Monatsarchiv: April 2018

Afrobeats, Palmwein und gut gekleidete Zwerge – Afropopkolumne April 2018

Ebo Taylor 2Sidi Touré stand lange im Schatten eines übergroßen Paten: Ali Farka Touré. Wie dieser zieht der malische Singer-Songwriter Sidi Touré seine Inspiration aus der traditionellen Songhai-Musik, und wie der 2006 verstorbene Gitarristen-Kollege wird er im Westen gerne als Bluesmann bezeichnet. „Manche Hörer denken, wir würden afroamerikanische Musik einfach mit ein paar eigenen Zutaten aufkochen“, sagt der Songhai-Musiker, während er in seinem bescheidenen Zimmer in Bamako ein Kohle-Stövchen für den Minztee anfeuert: „Aber als mich ein amerikanischer Fan einmal auf die Ähnlichkeit eines meiner Songs mit ‚Boom Boom‘ hinwies, musste ich gestehen, diesen John Lee Hooker Song noch nie gehört zu haben.“ Sidi greift zur akustischen Gitarre, spielt ein paar der für ihn typischen Pentatonik-Riffs. Seine Musik hat die gleichen Wurzeln, aber doch nichts mit der afroamerikanischen Leidensgeschichte des Blues zu tun. Und doch wird jeder historisch gebildete Bluesfan bei einem der Auftritte von Tourés Band in staubigen malischen Hinterhöfen sich in das Mississippi der Vierzigerjahre versetzt fühlen. Es sind dieselben Klageschreie, die die Wut, die Lust und die Sorge tief aus dem Bauch hervorholen. Nun hat Touré mit „Toulbabero“ (Thrill Jockey) sein bisher rauhestes – und bestes – Album veröffentlicht. Statt in seinem eigenen Blechverschlag hat er es in den renommierten Bogolan-Studios eingespielt. Mit elektrifizierter Wucht. Und einer jungen, hungrigen Band: Während die Ngoni-Laute wie ein wild gewordenes Banjo dahinpluckert, Sidi Tourés Soulstimme im Wechselspiel mit einem Frauenchor von Liebe und Widerstand singt, schiebt der Groove unwiderstehlich nach vorne. Trance-Musik, die alles Krisengerede mindestens eine Nacht lang vergessen macht.

Mit Ebo Taylors Comeback hätte noch vor zehn Jahren kaum jemand gerechnet. Der ghanaische Highlife-Veteran hatte sich lange vom Musikgeschäft zurückgezogen, als seine Musik – eine Mischung aus Sechziger-Highlife und Siebziger-Afrobeat – im Westen zur Hipster-Ware aufstieg. Schuld daran sind unter anderem ein paar deutsche Enthusiasten: 2008 hatten Ben Abarbanel-Wolff und Jan Weissenfeldt Taylor zu Sessions mit der Berliner Afrobeat Academy geladen. Am Ende stand nicht nur Taylors erstes internationales Album „Love and Death“, sondern auch eine Wiederveröffentlichung seiner historischen Aufnahmen (Taylors Song „Heaven“ sampelte der amerikanische R’n’B-Star Usher 2010 sogar für seinen Hit „She Don’t Know“ und bescherte dem alten Mann so unverhofft viel Geld). Nun veröffentlicht der 81-jährige sein viertes Werk auf dem englischen Funk-Soul-Afro-Label Strut Records: „Yen Ara“ erfindet den Afrobeat nicht neu. Aber es zeigt, wie viel Platz für Variationen und Rekombinationen diese Musik lässt: von den harten Discobeats in „Krumandey“ bis zum jazzig-schmutzigen Bläsersatz. Mit von der Partie: Taylors stark vom Hip-Hop beeinflusste Söhne Henry and Roy an Klavier und Schlagzeug, neben Taylors offensichtlich nicht nur mit heimischem Palmwein geölte Saltpond City Band. Produziert hat das Ganze der britische Gitarrist Justin Adams, der ansonsten seine weltmusikalischen Ideen gerne mit Robert Plant, Brian Eno, Tinariwen oder Rachid Taha teilt. Hier beschränkt er sich darauf, Taylors Ideen zu verstärken: So hört man in den besten Momenten eine frenetische, alle Stile verschlingende und doch höchst eigenwillige Musik. Wen stört es da, wenn Taylor nicht nur pflichtschuldig von „Poverty“ sondern auch von gut gekleideten Zwergen und anderen irren Sagengestalten der Fante singt?

