Monatsarchiv: Juli 2016

Schutz für das Eigentum, nicht für die Menschen: Der New Yorker Black-Panther-Veteran und Filmemacher Jamal Joseph spricht über Polizeigewalt und die Gefängnisindustrie

GetAttachmentThumbnailFast jede Woche entlädt sich das Misstrauen zwischen Schwarz und Weiß in Amerika in neuer Gewalt. Jamal Joseph kennt das Misstrauen, auch die Gewalt. Anfang der Siebzigerjahre war er einer der jüngsten Führer der Black Panther Party, wurde wegen Beihilfe zu einem Raubüberfall zu zwölf Jahren Haft verurteilt, machte im Gefängnis zwei Hochschulabschlüsse und schrieb dann Theaterstücke. 1999 gründete er das Impact Repertory Theatre für junge Schwarze, schrieb und drehte Kino- und Fernsehfilme, produzierte Hip-Hop-Platten. Er ist heute Dekan an der Filmabteilung der Columbia Universität in New York. Ein Gespräch über die Gewinner und Verlierer des Hasses.

SZ: Dass in Dallas und Baton Rouge afroamerikanische Heckenschützen neun Polizisten erschossen . . .

Jamal Joseph: . . . hat mich überhaupt nicht überrascht. Bei so vielen Waffen im Umlauf und einer Polizei, die sich in vielen schwarzen Vierteln aufführt wie eine Besatzungsarmee, ist es eher erstaunlich, dass es nicht viel eher dazu kam.

Auch die Black Panther trugen Waffen.

Wir haben uns damals zur Selbstverteidigung bewaffnet und haben niemals als erste das Feuer eröffnet. Wir hatten begriffen, dass ein offener Krieg mit der Polizei noch mehr Unterdrückung nach sich ziehen würde. Heute würden die Panther statt mit Gewehren und Gesetzbüchern eher mit Videokameras und Handys die Straßen patrouillieren.

Das scheint nicht zu reichen. Seit Ferguson ist Polizeigewalt ein öffentliches Thema, zuletzt wurden Videos von tödlichen Schüssen auf Schwarze millionenfach geteilt.

Die Medienaufmerksamkeit hat immerhin eine Diskussion entfacht: Über die Aufgabe und die Ausbildung der Polizei. Heute schützt die Polizei Eigentum, aber keine Menschen. Wenn jemand aus einem armen Viertel die Cops wegen eines Einbruchs ruft, lassen sie ihn eine halbe Stunde warten. Ruft jemand aus einem wohlhabenden Viertel oder ein Geschäftsmann an, sind sie schon da, bevor du den Hörer aufgelegt hast. Sie beschützen die Reichen.

Hilft es denn, gewalttätige Polizisten zu entlassen?

Nein, das ganze System ist krank. Vor drei Jahren wurde ein Lastwagen mit schwarzen Männern in New Jersey von Polizisten angehalten und drei von ihnen wurden angeschossen. Hinterher sagten die Cops, sie glaubten, es seien Drogendealer gewesen. Tatsächlich war es ein Basketball-Team auf dem Weg in ein Trainingslager, die angeblichen Drogen stellten sich als Vitamintabletten heraus. Ich machte einen Film daraus: Um zu zeigen, dass das Problem nicht zwei schießwütige Cops sind, sondern deren ausdrückliche Dienstanweisung, Afroamerikaner anzuhalten und auf Drogen zu kontrollieren.

Wie kann Präsident Barack Obama dieses System abschaffen?

Obama sagt, dass Weiße und Schwarze zusammenarbeiten müssen, um die Gewalt zu stoppen. Aber wir verfügen nicht über die gleiche Macht. Eine Gruppe wird vom Staat als Bürger ermächtigt, einer anderen werden die fundamentalen Bürgerrechte abgesprochen.

Daran hat sich nichts geändert?

