Der erste Hipster

Vorbild für die Beat-Poeten, Chet Baker, die „Beastie Boys“ und Eminem: Der Jazzmusiker und Drogendealer Mezz Mezzrow machte in den Dreißigerjahren eine erstaunliche Karriere.

Ein bleicher Typ mit Halbglatze, Brille, Krawatte, Hosenträgern: So stellte man sich in den Dreißiger- und Vierzigerjahren eher einen braven Buchhalter vor als einen Jazzmusiker und Drogendealer. Und doch bewegte sich der Spross einer jüdischen Mittelklassefamilie, Mezz Mezzrow, mit erstaunlicher Chuzpe in der Halbwelt von Harlem. Bezeichnend der Moment, als Mezzrow 1940 im Gefängnis von Rikers Island landete, der feinsinnige Musikliebhaber in die Gesellschaft richtiger Gangster geriet: Er sei schwarz, auch wenn er nicht so aussehe, bedrängte er den Gefängnisaufseher. Und er werde im weißen Block sicherlich nicht zurechtkommen. Außerdem hätte er Freunde in Block sechs, die ihn vor Schwierigkeiten bewahren würden.

Der Aufseher, so erzählt es Mezzrow in seiner Autobiografie „Really the Blues“, „trat verwundert einen Schritt zurück und studierte sorgfältig meine Gesichtszüge. Beim Anblick meiner Kraushaare schien er ein wenig erleichtert zu sein. ,Okay, Sie sind also Mezz Mezzrow. Ich habe von Ihnen in der Zeitung gelesen und mich gefragt, wann Sie endlich hier auftauchen. Wir brauchen einen guten Bandleader für unsere Band, und Sie kommen mir gerade recht.'“ Er händigte Mezzrow eine Karte mit der Aufschrift „Block sechs“ aus. Der Hipster durfte in schwarzer Gesellschaft einsitzen: „Ich fühlte mich wie nach einer Begnadigung.“

Im August 1940 hatten Polizisten Mezz Mezzrow vor einem Nachtclub in Flushing Meadows, Long Island, verhaftet. 60 Marihuana-Zigaretten in seinem Besitz brachten ihn vor Gericht, wo er zu ein bis drei Jahren im Gefängnis von Rikers Island verurteilt wurde. Mezzrow war kein kleiner Fisch: Der jüdische Klarinettist und Bluesmusiker galt zu der Zeit als der Nummer-eins-Dealer in Harlem. Zu seinen Kunden gehörten Louis Armstrong, Fats Waller, Gene Krupa und Dizzy Gillespie. Sie schrieben unter dem Einfluss seiner sogenannten Mezz Rolls ihre Songs und verliehen Mezzrow seinen Spitznamen: „Weißer Bürgermeister von Harlem“.

Literatur Herz der Stadt in Flammen

Er war ein romantischer Rebell – und persönlicher Dealer von Louis Armstrong

„I dreamed about a reefer five feet long/ the Mighty Mezz but not too strong…“, sang Louis Armstrong über seinen Freund. Als persönlicher Dealer hatte Mezz bevorzugten Zugang zum Jazzstar und schlenderte jeden Tag „nach dem Aufstehen um vier Uhr nachmittags zu Louis‘ Apartment, um ihn dort unter der Dusche abzufangen“. Mezz war, nun ja, „hip“. Ein romantischer Rebell, der sich schwarze Kultur als erotisch aufgeladenen Geheimcode aneignete, und damit den Urahn aller späteren weißen Hipster gab: von Jack Kerouac und Allen Ginsberg über Chet Baker und Janis Joplin bis zu Beck, Tom Waits, Mark Ronson, den Beastie Boys und Eminem.