Auf der anderen Seite des Kontinents festigt der Rapper Diamond Platnumz gerade seinen Status als größter Star Ostafrikas. Bongo Flava heißt die lokale Hip-Hop-Spielart. Und wenn Diamond Platnumz frühe Tracks noch lokale Pop-Idiome aufnahmen, so klingt er auf „A Boy From Tandale“ (digital etwa über Spotify) panafrikanischer, man könnte auch sagen: kommerziell beliebiger denn je zuvor. Autotune-Gesänge und Reggaeton-Beats, Gastspiele des Jamaikaners Morgan Heritage, von Gangsta-Rapper Rick Ross sowie der Nigerianer Davido und P-Square stehen für das Missverständnis so vieler afrikanischer Künstler: Wer klingt wie alle anderen, kann auch weltweit in den Charts fischen. (Aber wie lange kann man sein Publikum mit Videos beeindrucken, die Sekt-trinkende Erste-Klasse-Passagiere zeigen?) Seine Ehre rettet Diamond Platnumz mit ein paar Kisuaheli-Nummern. Immerhin geht es um die Jugend des Rappers in Dar Es Salaams Slum Tandale. Ein wehmütiger, traditionell produzierter Song wie „Kosa Langu“ zeigt da: Die besten Ideen liegen nicht in Lagos oder Miami, sondern vor der eigenen Tür.

JONATHAN FISCHER

SZ 24.4.2018

Nach Wakanda – Der Blockbuster „Black Panther“ und der Streit um die kulturelle Aneignung: Wem gehört eigentlich die schwarze Kultur?

 

Nicht einmal „Star Wars“ hat 35 Millionen Hashtags geschafft. Gerade hat Twitter mitgeteilt, dass noch über keinen Film so viele Nachrichten abgesetzt wurden wie über „Black Panther“ – mit Kendrick Lamars Soundtrack und Michelle Obamas Kino-Empfehlung an vorderster Stelle. Klar, denkt man, der Film ist gerade in der ewigen Top Ten der umsatzstärksten Blockbuster angekommen, und Afrikaner und schwarze Menschen aus der Diaspora feiern die positiv gezeichneten „Wakanda“-Helden als eine Art Wiedergutmachung. Der Hashtag „Black Panther“ hat sich zu einem Weckruf entwickelt: Seht her, was Afrika uns und der Welt geben kann! Aber das ist nicht alles. Denn mit dem Stolz gehen neue Nationalismen, Besitzansprüche und kulturelle Grenzziehungen einher. So tobt seit Wochen ein Twitter-Streit um Deutungshoheiten: Ist mein Afrika auch dein Afrika? Und: Wer darf die Traditionen des schwarzen Kontinents für sich reklamieren, also afrikanische Mode tragen, afrikanische Musik samplen und sich – wie Superstar Beyoncé für ihr Video „Sorry“ – Stammesbemalungen auftragen?

  Seine Wurzeln zu zeigen, ist in Mode: Viele der afroamerikanischen „Black Panther“-Zuschauer besuchten die Kinos in Dashiki-Umhängen und westafrikanischen Turbanen. Ein jährliches Festival wie das im New Yorker Stadtteil Brooklyn stattfindende „Afropunk Fest“ ähnelt inzwischen einem panafrikanischen Jugendtreffen in Lagos oder Ougadougou. Ganz abgesehen vom schwarzen Pop: Da kooperiert etwa Drake immer wieder mit dem nigerianischen Popstar Wizkid, während afrikanischstämmige Rapper von Wale bis Burna Boy offensiv ihre Herkunft feiern. Afrika ist im afroamerikanischen Mainstream angekommen. Das zeigt schon die Besetzung von „Black Panther“. Vor 30 Jahren musste noch Eddie Murphy den Prinzen aus dem afrikanischen Fantasiereich Zamunda geben. In Wakanda wurden die Hauptrollen mit afrikanischstämmigen Schauspielerinnen wie Lupita Nyong’o, Daniel Kaluuya oder Danai Gurira besetzt. Wunderbar, möchte man rufen. Würde da nicht dieser grelle Vorwurf in die Party platzen: Kulturelle Aneignung! Oder: Die Ausbeutung afrikanischer Kultur durch afroamerikanische Ignoranten.

