Monatsarchiv: November 2011

Neuer Flow statt alte Schule: Das starke Comeback der „Freestyle Fellowship“

Self Jupiter schaut ratlos. Kanye West? Jay-Z? „Ich höre keinen Hip-Hop,“ behauptet der massige Rapper der Freestyle Fellowship. „Auf meinem iPod laufen Monk, Miles und Dizzy, warten Sie mal kurz, Herbie Hancock und die Delfonics sind auch drauf . . .“ Man möchte es dem gutmütigen, stets zu einem jovialen Lachen aufgelegten Hünen fast glauben. Wäre Hip-Hop unser Planetensystem, dann würde die Freestyle Fellowhship wie ein Meteorit sämtliche Umlaufbahnen kreuzen, hier und da etwas splittern, eine Wolke Sternenstaub aufwirbeln, und doch der Schwerkraft der viel plumperen, größeren Gestirne geschickt ausweichen. So leichtfüßig und gewitzt wie auf ihrem Album „The Promise“ hat man schon lang niemand mehr rappen gehört. Nach zwei Jahrzehnten, die er zumeist wegen bewaffneter Raubüberfälle hinter Gittern verbrachte, sprüht Self Jupiter nun wie eine gut geschüttelte Sprudelflasche: Geballter Wortwitz. Manische Wucht. Wahnsinns-Flow. Nichts langweilt mehr als ein paar Veteranen, die sich auf dem Nostalgie-Karussell im Kreis drehen – Freestyle Fellowship aber klingen wie die Klasse von 2011, sie agieren im Umfeld der jungen Elektronik-Künstler des Low End Theory Club, ihre Reime ziehen weit über die Straßen von LA hinaus Richtung Outa Space. Es ist die wilde, experimentierlustige Mixkunst, die Hip-Hop von Anfang an gewesen ist, und an deren Euphorie „The Promise“ erinnert: Mit Seventies-Soulschmelz, Scat-Gesängen und mal jazzig-verspielten, mal dreckig-schleifenden elektronischen Beats.

Anfang der neunziger Jahre gehörten Jupiter Self, Myka 9 und Aceyalone, drei rappende Schulfreunde aus South Central Los Angeles, zu den Stammgästen des Good Life Cafe: Dessen Open Mic-Abende sind legendär. Zu Gemüsesäften und gesundem Essen etablierte sich hier eine alternative Westcoast-Szene, mit Gästen wie Snoop Dogg, Kurupt, dem jungen Ice Cube, The Pharcyde oder Pigeon John. Die Show aber stahl regelmäßig die um P.E.A.C.E und DJ Kiilu Grand erweiterte Freestyle Fellowship. Sie dehnte die Grenzen des MCing, brachte surreale Reime ins Spiel – und beeinflusste mit ihrem expressivem Stil so gut wie jeden Rapper. Ihr Debütalbum „To Whom It May Concern“ klang wie ein Jazz-Picknick mit Sun Ra in South Central. So versponnen wie virtuos befeuerten sich da Worte, Sätze und Samples, trafen Bibel-Stellen auf den Moonwalk, erzählte man von Comic-Figuren und dem Übernachten auf Parkbänken. Nichts war zu albern, nichts zu heilig für ein Wortspiel, einen Binnenreim: „Mr. George Bush was on my floor/cracked out butt naked/ watchin’ the Cosby Show/ hey little rascals eddie haskell/ black eyed peas with a lot of tabasco…“.

Tatsächlich kommt Self Jupiter vom Jazz: Der Großvater war Bandmitglied bei Duke Ellington, der Vater Jazz-Saxophonist, er selbst ist auf den Namen Ornette getauft. Als Jugendlicher dealte er mit Drogen – und begeisterte sich für die Last Poets. „Ich hatte Party-Reime und Beleidigungsverse à la The Dozens auf der Pfanne. Von ihnen lernte ich Politik – und begann wie ein Scat- oder Jazzsänger zu rappen.“

Und doch passte die Freestyle Fellowship nie richtig in die Jazzrap-Schublade: Hier waren keine kiffenden Veganer mit einer Abneigung gegen Schimpfwörter am Werk, sondern Ghetto-Schlitzohre, die „ein paar Zeilen für unsere weißen und asiatischen Freunde drauf hatten, und andere Zeilen für die Hood, für die Bloods and Crips“. Wenn ein Typ wie Jupiter Self es fertigbrachte, während einer Tournee einen bewaffneten Laden-Raub zu begehen, und Myka 9 nebenbei als Ghostwriter für NWA tätig war, dann stimmt wohl die Binsenweisheit, dass man die härtesten Gangster nicht unbedingt an ihren Posen erkennt. Heute aber sind sie einflussreicher denn je: Jupiter Self bastelt gerade mit dem jungen Electro-Tüftler Kenny Segal an einem Solowerk, während sich die Low End Theory-Rapper Busdriver, Nocando und Open Mike Eagle als direkte Erben der Fellowship bekennen.