Wir haben in Amerika seit jeher ein Klassenproblem. Die Angst vor dem schwarzen Mann stammt noch aus der Sklaverei, als Schwarze als eine Art gefährliche Tiere galten. Diese Einstellung wurde von Generation zu Generation weitergegeben, und Amerika fand immer neue Wege, aus dem Leiden schwarzer Menschen ein Geschäft zu machen. Nach der Sklaverei dienten Schwarze als billige Arbeitskräfte. Die moderne Plantage ist die private Gefängnisindustrie – und sie ist hochprofitabel.

Was hat das mit der Polizei zu tun?

Die Polizei dient als Zulieferer dieses Systems. Sie haben Verhaftungsquoten zu erfüllen – und da bedient man sich am leichtesten in der schwarzen Gemeinschaft.

Sind die schwarzen Viertel krimineller?

Nein, wenn die Polizisten genauso viele weiße Teenagerdurchsuchen würden wie schwarze, kämen sie auf dieselbe Zahl an Drogendelikten. Schwarze junge Menschen haben seltener das Geld für gute Anwälte. Für dasselbe Vergehen bekommen sie deshalb höhere Strafen.

Das klingt doch jetzt aber sehr nach einer Verschwörungstheorie.

Wenn mir jemand vor dreißig Jahren gesagt hätte, dass die Gefängnispopulation in Amerika von 500 000 auf das fünffache, also auf die zweieinhalb Millionen Insassen von heute anwachsen würde, hätte ich ihm das niemals geglaubt. Und das ist ja nicht das einzige! Nehmen Sie die steigende Zahl an schwarzen Arbeitslosen und Obdachlosen. Oder die Tatsache, dass heute nicht mehr weiße Schwule, sondern junge schwarze Frauen zwischen 18 und 25 am schwersten von Aids betroffen sind.

Verstanden, die Situation muss sich ändern. Aber wie? Welche Rolle könnten beispielsweise die Politiker spielen?

Immerhin kommen inzwischen Begriffe wie Masseninhaftierung, Polizeibrutalität oder „Black Lives Matter“ nicht nur Obama, sondern sogar republikanischen Politikern über die Lippen. Sie erkennen also zumindest, dass es ein Problem gibt. Um die Lage grundsätzlich zu verbessern, müsste allerdings auch die Wirtschaft mithelfen. Deshalb befürworte ich einen Bürgerboykott aller Unternehmen, die mit Polizei-Organisationen und der Gefängnisindustrie zusammenarbeiten. Googlen sie mal die entsprechende Liste von Firmen:Sie werden sehen, wer da von Telekommunikationsfirmen über die Textil- und Nahrungsmittelindustrie mitmischt.

Ist eine Protest-Bewegung wie „Black Lives Matter“ der richtige Weg, um in einer so komplizierten Situation zur Besserung beizutragen?

Es geht ja bei „Black Lives Matter“ vor allem darum, den vielen schwarzen Menschen, die das Gefühl haben, dass ihr Leben nicht zählt, wieder den Glauben an den eigenen Wert zu schenken. Andererseits könnten die jungen Aktivisten eine Menge von den Black Panthers lernen. Wir begnügten uns nicht mit Protesten, sondern organisierten ein kostenloses Frühstücksprogramm für arme schwarze Schulkinder, politische Abendschulen und Gesundheitsuntersuchungen für Afroamerikaner, die sich keinen Arzt leisten können. Wir brauchen solche Programme wieder: Damit das soziale Engagement nicht mit dem Teilen eines Videos auf facebook endet, sondern die Menschen ihren Wert darüber finden, leibhaftig füreinander einzustehen.

Wie bereiten Sie die jungen schwarzen Menschen, mit denen Sie im Impact Reporty Theatre in Harlem zusammenarbeiten, auf mögliche polizeiliche Übergriffe vor?

