Monatsarchiv: Juni 2014

„Schön, dass man mich vor mir schützen will“. Marius Jung, schwarzer Autor, hat für sein neues Buch einen Anti-Preis erhalten. Der Vorwurf: Rassismus

 

Marius Jung ist Schauspieler und Autor. Nun entfacht der 49-Jährige mit seinem „Handbuch für Negerfreunde“ eine Kontroverse. Gerade hat der Studentenrat der Universität Leipzig das Buch mit der Auszeichnung „Der Preis ist heißßßß – oder auch nicht“ bedacht – wegen der Darstellung rassistischer Inhalte.

SZ: In Ihrem Buch verarbeiten Sie auf satirische Weise rassistische Sprachfallen und erklären freundlich gemeinte Fettnäpfchen wie „Singen können die alle!“. Wie fühlt es sich an, nun selbst als Rassist bezeichnet zu werden?

Marius Jung: Ich dachte zunächst, das ist ein Scherz. Oder ein Irrtum. Jetzt finde ich es schön, dass es Menschen gibt, die mich vor mir selber schützen wollen. Der Studentinnen-Rat hat seine Vorwürfe bekräftigt: Mein Buch-Cover sei rassistisch. Ich dürfe mich als Schwarzer nicht halb nackt, also als Sex-Objekt abbilden lassen.

Hatten Sie denn keine Bedenken, Ihr Buch könne falsche Assoziationen wecken?

Ich wollte ja keine Leidensgeschichte schreiben. Sondern die Leute zum Lachen bringen. So ein Lachen, das einem womöglich im Halse stecken bleibt, wirkt doch viel nachhaltiger als jede böse Mahnung. Die falsche Fährte gehört nun mal zur Natur der Satire.

Dennoch provoziert Ihr Gebrauch des Wortes „Neger“. Sie fallen Leuten, die etwa die Entfernung dieses Wortes aus Wörterbüchern verlangen, in den Rücken . . .

Natürlich halte ich „Schwarzer“ für die korrekte Bezeichnung. Andererseits will ich Begriffe aus dem Tabu herausholen. Tabus führen doch nur zu noch mehr Ausgrenzung. Es hilft niemandem, wenn Menschen stammelnd vor mir stehen und nicht wissen, wie sie mich nennen sollen. Dann ist es besser, man spricht offen und angstfrei über Begriffe.

Sie wollen Gift aus der Diskussion ziehen?

Ich rate jedenfalls allen empörten Lesern, das Wort Neger so oft zu sagen, bis sie lachen müssen. Man darf da kein Monster draus machen. Das Wort ist ja nicht böse, sondern höchstens die Absicht dessen, der es benutzt. Meine Freunde dürfen mich Mokkatässchen nennen. Wirkliche Rassisten sind dagegen meist nicht mutig genug, mich direkt anzusprechen. „Geh doch zurück“, war das Schlimmste, was ich bisher an Beleidigungen einstecken musste.

Reagieren Sie darauf im Alltag ähnlich schlagfertig wie auf der Bühne?

Das kommt auf die Situation an. Neulich stand ich mit einem türkischen Kollegen zusammen, als eine Frau, der wir versehentlich den Gehweg versperrten, giftete: „Gegen solche wie euch darf man ja nichts sagen.“ Wenn man zu zweit ist, kann man darüber jedenfalls herzlich lachen.

Noch lieber nehmen Sie allerdings das linksintellektuelle Milieu aufs Korn, aus dem Sie selbst stammen: Political Correctness sei die „unheilvollste Erfindung seit dem alkoholfreien Bier“.

Dieser Krampf, den mir die Verbotsapostel aufzwingen, war überhaupt der Grund, mein Buch zu schreiben. Warum nicht gemeinsam lachen? Das schafft Abstand und erschließt neue Perspektiven. Mir schreiben oft Menschen, sie hätten erst durch meine Comedy gemerkt, dass bestimmte Verhaltensweisen rassistisch sind . . .

Auf Podien erlebt man Sie als sehr geduldigen Menschen, der Angriffe mit freundlichem Respekt kontert. Aber mit Humor lässt sich doch nicht jeder bekehren?