Um Hip zu einem vollen Lifestyle mit eigener Sprache, Mode, Drogen, Politik und Philosophie zu entwickeln, aber brauchte es viele Zutaten. Einen Cocktail, wie er sich in Harlem vor dem Zweiten Weltkrieg zusammenbraute. Die Harlem-Renaissance hatte in den Zwanzigerjahren Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller, Polit-Agitatoren, Tänzer, Dealer und Dollars in die „Hauptstadt des schwarzen Amerika“ geschwemmt. Dazu kam die europäische, jüdische, von Hitler nach New York vertriebene Avantgarde. Und eine Menge leicht beschaffbarer Drogen. Denn mit der afroamerikanischen Kultur ging für den Hipster stets die Bewusstseinserweiterung einher: „Light up and be somebody“. So lautete Mezz Mezzrows patentierte Verkaufsanmache, ein Spruch, der seine Joints zu Selbstwert-Boostern verklärte.

Und verwies das Klischee vom Hipster, der seine Augen hinter Sonnenbrillen und seine wahren Absichten hinter Slang versteckt, nicht schon immer auf dessen Stiefbruder, den Junkie? Man mag darüber streiten, ob das Wort „hip“ tatsächlich von der typischen Stellung früher Opiumraucher herrührt, die seitlich auf der Hüfte liegend konsumierten, doch der „white negro“, wie ihn der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer in einem berühmten Essay beschrieb, war unwiderstehlich von schwarzen Musikern und Drogendealern angezogen: „Wenn Marihuana ihr Hochzeitsring war, war das Kind die Hipster-Sprache.“

Mezz Mezzrow war gerade mal 15 Jahre alt, als er an den Ort kam, der sein Leben verändern sollte: Die Polizei hatte den Bürgersohn aus Chicago mit einer gestohlenen Studebaker-Limousine aufgegriffen und in eine Reformschule – eine Strafanstalt für Minderjährige – einweisen lassen. Es sollte ihm eine Strafe sein. Den rebellischen Jugendlichen ausnüchtern und in ein bürgerliches Leben zurückführen. Doch dann hörte Mezzrow Nacht für Nacht auf seiner Pritsche die Bluesgesänge aus der schwarzen Sektion des Gefängnisses herüberwehen. Und verliebte sich in deren Mischung aus Melancholie und Lebenslust. Der Blues: Er erschien dem weißen Mittelklassekind wie eine Offenbarung, ein Rausch, die geheime Anleitung zu einem erfüllten Leben.

Ja, er überhöhte, etwas naiv, die Erfahrung der Afroamerikaner: „Der Schwarze“, schwärmte Mezzrow, „der zuvor nichts besaß, erwartet sich auch nichts danach – und er trägt den Blues ohne jede Verbitterung und mit einem Lächeln im Gesicht.“

Milton Mesirow alias Mezz Mezzrow war 1899 in eine jüdische Familie geboren worden, in der es eigenen Angaben nach „nur so von Rechtsanwälten, Doktoren, Zahnärzten wimmelte“. Er aber sammelte – statt akademischer Titel – lieber Insiderwissen über Popmoden und Slang. Schon in seiner Chicagoer Jugend war er seiner Familie so oft wie möglich ausgebüxt, um das so viel buntere und erregendere Treiben auf der anrüchigen Northwest Side zu genießen, sich unter die Ganoven und Glücksspieler in den illegalen Schänken zu mischen. Später ging Mezz Mezzrow noch einen Schritt weiter. Nannte sich einen „voluntary Negro“. Und war entschlossen, nach seiner Entlassung im Jahr 1919, den Rest seines Lebens unter Schwarzen zu verbringen, ihre Musik zu erlernen und „die Welt für den Blues zu erwärmen, wie es nur schwarze Musiker können“.

Juden und Afroamerikaner teilten ähnliche Ausschlusserfahrungen

Er war nicht der einzige Jude mit dem Blues. Tatsächlich lebte die Tradition des sogenannten Blackfacing, also des Bühnenauftritts mit schwarzer Gesichtsschminke, lange von jüdischen Unterhaltern wie dem Kantorsohn und „world’s greatest entertainer“ Al Jolson. Als Minderheit teilten Juden und Afroamerikaner ähnliche Ausschlusserfahrungen, ähnliche Strategien des Hip: Was wäre Muddy Waters ohne seinen jüdischen Freund und Labelbetreiber Leonard Chess? Kann man sich Aretha Franklin ohne ihren Förderer Jerry Wexler denken? Und gäbe es Hip-Hop, wie wir ihn kennen, ohne jüdische Plattenbosse und Produzenten wie Rick Rubin, Bill Adler oder Lyor Cohen?