Wir predigen ihnen einerseits, dass sie alles erreichen können, wenn sie hart arbeiten und an etwas glauben, dass größer ist als sie selbst – aber dann verschonen wir sie auch nicht vor der anderen Seite der Realität: Dass sie als schwarze junge Menschen ein großes Fadenkreuz auf ihrem Rücken tragen, und deshalb der Polizei unbedingt Folge leisten müssen. Das stimmt mich oft ziemlich traurig. Besonders wenn ich an zwei junge Polizeianwärter denke, die Teil meiner Theatertruppe sind: Sie erzählen mir, welche Angst sie bei jeder Routine-mäßigen Verkehrs-Kontrolle vor ihren weißen Kollegen haben – weil sie nur zu gut wissen, was ein Cop denkt, wenn er einen Schwarzen anhält.

Sie thematisieren mit ihren HipHop-Produktionen wie „Politics“ auch Polizeigewalt und Gefängnissystem. Haben aber nicht gerade Rapper wie ihr Patensohn Tupac mit brutalen Gangster-Lyrics zu der Gewaltspirale beigetragen?

Ich sehe Rapper wie Tupac einfach als Zeitzeugen der Geschichte und der Brutalität auf den Straßen von Amerikas Ghettos. Manche Rapper spielen auch mit den Zuschreibungen ihrer Umwelt. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass der Polizistenmörder von Dallas sofort als Terrorist bezeichnet wurde, während weiße Amokläufer, die etwa 30 Kinder einer Schulklasse umbringen, als psychisch verwirrte Einzelgänger durchgehen?

Manche schwarze Jugendliche äußern in sozialen Medien Sympathien für die Polizistenmörder von Dallas und Baton Rouge. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, viele in der schwarzen Community glauben, dass solche Gewalttaten die natürliche Folge der ständigen Polizeibrutalität darstellen. Selbst meine weißen Freunde – und davon war ich überrascht – erklärten, dass so etwas passieren muss, wenn man Menschen unterdrückt, marginalisiert und ihnen nicht zuhört.

Haben Sie selbst Angst vor der Polizei?

Ja, das habe ich. Schaue ich mit meinem Anzug aus wie ein Professor von der Columbia University, dann fühle ich mich sicherer, als wenn ich in T-Shirt und Sneakers unterwegs bin. Mein letzter Zusammenstoß mit der Polizei liegt nur vier Monate zurück. Meine Frau und ich hielten an, als wir sahen, dass ein junger Afroamerikaner, der vermeintlich ein Fahrrad geklaut hatte, von Polizisten auf den Boden geworfen und getreten wurde. Ich filmte die Szene. Daraufhin schubste ein Polizist mich und meine Frau herum. Wenn ich nicht cool geblieben wäre, wäre die Situation wohl eskaliert. Leider gehört das martialische Auftreten der Polizei längst zu unserem Alltag.

INTERVIEW: JONATHAN FISCHER

in gekürzter Fassung veröffentlicht in der

SZ 22.7.2016

DIE SCHÖNHEIT DES ISLAM: Ein Gespräch mit dem Popstar und ehemaligen Kulturminister des Senegal Youssou N’Dour über die Friedensbotschaft des Koran, den Frust der Politik und warum es kein Problem ist, als Moslem in Nachtclubs zu tanzen und zu feiern.

Youssou N’dour ist der weltweit populärste muslimische Popstar. Er hat mit Peter Gabriel gearbeitet und gemeinsam mit Neneh Cherry mit „7 Seconds“ einen Welthit gelandet. Bei seinem Konzert in der Münchner Muffathalle trat er vergangene Woche mit seiner zwölfköpfigen Band aus Dakar auf, die den westafrikanischen Mbalax-Pop mit einer Präzision und einer Wucht spielte, die selten ist. Dabei geht es N’dour stets auch um Politik, das Bild des Islam und die Vision eines neuen Afrika. Mit dem Song „Immigrés“ veröffentlichte er 1984 eine Art Internationalhymne afrikanischer Flüchtlinge. 2012 wollte er für das Amt des Präsidenten von Senegal kandidieren. Das erlaubte man ihm nicht. Im April 2012 wurde er aber immerhin Kulturminister, auch wenn er das Amt im September 2013 niederlegte.

