auf die andere Seite des Atlantiks richten sollte. Warum nicht die afrikanische Verwandtschaft von Jazz, Soul und Funk suchen? Und nach vergessenen Klangschätzen des schwarzen Kontinents schürfen? Als der Berliner DJ Frank Gossner vor 15 Jahren bei einem Plattenkaufzug in Philadelphia zufällig auf eine Platte des nigerianischen Tabansi-Labels stieß, war er elektrisiert: Der psychedelische Afrobeat eines Musikers namens Pax Nicholas klang anders als alles, was er bisher gehört hatte. Etwas später saß er im Flugzeug Richtung Westafrika. Er wühlte sich durch aufgegebene Plattenläden, gab Anzeigen auf und klebte Poster mit den von ihm gesuchten Platten. Der Berliner wurde zum Pionier für eine ganze Schar von Sound-Archäologen, die damals Afrika als Ausgrabungsstätte für seltenes Vinyl entdeckten.

  Unter anderem „Analog Africa“, „Strut Records“, „Soundway“ und „Mr. Bongo“ veröffentlichten die in den Archiven von Radiostationen, Nachlässen von Musikern und Lagern einstiger Plattenfirmen aufgespürten Tonaufnahmen. Stellten diese archäologischen Trips nicht eine Form von Neokolonialismus dar? Hätte man die Tonträger als historische Kulturzeugnisse nicht besser in Afrika lassen sollen?

  Bezeichnenderweise wurde diese Diskussion nur im Westen geführt – und unter Auslassung der Fakten: Meist hatte sich niemand vor Ort für die Schallplatten interessiert. Hätten ihnen ein paar rührige Wiederveröffentlichungslabel nicht ein zweites Leben geschenkt, wären sie für eine jüngere Generation verloren gewesen, aus dem Kultur- und Geschichtsgedächtnis Afrikas gelöscht. Zudem darf man die meisten der Wiederveröffentlichungen als reine Liebhaberei betrachten. So auch im Fall des Londoner Labels BBE (Barely Breaking Even, deutsch: „Gerade mal rentabel“), das den gesamten Backkatalog des nigerianischen Labels Tabansi offiziell lizenziert hat.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren hatte Chief Tabansi mit eigenen Studios und Vinylpresswerk in Lagos die Lücke gefüllt, die der Abzug westlicher Plattenfirmen aus Westafrika hinterlassen hatte. Nun legt BBE die ersten acht von geplanten 60 Reissues vor: Im Originaldesign – mit krachigen, mal an Disco-Mode, mal an Afro-Folklore erinnernden Covers. Und natürlich neben CD auch auf Vinyl.

  Um es vorwegzunehmen: Nicht alle der Wiederveröffentlichungen werden die Gemeinde der Afrobeat- und Rare-Groove-Fetischisten ansprechen. Gerade in den Achtzigerjahren kopierten viele nigerianische Künstler die Popmoden aus Amerika. Im besten Fall funktioniert da ein Album wie Nkono Teles’ Album „Partybeats“ als Fundgrube für Hip-Hop-DJs und Breakbeat-Bastler, die sich am Charme der rumpelnden Synthies und ungeschliffenen elektronischen Effekte berauschen.

