Monatsarchiv: Juli 2014

Die gute Dröhnung: die Kasai Allstars aus Kinshasa

Kongolesischer Pop: Da denkt man an süssliche Soukous-Gitarren, an polierte Chorgesänge und modisch extravagante Tänzer. War es nicht gerade ihr mondäner Chic, die Anmutung von Luxus und Savoir-vivre, die kongolesische Sänger wie Papa Wemba zu panafrikanischen Idolen machten? Ihre glatte Tanzmusik aber repräsentiert nur eine Seite Kongos. Die Postkartenansicht. Wer durch die Quartiere von Kinshasa streift und durch Müllberge und mit Schlaglöchern übersäte Schlammstrassen zum Herzen dieser Stadt vorstösst, dem wehen aus Hinterhöfen und Freiluftbars auch rauere Klänge entgegen. Ein Brummen, Scheppern, Zirpen. Von Autobatterien gespeiste Rückkopplungen. Der lärmende Trance-Sound von Bands wie Konono No 1 oder der Kasai Allstars. Likembe-Orchester nennen sie sich.

Likembes heissen die Fingerklaviere, deren Eisenlamellen meist aus alten Autofedern zurechtgeschmiedet werden und die sich in Kinshasa als Träger durchdringender Basslinien und Obertöne durchgesetzt haben – das von Boxentürmen verstärkte Kling-Klong übertönt selbst das Hupen der Sammeltaxis und das Aufheulen altersschwacher LKW. Europäische Plattenfirmen vermarkten die Likembe-Orchester inzwischen unter dem Stichwort «Congotronics». Tatsächlich verdichten sich in der richtigen kollektiven Taktung die Schnarrgeräusche zur musikalischen Trance. Zum handgemachten Techno. Zu einer urbanisierten Geisterbeschwörung, die in der drittgrössten Stadt Afrikas ländliche Traditionen mit westlichem Elektro-Instrumentarium mischt.

«Beware The Fetish», das zweite Album der Kasai Allstars, demonstriert diese hypnotisch-aufpeitschende Seite der kongolesischen Musik – und das mit einem nie da gewesenen Charme. Das ist auch Vincent Kenis zu verdanken. Denn dem Produzenten der belgischen Plattenfirma Crammed Discs geht es nicht um die Konservierung von Folklore, sondern um gewagte Rekombinationen. Kam die Verzerrung einst als Nebenprodukt einer dem Verkehrslärm geschuldeten Elektrifizierung ins Spiel, tritt sie nun in Dialog mit anderen lokalen Pop-Richtungen. Gleich 24 Gastmusiker ergänzen das 16-köpfige Kollektiv der Kasai Allstars.

«The Chief’s Enthronement / Oyaye» eröffnet die Platte mit einem treibenden Gitarrenriff: Ein Männerchor intoniert einen Proto-Rap, bevor Schnarrgeräusche und das Klimpern der Fingerklaviere alles in ihren Klangteppich einweben. Auf dem nächsten Stück, «Yangye, The Evil Leopard», gelingt die Fusion noch flüssiger: klingelnde Soukous-Gitarren über verzerrten Likembes. Sie antworten sich, treiben sich gegenseitig an, während die Trommeln beständig nach vorne schieben, harmonische Gesänge zu rhythmischen Anfeuerungsrufen verkürzen. Ein Sog, eine Kreiselbewegung, der sich niemand entziehen kann. Zahlreiche Jams spielen mit diesem Auf und Ab der Erregungswellen. Die Intensität hat nicht unbedingt etwas mit Lautstärke zu tun. Das zeigen gerade Vokalstücke wie «Salute To Kilombo». Xylofone und Schlitztrommeln, die an das Fallen dicker Regentropfen erinnern, unterfüttern Jodelgesänge. Oder «Down And Out»: Hier sind es die schrägen Call-and-Response-Kaskaden, die eine fast überirdische Schönheit und Spannung erzeugen. Und manchmal (etwa in dem hypnotischen Geklingel von «He Who Makes Bushfire For Others») glaubt man gar, Assoziationen zu unserer Techno-Ecstasy-Kultur zu hören. Primitiver in den Mitteln. Aber seelenvoller im Ausdruck.

Dabei sind die Texte – soweit sie in dem Booklet neben phantastischen Fotos der Musiker erklärt werden – durchwegs moralischer Natur. Sie preisen die Tradition und den Wert harter Arbeit, warnen vor untreuen Ehepartnern und der Macht der Ahnen. Wie in Afrika üblich hat die Musik eine soziale, gesellschaftlich bindende Funktion. Der Sound mag Punk-Vergleiche inspirieren, doch um rebellische oder gar politisch-sozialkritische Haltungen geht es den Musikern nicht. Und das ist noch das kleinste der Missverständnisse: Denn ebenso wenig kann man hier die Fahne der Authentizität hissen – oder gar eine urwüchsige Tradition gegen die vermeintlich westliche Vereinnahmung des afrikanischen Pop ausspielen. Sind doch die Kasai Allstars aus Angehörigen fünf verschiedener Ethnien der Region Kasai zusammengewürfelt. Das bedeutet, dass hier aus vielen traditionellen Instrumenten, fünf verschiedenen Sprachen, einer selbstgebauten Schrott-Percussion plus Do-it-yourself-Elektronik ein unerhört neuer Mix zusammengebraut wird.

Bastard-Pop. Eine urbane, postmoderne Rhythmus-Walze, die alles über den Haufen rollt, was sich an herkömmliche Songs und Arrangements klammert. Hier liegt die Faszination von «Congotronics» für westliche Musiker. Damon Albarn, Thom Yorke oder Björk hatten bereits vor Jahren das von Trommel-Chants, dem Bass-Brummen riesiger Xylofone und Rückkoppelungsschleifen begleitete Kling-Klong entdeckt. Und postulieren deren Geistesverwandtschaft zu Lee Perry, Can oder Velvet Underground. Tatsächlich haben Fingerklavier-Orchester und westliche Avantgarde bereits mehrmals zusammengefunden. Etwa auf dem Album «Tradi-Mods Vs. Rockers: Alternative Takes On Congotronics» und einer gleichnamigen Tour im Jahre 2011. Eines der damals mit Deerhoof und Juana Molina entstandenen Stücke ist auch auf «Beware The Fetish» zu hören: «The Ploughman». Angesichts der Energie, die sich entfesselt, möchte man noch mehr Rocker nach Kongo schicken. Auf einen Hinterhof irgendwo in Kinshasa, dort, wo die Pop-Musik dank Likembes, kaputten Verstärkern und leeren Dosen eine gute Dröhnung zurückbekommt.

JONATHAN FISCHER

NZZ 25.7.2014

Please don’t Freeze: before and after white dudes stole Rock ’n‘ Roll