Monatsarchiv: Mai 2022

Senegal findet den Superstar

In Senegal gibt es eine reiche Kulturszene, doch keine entsprechende Infrastruktur. Da half nun das deutsche Goethe-Institut – und organisierte einen Talentwettbewerb.

Eine Reportage von Jonathan Fischer, Dakar

„Me and my homies“, diese paar Fetzen Englisch stechen aus den auf Wolof-Diola-Französisch vorgetragenen Raps von PB Style hervor wie der Nike-Swoosh unterseinem traditionellen afrikanischen Umhang. Immer wieder schleudert der Rapper seine Verse über den Groove der Liveband, bevor der musikalische Direktorabwinkt: „Nochmal, der Einsatz muss stimmen …“Im Théàtre National Daniel Sorano im Herzen der senegalesischen Hauptstadt Dakar proben seit Tagen bereits drei Tanzkompanien, drei Theaterensembles und vier Musiker für das Finale von Sunu Talents, einem mit deutscher Hilfe organisierten landesweiten Wettbewerb. Es ist so etwas wie Senegal sucht den Superstar, nur ohne RTL. Das Finale aber wird live übertragen, im senegalesischen Fernsehsender 2sTV. Sunu Talents heißt auf Wolof so viel wie „unsere Talente“.Die kommen aus Saint-Louis, aus Thiès, aus Saloum. Oder aus der Casamance, der ländlichen Gegend im Süden des Senegals, die nach dem gleichnamigen Flussbenannt ist und als Krisengebiet gilt. Niemand von ihnen, das sagen sie alle, hätte sich jemals vorgestellt, hier vorprächtiger Kulisse aufzutreten, vor Fernsehkameras und bei den Proben bereits Dutzenden Journalisten. Die Aufregung ist groß. Im Vorraum zum großen Theatersaal mit seinen samtbezogenen Sitzreihen schminken sich Schauspielerinnen, werden Instrumente gestimmt, fliegen Komplimente und Frotzeleien hin und her. Gesangscoaches dirigieren die Parts des gemeinsamen Motto-Songs. Ein Choreograf klebt Markierungen auf die Bühne. Und der Lichttechniker, dessen seit Tagen erarbeitete Einstellungen auf dem antiquiertenanalogen Equipment verlorengingen, ruft leicht entnervt noch einmal Szene für Szene auf. Der feierlichen Stimmung aber tut das keinen Abbruch.