Aber dann bleiben doch einige ganz famose Fundstücke: Etwa Zeal Onyias „Trumpet King Zeal Onyia Returns“ ein energiestrotzendes, frisch-fröhliches Highlife-Album des von Louis Armstrong als „highlife hep cat of Nigerian Jazz“ gehypten Trompeters, er hatte zuvor in Deutschland klassische Musik studiert. Eine weitere Highlife-Preziose ist die von afrokubanischen Bläsersätzen angetriebene „Dytomite Starlite Band Of Ghana“. Oder Ojo Balingos „Afrotunes“: eine Rarität, die repetitive, percussionlastige Juju Sounds mit Psych-Rock-Gitarren hochkocht. Auch der ghanaische Afrobeat-Pionier Ebo Taylor ist mit „Palaver“ vertreten: Er hatte das Album während einer Tournee in Nigeria aufgenommen, wo es dann in den Studioregalen verstaubte. Sollten Geld oder Neugier aber nur für ein einziges Album ausreichen, dann empfiehlt es sich unbedingt, hier reinzuhören: „Ewondo Rhythm“ von Ondigui und Bota Tabansi International. Die silbrig klingelnden Gitarren des kongolesischen Soukous, Highlife-Bläser und Harmoniegesänge entfachen auch vier Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung ihre Magie. Frisch klingt das. Und – auf eine leichtfüßige Art – funky. Kein Wunder, dass die kolumbianischen Champeta-Soundsystems (sie kombinieren Afro- und Latinstile) auf der anderen Seite des Atlantiks dieses Album seit Langem auf ihren Playlists haben und ambitionierte DJs Unsummen für „Ewondo Rhythm“ hinlegen. Auch deshalb noch mal ein Danke an alle Vinyl-Archäologen: Afrika braucht Digger, die solche Kulturschätze für alle zugänglich machen!

JONATHAN FISCHER

SZ 27.8.2019bbe tabansi ewondo rhythm

LIEBE FUNKTIONIERT ANDERS ALS ICH DACHTE Was haben abwesende Väter, Missbrauchserfahrungen und Therapie mit HipHop zu tun? Ein Interview mit HipHop-Star Common über seine neue Biographie und sein Album „Let Love“

Common, 1972 als Lonnie Rashid Lynn 1972 in Chicago geboren, hatte HipHop in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder neue poetische und politische Impulse gegeben. Darüber hinaus ist der 47-jährige ein gefragter Hollywood-Schauspieler (u.a. „Terminator Salvation“, „John Wick“, „American Gangster“) und Oscar-Preisträger. Mit seinen im Mai erschienenen Memoiren „Let Love Have The Last Word“ gelang Common nicht nur ein Bestseller – er verwertet die darin gewonnenen Einsichten auch für sein neues Album „Let Love“.

In Ihrer neuen Biographie wie auch Ihrem Album „Let Love“ geht es um Heilung und Gemeinschaft. Hat denn HipHop nicht eher den Ruf, im Dienste des Ego zu stehen, zu provozieren?

Common: Eine wichtige Kraftquelle des HipHop liegt bis heute im Soul, einer Musik der es stets um das Wir, die Gemeinschaft ging. Ich sehe mich da in der Tradition von Stevie Wonder, Marvin Gaye, Nina Simone und Curtis Mayfield. Abgesehen davon habe ich natürlich ein Ego. Warum auch nicht? Mann muss nur lernen, es für das Wir auch mal zur Seite zu schieben.

Sie reden in Ihrer Biographie wie Ihren neuen Songs über Ihre Krisen als Mann und Vater, und erzählen sogar von sexuellen Belästigungserfahrungen als Kind. Ist so viel Offenherzigkeit für einen Rapper nicht ganz schön gewagt?

Ich habe schon über meinen Kampfgeist, meine Qualitäten und Erfolge gerapt. Jetzt muss ich real bleiben: Das heißt, dass ich zu meinen Einsichten stehe, und HipHop als Plattform nutze, um anderen zu helfen. Wenn ich mich traue, dann trauen sie sich vielleicht auch – nur so kann man aus dem Kreis der Scham ausbrechen.

Was hat Sie zu Ihren neuen Erkenntnissen gebracht?

Meine Tochter ist meine größte Lehrerin. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sie mich aus der Reserve gelockt hat…

Sie reden von Ihrer 22-jährigen Tochter Omoye Assata…

Sie machte mir Vorwürfe, dass ich sie im Stich gelassen habe. Sie sagte mir: Du kümmerst dich nicht, du bist kein guter Vater. Zuerst wurde ich wütend. Ich wollte mich verteidigen, argumentierte dass ich eben dauernd auf Tournee sei. Aber dann hat sie es doch geschafft, mein Ego zu knacken: Es war eine der besten Erfahrungen meines Lebens, ihr einfach zuzuhören. Sie brachte mir etwas bei: Dass Liebe anders funktioniert als ich dachte….

