Monatsarchiv: August 2023

Der Schimmer,der die Welt bedeutet

In Mali ist Damast aus Deutschland ein
gefragter Luxusartikel. Zu Besuch bei Hassan Bathily,
dem größten Importeur Westafrikas

Guten Tag, wie geht es Ihnen?“, begrüßt der malische Geschäftsmann seinen Gast – in akzentfreiem Deutsch. „Wollen Sie ein Glas Wasser?“ Hassan Bathily, ein schmaler Mann in weitem, besticktem Damast-Boubou und Sandalen, greift zum Hörer seines Telefons und wechselt für seine Sekretärin kurz ins Bamana, die Umgangssprache Malis. Aus seinem klimatisierten Büro schaut der Firmenboss auf das Verkehrschaos von Malis Hauptstadt Bamako, wo sich zerbeulte Mercedes-180-Taxis, überfüllte Kleinbusse und ambulante Händler auf den Straßen drängen. Dennoch war es nicht schwer, die Firmenzentrale von Bathily Bazin im Viertel ACI 2000 gleich neben dem „grand marché“ zu finden: Der Stoff-Großhändler? Der Importeur von „bazin riche“, dem Damast der Reichen? Klar, gleich da vorne hinter der modernen Glasfassade.

  Wer in Bathilys Reich eintritt, verlässt den Staub und Lärm, betritt eine traumhaft luxuriöse Parallelwelt: Schaufensterpuppen tragen festliche Boubous und Roben. Dahinter stapeln sich im gut ausgeleuchteten Showroom Stoffballen in den verschiedensten Farben. Weiß, rosa, zartgrün, violett. Damast, gewebt aus extrem dünnen Baumwollgarnen und in raffinierten Webmustern. Erste Qualität, geliefert von Firmen mit Sitz in Vorarlberg, Hamburg oder Augsburg, letztlich alles „made in Germany“. „Bis zu 25 000 CFA, das sind über 35 Euro, kostet der Meter“, erklärt Bathily. „Dabei liegen die Gewinnmargen für uns nur bei zehn bis 15 Prozent.“ Der Preis ist für ein Land, in dem einfache Angestellte gerade mal ein- bis zweihundert Euro im Monat verdienen, enorm. Und dennoch: Bazin oder Damast aus den Fabriken in Aue oder Gera darf in Westafrika auf keiner Hochzeit, keiner Tauf- und Familienfeier fehlen. „Lieber würden die Leute hungern“, erklärt Bathily, „als sich nicht im bestmöglichen Gewand zu präsentieren.“ Dass ausgerechnet Mali, eines der ärmsten Länder der Welt, zum Zentrum des afrikanischen Damast-Handels aufstieg, hat einerseits mit der traditionellen Liebesbeziehung der Malier zu extravaganten Stoffen zu tun. Andererseits aber auch mit Hassan Bathilys Familie. Solange er denken könne, sagt der Kaufmann, sei sie schon im Textilgeschäft. Sein Vater habe 1975 als Pionier Handelsbeziehungen mit der Firma Ertex in Nürnberg aufgebaut. Die Deutschen sollen über die Nachfrage aus Afrika erfreut gewesen sein. Damast? Das erinnerte hierzulande nur noch an Omas Bettwäsche und Tischdecken. In Westafrika aber wurde er zum Hit: „Bazin riche“, so nannte man den Luxusartikel treffenderweise, ein Status-Symbol wie bei uns Armani-Hemden oder handgenähte italienische Schuhe.

  Noch vor wenigen Jahrzehnten hätten sich nur wenige Reiche, vor allem Politiker und Popstars, Bazin geleistet. Die außergewöhnliche Qualität des Damasts, sein Glanz, dieses für ihn typische Knistern und Rascheln, Fachleute nennen es „Knirsch“, aber zog in einer Gesellschaft, in der sich alles um die richtigen Kleider dreht, bald größere Kreise. „Mein Vater hatte damit angefangen, die deutschen Stoffe zu veredeln. Sie durch Klopfen zum Glänzen zu bringen.“ Bathily spricht von einer uralten afrikanischen Textiltechnik. In Bamako kann man sie vor allem hören. So dröhnt aus manchen Handwerkerquartieren Tag und Nacht ein Geklopfe wie handgemachter Techno, erzeugt von den „batteurs“, die unter Strohdächern die aus Deutschland gelieferten Stoffbahnen mit Fünf-Kilo-Holzschwengeln bearbeiten. Bathily seniors Idee brachte dem Bazin den Durchbruch: Denn ohne Schimmer geht hier gar nichts.