Der Wettbewerb nutze die Ökonomie der Aufmerksamkeit, sagt Philip Küppers,der Direktor des Goethe-Instituts in Dakar, im Theater abseits der Generalprobe.“Der Senegal ist zentralistisch auf Dakar ausgerichtet, so gut wie alle Infrastrukturkonzentriert sich hier“, sagt Küppers. „Der kulturelle Reichtum des Landes aberliegt vor allem in den Regionen.“Küppers, ein schlaksiger Typ mit verschmitztem Jungs-Lächeln, scheut kein offenes Wort: Klar bekäme er immer wieder zu hören, warum denn deutsche Steuergelder bitte die Partys senegalesischer Musiker finanzieren sollten. Was fürein paternalistisch eingefärbtes Missverständnis! Es gehe vielmehr darum, alsPartner aufzutreten, Künstlerinnen und Künstlern eine nationale und womöglich gar internationale Perspektive zu geben. „Es gibt eine riesige Kluft zwischen der Szene im Senegal und dem Organisationslevel des deutschen Kulturbetriebs“, sagt Küppers. Also leiste er nun hier Vorarbeit. Küppers kennt sich damit aus, wie Kultur und vor allem Musik Menschen verbindet. Bevor er beim Goethe-Institut anheuerte, hat er für die Weltmusikmesse WOMEX gearbeitet, in Kabul eine Musikschule aufgezogen, HipHop-Filme in Brasilien gedreht und Musiker aus der ganzen Welt zum Projekt Africourage in Gambia zusammengebracht. Sunu Talents ist vor allem Küppers Idee und zugleich der Testlauf für ein Kulturförderungsprogramm namens „Stimmen des Landes“. Küppers sagt: „Wir nutzen deutsches Medien- und Organisations-Knowhow, um senegalesische Künstler aus dem Off ins Rampenlicht zu rücken, um den unterrepräsentierten Regionen eine Stimme zu geben“. Küppers ist kein white saviour, er ist vor allem jemand mit einer spezifischen Expertise, die sich praktisch anwenden lässt, wo sie(noch) nicht vorhanden ist. Und er hat ein Budget dafür zur Verfügung.“Stimmen des Landes“ könnte der Kulturszene des Senegal einen lange erhofften Anschub geben. Statt irgendwelche plakativen Auftritte mit deutschen Gästen zu veranstalten, hat sich das Goethe-Institut in Dakar zum Ziel gesetzt, für die Menschen vor Ort etwas aufzubauen. Entwicklungskooperation also mit Nachhaltigkeitseffekt. Es könnte ein für Afrika beispielhaftes Modell werden.Küppers erzählt von seiner Erfahrung, dass es in den senegalesischen Regionen zwar ein ungeheures Potential an kulturellen Traditionen gebe – aber wederMusikschulen noch anständige Studios oder Veranstaltungsorte, um die Künstlerinnen und Künstler auch angemessen in Szene zu setzen. Deshalb reiche es nicht, Talente zu fördern. Man brauche auch Infrastruktur. So finanziert das Goethe-Institut einen professionellen Studiengang für Toninginieure in Dakar und mehreren Regionalstädten und hat zwei Dutzend senegalesischer Kulturjournalisten im Rahmen eines „Journalistischen Salons“ Weiterbildungen angeboten. „Wir vergessen oft“, sagt Küppers, „dass die Wertschätzung eines Künstlers eben auch von kompetenten Technikern und Journalisten abhängt.Kultur ist nur so gut wie seine Präsentation.“Bei Sunu Talents sollten alle Rahmenbedingungen stimmen. Über die sozialen Medien erreichte die Idee auch Leute vom Land wie den Rapper LPS Boy de Thianaff, der mit solarbetriebenen Laptops arbeitet und für eine gute Tonaufnahme erst in die nächste Stadt reisen muss. Über 300 Bewerbungen gingen ein. Einerseits von Menschen, die ihre Wettbewerbssongs zum Teil mit ihrem Handy auf der Bettkante sitzend aufgenommen hatten; andererseits Musiker, Tänzerinnen und Theaterensembles, die bereits einen gewissenregionalen Ruhm mit sich brachten.50 der Bewerber erhielten Stipendien von jeweils 400 Euro für ein professionell gemachtes Video. „Da sind coole Sachen entstanden“, schwärmt Küppers, „dieman so vorher noch nie gesehen hat“, nachzuschauen sind sie auf der Sunu-Talents- Website des Goethe-Instituts. Eine sechsköpfige heimische Jury unterPatenschaft von Sänger Baaba Maal, Rappern und Veteranen der Theater- und Tanzszene entschied über das Weiterkommen. Nach der nächsten Runde blieben21 Künstler und Ensembles übrig. Sie bekamen Einladungen zu lokalen Residenzen, dort wurden sie von senegalesischen Musikcoaches, Choreografinnen,Dramaturgen, Technikern betreut.