  Losgetreten hatte die Diskussion im vergangenen Jahr ein Post der afrikanischen Bloggerin Zipporah Gene. „Black America, Please Stop Appropriating African Clothing and Tribal Marks“ lautete er: Schwarze Amerikaner, lasst die Finger von afrikanischen Kleidern und Stammesinsignien. Sie empfinde das als respektlos. Niemand dürfe ohne Verständnis der religiösen und historischen Hintergründe einfach Fula-Nasenpiercings, Djellaba-Kopfbedeckungen oder Yoruba-inspirierte Tattoos tragen. Auch Beyoncé bekam nicht nur Bewunderung, als sie für ihre Schwangeren-Porträts afrokaribische religiöse Rituale zitierte, bei ihrer Grammy-Performance 2017 mit goldener Halo-Krone der Yoruba-Gottheit Oshun huldigte oder für ihr Video „Run The World“ südafrikanische Pantsula-Tänze adaptierte. Und was für ein Graus für Afro-Puristen ist erst „Black Panther“! Etwa die Szene in Warrior Falls, bei dem sich die verschiedenen Stämme Wakandas in wilden Kombinationen von Wachsstoff-Drucken, neonfarbigen Lippentellern und Kopfbedeckungen irgendwo zwischen südafrikanischen Zulu und malischen Dogon zeigen. Wer hat das eigentlich erlaubt?

  Die Idee der unerlaubten Aneignung. Sie scheint gerade, Jahrzehnte nachdem Elvis die schwarzen Rock’n’Roll-Pioniere in den Schatten stellte und zu einer Zeit, in der afroamerikanische Musik längst ihren einstigen Underdog-Status gegen eine globale Pop-Dominanz eingetauscht hat, ein Comeback in neuer Form zu feiern: Jetzt sind Räuber wie Beraubte „colored people“. Zum Beispiel Drake. Dass der kanadische Rapper bisweilen jamaikanisches Patois rappt, in seiner von karibischen Einwanderern geprägten Heimatstadt Toronto ein Standard der Szene, wurde auf Twitter als Kulturraub klassifiziert. Und Grammy-Gewinner Bruno Mars musste sich jüngst von seiner Musikerkollegin Meshell Ndegeocello als „Karaoke-Act“ beziehungsweise Abstauber schwarzer Rhythm’n’Blues-Moden diffamieren lassen: „Er hat den Grammy bekommen, weil weiße Leute lieben, dass er nicht schwarz ist“, schimpfte die afroamerikanische Journalistin Seren Sensei in einem Twitter-Video. Das Problem sei, dass hier „schwarze Kultur von einem nichtschwarzen Körper“ verkauft werde. Mal ganz abgesehen davon, dass Bruno Mars auch kein Weißer ist und sein philippinisch-puerto-ricanisch-orientalisch-jüdisches Familienerbe ganz gut den Stammbaum des frühen Hip-Hop abbildet, der von Anfang an Puertoricaner, karibische Immigranten, jüdische Produzenten und weiße Kunstliebhaber aus Downtown Manhattan einschloss: Hat Kultur jemals nach binären Mustern funktioniert? Und wie sieht kulturelle Aneignung aus, wenn auf beiden Seiten schwarze Menschen stehen?

  Drehen wir die Platte ein halbes Jahrhundert zurück: Schon in den Sechzigern und Siebzigern schwappte eine Welle des Afrika-Enthusiasmus durch die USA. Wenn Afroamerikaner damals Dashikis trugen, dann war das ein Statement. Afrikanische Mode konterte weiße Überlegenheits-Ideologien und zeigte Solidarität mit den gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Nationen. Wer wollte den Afroamerikanern die Suche nach einer positiven Identität verdenken? Jahrhunderte der Behandlung als Untermenschen und der negativen Stereotypisierung ihrer afrikanischen Herkunft verlangten nach einem Gegenmittel: „Indem wir Afrika und die Afrikaner hassen“, predigte Malcolm X, „hassen wir uns selbst.“ Also gab man sich afrozentrische Namen, ließ das Haar kraus wachsen, skandierte „Black is beautiful!“.

  Was aber unterscheidet positive Akkulturation von kultureller Ausbeutung? Susan Scafidi beschreibt in ihrem Buch „Who Owns Culture?“ Aneignung als „die Verwendung intellektuellen Eigentums, traditionellen Wissens, kulturellen Ausdrucks (. . .) einer anderen Kultur ohne Erlaubnis“. Die Definition greift heute, da man sich im Internet durch alle Kulturen der Welt wühlen kann, weiße deutsche Gymnasiasten so selbstverständlich in den Dancehall hineinwachsen wie manche schwarze Texaner in den Country, weniger als je zuvor.