SZ: Viele der jungen Flüchtlinge bei Ihrem Konzert haben 40 Euro berappt, um ihren ehemaligen Kulturminister optimistische Hymnen über die Zukunft Afrikas singen zu hören. Woher nehmen Sie angesichts von Flüchtlingsströmen, Bürgerkriegen und all den anderen politischen Hiobsbotschaften vom schwarzen Kontinent Ihren Optimismus für Songs wie „New Africa“ her?

Youssou N’dour: Ich will vor allem den Menschen im Westen eine Seite Afrikas zeigen, die sie aus den Nachrichten nicht kennen: Die optimistische Grundhaltung unserer Kultur, die Toleranz unseres Islam, die Menschlichkeit unserer Gesellschaft. Das ist ein Afrika, das uns allen Hoffnung beschert.

Aber Sie singen ihren Klassiker „Immigrés“ in Europa auch immer vor jungen Afrikanern, die ihr Leben riskiert haben um in Pirogen oder Schlauchbooten dorthin zu gelangen. Als Politiker müssten Sie diese Fluchtbewegung doch grundsätzlich verurteilen.

 Die Europäer könnten dem durchaus entgegenwirken. Etwa indem sie afrikanischen Ländern wie Senegal helfen, junge Menschen auszubilden, und ihnen vor Ort Jobs und Zukunftschancen anzubieten. Wenn sie daheim keine Möglichkeiten vorfinden, werden sie weiter fliehen.

Sind die Europäer schuld an der Flüchtlingskrise?

Natürlich liegt die Verantwortung auch bei den Regierungen und der Zivilgesellschaft vor Ort. Aber die jungen Afrikaner haben zu oft ein Trugbild von Europa im Kopf. Sie sehen es als El Dorado und es ist sehr schwer, ihnen ihre falschen Erwartungen auszureden. Darüber hinaus aber tragen die Europäer doch eine historische Verantwortung. Sie haben die Kolonien zwar in die Selbständigkeit entlassen, wirtschaftlich aber hängen wir immer noch am Tropf des Westens.

Sie haben nach der Wahl von Macky Sall zum Präsidenten Senegals im Jahr 2012 für kurze Zeit den Posten des Kultur- und Tourismusministers bekleidet. Hat Sie die praktische Erfahrung in der Politik ernüchtert?

Ganz im Gegenteil. Ich habe dreißig Jahre lang mit meinen Songs an die Machthabenden appelliert, habe geredet und geredet, ohne dass sie mir zugehört hätten. Jetzt konnte ich als Minister wirklich etwas bewegen. Mein Rücktritt hatte andere Gründe. Ich wollte mich wieder mehr meiner Musik widmen. Allerdings diene ich dem Präsidenten immer noch als Berater.

Viele junge Rapper im Senegal fordern mehr Mitbestimmung für die Jugend und kritisieren die Korruption innerhalb der Staatsorgane.

Die Menschen sind nur zu ungeduldig, sie wollen nach einem Regierungswechsel, dass sich alles sofort ändert. Trotzdem ist der Senegal immer noch eines der demokratischsten Länder Afrikas. Wir hatten nie einen Militärputsch, unsere Wahlergebnisse wurden stets respektiert, und der Islam dem über 90 % der Senegalesen angehören, propagiert ein friedliches Miteinander aller.

Allerdings steht der sufistisch orientierte Islam, dem die meisten Westafrikaner folgen, im Kreuzfeuer der Islamisten. Fast jede Woche erleiden Senegals Nachbarländer blutige Anschläge auf Klubs, Hotels und Bars.

