Das Africa-Festival in Würzburg wartet mit
bekannten Größen auf. Zu welcher Musik aber
die junge Generation in Kinshasa, Nairobi oder
Bamako wirklich tanzt, zeigen die
„African Music Days“ in München
Wenn Ende Mai in Würzburg das Africa-Festival gefeiert wird, dann pflastern Superlative die Vorankündigung. Seit 1989 hat das größte und älteste Festival für afrikanische Musik und Kultur in Europa mehr als 7500 Musiker auf die Bühne gebracht. Und dabei gut zweieinhalb Millionen Besucher mit Modeschauen, Geschichtenerzählern, exotischer Küche – und natürlich Live-Konzerten beglückt. Das ist eine beeindruckende Leistung. Einerseits. Andererseits geht die Tendenz der Darbietungen wie bei jedem großen Volksfest in Richtung Populismus.
Da dürfen dann auch eine deutsche Bob-Marley-Tribute-Band die Bühne zur Prime Time rocken. Kommen viele der eingeladenen Künstlerinnen und Künstler gar nicht aus Afrika, sondern leben in Deutschland und Europa. Oder sind wie der Kongolese Lokua Kanza, Elida Almeida von den Kapverden oder die gambische Koraspielerin Sona Jobarteh hinlänglich bekannte Festival-Größen. Nichts gegen eine eingängige, auf europäische Hörgewohnheiten abgestimmte Soul-Jazz-Afro-Reggae-Pop-Wohlfühl-Melange.
Aber: Zu welcher Musik tanzt denn die junge Generation in Afrika? Gibt es dort nicht gerade jede Menge bahnbrechende Neuerungen? Wer neugierig auf den Straßensound aus Daressalam, Dakar oder Bamako ist, für den sind die „African Music Days“ im Münchner Muffatwerk eine einmalige Chance, eingefahrene Afrika-Klischees herauszufordern. Und dabei experimentierwütige junge Musiker zu erleben, die es sonst selten nach Europa schaffen. Etwa Blinky Bill, einen kenianischen DJ, Produzenten und Sänger, dessen futuristische Elektro-Beats zusammen mit R’n’B-Gesängen und lakonischen Englisch-Suaheli-Raps perfekt den Flow von Kenias Hauptstadt Nairobi einfangen. Oder Arka’n Asrafokor aus Togo, die – Achtung! – westafrikanisch polyrhythmischen Metal jenseits allen Gröl- und Stampf-Verdachts produzieren und deren wunderbare Harmoniegesänge auch Hardrock-Hassern gefallen dürften.
Und wer hat schon mal hierzulande die Bühnen-Dynamik der senegalesischen Sängerinnen und Rapperinnen Defmaa Maadef erlebt? Oder das südafrikanisch-ghanaische Duo Esinam & Sibusile Xaba, die mit Gitarren, Perkussion und Flöten trance-ähnliche Grooves erzeugen? Insgesamt sieben junge Musiker und Bands werden sich am 25. und 26. Mai an der Isar präsentieren. Und ganz sicher eines vermeiden: altbekannte Weltmusik-Stanzen.
Wenn etwa Ami Yerewolo aus Mali zum Mikro greift, gehen manche Männer in Deckung. „Ich bin die meist beleidigte und am wenigsten gebuchte Rapperin Malis“, hat sie einmal behauptet. Tatsächlich hat Yerowolo lange als einzige Frau überhaupt im Hip-Hop durchgehalten. Und dann auch noch die konservative Männergesellschaft Malis mit Amazonen-Pose und Sprüchen wie – „auch ihr seid mal aus dem Bauch einer Frau gekommen“ – aus der Fassung gebracht. Gelernt hat Yerowolo ursprünglich Bankkauffrau. Aber dann schmiss sie den gutdotierten Job hin, um sich mit Auftritten bei Balani Shows – traditionellen dörflichen Feiern und Familienfesten – über Wasser zu halten.
Der Durchbruch gelang ihr 2020 nach einer Begegnung mit dem kamerunischen Bassisten und Produzenten Blick Bassy, der sofort Yerewolos Qualitäten erkannte: Ihre auf Bambara und Französisch gehaltenen Raps haben diesen furios-femininen Flow. Verwandeln ihre Wut in einen strahlenden Meteoriten-Schweif. Bassy ermutigte Yerowolo – sie organisiert nebenbei auch noch das einzige rein weibliche Hip-Hop-Festival Malis – auf die Konventionen von Afrobeats und Hip-Hop zu pfeifen, und stattdessen nur sich selbst auszudrücken. „Je Gére“, heißt einer der letzten Hits der malischen Rapperin – auf Deutsch in etwa „Ich schmeiß den Laden“.