Hipness bedeutete Freiheit. Die Freiheit, mit Identitäten zu spielen, die Spießer oder „squares“ zu verwirren, sich mit Intelligenz, Stil und einer gewissen Ironie gegen den Mainstream zu inszenieren. Mezz Mezzrow erdichtete sich jedenfalls sein eigenes Leben. Heiratete die Afroamerikanerin Johnnie Mae. Zog nach Harlem. Und sprach als einer von wenigen den Jive seiner schwarzen Mitmenschen. Dabei passt der Mythos vom weißen Jungen, der den Blues stahl, nicht wirklich. Denn amerikanische Popkultur war schon immer eine Mischung europäischer und afrikanischer Impulse. Jazz diente Mezzrow als Gefährt, um an einer Geschichte teilzuhaben. Er feilte an seinem Klarinettenspiel, indem er sich immer wieder die Aufnahmen von King Oliver, Louis Armstrong und Sidney Bechet anhörte. Nicht allen gefiel das. Manchen weißen Musikerkollegen ging Mezzrows Lob alles Afroamerikanischen auf die Nerven, und sie nannten ihn wie Eddie Condon „South Mouth“.

Jazzmusiker Mezz Mezzrow: Auf der Höhe seines Ruhms: Der Jazzmusiker begleitet eine Künstlerin in Paris auf der Klarinette (etwa 1950).

Auf der Höhe seines Ruhms: Der Jazzmusiker begleitet eine Künstlerin in Paris auf der Klarinette (etwa 1950).(Foto: Reporters Associes/Gamma-Rapho via Getty Images)

Selbst der schwarze Klarinettist Sidney Bechet spöttelte einmal: „Der Mann strengt sich zu sehr an, etwas zu sein, was er nicht ist.“ Mag sein, dass „Mighty Mezz“ manchen überspannt vorkam – so wie Hipster bis heute mit ihren Insignien des Nonkonformismus, seien es exzentrische Bärte oder Migranten-Slang, bisweilen am Lächerlichen entlangschrammen.

Allerdings war es nicht seine Musik, die Mezzrow die Tür zu den hipsten Jazzern seiner Zeit öffnete. Sondern Muggle. Reefer. Golden Leafs. Das Zeug, das die Musiker vor oder nach ihrem Gig rauchten.

Marihuana hatte sich von New Orleans‘ Rotlichtbezirk Storyville aus als Modedroge bis nach Chicago verbreitet. Lange hatte Mezzrow der Versuchung widerstanden. Aufgrund seiner Arbeit in der Apotheke seines Onkels hielt er jeden Drogenmissbrauch für den direkten Weg ins Grab. Bis ihn ein Mitmusiker drängte, dem „Vipers Club“, der Gemeinschaft der Raucher, beizutreten. Mezzrow ließ sich auf der Herrentoilette seines Clubs initiieren. Anschließend glaubte er, besser zu improvisieren als je zuvor. „Marihuana ist nicht gefährlicher als die anderen großen amerikanischen Laster wie Cola oder Eiscreme“, erklärte er. „Man bekommt nur mehr Spaß für sein Geld.“

Drei Zigaretten für 50 Cent, den Preis für seinen Stoff erhöhte er nie

Als er 1929 völlig mittellos in Harlem ankam, fand er dort Anschluss an die Viper-Community – und begann selbst mit dem Kraut zu dealen. Mezzrows Qualität sprach sich schnell herum. Und niemand verkaufte billiger als er: drei Zigaretten für 50 Cent. Den Preis erhöhte er nie. Schließlich hatte er sich nie auf den Druck der lokalen Mafia eingelassen, gemeinsam ein Geschäft in großem Maßstab aufzuziehen; auch war er nicht des Profits wegen – Mezz machte immerhin mehrere Hundert Dollar die Woche – im Geschäft. Sondern weil er sich auf diese Weise schwarz fühlte. Schwärzer, als seine bleiche Hautfarbe und sein geschniegeltes Aussehen verrieten.