Schon der Album-Opener „We Are“ erinnert mit UFO-Synthesizern und ätherischen Glockenspielen an ein Raumschiff aus der LET-Galaxie. Mit jedem Track dreht sich der Funk-Kreisel höher: Verzerrte Keyboards, orientalische Gesangs-Samples, E-Gitarren, eine verlorene Querflöte. Gelächter. Allein das von Exile produzierte „Step 2 The Side“ bringt mehr Drama als die meisten Rapper auf Albumlänge. Und wenn das fiese Computerspiel-Gehacke von „Ambassadors“ oder das mit klassischen Geigen und Tiefstbässen unterlegte „Gimme“ schon musikalisch Sensationen sind, setzen ihnen die Raps der Freestyle Fellowship die Krone auf. Selbst die Last Poets bekommen auf „Government Lies“ ein Update: Erst a cappella, dann türmen sich die Beats immer bedrohlicher auf. Der Genuss liegt im Flow. Ansonsten aber zeichnet „The Promise“ ein eher tiefsinniges und düsteres Bild. Der letzte Track („Popular“) rechnet zu gezupften Gitarren mit den Träumen vom Ruhm ab. Sollte das Charts-Publikum – mal wieder – ein Meisterwerk verschlafen, bleibt doch eine Gewissheit: Der Meteoriten-Schweif dieses Quartetts wird den HipHop-Himmel noch auf Jahre hinaus erleuchten.
JONATHAN FISCHER
SZ 29.11.2011

Liebeskrank – Zum 70. Geburtstag des Soulsängers Percy Sledge

Als 1965 das nasale, irgendwo zwischen Country und Kirche angesiedelte Flehen von Percy Sledge aus Radiosendern in ganz Amerika tönte, schien eine Prophezeiung in Erfüllung zu gehen: Der Southern Soul, einst eine rein schwarze Begleitmusik der Bürgerrechtsbewegung, rührte zum ersten mal Weiße und Schwarze gleichermaßen zu Tränen, schwor alle auf den Leidensgesang einer liebeskranken Männerseele ein: „When A Man Loves A Woman“. Einerseits troff dieser Soul-Donut fast unerträglich vor Schmalz. Andererseits beeindruckte er durch seine Kompromisslosigkeit. Motown hatte mit Streichern, Glockenspielen und trällernden Background-Girls den alten Blues aus dem schwarzen Pop gewaschen. Die Emotionen wurden jetzt direkt präsentiert. Die Intensität der Aufnahme schien direkt mit ihrer Schmutzigkeit zusammenzuhängen: verstimmte Hörner, eine leiernde Farfisa-Orgel und Gesangslinien, die nicht immer den Ton trafen, aber doch tief empfunden zu sein. Dem ehemaligen Krankenpfleger Percy Sledge gelang gleich mit seinem ersten Song eine Hymne für die Ewigkeit.

„When A Man Loves A Woman“ wurde ein Hit und verkaufte sich millionenfach. In den achtziger Jahren wurde er für einen Werbespot von Levi’s erfolgreich reanimiert und läuft seither als Schiebernummer-Eins auf jeder Ü-30-Party. Den Herzschmerz erträgt nur, wer Percy Sledge einen Teil seiner Seele überantwortet.

Der stets grinsende, und dabei seine breiten Zahnlücken entblößende Soulmann aus Muscle Shoals, Alabama verdankt seinen Welterfolg jedoch einer Verkettung von Zufällen. Er hatte als Ersatzmann bei einer lokalen Cover-Band namens The Esquires angeheuert, als ihn der Alkohol und die Erinnerung an eine verlorene Liebe davontrugen. „Why did you leave me baby?“, improvisierte Sledge. Vor der Bühne stand Quin Ivy, ein lokalen Produzent. Ihm gefiel die Melodie, er lud den Sänger und ein paar ortsansässige Musiker in sein einfaches Studio und lies sie am Text feilen. „Alle riefen irgendwann: Wir haben einen ,Smash-Hit‘“, erinnerte sich Sledge später, „ich wusste noch gar nicht, was das ist.“

Atlantic Records kaufte den Song. Quin Ivy und Percy Sledge waren allerdings zu blauäugig, um sich die Autoren- und Verlagsrechten teuer abkaufen zu lassen. Immerhin verschaffte die Soulballade Percy Sledge den Durchbruch in den Mainstream. Er tourte fortan vor ausverkauften Häusern durch Europa und Südafrika. Und ließ bis Mitte der siebziger Jahre einige weitere Hits wie „Warm And Tender Soul“ oder „Take Time To Know Her“ folgen. Doch „When A Man Loves A Woman“ – ein Song, der angeblich Autofahrer dazu brachte, ihren Wagen, erschlagen von so viel Emotion, am Straßenrand zu parken – gelang ihm kein zweites Mal. Seinen Ruhm schmälert das nicht: Sledges fast schon weinerlicher Gesangsstil, die Reinheit seiner Stimme, die Nonchalance mit der er seit fast 50 Jahren dieselben Songs über Einsamkeit und Betrug auf die Bühne bringt – sie prädestinieren Percy Sledge zum Symbol einer – im R’n’B längst verlorenen – Soul-Unschuld. Und ja, auch heute, an seinem 70. Geburtstag, wird er wohl auf irgendeiner Casino-Bühne stehen, um dieses Südstaaten-Soul-Gefühl zu beschwören, in dem ein gebrochenes Herz ein Zeichen männlicher Würde ist.
JONATHAN FISCHER
SZ 25.11.2011

