Self Jupiter schaut ratlos. Kanye West? Jay-Z? „Ich höre keinen Hip-Hop,“ behauptet der massige Rapper der Freestyle Fellowship. „Auf meinem iPod laufen Monk, Miles und Dizzy, warten Sie mal kurz, Herbie Hancock und die Delfonics sind auch drauf . . .“ Man möchte es dem gutmütigen, stets zu einem jovialen Lachen aufgelegten Hünen fast glauben. Wäre Hip-Hop unser Planetensystem, dann würde die Freestyle Fellowhship wie ein Meteorit sämtliche Umlaufbahnen kreuzen, hier und da etwas splittern, eine Wolke Sternenstaub aufwirbeln, und doch der Schwerkraft der viel plumperen, größeren Gestirne geschickt ausweichen. So leichtfüßig und gewitzt wie auf ihrem Album „The Promise“ hat man schon lang niemand mehr rappen gehört. Nach zwei Jahrzehnten, die er zumeist wegen bewaffneter Raubüberfälle hinter Gittern verbrachte, sprüht Self Jupiter nun wie eine gut geschüttelte Sprudelflasche: Geballter Wortwitz. Manische Wucht. Wahnsinns-Flow. Nichts langweilt mehr als ein paar Veteranen, die sich auf dem Nostalgie-Karussell im Kreis drehen – Freestyle Fellowship aber klingen wie die Klasse von 2011, sie agieren im Umfeld der jungen Elektronik-Künstler des Low End Theory Club, ihre Reime ziehen weit über die Straßen von LA hinaus Richtung Outa Space. Es ist die wilde, experimentierlustige Mixkunst, die Hip-Hop von Anfang an gewesen ist, und an deren Euphorie „The Promise“ erinnert: Mit Seventies-Soulschmelz, Scat-Gesängen und mal jazzig-verspielten, mal dreckig-schleifenden elektronischen Beats.
Anfang der neunziger Jahre gehörten Jupiter Self, Myka 9 und Aceyalone, drei rappende Schulfreunde aus South Central Los Angeles, zu den Stammgästen des Good Life Cafe: Dessen Open Mic-Abende sind legendär. Zu Gemüsesäften und gesundem Essen etablierte sich hier eine alternative Westcoast-Szene, mit Gästen wie Snoop Dogg, Kurupt, dem jungen Ice Cube, The Pharcyde oder Pigeon John. Die Show aber stahl regelmäßig die um P.E.A.C.E und DJ Kiilu Grand erweiterte Freestyle Fellowship. Sie dehnte die Grenzen des MCing, brachte surreale Reime ins Spiel – und beeinflusste mit ihrem expressivem Stil so gut wie jeden Rapper. Ihr Debütalbum „To Whom It May Concern“ klang wie ein Jazz-Picknick mit Sun Ra in South Central. So versponnen wie virtuos befeuerten sich da Worte, Sätze und Samples, trafen Bibel-Stellen auf den Moonwalk, erzählte man von Comic-Figuren und dem Übernachten auf Parkbänken. Nichts war zu albern, nichts zu heilig für ein Wortspiel, einen Binnenreim: „Mr. George Bush was on my floor/cracked out butt naked/ watchin’ the Cosby Show/ hey little rascals eddie haskell/ black eyed peas with a lot of tabasco…“.
Tatsächlich kommt Self Jupiter vom Jazz: Der Großvater war Bandmitglied bei Duke Ellington, der Vater Jazz-Saxophonist, er selbst ist auf den Namen Ornette getauft. Als Jugendlicher dealte er mit Drogen – und begeisterte sich für die Last Poets. „Ich hatte Party-Reime und Beleidigungsverse à la The Dozens auf der Pfanne. Von ihnen lernte ich Politik – und begann wie ein Scat- oder Jazzsänger zu rappen.“
Und doch passte die Freestyle Fellowship nie richtig in die Jazzrap-Schublade: Hier waren keine kiffenden Veganer mit einer Abneigung gegen Schimpfwörter am Werk, sondern Ghetto-Schlitzohre, die „ein paar Zeilen für unsere weißen und asiatischen Freunde drauf hatten, und andere Zeilen für die Hood, für die Bloods and Crips“. Wenn ein Typ wie Jupiter Self es fertigbrachte, während einer Tournee einen bewaffneten Laden-Raub zu begehen, und Myka 9 nebenbei als Ghostwriter für NWA tätig war, dann stimmt wohl die Binsenweisheit, dass man die härtesten Gangster nicht unbedingt an ihren Posen erkennt. Heute aber sind sie einflussreicher denn je: Jupiter Self bastelt gerade mit dem jungen Electro-Tüftler Kenny Segal an einem Solowerk, während sich die Low End Theory-Rapper Busdriver, Nocando und Open Mike Eagle als direkte Erben der Fellowship bekennen.
Schon der Album-Opener „We Are“ erinnert mit UFO-Synthesizern und ätherischen Glockenspielen an ein Raumschiff aus der LET-Galaxie. Mit jedem Track dreht sich der Funk-Kreisel höher: Verzerrte Keyboards, orientalische Gesangs-Samples, E-Gitarren, eine verlorene Querflöte. Gelächter. Allein das von Exile produzierte „Step 2 The Side“ bringt mehr Drama als die meisten Rapper auf Albumlänge. Und wenn das fiese Computerspiel-Gehacke von „Ambassadors“ oder das mit klassischen Geigen und Tiefstbässen unterlegte „Gimme“ schon musikalisch Sensationen sind, setzen ihnen die Raps der Freestyle Fellowship die Krone auf. Selbst die Last Poets bekommen auf „Government Lies“ ein Update: Erst a cappella, dann türmen sich die Beats immer bedrohlicher auf. Der Genuss liegt im Flow. Ansonsten aber zeichnet „The Promise“ ein eher tiefsinniges und düsteres Bild. Der letzte Track („Popular“) rechnet zu gezupften Gitarren mit den Träumen vom Ruhm ab. Sollte das Charts-Publikum – mal wieder – ein Meisterwerk verschlafen, bleibt doch eine Gewissheit: Der Meteoriten-Schweif dieses Quartetts wird den HipHop-Himmel noch auf Jahre hinaus erleuchten.
JONATHAN FISCHER
SZ 29.11.2011