Gegenwind bekam Mezz vor allem von den amerikanischen Drogenbehörden. 1936 hatte Hollywood in staatlichem Auftrag den Film „Reefer Madness“ produziert, ein Film, der Marihuana-Raucher in die Nähe von Psychopathen und potenziellen Mördern rückte. Ein Jahr später unterschrieb Franklin D. Roosevelt ein neues Gesetz: Es erforderte den Kauf einer dubiosen Steuermarke, um Marihuana verkaufen und vertreiben zu dürfen. In der Folge ging das neu ins Leben gerufene Federal Bureau of Narcotics (FBN) gegen die unter Generalverdacht eines „antisozialen Verhaltens“ stehenden Anhänger der Jazz-Subkultur vor. Das FBN legte gar eine Akte „Marihuana und Musiker“ an. In ihr tauchte das Who is Who der künftigen Jazz Hall of Fame auf: unter anderem Louis Armstrong, Duke Ellington, Cab Calloway, Lionel Hampton, Dizzy Gillespie, Count Basie und Thelonious Monk. Nicht wenige von ihnen zählten zu Mezzrows Stammkunden.

Dieses Abhängigkeitsverhältnis mag dem als mittelmäßig geltenden Musiker bei seiner Karriere geholfen haben: 1937 stellte Mezzrow – nach einer Entzugskur, die vier vergeudete Jahre als Junkie in einem zur Opiumhöhle umfunktionierten Kohlenkeller beendete – eine gemischte fünfzehnköpfige Jazzband für den Uproar Club in Harlem zusammen. Er spielte ein paar historische Sessions mit Sidney Bechet, jammte in Bands hochklassiger schwarzer Jazzmusiker wie Fats Waller, gründete in den Vierzigerjahren sein eigenes Plattenlabel King Jazz Records und ging 1948 auf Europatournee, die mit einem gefeierten Auftritt beim Jazzfestival in Nizza endete. Seine Mission aber blieb eine uramerikanische. Warum nicht statt mit einem mit zwei, drei, vier Bällen jonglieren? „Sich neu zu erfinden“, schreibt der Journalist John Leland von der New York Times, „nicht von unserer Vergangenheit festgelegt zu sein – das war stets das Versprechen des Hip.“ Wenn jüdische Songwriter wie Jerry Leiber und Mike Stoller Rhythm ’n‘ Blues-Klassiker schrieben, Janis Joplin sich als Bessie-Smith-Wiedergängerin inszenierte, weiße Rapper sich in schwarzem Slang duellierten, dann war Mezzrow stets im Geiste dabei, schlug sein Erfindungsgeist jede gesellschaftlich vorgegebene Identität. „How the fuck can I be white“, rappt sein Urenkel Eminem ein halbes Jahrhundert später. „I don’t even exist.“

JONATHAN FISCHER

SZ 22.1.2021

Afrooptimisten mit Kamera

„Die Passanten, die Alten, die Kranken, ja selbst die Verrückten sollen unsere Bilder sehen“: Die Initiative Yamarou gewinnt in Mali Jugendliche dafür, ihr Leben mit der Kamera zu erzählen. Über Fotografen, die sich als Agenten des Wandels verstehen, als Zukunftsbeschwörer.

Eine staubige Gasse im Herzen von Bamako: Zwei übermannshohe Puppen, eine ein Mann mit riesigen Pappmaschee-Händen, das andere eine hübsch frisierte Frau, wagen einen Paartanz, ihre Kleider wehen, während die Puppenspieler unter dem Gejohle einer Kinderschar die Figuren nach links und rechts wirbeln lassen. Aus einem Soundsystem an der Kreuzung nebenan schallt malischer Hiphop.

Ein Kreis von Zuschauern feuert die Breakdancer in ihrer Mitte an. Der Anlass dieser Straßenparty aber sind die umliegenden Mauern und Hauswände: Fotografen haben dort den ganzen Morgen lang mit Kleister ihre Bilder angebracht. Auf Papier hochgezogene Porträts geklebt. Familiengeschichten. Momentaufnahmen des Lebens in der Hauptstadt. Aber auch Serien zu Themen wie „Wasser“, „Heimat“ oder alten afrikanischen Religionspraktiken.