Hip-Hop ist nicht blosse Unterhaltung: Die libanesische Rapperin Malikah provoziert das Establishment zwischen Beirut und Kairo

«Malikah» heisst auf Arabisch Königin. Die Bilder in Malikahs Video «Heik Sayra Bledna» jedoch zeigen die zierliche junge Rapperin nicht als Königin, sondern als Vamp: in bauchnabelfreien Tops, mit hochhackigen Designerschuhen; oder auch amazonenhaft mit umgehängtem Maschinengewehr posierend. Diese feminin-provokative Selbstdarstellung hätte bei Lady Gaga, Madonna oder einem westlichen R’n’B-Star niemanden überrascht. Aber bei einer arabisch-muslimischen Rapperin? Die 25-jährige Malikah aus Beirut, so viel ist klar, bestimmt selbst, wie sie sich einer Umwelt präsentiert, in der es Frauen schwer haben, angehört zu werden. Lynn Fattouh alias Malikah ist allerdings eine der respektiertesten Stimmen der arabischen Hip-Hop-Szene. Keine andere Rapperin und nur wenige männliche Kollegen haben so viel Erfolg wie sie: weil sie die Wünsche der arabischen Jugend verkörpert und international gut vernetzt ist.

Jüngst hat sie das Berliner Haus der Kulturen zum Projekt «Translating Hip-Hop» eingeladen: eine Reihe von Workshops, in denen Rapper aus fünf Metropolen sich gegenseitig ihre Songtexte übersetzten und neue Interpretationen erarbeiteten. Nach Auftritten in Manila, Bogotá, Beirut und Nairobi hatte Malikah so die Möglichkeit, im November auch in Berlin aufzutreten. Im Zusammenspiel mit Nazizi aus Kenya und Diana Avella aus Kolumbien – die drei Rapperinnen sind als Trio Lyrical Roses auf Tournee – zeigte Malikah, dass Hip-Hop allen kommerziellen Auswüchsen zum Trotz immer noch als Sprachrohr derjenigen taugen kann, die sonst keine Stimme haben.

«Für mich», erzählt Malikah im Haus der Kulturen, «brachte die Übersetzungsarbeit eine wichtige Erkenntnis mit sich: Dass wir über alle Unterschiede hinaus eine gemeinsame Agenda haben. Wir rappen alle gegen autoritäre Strukturen. Gegen religiöse und politische Sektiererei. Und für mehr Selbstbestimmung.» Arabische Rapper hatten in letzter Zeit grossen Einfluss auf die politischen Proteste in ihren Ländern und machten so die politische Sprengkraft des Genres sichtbar – auch weil sie ihre Kritik oft an der Zensur vorbeischleusten. «Zwar gilt meine Heimat Libanon als relativ liberal», sagt Malikah. «Aber wenn du über Religion oder Regierungsgeschäfte rappen willst, solltest du deine Worte mit klugen Metaphern verschleiern. In dieser Hinsicht müssen wir uns mehr bemühen als unsere westlichen Kollegen.»

Dabei wirft bereits das forsche Bühnenauftreten der 25-jährigen Beiruterin, die schon als Support-Act von Snoop Dogg auf der Bühne stand und hauptberuflich für eine Werbeagentur in Dubai arbeitet, fast alle traditionellen Rollenvorstellungen ihrer Umwelt über den Haufen. So öffnet sie mit Hip-Hop eine Tür aus dem Gefängnis der Konventionen. Und sie stellt rappend jede Menge politisch heikle Fragen: Muss eine echte Revolution nicht auch die Rechte von Frauen und Minderheiten verteidigen? Darf man Menschen nach ihrer Religion beurteilen? Und sollte die Regierung sich nicht eher vor ihren Bürgern fürchten als umgekehrt?

Wer verstehen will, was die gebildete, säkulare Jugend Arabiens denkt, findet in Malikahs Texten Antworten. Allerdings rappt Malikah unterdessen auf Arabisch. Nur in ihren Anfangstagen, sagt die Queen of Arab Hip-Hop, habe sie auf Englisch gerappt. «Der Krieg von 2006, als die Israeli Beirut bombardierten, veranlasste mich, in meine Muttersprache zu wechseln. Ich wollte einen Song für mein Volk schreiben. Eine Hymne, die jeder verstehen konnte. Im Nachhinein war diese Entscheidung die beste Wahl, was meine Karriere und meine Identität als Repräsentantin des arabischen Hip-Hops betrifft. Ich fühle mich seitdem stolzer denn je, Araberin zu sein.»