  Der afrobritische Soziologe Paul Gilroy definiert schwarze Kultur dagegen als offenen Quellcode. Nicht nur teilten all die afrikanischen und afro-diasporischen Gesellschaften, die durch den Sklavenhandel rund um den „schwarzen Atlantik“ entstanden sind, historische und kulturelle Verbindungen, sie lebten alle von einer Offenheit und Adaptionsbereitschaft gegenüber dem Fremden. Den Großteil der Diskussion erledigt dieser Ansatz damit: Wie klänge afrikanische Popmusik ohne europäische Militärkapellen, kubanischen Rumba oder afroamerikanischen Funk? Und sind die heute oft als originär afrikanisch empfundenen Batik- und Wachsdruckstoffe nicht von holländischen Designern nach javanischen, indischen, äthiopischen Vorbildern entworfen worden?

  Was nicht heißt, dass es okay ist, wenn weiße Luxus-Läden etwa Massai-Mode ohne jede Gegenleistung zu Geld machen. Oder weiße Entertainer die afrikanisch-jamaikanischen Wurzeln ihrer Dancehall-Hits ignorieren: „Der Vorwurf der unrechtmäßigen Aneignung trifft zu, wenn der Aneignende das Kulturgut als eigenes Original ausgibt und dessen ursprünglichen kulturellen Zusammenhang die Anerkennung verweigert“, schreibt der amerikanische Journalist Terrence Craft. Dann kann man auch „Black Panther“ alle Kostüm-Fantasien zugestehen. Und sich nicht darüber aufregen, dass keine einzige Szene des Films in Afrika gedreht wurde.

JONATHAN FISCHER

SZ 6.4.2018Black Panther

„Wohltätigkeit funktioniert hier nicht“ – Chinesische Kredite, lokale Verantwortung: Der Unternehmer Samba Bathily hat bereits über 1500 afrikanische Dörfer in 17 Ländern mit Solarpaneelen elektrifiziert

Bamako – Die Fassade des zweistöckigen Firmensitzes sticht schon von Weitem ins Auge. Knalliges Orange, große moderne Fenster, ein Hauch westlicher Urbanität inmitten rostender Werkstätten, Altmetall-Lager und Kesselschmieden, die ihr Kochtopf-Sortiment am Straßenrand ausstellen. Hier in einem Gewerbegebiet der malischen Hauptstadt Bamako, auf halber Strecke zwischen einer verfallenden Pferderennbahn und dem Ufer des Niger, hat einer der größten und sicherlich prominentesten Solarenergie-Pioniere Afrikas seinen Firmensitz: „Solektra“ steht auf einer Neontafel. Ein ambulanter Händler nutzt sie als Stütze für eine mannshohe Pappe voller gefälschter Ray-Ban-Sonnenbrillen. „Kommen Sie näher“, ruft er, „ich gebe Ihnen heute zwei zum Preis von einer“.

  Hinter den großen Schaufenstern von Solektra allerdings gelten andere Gesetze: Die ausgestellten Solarpaneele, Solarlampen und Generatoren sind Qualitätsware aus China, Frankreich und Deutschland. Gerahmte Fotos an der Wand zeigen prominente Besucher aus aller Welt. Wirtschaftsbosse, Religionsführer und Präsidenten. Klar, hier geht es nicht um ein beliebiges Import-Export-Geschäft. Sondern um Solarenergie für alle. Oder wie es der Firmenprospekt dichtet, „die strahlend helle Zukunft Afrikas“.

  „622 Millionen Afrikaner“, sagt Firmenchef Samba Bathily, „haben keinen Zugang zur Welt der Steckdosen, Lichtschalter und Straßenlaternen.“ Sie stellten damit die Hälfte der weltweit 1,2 Milliarden Menschen ohne Stromanschluss. „Außerdem sind die herkömmlichen Brennstoffe gefährlich: Über drei Millionen Afrikaner sterben jährlich an den Folgen von Vergiftungen und Bränden.“ Bathily trägt Anzug und Krawatte. Das breite, von einer Brille gerahmte Gesicht strahlt eine ruhige Gelassenheit aus, die kaum etwas von der geschäftlichen Umtriebigkeit des 46-Jährigen verrät. Seit 2008 führt der Malier seine Firma für Solarenergie – neben unter anderem einer Laserdruckerei, einer Garage für Luxusautos und einer umfangreichen Lkw-Flotte.