Schlimm sind die problemorientierten Frauen, die mich mit weinerlich-bebender Stimme fragen, ob ich es als Schwarzer nicht sehr schwer hätte in Deutschland. Ich antworte stets wahrheitsgemäß mit: Nö! Noch mehr nerven allerdings die Theken-Faschisten: Sie halten sich selbst für wahnsinnig offenherzig, lassen dann aber Sätze los wie: Jetzt wollen Sie uns auch noch den Negerkuss nehmen.

In Ihrem Fall wäre das Königswinter im Siebengebirge, wo Sie mit Ihrer weißen Mutter und dem weißen Ziehvater aufwuchsen . . .

Es war von meinem weißen Vater sicher heldenhaft, in den 60er-Jahren ein schwarzes Kind auf dem Arm zu tragen. Andererseits wurde nie über meinen biologischen Vater gesprochen. Meine Hautfarbe war ein Tabuthema. Also erfand ich als Kind die Legende von einem verstorbenen Opa, der wie Jim Knopf ein schwarzer Lokomotivführer gewesen sei. Ich verschlang auch begeistert die Geschichten von Pippi Langstrumpfs Vater, dem Negerkönig.

Der wurde vom deutschen Verlag ja inzwischen zum Südseeherrscher gemacht . . .

Dass man glaubt, das Wort „Neger“ in alten Kinderbüchern umschreiben zu müssen, beruht auf einem Irrglauben: Als könne man mit einem Wort gleichzeitig den Rassismus ausmerzen. Wichtiger ist doch der respektvolle Umgang miteinander. Ich musste mir als Kind beim Friseur anhören, mir die Haare zu schneiden sei ähnlich, wie ein Schaf zu scheren – woraufhin ich mich weigerte, zum Friseur zu gehen. Und das beknackte Kompliment, dass ich ja so gut Deutsch spreche, höre ich bis heute.

Hat „schwarz und deutsch“ denn wenigstens in der Schauspielbranche, wo Sie zu Hause sind, eine gewisse Normalität?

Na ja, meistens durfte ich vor allem Rollen als Musiker oder Asylbewerber besetzen. Was bei letzterem bedeutet, acht Jahre Sprechunterricht möglichst zu vergessen und ja keinen Nebensatz fallen zu lassen.

Sie berichten auch von positivem Rassismus . . .

1994 winkte der Durchbruch, ich sollte die Hauptrolle in einer Vorabendserie spielen. Bis überraschend die Absage kam: Der Koksdealer durfte kein Schwarzer sein. Was würde die Presse sonst sagen?

Nun bringt Ihnen ausgerechnet ein Negativ-Preis den Durchbruch. Werden Sie ihn persönlich entgegennehmen?

Natürlich! Ich habe dem Preis ja tolle Buchverkäufe und Einladungen in Talkshows zu verdanken. Außerdem möchte ich ein paar Witze aus meiner neuen Kabarett-Show „Vom Neger zum Maximal-Pigmentierten“ erzählen.

Haben Sie einen Lieblingswitz?

Der stammt von Woody Allen: Fährt ein Schwarzer U-Bahn und liest eine jüdische Zeitung. Kommt ein Weißer zu ihm und sagt: Neger allein reicht dir wohl nicht.

Interview: Jonathan Fischer

SZ 21.6.2014

Die Gebrüder Funk! Von den Poets of Rhythm bis Lana Del Rey: Wie die Münchner Jan und Max Weissenfeldt das weltweite Funk-Revival lostraten

 

Funk. Längst schmücken die vier Buchstaben nicht nur die Selbstdarstellung jeder zweiten Irgendwas-mit-geslapptem-Bass-Freizeit-Combo, was allein schon schlimm genug ist, sondern auch Sonnenbrillen, Rucksäcke oder Retrolimonaden sollen das verruchte Etwas verleihen. Funk. War das nicht mal die Musik legendärer schwarzer Rhythmuspioniere wie George Clinton, Sly Stone oder James Brown? Damals in den 60er- und 70er-Jahren, als aus einem verächtlichen Wort für Körpergeruch und sexuell konnotierten Gestank das Qualitätsattribut für schwarze Musik schlechthin erwachsen war, ein Generalbegriff für frei synkopierte, emotional geladene Grooves. „Jeder kann den Funk fühlen“, hat Altmeister George Clinton einmal behauptet, „aber je mehr man über ihn nachdenkt, um so schwieriger lässt er sich fassen.“