Das alles ist kein Ausdruck des Islam. Als Muslime grüßen wir mit „Asalam aleikum“, das bedeutet Frieden für alle, nicht nur für die Muslime. Das Unheil, die ganze Aggression und Radikalität kommt meist mit den Konvertiten, die keine Erfahrung mit der gelebten Kultur des Islam haben. Oft diskutiere ich mit ihnen: Was behauptet ihr für verrückte Sachen? Ich gehöre der gleichen Religion an wie ihr und ich kenne sie seit meiner Geburt! Im Koran steht, Gott hat die Menschen verschieden gemacht, damit sie sich kennenlernen. Nicht, damit sie sich umbringen.

In Paris haben islamistische Attentäter letztes Jahr ein Blutbad im Live-Klub Bataclan angerichtet. Von Mali bis Pakistan fielen Musiker ideologisch motivierten Attentaten zum Opfer, erst vor zwei Wochen wurde der pakistanische Sufi-Sänger und Popstar Amjad Sabri erschossen. Haben Sie als muslimischer Popstar Angst?

Nein ich habe keine Angst. Allah beschützt mich. Ich werde im November übrigens als erster internationaler Popstar im Bataclan auftreten. Natürlich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Aber das soll auch ein Signal sein: Dass es kein Widerspruch ist, wenn wir Muslime Musik hören, tanzen und feiern und gleichzeitig stolz auf unseren Glauben sind.

Sie besitzen ja selbst einen Nachtklub in Dakar, wo sich Männer und Frauen zum Flirten und Tanzen treffen.

Warum nicht? Es ist kein Widerspruch wenn ich einen Abend in die Moschee zum Beten gehe und den nächsten in den Klub zum Tanzen.

Sie gehören den Mouriden an, einer sufistischen Bruderschaft, die im Senegal und Gambia mehr als sechs Millionen Anhänger hat.

Ja, in einem meiner Songs singe ich auch über meinen religiösen Führer Serigne Fallou Mbacke. Zu unserer Lebensphilosophie gehört harte Arbeit für die Gemeinschaft und jährliche Pilgerfahrten in die heilige Stadt Touba im Senegal. Ich bin erst vor vier Tagen von dort zurückgekommen. Millionen Muslime haben dort gemeinsam gesungen und gefeiert.

Ist die Wallfahrt nach Touba eine afrikanische Alternative zu Mekka und dem fundamentalistischen Islam vom arabischen Golf?

Touba liegt zumindest geografisch auf dem fast selben Breitengrad wie Mekka, es hat für uns Mouriden aber auch eine gleichwertige Bedeutung. Sie müssen wissen, dass die Mouriden von Sheikh Ahmadou Bamba gegründet wurden, der den Islam propagierte, während die Franzosen uns kolonisierten. Die Franzosen haben alles getan um Sheikh Bamba zu töten, obwohl er Gewaltlosigkeit predigte. Aber sie konnten ihn nicht besiegen. Wir feiern jedes Jahr den Tag seiner Rückkehr aus dem Exil in den Senegal. Heute kann seine friedliche islamische Botschaft der ganzen Welt helfen.

Ist das Mouridentum ein Vorbild für einen toleranten weltoffenen Islam?

Ja, unbedingt. Es gibt nur einen Islam. Und ich glaube, dass wir Senegalesen seine friedliche Kernbotschaft vorbildlich demonstrieren, weil wir den Glauben in eine Kultur der Arbeit und Nächstenliebe einbetten. Diese Islamisten haben dagegen hegen meist politische Machtansprüche.

Aber auch im Senegal kann der Islam repressiv wirken. Sie selbst hatten das zu spüren bekommen, als sie 2004 das Album „Egypt“ einspielten, eine Sammlung von Lobgesängen auf Allah und die Mouriden, und manche Geschäfte und Radiosender das Werk wegen seiner Vermischung von Religion und weltlichem Pop ablehnten.

