Eritrea gehörte bis jetzt zu den wenigen weißen Flecken auf der Landkarte der Weltmusik. War doch das kleine Land an der Nordostküste Afrikas viel zu sehr damit beschäftigt, die eigene Existenz zu sichern und seine Unabhängigkeit in einem Krieg gegen Äthiopien zu verteidigen, als dass der Kulturexport eine Rolle gespielt hätte. Einheimische Musik kursierte bestenfalls auf schlecht kopierten Kassetten, während ein repressives Regime westliche Entwicklungshilfe wie den popmusikalischen Austausch mit dem Ausland erschwerte.
Und doch mag eritreische Musik für Pophörer hierzulande einen durchaus vertrauten Klang haben: Ähnelt sie doch dem Ethiopop, jener pentatonischen Musik, die Jim Jarmusch als melancholischen Soundtrack für „Broken Flowers“ popularisierte und die inzwischen von Dutzenden hipper Funk-Ensembles zwischen New York, London und München erfolgreich adaptiert wird. Nicht zuletzt feierte ihr größter Star Mulatu Astatke in den letzten zwei Jahren ein fulminantes Comeback auf westlichen Bühnen. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass auf den von Astatke und Kollegen eingespielten klassischen Ethiopop-Aufnahmen der sechziger, siebziger Jahre viele eritreische Musiker mitwirkten und der Big-Band-Sound von „Swinging Addis“ seine Inspiration auch aus Asmara bezog.
Nun präsentiert sich die gegenwärtige Popszene Eritreas zum ersten Mal selbst: „Eritrea Got Soul“ heißt der Sampler. Und wenn die Werkschau auch unter dem Namen Asmara All Stars firmiert: Die Konstante bildet eine bis zu vierzehnköpfige Backing Band mit Orgel, Gitarren, Bläsersatz, die eine Reihe unterschiedlicher Sänger und Rapper begleitet. Auch wenn das Album nicht an die verstaubte Nostalgie der vier Jahrzehnte zurückliegenden Ethiopop-Klassiker anschließt – der soullastige Stil der Siebziger ist noch hörbar präsent. So entwickelt sich die Abgeschiedenheit des ostafrikanischen Landes doch noch zu einem Standortvorteil. Wo sonst hätte man eine solch dichte, atmosphärische, von allen Modespleens unangetastete Melange aus Funk, Soul, Jazz und traditioneller Musik einfangen können?
So dachte jedenfalls Bruno Blum. Als der französische Bluesgitarrist und Produzent 2006 von den eritreischen Behörden für ein Reggae-Konzert im französischen Kulturzentrum in Asmara eingeladen wurde, überzeugte er diese anschließend von seinem Plan, die größten Talente des Landes zusammenzubringen und für ein westliches Publikum aufzunehmen. Blum erbat sich dabei vollkommene künstlerische Freiheit.
So repräsentiert er auf den dreizehn Songs acht der neun Landessprachen und bringt etwa den Superstar der Tigray-Region, Ibrahim Goret, mit seiner Oud zu Gehör – neben vielen anderen Sängern, die entgegen dem sozialistischen Selbstverständnis des Landes, nicht in Staatsdiensten stehen. Der größte Unterschied zu den Ethiopop-Aufnahmen? Möglicherweise die Vorliebe der Eritreer für Rootsreggae, neben dem phantastischen Nuancenreichtum dieser traditionsbewussten, elektrischen Musik.
Traurige Balladen wechseln mit auftriebigen Dancehall-Rap-Stücken, nach Bob Marley tönende Reggae-Nummern mit Neuinterpretationen eritreischer Klassiker wie „Wushate“. Hier schwebt die Stimme der Sängerin Brkti Weldeslassie über einem träge rockenden Gitarren-Blues. Auch sonst bleibt der Sound angenehm roh. Eritrea hat endlich zu einer eigenen Stimme gefunden. Und die swingt gewaltig.
JONATHAN FISCHER.
FAZ 21.4.2011
Asmara All Stars, Eritrea Got Soul.
Out Here Records 5519453 (Indigo)