„Niemand glaubte an ein Gelingen“

Das Vorhaben schien selbst Senegal-Kennern verwegen: „Niemand glaubte an einGelingen“, sagt Küppers. „Aber am Ende sind wir mit einem Truck voller angemietetem Equipment und zwei Bussen zehn Wochen lang durch sieben Regionalstädte Senegals getourt und haben dort jeweils eine Woche Workshop veranstaltet. Und zum Abschluss hochprofessionelle Shows produziert. An Orten,die manchmal als einzige Bühnentechnik zwei Neonröhren an der Decke hängen hatten.“Es sei so gewesen, „als ob uns jemand von der Straße auf eine Weltbühne geholt hätte“, sagt Amina Diol. Mit ihren vier Kollegen und Kolleginnen von der Theatergruppe Copin’art  aus der 200.000-Einwohnerstadt Saint-Louis bestreitet sie im Grand Theatre de Dakar letzte Proben. Es wird getanzt, gestikuliert und fast schon Rap-tauglich im Chorgesprochen. Ihr Stück hinterfragt mit viel Witz die überlieferten Rollen von Mann und Frau in afrikanischen Gesellschaften, ja, was männlich und weiblich überhaupt bedeuten könnte, in Familie, Erziehung, Sprache. Die herrschenden Geschlechterverhältnisse sind ein dringliches Thema in Senegal, die Performances der anderen beiden Finalistenensembles im Theaterwettbewerb handeln von erzwungenen Ehen und der elterlichen Hausarbeitsaufteilung.“Bisher mussten wir tatsächlich auf der Straße üben“, sagt Diol. Und welche Auftrittsmöglichkeiten gab es? „Wenn wir einer Schule einen Theaterkursangeboten haben, dann haben wir das Stück am Ende gegen Eintritt im Schulhof gezeigt. Das wars dann aber schon.“ Wie die meisten senegalesischen Schauspielerinnen und Schauspieler können Diol und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter nicht von ihrer Theaterarbeit leben. Um Geld zu verdienen arbeiten sie als Busschaffner, Telefonreparateur, Verkäuferin, Verwaltungsangestellte oder Imker. Was hat Sunu Talents für sie verändert? „Wir haben uns dank des Coachings professionalisiert“, sagt Diol. Nicht nur das Selbstbewusstsein sei gewachsen. Der vom Fernsehen übertragene Auftritt im Theatre Sorano wirke auch auf den Rückhalt der Familien zurück, in Senegal ein nicht zu unterschätzender Faktor.“Obwohl das Theater über die Griots eine lange Tradition bei uns hat, kritisierten uns viele der Älteren. Jetzt werfen sie uns nicht mehr vor, unsere Zeit zu vergeuden“. Die Mitglieder von Copin’art hat das in ihren Träumen beflügelt, genauso wie die von References aus Saint-Louis und die von Etoiles de Saloum.

Alhamdulillah. Lob sei Gott!

Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Partner des Goethe-Instituts bei der Durchführung von Sunu Talents, hat einen attraktiven Preis ausgelobt, die Sieger gewinnen eine Tour durch ganz Senegal mit Aussicht auf internationale Engagements. Einige der Finalisten haben schon vor Sunu Talents von deutscher Entwicklungskooperation profitiert. Etwa Roger Sarr, ein Tänzer aus Saint-Louis, der mit Hilfe des GIZ-Programms „Reussir en Senegal“(„Erfolgreich sein im Senegal“) Workshops für Jugendliche anbietet. „Eine ganze Generation von Jugendlichen im Senegal ist mit HipHop infiziert“,sagt der drahtige Tanztrainer. Die Jugendlichen nähmen selbst stundenlange Fußmärsche in Kauf, nur um etwas über Beatmaking, Graffiti oder Breakdance zu lernen. Zusammen mit Aly Johnson und Ibrahima Ndiaye vom Breakdance-Duo Idol Boyz aus Thiès sitzt Sarr gerade über Hühnchen und Reis in der Kantine des Nationaltheaters. „Wir sehen uns nicht nur als Tänzer, sondern auch als gesellschaftliche Sprachrohre“, sagt Ndiaye. Die fünfminütige Tanzperformance der Idol Boyz handelt von der klandestinen Migration per Piroge Richtung Europa.“Das Schicksal der vielen Ertrunkenen berührt uns sehr“, sagt Ndiaye. Nur sei die Frage, wie realistisch die Träume derjenigen seien, die etwa aus Senegalaufbrechen. „Wir erzählen in unserem Stück von denjenigen, die vielleicht einDiplom gemacht haben, jetzt aber im Senegal keine Arbeit finden“, sagt Ndiaye:“Ein junger Mann steigt kurzentschlossen in ein Boot. Wir tanzen seine Verzweiflung und Getriebenheit. Aber dann sagen wir auch: Nein, das ist keine Lösung.“

In Tanz-Workshops in Thiès und anderen Städten vermitteln die Idol Boyz immer auch HipHop-Geschichte. Diskutieren gesellschaftliche und politische Zusammenhänge. Stiften Hoffnung: „Schau uns an“, sagt Aly Johnson, und da weiß er noch nicht, dass die Idol Boyz später zu den Gewinnern gehören werden:“Wir verdienen uns etwas mit Hühnerzucht, Tierfutterhandel und Hausreparaturen hinzu. Aber mit harter Arbeit kann man hier im Senegal bleiben und erfolgreich sein. Alhamdulillah“, Lob sei Gott.