Jetzt predigen Sie, der weltberühmte HipHop-Star und Schauspieler, wie wichtig es ist, Schwächen zuzugeben und sich Hilfe zu suchen…

Ja ich rede über Therapie – weil ich hoffe, der Gemeinschaft damit einen Dienst zu erweisen. Wir Entertainer zeigen ja am liebsten nur unsere guten Seiten. Aber wer lernt dabei schon etwas? Deshalb zeige ich lieber, wie ich mit meinen Ängsten und Verletzungen umgehe. Besonders als schwarzer Mann fühle ich eine Verpflichtung, darüber zu sprechen. Weil diese Diskussion sonst überhaupt nicht stattfindet. Wir sollten Therapie nicht anders betrachten als einen Besuch beim Friseur oder Zahnarzt. Niemand würde daran denken, sich dafür zu rechtfertigen.

Sie haben einmal gesagt, Ihre gescheiterten Beziehungen – Sie waren unter anderem mit Erykah Badu und Serena Williams zusammen – hätten Sie zum Therapeuten gebracht…

Der Schmerz über eine Trennung gab erstmal den Ausschlag. Aber dann habe ich gelernt , dass Therapie viel mehr bedeutet: Dass ich als Mann erst einmal lernen muss, mich emotional um mich selbst zu kümmern. Dass eine gesunde Selbstliebe die Basis für gesunde Beziehungen darstellt….

Verstehen Sie Ihre Bekenntnisse auch als Beitrag zur „#Metoo“-Diskussion, die gerade die Entertainment- und Musikbrache erschüttert?

Die Liste der Ungerechtigkeiten und Übergriffe gegen Frauen ist zu lange, als dass sich alles über Nacht verändern ließe: Wir Männer haben seit Tausenden von Jahren Sexismus praktiziert und uns an vieles gewöhnt. Jetzt versuche ich einiges davon wieder zu verlernen….

Ist HipHop nicht selbst ein Teil des Problems? Immerhin glorifiziert das Genre oft eine toxische Maskulinität, in der Frauen fast routinemäßig zu Sex-Objekten degradiert werden

Die Abwertung von Frauen spiegelt doch lediglich eine Mentalität wieder, die sich durch die ganze amerikanische Politik und Geschäftswelt zieht. Darüber hinaus liefern HipHop-Künstler gerade in letzter Zeit viele Gegenbeispiele: Wurde Kanye West nicht dafür gefeiert, dass er über seine Verletzlichkeit rapt? Inzwischen gibt es eine ganze Strömung namens Emo-HipHop, in der Gefühle eine große Rolle spielen….

Sie waren allerdings nicht immer so politisch korrekt. In einigen Ihrer frühen HipHop-Songs nennen Sie Frauen gerne mal „bitches“, „sluts“ und „hoes“, also „Nutten“ …

Common: Das war in den 90er Jahren. Wenn ich heute mein erstes Album anhöre, dann finde ich eine Menge Stoff, den ich nicht wiederholen möchte. Etwa Raps über das Trinken, meinen Drogenkonsum, und Mädchen als Sex-Objekte. Dazu schimpfe ich ziemlich gedankenlos auf Schwule. Mich haben Fans deswegen konfrontiert. Und ich bin seitdem gewachsen.

Stattdessen sensibilisieren Sie ihre Fans nun für abwesende Väter und Kindesmissbrauch. Haben Sie nicht Angst mit zuviel Moral der Musik den Spaß auszutreiben?