Diese Haltung mag widersprüchlich erscheinen. Stolz sein auf die arabische Kultur und gleichzeitig eine westlich geprägte Liberalität und Selbstbestimmung gegen konservative Gralshüter in Stellung bringen. Solche Spannungen sind typisch für die arabische Hip-Hop-Szene: Einerseits muss man sich gegen religiös motivierte Vorwürfe wehren. Andererseits ist man stolz auf seine arabische Identität. So preist Malikah, die als Kind algerisch-libanesischer Eltern in Marseille geboren wurde und im Schatten des Bürgerkrieges in Beirut aufwuchs, einerseits die Hip-Hop-Ahnen aus Amerika als «unser aller gemeinsame Wurzel». Andrerseits versichert sie aber: «Wir kopieren niemanden. Vielmehr schöpfen wir als Araber aus unserer eigenen Sprache und Musik.»

Bereits mit 16 Jahren hatte Malikah einen Hip-Hop-Wettbewerb gewonnen und ihren ersten Plattenvertrag unterzeichnet. 2002 eine selbst für Beiruter Verhältnisse unerhörte Geschichte. Denn Hip-Hop hatte nicht nur einen schlechten Ruf – die Macker-Szene schien den Eltern kaum das richtige Umfeld für ihre Tochter. Lynn Fattouh hatte sich allerdings längst von den Hip-Hop-Platten ihrer Brüder infizieren lassen. Ihre Rapper-Identität musste sich Malikah aus dem Nichts heraus schaffen: «Eine Frau, die nicht gerade religiöse Lieder vorträgt, also den Koran mit verhülltem Gesicht singt», sagt sie, «gilt in meiner Heimat schnell als moralisch zweifelhafte Person.» Sie habe sich als Frau deshalb doppelt anstrengen müssen, um respektiert zu werden. Heute handelt ein Grossteil ihrer Raps von weiblicher Selbstermächtigung. Und das auch, «weil die negativen Frauenbilder in der arabischen Pop-Musik uns das Leben schwermachen». Seien doch die importierten Images aus westlichen Videos auch in der arabischen Welt virulent: Frauen als tanzende, gefügige Groupies. Malikah dagegen verkörpert – erotisches Outfit hin oder her – die selbstbestimmte Macherin.

An Hass-Mails religiöser Fanatiker habe sie sich schon fast gewöhnt, sagt die Rapperin. In ihren Versen wettert sie gegen jede Form von Sektierertum: «Religion ist für mich Privatsache – sie sollte nicht den Ausschlag geben, ob du jemanden als Freund oder Feind anschaust.» Das Gegenmodell findet sie in der Hip-Hop-Szene. Hier spiele es keine Rolle, ob man Muslim oder Christ sei. Tatsächlich spüre sie heute auf ihren Tourneen – ob in Jordanien, Syrien, Marokko, Dubai oder Ägypten – den Geist der revolutionären arabischen Einheit. Auf ihrem neuen Album «Coronation» gibt sie sich entsprechend kämpferisch: Zu Beats, die arabische Kollegen wie Fredwreck (der amerikanische Produzent von Snoop Doggs Doggpound-Crew) produziert haben, erscheint sie nicht nur als Vamp und Party-Göre, sondern auch als Polit-Predigerin. «Arabischer Hip-Hop ist niemals blosse Unterhaltung», sagt Malikah. «Er bietet Jugendlichen oft die einzige Möglichkeit, ihre Meinung vorzubringen und eine freiere Zukunft einzufordern.»

«Hip hop don’t stop»

In den gegenwärtigen Zeiten politischer Umbrüche seien Live-Auftritte wichtiger als je zuvor. Vor kurzem, erzählt Malikah, sei sie in Kairo zusammen mit Lokalgrössen sowie Rappern aus Libyen, Jordanien und Palästina aufgetreten. Die Polizei wollte die Show verhindern: Sie blockierte den Eingang und verkündete, das Konzert sei abgesagt worden. «Die Mächtigen haben Angst vor uns: Weil wir die Menschen über ihre Rechte aufklären – und weil die Jugendlichen auf uns hören.» Am Ende aber fanden die Rapper einen neuen Auftrittsort – und alle Fans zogen mit. Was folgte, sagt Malikah, sei einer der aufregendsten Auftritte ihrer Karriere gewesen. «Hip hop don’t stop, hip hop don’t stop», habe das Publikum angesichts der Polizei skandiert. «Da habe ich gewusst, welche Kraft wir haben.»
JONATHAN FISCHER
NZZ 18.11.2011

Ein guter Schuss Rock’n’Roll – Der erste Roman des amerikanischen Countrysängers Steve Earle ist so süffig wie die Langversion eines großartigen Songs aus der Jukebox