Das Finale von Sunu Talents beginnt. Die Veranstaltung bekommt etwas von einer High-Society-Gala, aber mit der Atmosphäre eines Fußballspiels. Nationale Fernsehprominenz und Kulturgrößen sitzen im Publikum, ebenso Botschafter ausverschiedenen EU-Mitgliedstaaten. Die Stimmung aber machen die angereistenFans aus den Regionen, die ihre Leute auf der Bühne mit lautem Gejohle, Getanzeund einstudierten Songs anfeuern. Die Bewerber haben je fünf Minuten Auftrittszeit, außerdem dürfen alle Teilnehmer in einem Kurzvideo je ihre Heimatstadt (oder ihr Dorf ), die Familie und Freunde vorstellen. Dramaturgischgeschickt kommt der Musikwettbewerb zum Schluss.Da tritt dann etwa Oumar Fouta auf, ein schmaler junger Mann aus Saint-Louis, erhat eine akustische Gitarre umgehängt. Wie ein glockenheller Gebetsruf schneidetsein Gesang durch den Saal. Tatsächlich hat Fouta seinen Weg als Musiker mit derDarbietung von Korangesängen auf Familienfeiern begonnen, heute klingt seinFolk-Soul entsprechend heilig. Die Allstar-Band des Sunu-Talents-Wettbewerbs, die die Finalteilnehmer musikalisch unterstützt, unterlegt Foutas Vortrag mit einemRhythmus, der von traditionellen Instrumenten wie Kora, Ngoni und Balafon befeuert ist .Deren Klänge ergänzen auch die live eingespielten Beats der nachfolgenden HipHop-Auftritte. Thiès L’Esprit etwa trägt messerscharfe Wolof-Raps vor. Bevor LPS Boy de Thianaff die Bühne betritt, wird ein Video über sein Dorf eingespielt,aus dem bereits ersichtlich wird: LPS Boy de Thianaff präsentiert hier nicht so sehrein HipHop-Ego, er repräsentiert stolz eine lokale Kultur. Melodramatik wie gemacht für einen Fernsehabend.

Am Ende aber fliegen die Herzen der Zuschauerinnen und Juroren im Theater Daniel Sorano in Dakar PB Style alias Lasane Sane zu. Dass der den US-Rapper Kendrick Lamar] als Inspirationsquelle nennt, überrascht nur auf den ersten Blick. Denn wie sein Vorbild vereint der HipHopper aus der Casamance in seinem Auftreten wie in seinen Songs Sensibilität und soziale Militanz. In dem Video, das PB Style für Sunu Talents gedreht hat, sind seine diola-französische Raps mit traditionellen Trommelrhythmen unterlegt. Auf den Bildern sieht man den 27-Jährigen neben seiner tanzenden, Machete-schwingenden Crew durch die üppigen Palmwälder seiner Heimatstadt Bignona reiten; PB Styles Gesicht ist,ebenso wie sein Pferd, nach Art eines Initiationsritus bemalt. So verbindet das Video lokale Folklore mit einer Art, nun ja, Gang-Symbolik. Als Baaba Maal, der Schirmherr des Wettbewerbs, PB Style schließlich die Siegertrophäe für den Musikwettbewerb übergibt, laufen dem Rapper Tränen über das Gesicht. PB Style schluchzt, er braucht eine Minute, bevor er überhauptsprechen kann. „Ich widme meinen Sieg meiner Mutter, die gerade eine schwere Operation überlebt hat“, sagt er dann. „Sie hat immer an mich geglaubt. Und ichmöchte ihr etwas zurückgeben.“ Melodramatik, wie gemacht für einen Fernsehabend. Als sich der Saal leert, scheinen alle Beteiligten – ob sie nun gewonnen haben odernicht – in Siegerlaune. Im Vorraum des Theaters stehen die Besucher Schlange, umsich einzeln und in Gruppen von professionellen Fotografen ablichten zu lassen.Souvenirfotos eines gesellschaftlichen Großereignisses