So geht es vielen, die das Glück haben, eine der vielen Bandinkarnationen der Münchner Brüder Jan und Max Weissenfeldt live zu hören – um sich von der ursprünglichen Leidenschaft hinter dem F-Wort anstecken zu lassen. Und auch ein wenig zu staunen: Ausgerechnet aus München! Diesem Sonnenbrillen-und-Bionade-Dorf! Die Weissenfeldt-Brüder aber wissen seit Langem: dass der Funk nicht nur eine Hölle von einem Rhythmus ist, sondern auch eine Insel der Verschrobenen und Außenseiter, ein Zufluchtsort der Mutanten und Quergänger des Pop – und deshalb unabhängig von Hautfarbe und Sozialisation an den unwahrscheinlichsten Orten gedeiht. „Unsere Initiation als Funk-Forscher? Das waren die Wühlsessions durch Münchner und später New Yorker und New Orleanser Second-Hand-Plattenläden“, sagt Jan. „Nichts war toller, als eine möglichst obskure Single, mit unentdeckten, neuartigen Sounds zu finden“.

Angesichts der grellen Comic-Cover von George Clintons Parliament und Funkadelic, Sly Stones Hippie-Esoterik und James Browns Glamour-Maschine wirken die Weissenfeldt-Brüder ziemlich unauffällig. Jan, ein gemütlicher Mittvierziger, der mit Wollmütze und umgehängter Gitarre in den Proberaum der Malcouns, hoch über den Dächern des Münchner Bahnhofviertels, hineingeschlurft kommt. Und sein ähnlich unaufgeregter Bruder Max: Der Schlagzeuger hat ein eigenes Studio in Berlin, ist auf Familienbesuch in der alten Heimat. Beide Brüder können stundenlang vor sich hin schwärmen. Von den entlegensten Musikern, Songs und Instrumenten, von Gamelan und Hip-Hop-Untergrund – und das ganz ohne „Ich weiß was, was du nicht weißt“-Hipster-Arroganz. Eher, als ob sie Nachrichten aus der Großfamilie austauschen würden. Sie selbst stehen dabei selten im Vordergrund. Und die Namen der Weissenfeldt-Brüder findet man meist nur im Kleingedruckten. Max als Schlagzeuger auf Lana Del Reys lässiger neuer Rock’n’Roll-Single etwa, oder beim letzten New-Orleans-trifft-Afrika-Album von Dr. John. Jan als Begleitmusiker und Arrangeur von Afrobeat-Legende Ebo Taylor, als Jam-Partner von Hip-Hop-Produzent Madlib oder Autor der gerade bei Trikont erschienenen großartigen Ethio-Jazz-Kompilation „Beyond Addis“. Ziemlich underground klingen auch die zahlreichen Aliasse der Münchner: Sie veröffentlichten u.a. als Bo Baral’s Excursionists, The Soul Saints Orchestra, Whitefield Brothers oder zuletzt als The Polyversal Souls (Max) oder Karl Hector & The Malcouns (Jan).

Angefangen haben Jan und Max als Hip-Hop-Fans auf der Suche nach den Wurzeln. Dass sie dabei ein weltweites Funk-Revival auslösen sollten, konnten sie kaum ahnen: „Die Band überzeugte mich, dass Soul nicht tot war“, sagt Gabriel Roth, Gründer und Chef des Brooklyner Daptone-Labels und mitverantwortlich für die Karrieren von Amy Winehouse bis Sharon Jones. Ihm erschienen die Poets of Rhythm als Epiphanie: Wenn eine Band aus München das hinbekam, warum sollte es dann nicht auch in Brooklyn – und dem Rest der Welt – funktionieren? „Ohne die Weissenfeldt-Brüder“, schwört Roth, „wäre die Popgeschichte ein wenig anders verlaufen.“ Damit meint er die Retro-Soul-Sounds von Amy Winehouse bis Aloe Blacc, das Mischen mit Afrobeat oder Ethio-Jazz, oder die Anverwandlung alter afrikanischer Klangmuster durch urbane Hipster-Bands. Dass das möglich ist, wie das geht und wo der Funk dabei bleibt: Das alles zeigten die Weissenfeldt-Brüder dem Rest der Welt. „Es war ein Akt des Widerstands“, sagt Jan Weissenfeldt, „Madonna, Grunge und New Jack Swing regierten die Charts, aber wir suchten das emotionale Gegenteil davon.“ Zusammen mit Boris Geiger und Bruder Max kniete er sich im Keller ihrer Mutter in einen Sound hinein, der ein schillerndes Lebensgefühl und eine rohe Emotionalität transportierte. „Wir wollten die Klänge unserer alten verkratzten Lieblingssingles emulieren“, erklärt Max, „So authentisch wie möglich.“ Dazu nutzten sie ausschließlich altes analoges Instrumentarium. Und retteten auf selbstgemachten Singles im Retrolook und Kleinstauflage den rohen analogen, handgemachten Impuls des Funk in das Zeitalter des digitalen Studio-Overkills hinüber.