Kein guter Country-Song, der nicht den unvermeidlichen Niederlagen des Lebens nachspürte: Hausfrauen, die ihren Gatten betrügen, verschmähte, im Suff sich tröstende Liebhaber, Helden, die von einer Kugel oder einem Fehltritt jäh zur Strecke gebracht werden. Steve Earle, ein in Amerika ziemlich erfolgreicher Singer/Songwriter und vielleicht der letzte glaubwürdige Rocker im Country-Business, bevölkert seine Songs bevorzugt mit solchen Verlierern. Kein Wunder, dass er die Schwachen und Gestrauchelten auch in das Zentrum seines ersten Romans stellt: „I’ll Never Get Out Of This World Alive“. Der nur allzu passende Titel entstammt einem Hit von Hank Williams – dem letztem No.-1-Hit des Country-Stars, bevor er am Neujahrstag 1953 gerade mal 29-jährig unterwegs zu einem Auftritt in West Virginia auf dem Rücksitz seines Cadillacs starb. Die genauen Todesumstände sind bis heute ein Mysterium. Fest steht lediglich: Williams hatte sich von seinem Leibarzt einen Mix aus Vitaminen und Opiaten geben lassen, um seine chronischen Rückenschmerzen zu lindern.

Earles Buch spielt im San Antonio des Jahres 1963 – wohin Hank Williams Geist seinem unfreiwilligen Sterbehelfer gefolgt ist. Das zumindest glaubt Doc Ebersole. Zehn Jahre nach dem Ableben seines berühmtesten Patienten arbeitet er als Arzt ohne Lizenz, der sich im Rotlichtviertel von San Antonio auf Abtreibungen und die Behandlung von Geschlechtskrankheiten spezialisiert hat. Docs Weg nach unten ist mit Schuldgefühlen – und Williams Countrysongs – gepflastert. Einst als Spross einer vornehmen Familie aus New Orleans zu einem Leben in der weißen Südstaaten-Bourgeoisie vorbestimmt, ist er nun in der Gosse des Straßenstrichs von South Presa gelandet. Mexikanische und schwarze Drogendealer, Junkies, Prostituierte und ungewollt Schwangere: Sie sind die Kunden der Praxis, die Doc vom Tisch eines Saloons aus betreibt. Er selbst braucht das Geld vor allem, um seine Heroinsucht zu finanzieren. Ein Ballon mit „Mexican Mud“ pro Tag – weiter reicht Docs Leben kaum noch. Mit dem ererbten Familienbesteck setzt er sich großzügige Spritzen, was ihn seinem treuen Freund näher bringt: dem Geist Hank Williams. Sobald Doc high ist, spricht Hank zu ihm: „Wie immer fängt die Stimme leise an, ist aber nicht sanft, sondern subtil und kratzig wie feinkörniges Sandpapier. ,Na komm schon, Doc. Kannst du mir nicht aushelfen? Mein Rücken bringt mich um!‘ ,Du bist längst tot!‘, bellt Doc. ,Jetzt lass mich zufrieden!‘“

Auch wenn Hanks Kommentare – sie durchziehen das Buch als kursiv gesetzte Stimme – dem gefallenen Mediziner auf die Nerven gehen: Die beiden verstehen sich wie ein altes Ehepaar. Bis die junge Mexikanerin Graciela auftaucht. Nach einer Abtreibung, bei der sie beinahe gestorben wäre, bleibt das illegal eingewanderte Mädchen in Docs Absteige und geht ihm als Assistentin zur Hand. Ihre Schönheit hat etwas Ätherisches – und schlägt den alternden Arzt gerade deswegen in ihren Bann. Graciela erinnert ihn an einen verschütteten Teil seiner Selbst. Seine Unschuld. Die Möglichkeit, Sünder als verirrte Suchende zu sehen. Anfangs widerwillig und auch beschämt, später von ihrem wortkargen Einverständnis beflügelt, lässt Doc sie die Junkie-Logik seines Lebens aufbrechen. Selbst seine Depression scheint nicht mehr unheilbar: „Doc fluchte, und Graciela betete. An manchen Abenden wateten sie buchstäblich im Blut, und die Schreie der Patienten klangen ihnen noch lange nach Beendigung der Operation in den Ohren, aber Doc fluchte weiter und Graciela betete und bisher war ihnen nicht ein einziges Leben durch die Finger geglitten.“ Mehr noch: Das mexikanische Mädchen verfügt über paranormale Fähigkeiten. Sie kann als Einzige Hanks Geist sehen, heilt durch Handauflegen und steigt zur geheimen Heiligen des South Presa Strip auf.

