Die Taxis in der malischen Haupstadt Bamako sind handbemalte Kunstwerke. Die Motive spiegeln die lokale Popkultur: Islamische Prediger, malische Chanteusen, Portraits von Che Guevara – oder auch gestapelte Stoffballen mit dem Schriftzug „Vlisco“. Vlisco? Hierzulande haben zuletzt Designer wie Jean Paul Gaultier, Dries van Noten oder Gwen Stefani Modelle mit Vlisco-Stoffen auf den Laufsteg geschickt. Auch Beyoncé und Rihanna ließen sich schon in den knalligen Afrika-Tüchern ablichten. Hipster-Stoff eben. In Afrika aber gelten die teuren Wachsstoffe vor allem als Symbol von Klasse, vergleichbar vielleicht mit der Rolex-Uhr oder der Louis-Vuitton-Tasche im Westen. Jeder Besucher einer afrikanischen Großstadt kennt die Vlisco-Designs: Sie gehören zum farbenfrohen Charme der Straßen von Bamako, Dakar, Lagos oder Kinshasa. Schätzungsweise 80 Prozent aller Muster auf Afrika-Stoffen stammen von dieser einen Firma. Das kann durchaus verwundern: Denn das Unternehmen stammt aus Holland. Seit 160 Jahren hat die Textilfabrik ihren Sitz in der brabantischen Kleinstadt Helmond. Und auch wenn Vlisco 90 Prozent seiner Geschäfte mit dem schwarzen Kontinent abwickelt: Afrikaner sind weder an der Firma beteiligt, noch wird deren Mode von Afrikanern designt. Wie also kommt es dass sich Afrikaner mit diesen Stoffen identifizieren, ja selbst Nelson Mandela demonstrativ seine Hemden daraus fertigen ließ?
Um das komplexe europäisch-afrikanische Ping-Pong zwischen kaufmännischer Mission und afrikanischer Kulturaneignung zu verstehen, muss man schon den Firmensitz in Helmond besuchen. Ein Ort mit einer langen Geschichte der Globalisierung. Und ein Knotenpunkt für die erfolgreiche Fusion europäischer, asiatischer und afrikanischer Ideen. Auf dem Fabrikgelände gelten ich strenge Sicherheitsvorschriften: Kameras und Handys bleiben an der Pforte. Zu groß ist die Gefahr, dass neue Designs an die Konkurrenz in China gelangen – um schließlich als minderwertige Kopien zu einem Zehntel des Vlisco-Preises den afrikanischen Markt zu überschwemmen. „Das passiert leider dauernd, sobald wir eine neue Kollektion auf den Markt bringen“, erklärt Hans Ouwendijk. Der CEO von Vlisco hat deshalb seit der Übernahme von Vlisco durch die Actis Holding vor sechs Jahren das holländische Textilgeschäft auf neuen Kurs gebracht: „Wir wollen nicht nur Stoffe verkaufen. Sondern die führende High-End Modemarke Afrikas werden.“ Allein qualitativ habe Vlisco einen Vorsprung: die Stoffe mit dem „guaranteed Dutch Wax“-Siegel seien schwerer, farbechter und überdauerten mindestens 15 Jahre, während die Raubdrucke nach zwei mal Waschen ausbleichten. Das mag so stimmen. Aber warum will man einem armen Kontinent wie Afrika unbedingt eine Luxus-Marke bescheren? „Sieben der zehn am schnellsten wachsenden Wirtschaften befinden sich in Afrika“, kontert Ouwerdijk. „Eine breite Mittelschicht entsteht. Und wer dort etwas auf sich hält, trägt Vlisco. Ich habe sogar von Afrikanern gehört, die sich in ihrem Haus einen extra Raum zur Aufbewahrung und Präsentation ihrer Vlisco-Stoffe bauen lassen.“
Vliscos Affinität zu Afrika kam erst auf Umwegen zustande: 1846 hatte der Unternehmer Pieter Fentener von Vlissingen die Produktion indonesischer Batikstoffe mechanisiert. Doch offensichtlich kamen die industriell gefertigten Stoffe bei den Indonesiern nicht so gut an wie die handgemachte lokale Konkurrenz. So verkauften die Frachter ihre Ware zum Teil schon bei den Zwischenstopps in afrikanischen Häfen. Zudem sollen afrikanische Soldaten, die Holland in Indonesien eingesetzt hatte, die Batikstoffe bei ihrer Rückkehr als Geschenke für ihre Familien mitgebracht haben und so einen Markt geschaffen haben. Von der Goldküste, dem heutigen Ghana aus, verbreitete sich die neue Batikdruck-Mode über ganz West- und Zentralafrika. Stoffe spielten hier schon immer immer eine bedeutende Rolle im sozialen Leben. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden die holländischen Drucke zu einem authentischen Teil der Kultur und des Selbstausdrucks westafrikanischer Länder wie Nigeria, Ghana und der Elfenbeinküste. Vlisco überlebte dabei alle neue Moden – und gilt seit den 1970er Jahren als Monopolist für „Dutch Wax prints“. Im Gegensatz zur pakistanischen oder chinesischen Billig-Konkurrenz arbeitet Vlisco tatsächlich noch mit Wachs, dessen Bruchlinien die einmalige Struktur der Stoffe prägen. In den Ziegelsteinhallen der Fabrik in Helmond erledigen das 80 Jahre alte Maschinen: Bis zu drei Wochen dauert die Fertigstellung eines mehrfach überdruckten Stoffes. Eines Stoffes, der tatsächlich noch in Holland gefertigt wurde.
Daneben residiert in einem modernen Glasbetonbau die Design-Abteilung: „Unser Erfolg beruht auf unser ständigen Anpassung an den afrikanischen Markt“, sagt Designerin Marjam Degrout. „Wir müssen dazu viel über Symbole wissen. Und daran denken, dass Afrikaner sich anders als wir gerne offensiv in Szene setzen“. Verschiedene Farbspektren bedienen verschiedene lokale Märkte. Die Graphik aber schöpfe aus weltweiten Quellen: Pflanzen- und Tiersymbole, indische Folk-Ästhetik, islamische Geometrie oder äthiopisch-koptische Kirchenkunst. Seit den 70er Jahren spiele auch Technik eine Rolle: Zündkerzen, Ventilatoren oder Computer seien zu populären Motiven geworden. Viele der Stoffe entwickelten allerdings in Afrika ein Eigenleben – wie etwa das von Degrout entworfene und auf dem lokalen Markt „Paracetamol“ getaufte Pillen-Design: „Ohne das wir das beabsichtigen bringen die afrikanischen Frauen bestimmte Muster mit Sprichwörtern und Slogans ihrer Ethnien in Verbindung. Sie erzählen Geschichten zu einem Design. Und afrikanisieren es dadurch“ . Im Vlisco-Archiv – in einem Raum über den Fabrikhallen hängen an langen Schienen über 350 000 Stoffmuster – finden sich dazu viele Beispiele. Etwa der ABC-Stoff, der zu verstehen gibt, dass sein Träger lesen und schreiben kann. „Liebling kehr mir nicht den Rücken zu“ oder „Mein Mann ist fähig“ signalisieren andere Muster. „Die Frauen und Händlerinnen vor Ort“, sagt Degrout, „sind unsere Ko-Kreatoren“.
Eine dieser Händlerinnen ist Madame Neimatou. Auf dem großen Markt von Bamako betreibt die resolute Malierin das lokale Outlet von Vlisco: Ein wenig versteckt im ersten Stock eines nüchternen Geschäftshauses liegen hier die Stoffmuster aus Helmond auf hölzernen Vitrinen aus. „Ich muss meinen Laden nicht groß bewerben“, sagt Neimatou, „denn wer etwas auf sich hält, der trägt ausschließlich Vlisco-Stoffe“. Auch wenn Mali ein relativ kleiner Markt ist, wirft das Geschäft offensichtlich genug für einen großen Geländewagen mit Chauffeur ab. In Togo, wo der Handel mit Vlisco-Produkten matriarchal von der Mutter an die Tochter vererbt wird, war es eine Vlisco-Händlerin die den ersten Mercedes im Land kaufte – seitdem heißen die gesetzlich lizensierten Stoffhändlerinnen dort „Mama Benz“. Vlisco befragt die afrikanischen Geschäftsfrauen regelmäßig, ihre Meinung führt oft zu Korrekturen an den Stoffen. Heute allerdings macht Madame Neimatou wie ihren Kolleginnen die Piraterie zu schaffen. Bei ihr kostet eine Stofflage, also sechs Yards, 60 000 Francs. Das sind knapp 100 Euro. Zehnmal so viel wie eine Lage chinesischer Raubkopien. „Viele meiner Kunden kaufen Vlisco als Wertanlage. Sie sammeln die Stoffe wie andere Leute Goldbarren“. Wenn, dann dürfe nur ihr persönlicher Schneider mit der Schere dran. „Das ist der Unterschied zum europäischen Markt. Wir verkaufen kaum pret-a-porter Kleidung. Vielmehr hat jede Frau ihren Schneider, zu dem sie die Stoffe bringt, und der ihr etwas einzigartiges näht. Jeder hier hat seinen eigenen Stil – niemand will das Gleiche tragen wie der Nachbar“.