  Weltweit bekannt aber wurde er 2014, als er zusammen mit dem senegalesisch-amerikanischen Rhythm-’n’-Blues-Star Akon alias Alioune Akon Thiam und dem ebenfalls aus dem Senegal stammenden Politiker und einstigen Obama-Berater Thione Niang die Initiative Akon Lighting Africa aus der Taufe hob. Akons Popruhm – er hat mehrere Multiplatin-Alben produziert und unter anderem mit Michael Jackson zusammengearbeitet –, Niangs politische Verbindungen und Bathilys Know-how: Diese Kombination sollte die Widerstände, auf die ähnliche Solar-Projekte bisher trafen, minimieren. Als Akon 2004 sein Debütalbum veröffentlichte, galt Solarenergie in Afrika bestenfalls als Randthema. Inzwischen hat Akon Lighting Africa über seine Partnerfirma Solektra ein Kredit-Budget von einer Milliarde Dollar, unterhält Ableger in 17 afrikanischen Staaten und ein Büro im 66. Stock des Empire State Building. „Wir haben ein Ziel“, erklärt Bathily: „Bis zum Jahre 2020 wollen wir 16 Millionen Afrikaner mit Strom versorgen.“

  Bathily war als Sohn eines Unternehmers zwischen Mali und Frankreich aufgewachsen, hatte zwei Jahre lang in Belgien Jura studiert, bevor ihn Visa-Probleme zur Rückkehr in die alte Heimat zwangen. Hier handelte er zunächst mit Treibstoffen. Später sollte er zusammen mit chinesischen Firmen landwirtschaftliche und Infrastruktur-Großprojekte in Westafrika aufziehen und für Akon Lighting Africa Kooperationen mit in Nanjing ansässigen Solarenergieausrüstern einfädeln.

  Bathily profitierte dabei von engen Kontakten zu vielen westafrikanischen Regierungen. Und einer immer günstigeren Technologie für netzunabhängige Solarpaneele und Stromspeicher: „In den letzten sechs Jahren hat sich vieles zu unseren Gunsten gedreht“, sagt Bathily. „Vorher kostete das Kilowatt Solarenergie um die fünf Dollar, inzwischen ist der Preis unter einen Dollar gefallen.“ Akon und Niang, beide ohne Stromversorgung in einem senegalesischen Dorf nahe Kaolack aufgewachsen, halten wie Bathily Anteile an Akon Lighting Africa wie auch dessen Finanzierungsarm Solektra International. Dass man mit den Chinesen kooperiere, sagt Bathily, liege auf der Hand: Sie hätten vor drei Jahrzehnten eine ähnliche Energiekrise gemeistert, wie sie heute Afrika plage. Wichtiger noch: Sie brächten dem Projekt uneingeschränktes Vertrauen entgegen.

  „Die größte Hürde“, erklärt der Unternehmer, „war schon immer die Finanzierung.“ Afrikanische Regierungen könnten Großprojekte meist nicht auf einmal stemmen. Also arbeite man mit lokalen Banken und Regierungen Verträge aus – und gewähre Kredite auf drei bis acht Jahre. Nach anfänglichen Fehlschlägen bei der Suche nach Investoren hat Bathily gute Erfahrungen mit den chinesischen Banken gemacht. Immerhin soll Akon Lighting Africa – humanitäre Absicht hin oder her – Profit machen: „Wohltätigkeit“, hatte Akon in einem Interview mit dem Guardian erklärt, „funktioniert in Afrika nicht. Wenn die Leute sich daran gewöhnen, etwas geschenkt zu bekommen, entwickeln sie keine eigene Initiative.“

  Statt Almosen zu verteilen, gehe es darum, die Leute in die Lage zu versetzen, selbst ihre Familien zu versorgen. So legt Akon Lighting Africa großen Wert auf autarke Projekte: „Wir installieren unsere Klein-Paneele und Straßenlampen“, sagt Bathily, „in dörflichen Gemeinden ohne Stromanschluss und bilden Arbeitskräfte vor Ort aus. Am Ende sind sie für die Wartung verantwortlich. Kinder nützen das Licht abends zum Lernen, Händler können ihre Geschäfte länger betreiben und es entstehen neue Märkte.“ Bisher habe man bereits an die 1500 Dörfer mit zusammen knapp zehn Millionen Einwohnern mit Kleinpaneelen und solarbetriebenen Straßenlaternen ausgerüstet. Und auf diese Weise 5000 Arbeitsplätze geschaffen – nicht nur in Westafrika, sondern zuletzt auch bei mehreren Projekten in Ruanda, Angola und Mosambik.

  Die Ausbildung findet gleich neben Bathilys Büro statt: Im Hinterhof seiner Firma hat 2015 die erste reguläre Schule für Solarenergietechniker in Westafrika den Betrieb aufgenommen. „Solektra Solar Academy“ prangt an dem großen eisernen Schiebetor. Dahinter ein fensterloser Flachbau. Der Lehrsaal fasst ein Dutzend Studenten, jeder Arbeitsplatz mit einem Laptop bestückt, am Kopfende eine Wand aus Steckern, Buchsen und Messgeräten. „Unsere Simulatoren “, erklärt der malische Ingenieur und Dozent Jawou Kounasso, „stammen von unserer deutschen Partnerfirma“. Tatsächlich. „Lucas-Nülle GmbH Kerpen“ steht auf den Armaturen.