Steve Earle stellt Graciela als Lichtgestalt dem unerlösten Genörgel von Hanks Geist entgegen. Hier der Zyniker, dort die selbstlose Helferin. Hier der Fluch eines ewigen Mangelgefühls – dort die stille Kraft der Tat. Dabei streift der Roman in den Kitsch-Farben des Altars unserer lieben Frau von Guadalupe die Welt des mexikanisch-katholischen Heiligenkults. Er führt den Leser in dunkle Kirchenräume, erfüllt von ekstatischem Gebetsgemurmel und dem Geflacker Hunderter Votivkerzen. Er lässt Sagengestalten durch Gracielas Bewusstsein spuken, erzählt von Patienten, die nach einer Begegnung mit ihr den Straßenstrich wundersam geheilt verlassen. Nachdem Graciela ihr Handgelenk an einem Zaun aufschneidet, als sie der von ihr angebeteten Jaqueline Kennedy einen Tag vor der Ermordung ihres Gatten in Dallas zuwinkt, schließt sich die Wunde nicht mehr. Ein Stigma, das auf den fruchtbaren Boden der Wundergläubigkeit trifft – und einen Gegenspieler auf den Plan ruft: den jungen irischen Priester Paddy Killen. Der ehemalige Boxer will Graciela aus zweifelhaften Motiven zur Heiligen ausrufen lassen, und versucht sie, mit allen Mitteln in seine Gewalt zu bekommen.

Wenn der Autor diesen Bösewicht – und damit die Amtsanmaßung der katholischen Kirche – als zentrales Thema in der zweiten Hälfte seiner Geschichte einführt, hat er auch eine moralische Agenda. Warum zwingt die Kirche arme Mädchen dazu, ihr Leben bei „Engelmachern“ in der Gosse zu riskieren, während Reichentöchter dieselbe Prozedur in einem Krankenhaus verbergen können? Auch die Kirchenhierarchie, die angesichts der großen mexikanisch-stämmigen Gemeinde von Steve Earles Heimatstadt San Antonio ihre spanischsprachigen Priester diskriminiert, kommt schlecht weg: Ihr geht es lediglich um Machterhalt. Umso entschuldbarer, ja menschenfreundlicher erscheinen die Figuren aus der Halbwelt des South Presa Strip. Und Doc Ebersole? Steve Earle stattet die komplexeste Figur seines oft recht holzschnittartigen Ensembles mit inneren Konflikten aus, die Parallelen zur Biographie des Autors aufweisen: Seit seinem ersten Album im Jahre 1986 kämpft der Country-Rocker gegen das Establishment – und die eigene Heroinsucht. Anfang der 1990er Jahre war Earle endgültig „down and out“. Langjährige Gefängnisstrafen im Zusammenhang mit Drogen und illegalen Waffen ließen kaum noch an ein Comeback des oft mit Bruce Springsteen verglichenen Musikers glauben.

Doc verspielt sein Leben auf ähnliche Weise, und der Autor breitet dessen Junkie-Leiden und Entzug mit viel Empathie aus. „Die anderthalb Blocks vom Yellow Rose Guest Home bis zum nächsten Schuss waren für ihn eine Qual. Nur papierdünnes Schuhleder trennte nackte Nervenbahnen vom rissigen Straßenbelag.“ Es sind die dichtesten Passagen einer Geschichte, die Sozialreportage und surrealer Traum sein will. Immer wieder ziehen metaphysische Mächte die Strippen. Und das auch dank Hank Williams’ Musik, die dem eifersüchtigen Charakter, mit dem Earle den Geist des Country-Stars ausstattet, weit entrückt zu sein scheint. Sie aus der Jukebox zu hören, ist seelische Tortur und Trost zugleich. Ein Echo der eigenen Einsamkeit: „Wenn man irgendwo lange genug sitzen blieb, spielte irgend ein Arschloch irgendwann einen Hank-Williams-Song . . . Die jaulende Steelguitar war der Köder, mit dem einsetzenden Rhythmus hatte er sie dann am Haken, und wenn schließlich Hanks Stimme aus dem Lautsprecher kam, war alles zu spät . . . Das herzzerreißende, steinerweichende Klagen, das einem in die Glieder fuhr wie ein nasskalter Tag.“ Mit „I’ll Never Get Out Of This World Alive“ schreibt Steve Earle die Langversion eines großartigen Country-Songs – und kippt die fatalistischen Klischees des Genres mit einem guten Schuss Rock’n’Roll. Am Ende möchte man den Knopf einer Jukebox drücken. Nicht um Hank, sondern Steve singen zu hören.
JONATHAN FISCHER
SZ 9.11.2011

Grandmasters Großväter – ZEIT ONLINE zum Sampler „Early Rappers“

James Brown, Isaac Hayes, Muhammad Ali – wer war der erste Rapper? Eine neue Kompilation versammelt frühe Wortakrobaten und findet die Wurzeln des Hip-Hop ganz woanders.

In der Hip-Hop-Geschichtsschreibung geht es oft zu wie beim Würstchenwettessen auf dem Kindergeburtstag. Es gibt viele Rapper, und jeder will der Erste gewesen sein. Die einen schwören auf die Sugarhill Gang, Hip-Hops erste Casting-Band. Andere wiederum wollen King Tim III zum ersten Rapper krönen, da putschen schon die Fans von Grandmaster Melle Mel am Nebentisch. Ihr spinnt wohl! Leute, Busy Bee Starski. Word! Und was ist mit den gebrummelten Liebesschwüren von Isaac Hayes und James Browns heiserem Bellen? Den anzüglichen Bettgeschichten von Millie Jackson? Gil Scott-Herons geschmeidiger Spoken-Word-Soul? Alles Rapper oder was?