Auch die Verkaufskanäle in Afrika unterscheiden sich grundsätzlich: „95 Prozent unserer Stoffe werden auf offenen Märkten verkauft. Die Großhändler beziehen sie von uns und verkaufen sie an Einzelhändler weiter.“ Vlisco habe zwar bereits drei Dutzend aufwendig gestaltete Flagstores in den afrikanischen Metropolen eingerichtet. Doch die hätten vor allem Image-Wert. Genauso wie die fertigen Handtaschen und anderer Chi-Chi, der dort ausliegt. „Unsere Stärke ist der Informationsaustausch mit unseren lokalen Händlern und Mitarbeitern. Sie wissen wo wir einen Laden am besten positionieren und wie wir ihre Attraktivität stärken“. So habe Vlisco etwa die Überdachung und Beleuchtung des offenen Stoffmarktes von Kinshasa finanziert. Und kostenlose Schneiderakademien eingerichtet. Hier bringt man talentierten Schneider nicht nur neue Schnitte und qualitativ hochwertige Arbeitsweisen bei – sondern bindet sie auch an die Geschäftsaktivitäten von Vlisco an. Von 2000 Vlisco-Mitarbeitern, sagt Ouwendijk, seien inzwischen rund 1900 in Afrika beschäftigt. So lasse man drei kleinere Labels in Ghana und der Elfenbeinküste produzieren: Die Marken GTP, Uniwax und Woodin sind preislich günstiger und zielen auf jugendliche Konsumenten. An dieses Klientel adressiert sich Vlisco auch virtuell: Viermal im Jahr entwirft das Team in Helmond neue Kollektionen, die jedesmal einen Sturm auf den Mode-Blogs in Afrika auslösen.
Die Mischung aus Afrika-Hype und westlichem Einfühlungsvermögen zieht. In den letzten fünf Jahren hat Vlisco seinen Umsatz beinahe verdoppelt. Angesichts dieser Erfolgsstory lassen sich die Regierungen in Nigeria und Kongo inzwischen ganz offiziell von Vlisco beim Wiederaufbau ihrer am Boden liegenden Textilindustrie beraten. Für Ouwendijk eine Win-Win-Situaion. Vlisco beziehe inzwischen nicht nur ein Drittel seiner Baumwolle aus Afrika. Das Unternehmen baue etwa in Nigeria auch örtliche Infrastrukturen von den Baumwollbauern über die Fabrikation der Stoffbahnen bis zum eigentlichen Textildruck auf. Dafür verzichteten die Afrikaner auf übertriebene Importzölle. „Sie haben am Ende zu Zoll-Korruption und illegalen Importen geführt, die der heimischen Industrie mehr schadeten als nützten“. Ouwendijk erwartet angesichts der neuen Import-Politik eine „Explosion“ der Umsäze in Nigeria und Kongo. Dass Kritiker Vlisco seines europäischen Firmensitzes wegen des „Neokoloniolismus“ beschuldigen – das findet der CEO „lächerlich“. „Wir haben in Afrika über eine Million Facebook-Fans“, sagt Ouwendijk. „Und wir sammeln dort mehr Likes als Nike, Apple oder jedes andere Unternehmen. Die afrikanischen Konsumenten fühlen, dass ihnen unsere Marke gehört, und nicht umgekehrt“.
JONATHAN FISCHER
In einer gekürzten Version am 15.6.2016 in der SZ