Aus Tansania, besser gesagt den Armenvierteln von Daressalam, kommt der Singeli-Rapper Sholo Mwamba. Singeli? So heißen die quirligen hochgepitchten Beats, die so klingen wie überschnell abgespielter Drum and Bass – ein Aufputschmittel, zu dem Sholo Mwamba traditionelle Suaheli-Chants und Raps über die Alltagssorgen der einfachen Leute intoniert. „Singeli wechselt dauernd seinen Stil“, erklärt der Superstar der ostafrikanischen Elektro-Variante. „Wir greifen alles auf, was auf den Straßen passiert. Wenn du springen willst, dann springst du. Wenn du laufen willst, dann läufst du.“ Tatsächlich liegen die Ursprünge des Singeli im traditionellen Taraab, der Hochzeitsmusik der arabisch geprägten Küstenregion Tansanias. DJs hatten die Songs beschleunigt und mit verschiedenen Beats gemixt. Hauptsache, die Tänzer spielen verrückt. Sholo Mwamba hat die einst mit kleinkriminellen Milieus assoziierte Musik nun zu respektablem Pop-Ruhm gebracht. Als ehemaliges Straßenkind war er zunächst als Master of Ceremony bei traditionellen Festen eingesprungen, inzwischen treiben seine energiegeladenen Auftritte zehntausende begeisterter Tänzer an den Rand der Erschöpfung.
Der Bandname von Fulu Muziki übersetzt sich mit „Musik aus Müll“. Und das ist wortwörtlich zu nehmen: Die Musiker aus Kinshasa bearbeiten, beklopfen und behämmern Gegenstände, die andere weggeworfen haben. Blechdosen, Flipflops, Autoteile, Plastikrohre – das sind die Bauteile für ihre Perkussionsinstrumente, die sie aus der Mülldeponie in Ngwaka, einem der abgerockteren Viertel der kongolesischen Hauptstadt gewinnen. Um daraus ihren ganz eigenen afrofuturistischen Sound zu fabrizieren. Eine synkopisch komplex organisierte Lärmorgie, von der Tche Tche, der Sänger und Perkussionist von Fulu Miziki einmal sagte, sie sei ebenso von Straßenkünstlern in Kinshasa als auch von Kino-Superhelden beeinflusst. „Wir holen den Funk aus PVC-Rohren und Metalldosen“. Ebensowichtig wie die Musik: Die aus Fundmaterial gefertigten Kostüme, eine Mischung aus Stammestraditionen und „Wakanda“-Mythologie. Jenseits aller Wahnsinns-Maskeraden aber geht es dem Kollektiv durchaus auch um politische Anliegen. Etwa um die – nicht nur in Kinshasa – lebensbedrohliche Umweltverschmutzung, den Export von Elektronik-, Plastik- und Kleidermüll aus dem Westen nach Afrika und die Notwendigkeit von Recycling. Nicht auszuschließen, dass die Fulu Muziki-Mitglieder auch in München gefundenen Müll zum Tönen bringen.
Möglich gemacht hat dieses Ausnahme-Festival die „Music In Africa Foundation“. Die 2013 in Nairobi gegründete Nonprofit-Initiative ist inzwischen zur größten Vernetzungsplattform für junge afrikanische Musiker herangewachsen. „Wir haben inzwischen sechs Büros auf dem ganzen Kontinent eingerichtet“, erzählt Jens Cording von der Siemens Stiftung, zusammen mit dem Goethe-Institut Mit-Initiator des Projektes und heute für internationale Beziehungen zuständig. Die Gesamtverantwortung liege inzwischen zu hundert Prozent in den Händen der Afrikaner. Die Siemens Stiftung begleite und fördere lediglich. Was man in zehn Jahren geschaffen habe, übertreffe alle Erwartungen: „Über 43 000 Musiker sind mit ihren Profilen inzwischen auf der Plattform und 150 afrikanische Autoren schreiben für sie. Ich will als Komponist meine Urheberrechte schützen? Suche nach neuen Stilrichtungen? Will mich über die Rolle der Frauen im Musikbusiness informieren? Das alles und mehr kann man da finden.“ Dazu kommen Offline-Initiativen: etwa „Music In Africa Connects“, ein Programm für musikalischen und inter-ethnischen Austausch in Krisenregionen wie Somalia, Tschad oder Nord-Mali. Workshops zu Instrumentenbau und –reparatur. Die Musikkonferenz ACCES als Treffpunkt afrikanischer Kulturschaffender. Oder – während Corona – die Professionalisierung der Produktion von Musikvideos. „Unser Ziel ist, Afrika autark zu machen.“
Wenn nun über ein halbes Dutzend außergewöhnliche Bands zum Jubiläum im Muffatwerk aufspielen, ist das vor allem eine Chance für uns Westler: „Afrika war schon immer stilistischer Vorreiter“ sagt Cording. „Könnte sein, dass wir ähnliche Klänge in fünf bis zehn Jahren auch in Europa hören.“
JONATHAN FISCHER
SZ 22.5.2023