Dass Rhythmus und Reime schon immer zusammengehörten, zeigt nun die höchst unterhaltsame Kompilation Early Rappers – Hipper Than Hop – The Ancestors Of Rap, die beim Münchner Label Trikont erschienen ist. Der Journalist und DJ Jonathan Fischer hat sie mit viel Sorgfalt zusammengestellt. Early Rappers stellt die Urahnen des Rap vor und spürt der traditionellen Verbindung zwischen Wortspiel und Beat in der afro-amerikanischen Musik nach.

Ein Blick auf die Trackliste der CD sorgt gleich für eine Überraschung: Wichtige Schlüsselfiguren des Rap wie James Brown, Gil Scott-Heron, Millie Jackson oder Isaac Hayes – sie alle fehlen. Stattdessen gibt es Musik von King Stitt, Dr. Horse oder The Cadets – Namen, die man nicht sofort mit Rap in Verbindung bringt.

Das macht die Auswahl so besonders. Fischer verzichtet auf Stücke, die ohnehin auf unzähligen Kompilationen vorliegen. Umso mehr Überraschungen gibt es zu entdecken. Denn sein Ansatz geht tiefer: Von welchem Sound ließen sich Helden wie Brown, Hayes und Scott-Heron anstecken? War es der federnde Jive Scat Cab Calloways? Die wütende Spoken Poetry der Last Poets oder etwa der krawallige Comedy-Funk des Komikers Pigmeat Markham? Womöglich. Könnte sein. Vielleicht aber auch nicht. Early Rappers beansprucht nicht, diese Frage ein für allemal zu klären. Denn wie reimte einst der legendäre Eddie Cheba: “You don’t care if I’m the one – ’cause all you wanna do is have some fun.”

Dass auf Early Rappers viel gequasselt wird, versteht sich von selbst. Nicht immer erhellend, aber immer unterhaltsam. Ob in den Clubs und Musikhallen der vierziger Jahre oder auf den Blockparties der Achtziger: Rap ist vulgär, witzig, surreal, genial, schnell, gemein, überdreht. Aber vor allem: grenzenlos. Alles, was auf einen Beat passt, wird im Sprechgesang verwurstet. Bluesverse, der Slang der schwarzen Radio-DJs und der Gesang der Prediger, Komikergeplapper, Gefängnis- und Soldatenreime, das Gespräch an der Straßenecke, Muhammad Alis Abzählreime – sie alle stehen Pate für das, was sich später im Hip-Hop als ganzheitliche Kunstform verdichten soll. Early Rappers enthält also keine Stücke, auf denen einfach nur zufällig viel geredet wird. Allen Liedern ist die enge Verbindung zu diesen afro-amerikanischen Traditionen anzuhören.

Wo die Enkel später nur noch two turntables and a microphone brauchten, hatten ihre Großeltern noch ganze Bands und Orchester im Rücken. Deftiger R’n’B, Blues, Funk und Dub – es kracht und raucht ganz ordentlich auf Early Rappers. Im Rampenlicht aber stehen die Interpreten. Gegen den zweideutigen Witz eines John Kasandra oder den abgedrehten Nonsense des Rockabilly-Sängers Macy Skipper (“Grandma’s A Total Stranger, Since She Got Her Nose Caught In A Record Changer“) wirken viele heutige Rap-Stars wie stoffelige Gebrauchtwagenhändler. Für sich selbst spricht die lyrische Coolness von Chuck Berry, Lightin’ Slim und Bo Diddley, aber auch kuriose Randerscheinungen wie Andre Williams (Pass the Biscuits Please) oder die wortgewaltige Blanche Thomas (You Ain’t Such A Much) hätten in einem funky Wortgefecht gute Karten.

Rap, das war schon immer beides: Abfeiern und Aufklärung, Party und Politik. So ist die zornige Free-Jazz-Poesie der berühmten Last Poets aus Harlem auf Early Rappers gleich zweimal vertreten. Ihr Stil sollte später Rapper wie Chuck D, Q-Tip, Common oder Mos Def entscheidend beeinflussen. Ein paar Congas und viel Wut im Bauch – oftmals reichten wenige Mittel, um den Funken überspringen zu lassen. In den Poetry Cafés und Kellerbühnen New Yorks entzündete sich so die frühe Form des radikalen Rap. Der Siegeszug von Hip-Hop war nicht mehr aufzuhalten. Vom Ghetto aus konnte man die Flammen nämlich besonders gut sehen.

“Early Rappers – Hipper than Hop – The Ancestors Of Rap” ist bei Trikont erschienen.
Von Matthias Schönebäumer 19. Oktober 2011

Taube auf dem Dach – Ein Gespräch mit dem Rapper Pigeon John über den warmen Westen und den kalten Osten

Sechs Solo-Alben hat Pigeon John schon in den letzten zehn Jahren veröffentlicht. Doch erst sein neuer Longplayer „Dragon Slayer“ – eine eingängige Mischung aus Hip-Hop, Soul und humorvollen Texten – brachte dem Rapper aus Los Angeles auch in Deutschland den Durchbruch. Am Donnerstag, den 3. November, tritt er mit seiner Live-Band im Hansa 39 auf.