Nach einem Konzert kamen schon weibliche Fans, die sich bei mir bedankten: Sie hätten den selben Konflikt wie meine Tochter mit ihren Vätern auszutragen. So etwas ermutigt mich. Und was den Spaß betrifft: Du kannst über deinen Kampf rappen, das Ghettoleben porträtieren – und du kannst positive Ziele haben und trotzdem eine Party feiern. Alles ist legitim, solange die Balance stimmt.

Vor gut zehn Jahren galt HipHop als treibende politische Kraft. Sie unterstützten Präsident Barack Obama, und traten sogar im Weißen Haus auf. Sind Sie heute vom Lauf der Geschichte enttäuscht?

HipHop hat immer noch einen gewaltigen Einfluss auf die Welt, er kann Menschen motivieren, etwa wählen zu gehen. Das haben wir im Falle Obamas auch geschafft. Die Gefahr ist allerdings, sich mit bloßen Worten zufrieden zu geben. Wer Veränderung rapt, der muss auch selbst in Aktion treten.

So wie Sie in den letzten Jahren Gefängnisse in Kalifornien besucht haben, um mit den Insassen über Ihre Bedürfnisse zu reden und daraus politische Forderungen abzuleiten?

Ich schließe mich für solche Aktionen immer bereits bestehenden Grassroots-Bewegungen an. Im Falle der kalifornischen Gefängnisse haben wir es tatsächlich geschafft, dass zwei Gesetze zur Verbesserung der Situation jugendlicher Straftäter beschlossen wurden. Und dann habe ich noch meine Stiftug Common Ground Foundation. Erst vor ein paar Wochen habe ich in Chicago eine auf Kunst und Musik spezialisierte Schule für unterpriviligierte Kinder eingeweiht.

Wenn man Ihnen zuhört, könnte man HipHop für ein Werkzeug der Selbsterkenntnis und des gesellschaftlichen Fortschritts halten. Hat selbst die Trap-Mode mit ihrem oft plumpen Drogendealer-Materialismus diese Liebe nicht beeinträchtigen können?

Es gab Phasen, da dachte ich, ich bin durch mit HipHop. Aber dann hat diese Kultur so viel geleistet: Für mich persönlich, für die Leute aus den Inner Cities, deren Stimmen vorher nicht gehört wurden, für Jugendliche aus den verschiedensten Kulturen, die über HipHop zusammengefunden haben. Dafür bedanke ich mich in meinem Song „HER Love“.

Sie haben auf Ihrem neuen Album auch ausgesprochene Gospel-Songs wie „God Is Love“. Welche Rolle spielt Religiösität für Sie?

Mein Glaube gibt mir viel Kraft. Ich habe ein morgendliches Ritual, in der Bibel zu lesen und zu beten. Das hilft mir durch den Tag. Klar, dass ein Gospelstück genauso auf mein neues Album musste wie die J. Dilla-Beats. Allerdings reicht für mich Spiritualität sehr viel weiter: Ich höre sie auch bei Kendrick Lamar, Frank Ocean oder John Coltrane.

Sie haben in Ihren Songs stets die Anliegen der afroamerikanischen Community aufgenommen, gegen Polizeigewalt, für eine Justiz-Reform und für bessere Schulen gerapt. Was würden Sie Donald Trump gerne sagen, sollte auch dieser Präsident Sie ins Weiße Haus einladen?

Ich würde ihm Fragen stellen: Warum er es als Bedrohung empfindet, wenn geflüchtete Menschen in unser Land kommen? Was wir verlieren, wenn wir den Armen eine Chance geben? Und ob wir nicht alle vom selben Gott erschaffen wurden? Natürlich stehe ich auf der Seite derjenigen, denen Trump das Leben schwer macht. Aber dieses Land braucht eine Anleitung, um über die eigene Spaltung hinwegzukommen. Am Ende befreit nur Liebe – nicht als blumige Parole, sondern als harte Praxis.

Interview: JONATHAN FISCHERCommon_3_by_Durimel