  Die Ausbildung dauert zwischen einer Woche und drei Monaten. „Wer hier einen Kurs absolviert“, sagt Kounasso, „bekommt ein Starter-Kit, mit dem er vor Ort weitere Fachkräfte anlernen kann.“ Meist würden die Auszubildenden von afrikanischen Regierungen und NGOs geschickt. Ab und zu kämen aber auch ambitionierte Kleinunternehmer – um 10 000 CFA oder umgerechnet 15 Euro für einen Wochenkurs zu bezahlen.

  „Wir haben Stipendien“, sagt der Dozent, „so dass sich das selbst ein junger Mann aus einem armen Dorf in Mali leisten kann.“ Die Nachfrage nach Solartechnikern steige stetig. Kounasso öffnet die Tür zum Hof, zeigt auf eine solarbetriebene Straßenlaterne. Solektra habe gerade eine Kooperation mit der französischen Firma Sunna eingefädelt: Nächstes Jahr soll hier Afrikas erste Fertigungsanlage für Solar-Straßenlampen in Betrieb gehen.

JONATHAN FISCHER

SZ 29.3.2018

Den Menschen hinter dem Etikett kennenlernen: Im Projekt „Youthnet“ wollen christliche, muslimische und jüdische Jugendliche bewusst einen Kontrapunkt zu rechten Strömungen setzen

„Meine Heimat ist die Welt“, sagt Mohammad Ali, ein 17-jähriger Elektrikerlehrling aus Afghanistan. Auf der Flucht nach Deutschland sei er durch zehn Länder gekommen. Er habe viel Schreckliches erlebt, aber er sei auch immer wieder auf hilfsbereite Menschen getroffen. „Ich brauche nur zwei Ohren, die mir zuhören und zwei Hände, die mir helfen“. Mohammad Ali lächelt etwas schüchtern. Genießt die Aufmerksamkeit der Zuhörer in der Turnhalle des Oskar-von-Miller-Gymnasiums. Vertrauen, man selbst sein dürfen, das bedeutet auch für den 17-jährigen Uri Sharell und die 15-jährige Arezo Gholami Heimat. Arezo Gholami kam erst vor zwei Jahren aus Iran nach Deutschland. Heimat „muss ein Ort sein“, ergänzt die Münchner Gymnasiastin Franziska Hafner kämpferisch, „den ich mitgestalten kann“.

  Damit meint sie nicht nur die in den Schulgängen präsentierte Fotoausstellung „Zeig mich!“, in der sie zusammen mit einem guten Dutzend christlicher, jüdischer und muslimischer Jugendlicher versucht, den jeweils anderen in Szene zu setzen. Sondern sie meint auch das Podium, auf dem sie gerade sitzt: endlich mal Prominente, die statt über Jugendliche mit ihnen reden, sich für ihre Standpunkte interessieren. Was ist für dich Heimat? Wo siehst du deine Verantwortung für die Gesellschaft? Was erwartest du von der Gesellschaft, um dich zu engagieren, selbst etwas zu geben?

  Nach einem Wochenende, an dem Deutschland über den Sinn eines Heimatministeriums streitet, Horst Seehofer behauptet, dass der Islam nicht zu diesem Land gehöre und Pegida Dresden mitten auf dem Marienplatz fremdenfeindliche Parolen brüllt, könnte keine Diskussion aktueller sein.

  Jedenfalls setzen die Jugendlichen des „Youthnet“-Workshops bewusst einen Kontrapunkt: In der Theorie mögen Verständnis, Annäherung und Inklusion schrecklich schwierig sein und ganze Abhandlungen füllen. Praktisch passieren sie von selbst – wenn erst mal die Hürden aus dem Kopf geräumt sind. Das ist die Erfahrung von Eva Rapaport. Und das ist der Grund, warum die Münchnerin die Organisation „Youthnet“ ins Leben gerufen hat. Sie habe gemerkt, dass Vorurteile nur abschmelzen, wenn sich Jugendliche verschiedener ethnischer und religiöser Herkunft wirklich nahe kommen. Wenn sie zusammen arbeiten. „Und plötzlich den einzelnen hinter dem Etikett erkennen“, sagt sie.

