Monatsarchiv: September 2014

Die Trommeln schweigen vor Entsetzen – Muepu Muamba, der exilkongolesische Schriftsteller und Aktivist, brachte die erste deutschsprachige Anthologie von Autoren des Kongo heraus. Er glaubt an die Zukunft seines Landes, an dessen Kraft zum Träumen

 

Unser Bild vom Kongo? Da fällt einem die Plakatkampagne der Diakonie ein, die vom Krieg gezeichnete Flüchtlingsgesichter aus Zentralafrika in die deutschen Innenstädte trägt. Darüber prangt: „Die größte Katastrophe ist das Vergessen.“ Das Motto würde der in Deutschland lebende Schriftsteller Muepu Muamba durchaus unterschreiben – nur die einseitige Blickrichtung des Erinnerns stört ihn: „Wir alle hören über bizarre Katastrophen aus meiner Heimat. Armut und Krieg. Wer aber weiß schon, wie die Menschen sich dort fühlen? Welchen kulturellen Reichtum sie besitzen?“

Kultureller Reichtum: Davon wird der 66-jährige Dichter sehr oft sprechen. Seine Wohnung am Mainufer in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs gleicht einem Archiv der postkolonialen Geschichte Afrikas. In den Regalen stapeln sich die Bücher bis unter die Decke: Herbert Marcuse, Frantz Fanon, Chinua Achebe oder die Werke des senegalesischen Dichters und Präsidenten Leopold Senghor – seines Brieffreundes. Dazwischen afrikanische Skulpturen. Oder Poster vom Frankfurter Afrika Alive Festival, einem jährlichen Film-, Kunst- und Literaturereignis, das der Schriftsteller 1994 initiiert hat.

„Seit Jahren schreiben westliche Autoren immer neue Bestseller über den Kongo. Mir geht es um eine Innenansicht aus kongolesischer Perspektive“, sagt Muamba, und sein weicher Akzent bringt die Worte zum Singen. In den sechziger Jahren habe sein Land zu den bestalphabetisierten Afrikas gehört. Dutzende Zeitschriften erschienen in den nationalen Sprachen und bildende Künstler lebten von staatlichen Aufträgen. Das Fortleben dieser kulturellen Saat wollte Muamba mit seinem bisher ehrgeizigsten Projekt belegen, der ersten deutschsprachigen Anthologie kongolesischer Literatur, „Moyo: Der Morgen bricht an – Stimmen aus dem Kongo“ (Brandes & Apsel, 2013). Muamba hat dafür viele bisher nur im Kongo publizierte Autoren angeworben, Romanfragmente, Satiren und politische Essays übersetzt und mit Verlegern gestritten. Er selbst lässt in seinen Gedichten eine reiche afrikanische Bilderwelt auf ein sehr nüchternes politisches Bewusstsein treffen. „Wir sind dieses Afrika / über das die verschlagenen Exzellenzen / fröhlich hinweg trampeln / . . . die Trommeln schweigen vor Entsetzen, an äquatorialer Verstummung erkrankt“. Bereits drei Jahrzehnte lang kämpft der 66-jährige – aus dem Exil in Paris und Frankfurt – für die demokratische Bewegung im Kongo. „Wir Dichter mögen politisch ohnmächtig erscheinen. Aber wir haben die Mittel, einen Gegen-Code aufzustellen“. Jedes Wort ist sorgfältig gesetzt: „Nicht die Politiker definieren uns. Nein, die Poesie erfindet die Welt.“

In „Moyo“ lässt Muamba drei Generationen kongolesischer Schriftsteller und Journalisten zu Wort kommen. Ja, es geht um Korruption, Misswirtschaft, Kriegsverbrechen. Unter anderem. Aber dann beleuchtet die Anthologie noch ganz andere Aspekte des großen zentralafrikanischen Kulturuniversums: Das kongolesische Kino etwa und seine unerfüllten Träume, die heimischen Verlage, die Kunstszene. Und auch die Frauen kommen zu Wort. „Mich interessierten weniger ästhetische Kriterien als die Vielfalt der Stimmen.“ Der Kongo bestehe eben nicht aus einer einzigen Geschichte. Vielmehr überlagerten sich die verschiedenen Geschichten.