Gerade hat Daptone Records eine Anthologie mit dem Frühwerk der Poets of Rhythm herausgebracht: Da hört man nochmal die rohe Rebellion von „Funky Train“ oder die Groove-Hypnose von „Discern and Define“. Fans wie DJ Shadow (der die Poets of Rhythm für sein Label Quannum verpflichtete) nahmen den Sound der Münchner als Inspiration, und der kalifornische Rapper Lyrics Born glaubte gar die „tighteste Funkband der Welt“ gefunden zu haben. Die Rückkopplung an den Hip-Hop war perfekt. Doch die Münchner hatten die Sample-Nostalgie wie auch Schlaghosen, Spitzkragen und Pelzmäntel schnell satt, wollten lieber Neuland erschließen. Jan hatte ein Erweckungserlebnis, als ihm seine Daptone-Freunde im Jahr 2001 alte äthiopische Musik vorspielten. Sein Bruder Max tauchte gleichzeitig mit den Münchner Krautrock-Pionieren Embryo in marokkanische bis indische Klänge ein. Als Whitefield Brothers bannten die Brüder das erweiterte Klangbild auch auf Vinyl: „In The Raw“ titelte 2001 das erste, legendäre Afrobeat-Album der Weissenfeldt-Brüder.

Als 2010 das Folgealbum „Earthology“ erschien, waren die Weissenfeldt-Brüder längst von der afroamerikanischen Vergangenheit in die afrikanische Zukunft aufgebrochen. „Wir hatten erstmals die Möglichkeit, mit Musikern aus anderen Kulturkreisen zu jammen“, sagt Jan. „Das spielte uns ganz neue Rhythmen und Skalen zu.“ Lebte Pop nicht immer genau davon? Jan begleitete hinfort sambische Rockbands und ghanaische Hip-Hopper. Sein Bruder ließ sich währenddessen von einem Gamelan-Meister unterrichten, suchte traditionelle ghanaische Trommler auf und bekam am Hof des Ashanti-Königs in Ghana den Auftrag, eine Suite für den Regenten zu schreiben.

Momentan arbeitet er an einem ghanaisch-deutschen Orchester, in dem Musiker beider Länder zusammen improvisieren – wenn er nicht gerade für Dan Auerbach trommelt. Der Kopf der Black Keys holt Max Weissenfeldt regelmäßig ins Studio: Zuletzt für das neue Album von Lana Del Rey. Den Clash der Kulturen in seiner Musik sieht Max Weissenfeldt auch als politisches Statement: „Ich möchte die Realität unserer globalen Gesellschaft spiegeln. Vielfalt ist doch ein hohes kulturelles Gut!“ Es könnten die Linernotes zum neuen, dritten Album von Karl Hector & The Malcouns sein: „Unstraight Ahead“. Jan Weissenfeldt und seine Münchner Mitstreiter entfernen sich da von klassischen Songstrukturen, modulieren Rhythmen und Sounds, predigen eine aufregende Nichtreinheit: Ethio-Jazz-Georgel und westafrikanische Percussion-Teppiche verzahnen sich mit Soul-Psychedelik – während Jans Fuzz-Gitarre immer wieder dessen ganz neue Begeisterung am Krautrock aufblitzen lässt. „Funk kann wie ein ausgelatschter alter Teppich wirken“, sagt der Bandleader. “ Bis du ihn verrückst – und in neue Kontexte schiebst.“

JONATHAN FISCHER

Die Welt 17.6.2014