  Eva Rapaport hat seit drei Jahren ihre Villa in Solln der Flüchtlingsarbeit zur Verfügung gestellt. Bereits im vergangenen Jahr brachte sie Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zusammen. Sie ließ ihre Beziehungen zu Jugendhilfeträgern, der jüdischen Gemeinde und Münchner Schulen spielen, um ein erstes Netzwerk aufzubauen. „Youthbridge“ hieß es damals noch. Ein interreligiöses Workshop-Konzept, das in New York schon seit längerer Zeit erfolgreich läuft. Die Teilnehmer werden dabei zu Mentoren für nachfolgende Gruppen ausgebildet.

  Mit „Youthnet“ hat Rapaport das Projekt nun auf Münchner Verhältnisse zugeschnitten. „Wir haben beim letzten Mal gelernt, dass wir uns noch intensiver kennenlernen müssen, wir keine Angst vor Fragen haben dürfen“, sagt sie. Was das konkret bedeutet? Ein halbes Jahr lang haben die Jugendlichen zusammen mit muslimischen, jüdischen, christlichen und jesidischen Mentoren ihre Ausstellung vorbereitet. So beeindruckend die Porträts auch geworden sind: Bei den neun Treffen ging es erst zuletzt um das Fotografieren.

  Denn: Wer den anderen abbilden will, muss ihn erst sehen. Muss ihn erspüren und erleben. Also gingen die Jugendlichen in wechselnden Teams aufs Volleyballfeld. Mit einer Schauspiel-Trainerin probierten sie sich in Rollenspielen aus. Sie fragten ihre Gefühle ab und interviewten sich gegenseitig. „Ich dachte nie, das ich so etwas machen könnte“, gesteht Mokhtar Hussaini, ein 17-jähriger Afghane. „Aber es hat mich verändert.“

  Andere Teilnehmer erklärten, sie hätten zum ersten Mal überhaupt darüber nachgedacht, wie sie eigentlich kommunizieren. Und die Jugendlichen haben sich getraut, ihre vorgefassten Meinungen etwa zu Flüchtlingen, Muslimen oder Juden über Bord zu werfen.

  „Wir haben meist nur Halbwissen voneinander“, sagt Gönül Yerli vom Islamischen Forum in Penzberg, die sich das Podium mit den „Youthnet“-Jugendlichen, Ursula Münch, Leiterin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, Johannes Seiser vom Verein für Sozialarbeit und der Autorin Lena Gorelik teilte. „Mir wird unterstellt, dass ich als Muslima mit Migrationshintergrund nicht zu Deutschland gehöre“, sagt sie. Dabei habe sie nur wegen ihrer katholischen Religionslehrerin später muslimische Pädagogik studiert – und katholische Theologie gleich noch dazu.

  Dreihundert Schulklassen empfange sie jedes Jahr in Penzberg. Erst neulich habe ihr ein Viertklässler die Hand entgegengestreckt mit den Worten: „Ich werd’s meinem Papa sagen, ihr seid’s gar ned so schlimm.“ Auf die selbe Art, so hat Rapaport beobachtet, lässt sich auch Antisemitismus abbauen. Dass man selbst aktiv werden müsse, um eine tolerante Gesellschaft aufzubauen – darin sind sich alle Workshop-Teilnehmer einig. „Jedes Gespräch ist eine neue Chance“, sagt Arezo Gholami.   Eva Rapaport plant indes schon weiter. Sie will im Oktober den nächsten Workshop anbieten – und expandieren. Voraussetzung dafür aber sei, dass sie ausreichend Sponsoren finde „Wenn es mehr Jugendliche wie diese auf dem Forum geben würde“, sagt sie zum Schluss in die Runde, „hätten wir dann noch ein Problem in unserem Land?“

JONATHAN FISCHER

SZ 20.3.2018

Afropop-Kolumne

Seun Kuti war erst 14, als er im Jahr 1997 Egypt 80 erbte, die Band seines Vaters Fela Kuti. Ihre Losung lautete: brennende politische Botschaften über polyrhythmischem Funk! Lange spielte Seun Kuti die Rolle des Erbverwalters: So hat er sein sechstes Album „Black Times“ (Srut) demonstrativ in der wiederaufgebauten Kalakuta Republic in Lagos eingespielt, einem Kulturzentrum und Studio, das nigerianische Soldaten 1977 in Vergeltung für Fela Kutis gesungene Provokationen in Schutt und Asche gelegt hatten. Seun Kuti führt den Kampf gegen die Korruption fort und greift die Kritik an der aus dem Westen importierten Konsummentalität auf. Ästhetisch emanzipiert er sich vom Vater: Seinen Musikern gibt er viel Raum für freie Improvisation, er bläst schneidende Kaskaden auf seinem Saxofon, nimmt Soundanleihen sowohl vom HipHop als auch der Ambient Music. Einmal fädelt sich gar Carlos Santanas Blues-Gitarre in den Mahlstrom der Bläser und Gesangschöre ein. Die Musik entwickelt Intensität, die in abstrakten pointillistischen Konversationen zwischen Schlagzeug, Trompeten und Gitarren gipfelt. Kleine bewegliche Funk-Partikel wirbeln um den Groove. Lösen die Melodie auf. Reißen unvorhergesehene Löcher.