Auch Muambas Biografie gleicht erst einmal einem verwirrenden Puzzle: Als Jugendlicher hatte er noch enthusiastisch die Unabhängigkeit des ehemaligen Belgisch-Kongo gefeiert. Später studierte Muamba in Europa und kehrte in den siebziger Jahren nach Kongo-Zaire zurück, um dort als Mitbegründer und Direktor des Verlages „Les Presses Africaines“ das kulturelle Leben seiner Heimat zu bereichern. Nach dem Erscheinen seines Novellenbandes „Ventres Creux/Hohle Bäuche“ allerdings kam er in Konflikt mit dem totalitären Regime Mobutus. Seine kritischen Äußerungen beim Festival der Weltkulturen „Horizonte“ 1979 in Berlin besorgten den Rest: Gut informierte Bekannte warnten ihn, eine Rückkehr in den Kongo könne Gefahr für Leib und Leben bedeuten.

Muepu veröffentlichte daraufhin im Heidelberger Exil ein Buch mit dem programmatischen Titel „Devoir d’ingérence“ – Pflicht zur Einmischung. Der beißend-satirische Ton seiner Aufsätze und Gedichte brachte ihm auch nach dem Sturz Mobutus kaum neue Freunde in der kongolesischen Kleptokratie ein. Mit Schrecken erinnert sich der Schriftsteller an seine Beinahe-Rückkehr in die alte Heimat, Juli 2006. Der junge kongolesische Präsident Joseph Kabila schien zu Reformen bereit, freie Wahlen standen unmittelbar bevor. Bapuwa Muamba, ein Journalist und guter Freund Muepus aus gemeinsamen Zeiten im Pariser Exil, war bereits vorausgefahren. Unmittelbar nach der Veröffentlichung eines (in „Moyo“ abgedruckten) kritischen Artikels über das Scheitern der Politik der kongolesischen Übergangsregierung in der oppositionellen Tageszeitung Le Phare wurde dessen Autor von drei Bewaffneten in seinem Haus erschossen. „Ich war geschockt, dass Journalisten und Schriftsteller im Kongo immer noch als Freiwild behandelt werden“ sagt Muamba. Heute begreift er sich als Teil einer immer selbstbewusster auftretenden Diaspora. Kongolesischer Frühling – Muamba mag das Wort nicht in den Mund nehmen. Aber wenn er von lokalen politischen Bürgerinitiativen erzählt, von gesellschaftlich engagierten Künstlern, Comic-Zeichnern, Schriftstellern und dem Auftrieb, den sie zuletzt durch erfolgreiche demokratische Protestbewegungen wie etwa im Senegal erhalten haben, dann ist klar, dass er das Exil nicht als Endpunkt betrachtet.

„Die Zukunft eines Landes“, sagt Muamba, „liegt in der Fähigkeit seiner Bewohner, sich eine Utopie zu erfinden, die diese Zukunft tragen kann.“ Deshalb dürfe man die kongolesische Literatur und auch die Ansätze zu einem eigenen Kino nicht unterschätzen: Der Schriftsteller spricht – in Anlehnung an ein kongolesisches Sprichwort – von der „Kraft des Träumens“. Die Kongolesen seien stets große Träumer gewesen. Dafür sprächen die politischen Visionen eines Patrice Lumumba genauso wie die absurden Weltraum-Programme von Sese Seko Mobutu. Die Regierenden von heute aber hätten die Bedeutung der Kultur vergessen. „Nur sie erlaubt uns, ein Bild von uns selbst zu schaffen, anstatt die Zerrbilder von außen zu übernehmen.“ So darf man die Anthologie „Moyo“ auch als Versuchsfeld verstehen, ein Laboratorium für neue glaubwürdige Selbstbilder. Geschichten können die Würde eines Menschen zerstören“, zitiert Muamba die Schriftstellerin Chimamanda Adichie Ngozi. „Geschichten können aber auch die zerstörte Würde eines Menschen wieder herstellen.“

JONATHAN FISCHER

SZ 17.9.2014