Drei Tage später nimmt PB Style die tägliche Propellermaschine von Dakar nach Ziguinchor. Von der Hauptstadt der Casamance sind es dann nur noch eine halbeStunde Taxifahrt nach Hause zum verschlafenen Marktflecken Bignona. Schon auf den Straßen in Ziguinchor wird er immer wieder von Wildfremden durchs offene Autofenster angesprochen. „Danke, dass du uns repräsentiert hast“, ruft jemand,ein anderer „Du bist der Stolz der Casamance!“.Der Bezug zur regionalen Kultur war ein explizites Auswahlkriterium der Sunu-Talent-Jury für die Künstlerinnen und Künstler. Darüber hinaus repräsentiert PB als einziger Sohn seiner Eltern einen in ganz Afrika unschätzbaren moralischen Wert: Familiensolidarität. Dass er all sein Erspartes für den Krankenhausaufenthalt der Mutter ausgegeben hat, das Wohlergehen seiner gebrechlichen Eltern ganz von seinen Gelegenheitsjobs als gelernter Videotechniker abhängt, das findet der Rapper selbstverständlich.Der Zustand seines Elternhauses erweist sich dann als tatsächlich traurig. Neben dem Wohnzimmer, wo sich fadenscheinige Sofas um einen Fernseher gruppieren, befindet sich eine Ruine. Das Dach des Schlafzimmers seiner Mutter sei vor zwei Wochen eingestürzt, sagt PB Style, er habe notdürftig ein Blech über das Lochlegen lassen. Zum Glück sei seine Mutter beim Einsturz des Daches nicht im Hausgewesen, sondern unterwegs. „Mashallah“, wie Gott wollte. Nun springt seine jüngere Schwester dem heimgekehrten Sunu-Talents-Sieger in die Arme. Die Mutter zeigt auf den staubigen Hinterhof: Hier habe ihr Junge jede Nacht mitseinen Freunden Musik und Theater gespielt. „Nur wenn ich seinen Lärm höre,kann ich beruhigt schlafen“, sagt sie.

Bignona hat einen neuen Helden, und örtliche Jugendgruppen ebenso wie der Bürgermeister haben bereits feierliche Zeremonien angekündigt. PB Style aber willnoch einen Freundschaftsbesuch bei seinem Sunu-Talents-Konkurrenten LPS Boy de Thianaff absolvieren.

„Jetzt hört mir die ganze Welt zu“

Dessen Wohnort, das 200-Seelen-Dorf Thianaff, das er in seinem Rapper-Namen verewigt hat, ist nicht mal auf Google Maps verzeichnet. Wer könnte sich auch für einen derart einsamen Ort in der Casamance im Süden Senegals interessieren? Nach dreißig Kilometer Irrfahrt in das weit größere und bekanntere Thanaff findet der Taxifahrer doch noch die richtige Abzweigung. Eine Lehmpiste, die durch Sumpfgebiete und Palmwälder führt ins Hinterland. Es gibt dort, stellt sich heraus,weder fließend Wasser gibt noch Strom. Seit der Liveübertragung im Fernsehen aber weiß ganz Senegal von der Existenz Thianaffs. Dass LPS Boy de Thianaff sein Heimatdorf im Namen trägt, signalisiert HipHop-Lokalpatriotismus in der Tradition des Ausrufens der heimischen boroughs der US-Vorbilder, nur dass Thianaff eben nicht die Bronx oder South Central L.A. ist. LPS wartet, umringt von einer großen Kinderschar, im Schatteneines Mangobaums am Eingang seines Dorfes. Der Rapper und Tänzer hat seine Sonnenbrille in die Stirn geschoben, er trägt wie stets eine traditionelle Muschelkette um den Hals und seine Kopfhörer wie eine Art Helm um den Hinterkopf gezwängt. Der Aufzug könnte ihm selbst in New York Coolness-Punkte einbringen.