Neunzig Prozent des Musikreichtums Afrikas, schätzt der amerikanische Feldforscher Paul Chandler, seien im Westen noch gar nicht erschlossen. Der vom rührigen Berliner Piranha-Label herausgegebene Sampler „I’m Not Here To Hunt Rabbits“, dessen erster Track „Rampoka“ von Solly Sebotso gerade digital veröffentlicht wurde, will das zumindest in Bezug auf Botswana ändern. Die Gitarre und der warme, leidenschaftliche Gesang erinnern hier bisweilen an den frühen Country-Blues – nur ohne die Blue Notes. Wie aber spielen die Musiker nur diese exzentrischen Riffs? Das Geheimnis liegt im Tuning ihrer handelsüblichen Sechs-Saiten-Instrumente. Die botswanischen Gitarristen benutzen nicht nur eine andere Grifftechnik, sondern bespannen ihr Instrument auch mit nur vier Saiten, drei Höhensaiten und einer oft aus einem Fahrradbremszug bestehenden Basssaite. Gestimmt wird meistens nach Lust und Laune, gesungen in traditionellen Metaphern. Viele der hier versammelten Musiker sind in Südafrika Popstars mit mehreren Millionen Youtube-Klicks.

Baloji wusste anfangs kaum etwas von Afrika. Der Mann, dessen Name so viel wie Heiler oder Magier bedeutet, war bereits ein HipHop-Star in Belgien, bevor er sich 2008 auf die Suche nach seiner kongolesischen, in Lubumbashi lebenden Mutter machte. Die Musik, auf die er dort traf, ließ er in seine Alben „Hotel Impala“ und „Kinshasa Succursale“ einfließen. „137 Avenue Kaniama“ (Bella Union) heißt sein neues Opus – benannt nach der Adresse seiner Mutter. Klar, dass HipHop-getunter Rumba hier die Hauptzutat bildet. Fast lieblich klingeln die Ostinato-Gitarren des 70er-Jahre-Kongo-Pop mit seinen galoppierenden Bassdrums und Falsett-Chören. Sie gaben schon früher das ideale Gleitmittel für Balojis französische Raps. Nun aber erweitert der Magier seinen Future Funk. Nicht nur wirft er Rhythmen aus Nigeria, Ghana und Zimbabwe in den Mixer. Zwischendurch verschlägt es den Rapper auch in elektronische Gefilde, kombiniert er metallisch verzerrte Gesänge mit funky Synthesizer und die in der Frühzeit des HipHop so populären 808 Beats. Eine Ästhetik, die perfekt zu seinen surrealen Texten passt. Anders als etwa der Politprediger Seun Kuti wird Baloji persönlich, kombiniert er seine Familiengeschichte mit Betrachtungen über die Entfremdung afrikanischer Migranten und das Überleben in der kongolesischen Großstadt. Selten hat HipHop die komplexen afrikanischen Lebensrealitäten so auf den Punkt gebracht.

Ebenfalls in die Elektronik-Ecke lehnt sich die malische Diva Oumou Sangaré. Wer ihr Meisterwerk „Mogoya“ kennt, der hat sehnlichst auf mehr gewartet. Nun erscheint „Mogoya Remixed“ (No Format!) Das Album vereint 13 Afrohouse- und Elektro-Remixe Dancefloor-lastiger Songs wie „Fadjamou“ und „Yere Faga“. Mit bewährter Lounge-Ästhetik ist St. Germain ebenso dabei wie der britische R’n’B-Shooting Star Sampha, der Oumou Sangaré seine wichtigste Inspiration der letzten Jahre nennt. Richtig großartig aber wird es, wenn nicht weniger Afrika aus dem Remix tönt – sondern sogar mehr. Das schafft etwa Brian D’Souza alias Auntie Flo mit „Djoukourou“: Der Londoner DJ schält die eingängigen Ruf- und Antwort-Gesänge des Originals heraus und unterfüttert sie mit sparsamer Perkussion und einem zwischen zwei Tönen oszillierenden Xylofon. Hier reimt sich Minimal Techno auf die warmen Chöre von Oumou Sangarés Heimatregion Wassoulou.

JONATHAN FISCHER

SZ 23.7.2018P1020736