Ihr Song „The Bomb“ ist hierzulande vor allem dank eines VW-Werbespots bekannt, in dem die Tanzlegenden Gene Kelly und Donald O’Connor wild auf der Auto-Rückbank herumzappeln.

Ich habe kein Problem mit Werbespots. Meine Musik hat auch schon Clips für Levi’s Jeans und Nestlé Frühstücksflocken untermalt. Wer sagt, dass ich nicht beides kann? Werbekampagnen bedienen und dennoch ein künstlerisch vollkommen unabhängiger Rapper bleiben? Meine ersten Alben musste ich mangels Alternativen selbst verlegen: Das heißt, ich habe sie nicht nur produziert, sondern auch selbst vom Presswerk in die Plattenläden gebracht. Aber so haben selbst Stars wie MC Hammer oder Too Short einmal angefangen..

Und davon konnten Sie überleben?

Ich hatte Glück, dass mein 2001er Debut-Album aus dem Stand mehr als 11 000 Kopien verkauft hat. Und das allein durch Mundpropaganda. Das gab mir das nötige Selbstvertrauen um durchzuhalten.

Sie haben mit zwölf Ihre ersten Raps geschrieben – und gehörten später zu den Stamm-Musikern des Good Life Café.

Das Good Life Café war in den neunziger Jahren der Treffpunkt der alternativen Westcoast-Hip-Hop-Szene. Auch Snoop Dogg, Ice Cube, Pharcyde und die späteren Black Eyed Peas liefen dort bei den Open-Mic-Abenden auf. Das Publikum dort galt als extrem kritisch. Zudem musste sich jeder an die Spielregeln halten: Keine Flüche, keine abfällige oder frauenfeindliche Sprache. Da musste man Kraftausdrücke durch Kreativität ersetzen oder wurde ganz schnell von der Bühne gebuht. Ich war zum Glück immer offen für Musik jenseits von Hip-Hop: Madonna, Phil Collins, aber auch Cab Calloway und Count Basie.

Sie haben diese alten Jazzer gehört?

Jazz war schon immer eine meiner großen Leidenschaften. Für meine erste Platte „Pigeon John Is Clueless“ habe ich mich in den Texten vom Humor der Freestyle Fellowship inspirieren lassen – und was die Musik betrifft vom Swing. Ich samplete vor allem die Bläsersätze und Bassläufe.

Wie kommt es, dass viele Hip-Hop-Experimente aus Los Angeles kommen.

Weil es in LA warm ist, lassen wir es entspannter als in New York angehen: Während Miles Davis an der Ostküste hardcore spielte, machte Chet Baker an der Westküste Barmusik. Ich habe die aggressive Musik mancher New Yorker Rapper erst verstanden, als ich ihre Musik in einem Taxi in Manhattan hörte. Da passte plötzlich alles zusammen.

Für Ihren Chart-Hit „The Bomb“ haben Sie dann aber doch den Beat auf eine Hip-Hop-unübliche Geschwindigkeit hochgeschraubt.

Ich habe mich vom 50er-Jahre-Rhythm’n’ Blues und Rockabilly inspirieren lassen. All die Tänze, die die Leute damals in Bewegung brachten – ich wollte sie updaten, Chuck Berry ins Hip-Hop-Format übersetzen.

Was haben Sie mit dem 85-jährigen Chuck Berry am Hut?

Er ist mein Held; seine Musik wird nie ihre Relevanz verlieren. Der Wu-Tang Clan hat der Hip-Hop-Generation den Soul nahegebracht. Warum nicht das gleiche mit den alten Rock’n’ Rollern tun? Die haben sich nicht so verkünstelt wie die Indierocker von heute – und nicht so ernst genommen wie viele Rapper. Meine Musik zielt auf keine Insider-Crowd. Ich spiele wie Chuck Berry für alle, die gerne trinken, Party machen, Sex haben. Ich liebe es, auf der Bühne zu tanzen. Und mich schert es dabei kein bisschen ob du mich einen Hip-Hoper oder irgendetwas anderes nennst.

Erklären Sie noch, woher Ihr Name stammt?

Jesus fuhr mit seiner Limousine durch meine Nachbarschaft in Inglewood, Kalifornien: Er stieg aus und übergab mir eine tote Taube. Dann flüsterte er mir zu: „Viel Spaß!“ Was blieb mir anderes übrig, als diesen Namen anzunehmen? Also, die Wahrheit ist: Als ich nach einem Rappernamen suchte, fiel mir zuerst Chicken John ein – bis die Mutter eines Freundes mich korrigierte: Nein, du schaust nicht aus wie ein Huhn, du bist Pigeon John!

Interview: Jonathan Fischer
SZ 3.11.2011