  Sein Vater habe Deutschland vor allem durch seine Geschäftsbücher gesehen, sagt der Sohn. Bathily junior aber wollte tiefer eintauchen. Die Deutschen verstehen. Letztlich folgt er damit einer Tradition seiner Kaufmannskaste, der Dyula. Dank ihrer Anpassungsbereitschaft und Mobilität haben diese Händler von der Ethnie der Soninke seit dem 14. Jahrhundert die regionalen Märkte entwickelt und zur friedlichen Ausbreitung des Islam in Westafrika beigetragen. „Alle mit dem Nachnamen Bathily gehören zu den Dyula“, sagt der Stoffkaufmann. „Du findest uns von Burkina Faso bis zur Elfenbeinküste.“ Wie mächtig diese Kaufmannskaste ist, das lässt sich an vielen Hundert Namensschildern von Textilien-, Elektronik- oder Solaranlagen-Geschäften in Bamako ablesen. Bei den Dyula, sagt Bathily herrschten strenge Traditionen: Das Firmenimperium wird vom Vater an den Sohn weitergereicht – und man heiratet nur untereinander, um das Vermögen in der Familie zu halten. Gleichzeitig seien die Dyula immer offen für alles Neue gewesen. Viele von ihnen haben Verbindungen nach Europa und Amerika – und schicken ihre Kinder zum Studieren ins Ausland. Bathily selbst hat ein halbes Jahr lang im Goethe-Institut in Hamburg Deutsch gelernt. Natürlich auf eigene Kosten. Und klar, dass auch mal seine Kinder – er hat zwei Söhne und vier Töchter von zwei Ehefrauen – später einmal im Land Schillers und Goethes studieren sollen.

  Alle zwei Monate reist der Kaufmann zu Damast-Firmen wie Wiese in Augsburg oder Getzner in Vorarlberg. Als Einkäufer. Oder auch Berater. „Die Hersteller laden mich ein, um die neuesten Produkte zu sichten: Passt die Farbe, passt das Material zu den Erwartungen der westafrikanischen Kunden? Was können sie noch verbessern? Auf welche Moden sollen sie reagieren?“ Denn das Geschäft mit dem Damast-Export floriert. Mehr als 90 Prozent der deutschen Produktion gehen nach Westafrika. Hassan Bathily ist stolz auf seinen Status als wichtigster regionaler Großhändler. Kaufleute aus ganz Westafrika beziehen ihre Ware über ihn. „Wollen Sie meine letzten Bestellungen sehen?“ Er holt einen Stapel Papiere aus der Schublade – Rechnungen deutscher Unternehmer, alle im oberen sechsstelligen Euro-Bereich.

  Wobei wir der Frage näher kommen, was Hassan Bathily, abgesehen vom Geschäft, eigentlich an Deutschland so interessiert. Bathily überlegt kurz, und ein Leuchten geht über sein glattes, jugendliches Gesicht: „Alles ist da so ordentlich“, sagt er. „Und die Städte so grün und gepflegt.“ Die Stärken afrikanischer Gesellschaften – ihr Miteinander, ihre Kultur des Feierns – möchte er zwar nicht missen. Trotzdem: Kann man mehr deutsche Sitten nach Bamako importieren als dieser Stoffkaufmann? Er beginne den Tag, erzählt Bathily, am liebsten mit selbst gebackenem deutschen Sauerteigbrot. Dazu liest er eine deutsche Tageszeitung. Am gründlichsten natürlich den Wirtschaftsteil: „Ich schätze deutsche Qualität. Und meine malischen Kunden verstehen, dass es sich lohnt, dafür Geld auszugeben.“ Klar, dass Bathily mehrere Mercedes-Modelle in seiner Garage stehen hat. Nebenbei, sagt er, vertreibe er deutsche Motorenöle. Und das ist noch längst nicht alles. Sein nächstes Projekt sei eine Bäckerei für deutsches Sauerteigbrot und bayerische Brezen in Bamako. Was seiner Familie schmecke, müsse doch auch eine breitere Kundschaft finden. Bathily grinst: „Alles nur eine Frage der Vermarktung.“

  Der Wachstumsmarkt Westafrika fordert die deutschen Hersteller heraus. Inzwischen produzieren sie auch vorgefärbte und bereits gemusterte Stoffe. „Am liebsten würden sie alles gleich fertig liefern“, sagt der Kaufmann. Er habe zwar mit Getzner Ware entwickelt, die man nicht mehr klopfen, sondern nur noch bügeln muss. Aber er erkläre ihnen auch ihre Grenzen. Die Grenzen: Zum einen ist die industrielle Hochglanzbehandlung viel teurer als die Arbeit der Batteurs. Andererseits hängt eine ganze Industrie am Bazin – viele Tausend Familien, die vom Färben und Veredeln der Damast-Rohware leben. „Die afrikanischen Kunden kaufen nichts von der Stange, sie wollen ihre individuellen Muster und Schnitte. Jede Hochzeitsgesellschaft etwa bestellt in den Hinterhof-Färbereien ihre eigenen Designs.“ Deshalb werde das Bazin-Geschäft auch in Zukunft eine deutsch-malische Kooperation bleiben. Ein Tausch von Ideen und Gütern. „So profitieren beide Seiten davon.“

JONATHAN FISCHER

SZ 22.8.2023