Das stimmt, am Anfang gab es selbst unter meinen Mouriden-Brüdern viel Skepsis. Doch dann habe ich einen Grammy gewonnen, sie haben es sich noch mal angehört, und fanden es gut. Sehen Sie, der Senegal hat eine säkulare Verfassung. Jeder darf seinen Glauben leben. Wir respektieren alle gegenseitig unsere Religion, unser erster Präsident Leopold Senghor, war übrigens Katholik. Ich versuche, Gutes zu tun, meinen Mitmenschen zu helfen. Das definiert einen wahren Muslim – und nicht die Äußerlichkeiten.

Im Norden Malis und Nigerias hat die Bedrohung durch Islamisten Live-Musik aber so gut wie unmöglich gemacht. Ist vielleicht doch etwas an der Aussage des nigerianischen Musikers Fela Kuti, der den Islam einmal als Religion der „Sklaventreiber“ bezeichnet hat?

Ich fühle mich jedenfalls nicht vom Islam unterdrückt. Und ich kenne kein besseres Instrument für den gesellschaftlichen Frieden als den Islam. Wenn Menschen behaupten, dieses und jenes sei haram, man sollte der Musik und dem Vergnügen entsagen, dann machen sie Gott kleiner als er ist. Dagegen müssen wir kämpfen. Ich sehe es als unsere Pflicht, das Internet, den Film, die Musik und den Tanz, alles nützen, um für den wahren Islam zu werben. Deshalb werde ich nächstes Jahr auch in ganz Senegal ein Festival für religiöse Musik veranstalten – um die Schönheit islamischer Kultur sichtbar zu machen.

JONATHAN FISCHER

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DIE SCHÖNHEIT DES ISLAM: Ein Gespräch mit dem Popstar und ehemaligen Kulturminister des Senegal Youssou N’Dour über die Friedensbotschaft des Koran, den Frust der Politik und warum es kein Problem ist, als Moslem in Nachtclubs zu tanzen und zu feiern.

680x382Youssou N’dour ist der weltweit populärste muslimische Popstar. Er hat mit Peter Gabriel gearbeitet und gemeinsam mit Neneh Cherry mit „7 Seconds“ einen Welthit gelandet. Bei seinem Konzert in der Münchner Muffathalle trat er vergangene Woche mit seiner zwölfköpfigen Band aus Dakar auf, die den westafrikanischen Mbalax-Pop mit einer Präzision und einer Wucht spielte, die selten ist. Dabei geht es N’dour stets auch um Politik, das Bild des Islam und die Vision eines neuen Afrika. Mit dem Song „Immigrés“ veröffentlichte er 1984 eine Art Internationalhymne afrikanischer Flüchtlinge. 2012 wollte er für das Amt des Präsidenten von Senegal kandidieren. Das erlaubte man ihm nicht. Im April 2012 wurde er aber immerhin Kulturminister, auch wenn er das Amt im September 2013 niederlegte.

SZ: Viele der jungen Flüchtlinge bei Ihrem Konzert haben 40 Euro berappt, um ihren ehemaligen Kulturminister optimistische Hymnen über die Zukunft Afrikas singen zu hören. Woher nehmen Sie angesichts von Flüchtlingsströmen, Bürgerkriegen und all den anderen politischen Hiobsbotschaften vom schwarzen Kontinent Ihren Optimismus für Songs wie „New Africa“ her?

Youssou N’dour: Ich will vor allem den Menschen im Westen eine Seite Afrikas zeigen, die sie aus den Nachrichten nicht kennen: Die optimistische Grundhaltung unserer Kultur, die Toleranz unseres Islam, die Menschlichkeit unserer Gesellschaft. Das ist ein Afrika, das uns allen Hoffnung beschert.

Aber Sie singen ihren Klassiker „Immigrés“ in Europa auch immer vor jungen Afrikanern, die ihr Leben riskiert haben um in Pirogen oder Schlauchbooten dorthin zu gelangen. Als Politiker müssten Sie diese Fluchtbewegung doch grundsätzlich verurteilen.