Doch cool ist das falsche Wort für LPS. Er strahlt über das ganze Gesicht, fällt den Besuchern um den Hals, trommelt die Nachbarn zusammen. Fünf Sekunden Händeschütteln für jeden, das ist hier das mindeste. Auf dem Weg durchs Dorffinden sich viele Teilhaber des Erfolgs. Vom Dorfladenverkäufer, bei dem früher zusammen Musik gehört wurde, bis zum Lehrer, der dem Rapper bei den Lyrics geholfen haben will. „Früher galten wir als hinterster Busch“, sagt LPS und lacht sein meckerndes Lachen. „Jetzt kommen die Stars aus ganz Senegal in unser Dorf.“ Die Stars: Damit ist vor allem PB Style gemeint, der Gewinner von Sunu Talents. Die Leute rufen ihm zu: „Wir haben dich im Fernsehen gesehen!“, „Gratuliere zum Sieg!“ oder „Ihr Zwei macht der Casamance Ehre!“. Fast jeder und jede will ein Selfie mit PB Style.

„Sie glauben, dass wir von gestern sind“

Genau eine Woche ist es her, dass die Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes hier unter dem Mangobaum um einen mit Solarpaneelen betriebenen Fernseherherum saßen. So erzählen sie es: Wie sie ihren Jungen anfeuerten, als der in seinem traditionellen muschelbestickten Kostüm wie ein Derwisch über die Bühne des Nationaltheaters in Dakar fegte. Als am Ende PB Style die Trophäe

entgegennahm, da hatten sie in Thianaff trotzdem gesiegt, weil LPS das Dorf inseinem Kurzvideo vorgestellt hatte – und damit eine vielen Senegalesen schlichtunbekannte regionale Kultur. Balant heißt die Ethnie in und um Thianaff. Sieunterscheiden sich in Sprache, Musik und Bräuchen von den Diola, zu der sich PB Style zählt.“Der Senegal ist so reich an Kulturen“, sagt PB. „International anerkannte Künstlerhaben sich bei unseren Rhythmen und Melodien bedient. Aber die Hauptstadtmedien und die Musikindustrie in Dakar ignorieren uns. Viele der Menschen dort haben Vorurteile gegen uns angebliche Hinterwäldler. Sie glauben,dass wir von gestern sind.“Auf dem Rückweg nach Bignona, PBs Heimatort, passiert das Taxi eine traditionelle animistische Heilungszeremonie. Tänzer und schreiende Menschenversperren die Straße, rennen kreuz und quer über die Fahrbahn, sobald sich zweiunter roten und braunen Faserkostümen vermummte Gestalten nähern. Sieschwingen Macheten, schießen mit Pulverflinten in die Luft. „Sie repräsentieren unsere Schutzgeister“ erklärt PB, „ihre Waffen dienen dazu, böse, krankmachende Mächte abzuschrecken.“ Als 14-jähriger habe er eine ähnliche Zeremonie mitgemacht.

PBs winziges Zimmer in einem anderen Gebäudeteil als dem mit dem eingestürzten Dach ist gleichzeitig sein Heimstudio. Neben Kühlschrank, Mikrowelle, Stereoanlage und Kleiderschrank passt gerade noch sein Bett. An der Wand ist eine Schallplatte angenagelt. Früher habe er auch Bücher besessen, vorallem von seinem Lieblingsautoren Jean Paul Sartre, sagt PB. Die aber habe er an Freunde verschenkt. Seine erste Investition gelte nun seiner Musik. Bisher habe er alles mit der Musiksoftware Fruity Loops (die mittlerweile FLStudio heißt) auf dem Computer gebastelt, sagt PB. Aber seit Sunu Talents wisse er nun, wie gut seine Songs mit einer richtigen Band klingen. Sobald das Hausrenoviert sei, werde er alle seine Musikerfreunde zusammentrommeln – um mitihnen zu üben. Zunächst für die Senegal-Tour der Sunu-Talents-Sieger. Und dann …PBs Handy klingelt, so wie seit zwei Tagen eigentlich ständig. Es ist ein Fernsehsender aus Ziguinchor. Man wolle am Samstag ein einstündiges Live-Interview mit ihm senden. Pas de probleme. Wieder klingelt es. Diesmal wirkt der Rapper aufgeregt: Ein großes Festival in Marokko habe ihn eingeladen. „Jetzt hörtmir die ganze Welt zu – dank dieser Leute von Goethe. Ich hatte ja nie gedacht, in Dakar aufzutreten. Warum also nicht demnächst bei euch?“ PB lacht und schüttelt seinen Rasta-Zopf. Der Titel seiner Welt-Tournee stehe zumindest schon fest: „VonBignona nach Berlin“