Inna Modja darf man als vorbildliche Migrantin bezeichnen. Vor 15 Jahren war die junge Frau zum Literaturstudium aus Malis Hauptstadt Bamako nach Paris gekommen, inzwischen kennt wohl jeder Franzose ihr Gesicht. Sie arbeitete als Model, hat als Duettpartnerin schon mal einen Hit des Chansonniers Jason Mraz befeuert und ist mit einer Rolle in der populären französischen Fernsehserie Pendant ce temps eine nationale Berühmtheit geworden. Eine Karriere als all-französisches Popsternchen also. Was hätte ein Mädchen aus einem bettelarmen Land, in dem die Frauen den Tag mit Wasserholen beginnen und weniger als ein Drittel der Bevölkerung lesen und schreiben gelernt hat, mehr wollen können?
Und doch wechselt Inna Modja auf ihrem jüngsten Album radikal die Richtung: In Motel Bamako zeigt sich die 32-Jährige als Feministin und Polit-Kämpferin. »Die Situation in meiner Heimat lässt mir keine Ruhe«, sagt sie. Und fordert für die von Dschihadisten bedrohten Frauen in Nordmali »unsere Freiheit, unsere Kraft und unsere Träume« zurück.
Zwei Alben hat Inna Modja bislang veröffentlicht, die sie eher als radiotaugliche Pop-Soul-Chanteuse etablierten denn als Revoluzzerin. Ihren größten musikalischen Erfolg feierte sie 2011 mit einem ebenso eingängigen wie belanglosen Sommerhit: French Can Can. Das Image des singenden Models hätte wohl auch weiterhin funktioniert. Die Malierin aber sieht darin nur eine Station ihrer Selbstfindung. »Ich wollte beweisen, dass ich es als afrikanische Künstlerin auch außerhalb der Afrika-Klischees schaffen kann.« Immerhin habe sie, so erklärt die als Inna Boucum geborene Tochter malisch-guineischer Eltern, ihren Spitznamen ihrer Dickköpfigkeit zu verdanken: Modja bedeute auf Fula »eine, die nicht folgt«. Prompt wirkt die schmale Frau mit dem wilden Afro gar nicht mehr brav und mischt, was bisher kaum zusammenfand: Mandinka-Musik und Soul, Wüstenblues und Hip-Hop, afrikanische Tradition und feministisches Selbstbewusstsein.
Inna Modja ist nicht die Erste, die sich an die Verbindung zwischen von jahrhundertealter westafrikanischer Musik und westlichem Electro-Soul wagt. Doch selten klang das Ergebnis so leichtfüßig wie auf Motel Bamako, nie hatte es mehr Pop-Appeal. Drei Jahre lang arbeitete sie mit dem Produzenten Stephen Budd an der künstlerischen Umsetzung. Inna Modja nahm das Album in Bamako wie auch in Paris auf. Zum Schluss bat sie Krazy Baldhead vom Hipster-Label Ed Banger um einen Touch Electro-Untergrund – ein wunderbarer Kontrapunkt zu ihrer eigenen lasziven Soulstimme: Da riffen pentatonische Gitarren über Electro-Grooves, interpunktieren Balafon-Klänge Hip-Hop-Rhythmen, schleichen sich Fula-Flöten und Kora-Harfen in die Loops großer Popmelodien. Und manchmal wechselt Inna Modja gar vom Englischen zu Bambara-Raps.
In den Texten dreht sich alles um ihre alte Heimat. In Speeches macht sich die Sängerin über die Willkür afrikanischer Staatenlenker lustig. Und beschwört ihre Landsleute in Sambé, nicht das Feiern zu vergessen. Songs wie Water, Going Home und Tombouctou zeigen, für wen Inna Modjas Herz schlägt: für die malischen Frauen, die auf den Feldern schuften müssen und nach dem Willen islamischer Extremisten nicht mehr tanzen und Berufe lernen sollen. »Timbuktu, wo die Familie meines Vaters lebt, war einst ein Ort der großen Gelehrten, Schriftsteller und Kulturschaffenden. Heute ist es eine Kriegszone, in der besonders Mädchen und Frauen misshandelt und missbraucht werden.«
Ganz bewusst hat Inna Modja das Video zu Tombouctou im Fotoatelier des berühmten Fotografen Malick Sidibé gedreht. Hier entstanden in den sechziger und siebziger Jahren Porträts, die die Jugend von Bamako beim Aufbruch in die Moderne zeigten. Diesen Optimismus will sie wieder wachrufen. Im Video posiert sie zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter, als Sinnbild dafür, dass »es genug Frauen gibt, die nicht wegschauen und schweigen«.
Afrika, sagt Inna Modja, kenne viele Feministinnen. »Es ist mein größtes Anliegen, dass junge Mädchen zur Schule gehen können, dass sie einen Beruf erlernen und selbstständig sind.« Wie könne man sonst als Frau jemals unabhängig sein? Auch die Tradition der Beschneidung – Inna Modja selbst wurde als Kind von Verwandten entführt und beschnitten – greift sie in ihren Texten an. Am meisten aber provoziert sie mit dem Single-Cover von Tombouctou. Es zeigt die Sängerin nackt in Kauerstellung, die untere Gesichtshälfte von einem Tuch verdeckt. »Wenn Frauen in Afrika sehr wütend sind, dann reißen sie sich auf der Straße die Kleider vom Leib. Dafür steht dieses Foto.«
Die Songwriterin Inna Modja, das merkt man, ist in beiden Welten zu Hause, der afrikanischen und der westlichen. Den Titel Motel Bamako, erklärt sie, habe sie als Hommage an ihren Lehrmeister Salif Keïta gewählt. Mit dessen kubanisch-malisch swingender Rail Band hatte sie schon als junges Mädchen gejammt. Später orientierte sie sich mehr an Hip-Hop, Disco und Soul. Jetzt steht Motel Bamako für einen Aufbruchsgeist, den sie mit ihren Albumgästen teilt: Sowohl der kongolesisch-belgische Rapper Baloji als auch dessen malisch-französischer Kollege Oxmo Puccino haben Hip-Hop neu buchstabiert, ihn mit weichem, vielsprachigem Flow sozusagen afrikanisiert.
Zusammen repräsentieren sie das Selbstverständnis einer neuen Generation von Migranten. Die sprichwörtliche afrikanische Feierfreude trifft auf ein neues politisches Selbstbewusstsein. »Im Westen«, sagt Inna Modja, »habe ich gelernt, meinem freien Willen zu folgen. Aber Afrika hat mich gelehrt, die Wirkung von Musik nicht zu unterschätzen. Ein guter Song kann mehr bewegen als jede Präsidentenrede.«
JONATHAN FISCHER
Die Zeit , 13.10.2016