 Die Europäer könnten dem durchaus entgegenwirken. Etwa indem sie afrikanischen Ländern wie Senegal helfen, junge Menschen auszubilden, und ihnen vor Ort Jobs und Zukunftschancen anzubieten. Wenn sie daheim keine Möglichkeiten vorfinden, werden sie weiter fliehen.

Sind die Europäer schuld an der Flüchtlingskrise?

Natürlich liegt die Verantwortung auch bei den Regierungen und der Zivilgesellschaft vor Ort. Aber die jungen Afrikaner haben zu oft ein Trugbild von Europa im Kopf. Sie sehen es als El Dorado und es ist sehr schwer, ihnen ihre falschen Erwartungen auszureden. Darüber hinaus aber tragen die Europäer doch eine historische Verantwortung. Sie haben die Kolonien zwar in die Selbständigkeit entlassen, wirtschaftlich aber hängen wir immer noch am Tropf des Westens.

Sie haben nach der Wahl von Macky Sall zum Präsidenten Senegals im Jahr 2012 für kurze Zeit den Posten des Kultur- und Tourismusministers bekleidet. Hat Sie die praktische Erfahrung in der Politik ernüchtert?

Ganz im Gegenteil. Ich habe dreißig Jahre lang mit meinen Songs an die Machthabenden appelliert, habe geredet und geredet, ohne dass sie mir zugehört hätten. Jetzt konnte ich als Minister wirklich etwas bewegen. Mein Rücktritt hatte andere Gründe. Ich wollte mich wieder mehr meiner Musik widmen. Allerdings diene ich dem Präsidenten immer noch als Berater.

Viele junge Rapper im Senegal fordern mehr Mitbestimmung für die Jugend und kritisieren die Korruption innerhalb der Staatsorgane.

Die Menschen sind nur zu ungeduldig, sie wollen nach einem Regierungswechsel, dass sich alles sofort ändert. Trotzdem ist der Senegal immer noch eines der demokratischsten Länder Afrikas. Wir hatten nie einen Militärputsch, unsere Wahlergebnisse wurden stets respektiert, und der Islam dem über 90 % der Senegalesen angehören, propagiert ein friedliches Miteinander aller.

Allerdings steht der sufistisch orientierte Islam, dem die meisten Westafrikaner folgen, im Kreuzfeuer der Islamisten. Fast jede Woche erleiden Senegals Nachbarländer blutige Anschläge auf Klubs, Hotels und Bars.

Das alles ist kein Ausdruck des Islam. Als Muslime grüßen wir mit „Asalam aleikum“, das bedeutet Frieden für alle, nicht nur für die Muslime. Das Unheil, die ganze Aggression und Radikalität kommt meist mit den Konvertiten, die keine Erfahrung mit der gelebten Kultur des Islam haben. Oft diskutiere ich mit ihnen: Was behauptet ihr für verrückte Sachen? Ich gehöre der gleichen Religion an wie ihr und ich kenne sie seit meiner Geburt! Im Koran steht, Gott hat die Menschen verschieden gemacht, damit sie sich kennenlernen. Nicht, damit sie sich umbringen.

In Paris haben islamistische Attentäter letztes Jahr ein Blutbad im Live-Klub Bataclan angerichtet. Von Mali bis Pakistan fielen Musiker ideologisch motivierten Attentaten zum Opfer, erst vor zwei Wochen wurde der pakistanische Sufi-Sänger und Popstar Amjad Sabri erschossen. Haben Sie als muslimischer Popstar Angst?

Nein ich habe keine Angst. Allah beschützt mich. Ich werde im November übrigens als erster internationaler Popstar im Bataclan auftreten. Natürlich unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Aber das soll auch ein Signal sein: Dass es kein Widerspruch ist, wenn wir Muslime Musik hören, tanzen und feiern und gleichzeitig stolz auf unseren Glauben sind.

Sie besitzen ja selbst einen Nachtklub in Dakar, wo sich Männer und Frauen zum Flirten und Tanzen treffen.

Warum nicht? Es ist kein Widerspruch wenn ich einen Abend in die Moschee zum Beten gehe und den nächsten in den Klub zum Tanzen.

Sie gehören den Mouriden an, einer sufistischen Bruderschaft, die im Senegal und Gambia mehr als sechs Millionen Anhänger hat.

Ja, in einem meiner Songs singe ich auch über meinen religiösen Führer Serigne Fallou Mbacke. Zu unserer Lebensphilosophie gehört harte Arbeit für die Gemeinschaft und jährliche Pilgerfahrten in die heilige Stadt Touba im Senegal. Ich bin erst vor vier Tagen von dort zurückgekommen. Millionen Muslime haben dort gemeinsam gesungen und gefeiert.

Ist die Wallfahrt nach Touba eine afrikanische Alternative zu Mekka und dem fundamentalistischen Islam vom arabischen Golf?

Touba liegt zumindest geografisch auf dem fast selben Breitengrad wie Mekka, es hat für uns Mouriden aber auch eine gleichwertige Bedeutung. Sie müssen wissen, dass die Mouriden von Sheikh Ahmadou Bamba gegründet wurden, der den Islam propagierte, während die Franzosen uns kolonisierten. Die Franzosen haben alles getan um Sheikh Bamba zu töten, obwohl er Gewaltlosigkeit predigte. Aber sie konnten ihn nicht besiegen. Wir feiern jedes Jahr den Tag seiner Rückkehr aus dem Exil in den Senegal. Heute kann seine friedliche islamische Botschaft der ganzen Welt helfen.

Ist das Mouridentum ein Vorbild für einen toleranten weltoffenen Islam?

Ja, unbedingt. Es gibt nur einen Islam. Und ich glaube, dass wir Senegalesen seine friedliche Kernbotschaft vorbildlich demonstrieren, weil wir den Glauben in eine Kultur der Arbeit und Nächstenliebe einbetten. Diese Islamisten haben dagegen hegen meist politische Machtansprüche.

Aber auch im Senegal kann der Islam repressiv wirken. Sie selbst hatten das zu spüren bekommen, als sie 2004 das Album „Egypt“ einspielten, eine Sammlung von Lobgesängen auf Allah und die Mouriden, und manche Geschäfte und Radiosender das Werk wegen seiner Vermischung von Religion und weltlichem Pop ablehnten.

Das stimmt, am Anfang gab es selbst unter meinen Mouriden-Brüdern viel Skepsis. Doch dann habe ich einen Grammy gewonnen, sie haben es sich noch mal angehört, und fanden es gut. Sehen Sie, der Senegal hat eine säkulare Verfassung. Jeder darf seinen Glauben leben. Wir respektieren alle gegenseitig unsere Religion, unser erster Präsident Leopold Senghor, war übrigens Katholik. Ich versuche, Gutes zu tun, meinen Mitmenschen zu helfen. Das definiert einen wahren Muslim – und nicht die Äußerlichkeiten.

Im Norden Malis und Nigerias hat die Bedrohung durch Islamisten Live-Musik aber so gut wie unmöglich gemacht. Ist vielleicht doch etwas an der Aussage des nigerianischen Musikers Fela Kuti, der den Islam einmal als Religion der „Sklaventreiber“ bezeichnet hat?

Ich fühle mich jedenfalls nicht vom Islam unterdrückt. Und ich kenne kein besseres Instrument für den gesellschaftlichen Frieden als den Islam. Wenn Menschen behaupten, dieses und jenes sei haram, man sollte der Musik und dem Vergnügen entsagen, dann machen sie Gott kleiner als er ist. Dagegen müssen wir kämpfen. Ich sehe es als unsere Pflicht, das Internet, den Film, die Musik und den Tanz, alles nützen, um für den wahren Islam zu werben. Deshalb werde ich nächstes Jahr auch in ganz Senegal ein Festival für religiöse Musik veranstalten – um die Schönheit islamischer Kultur sichtbar zu machen.

JONATHAN FISCHER

SZ 7.7.2016