Immer wieder halten Passanten an, zeigen mit den Fingern auf Merkwürdiges und Bekanntes. „Wir wollen die Fotografie dahin bringen, wo es weder Galerien noch Museen gibt“, sagt Seydou Camara, der Gründer der Fotografen-Initiative Yamarou. „Eine Fotoausstellung muss ein Fest sein. Ein Fest der Gemeinschaft. Auch die Passanten, die Alten, die Kranken, ja selbst die Verrückten sollen unsere Bilder sehen.“

Die Foto-Biennale hat den Grundstein für aktuelle Experimente gelegt

Bamako gilt als afrikanische Hauptstadt der Fotografie. Das liegt zum einen an Namen wie Malick Sidibé oder Seydou Keïta, Fotografen, die hier seit den 60er-Jahren mit ihren Schwarz-Weiß-Porträts zu internationalem Ruhm gelangt sind, zum anderen an der seit 1994 stattfindenden Biennale „Rencontres de Bamako“. Sie ist das größte afrikanische Fotografentreffen, Ausweis der Weltläufigkeit der malischen Kapitale.

Seydou Camara, selbst ein ausgezeichneter Fotograf, hat über die Biennale Kontakte zu Kollegen in Europa und Amerika geknüpft, seine Werke auch im Ausland gezeigt. „Malier können sich für Musik und Theater begeistern“, sagt der schmale Mann mit dem Schnauzbart, „aber der Besuch von Kunstausstellungen gehört nicht zu unserer traditionellen Kultur.“ Die Professionellen blieben unter sich.

Fotografie in Mali: Seydou Camara (links), der Gründer von Yamarou, hat über die Biennale Kontakte zu Kollegen in Europa und Amerika geknüpft und zeigt seine Werke auch im Ausland.

Seydou Camara (links), der Gründer von Yamarou, hat über die Biennale Kontakte zu Kollegen in Europa und Amerika geknüpft und zeigt seine Werke auch im Ausland.(Foto: Jonathan Fischer)

„Unser Ziel ist es, diese Mauern einzureißen.“ Deshalb gingen die Yamarou-Aktivisten in die Armenviertel Bamakos, wo sie Jugendlichen Fotoapparate leihen, sie unterrichten und anschließend deren Werke auf der Straße ausstellen. Die Kunst müsse raus aus den Hotelfoyers, Chichi-Bars oder Galerien. „Die Menschen in den Vierteln sollen sich ihre eigenen Geschichten erzählen können.“

Viele der zwei Dutzend Yamarou-Aktivisten, die ihre Fotos an Hauswänden präsentieren, stießen auf diese Weise dazu. „Ich habe als Hochzeitsfotograf gearbeitet“, erklärt Al Fousseny Konaté. „Erst als ich Seydous Kurs besuchte, lernte ich, dass man mit dem Fotoapparat auch Kunst machen kann.“ Heute, sagt der 24-Jährige, mache er beides. Mit Hochzeitsbildern verdiene er seinen Unterhalt, während er bei Yamarou seiner Leidenschaft nachgehe. Inzwischen ist er selbst als Kursleiter tätig. „Es ist wichtig, das schlechte Image der Fotografie hierzulande zu korrigieren. Die meisten kennen nur Hochzeitsfotografen. Sie gelten als bloße Dienstleister, als Fototala.“ Seine Familie habe ihm geraten, lieber „etwas Anständiges“ zu machen. Über Kunst zu sprechen – das gelte mehr oder minder als „verrückt“. Aber: „Müssen wir Fotografen nicht zwangsläufig Perspektiven verrücken?“

In seinen Kursen ermutige er Kinder und Jugendliche, alles zu fotografieren, was ihnen wichtig ist. Das sei oft das erste Mal, dass sie sich bewusst mit ihrer familiären und gesellschaftlichen Umgebung beschäftigen. Zwar mangele es malischen Kindern nicht an Kreativität. Ständig bauten sie aus Fundstücken Autos, Motorräder oder Häuser. Aber ein Großteil von ihnen könne, wie 70 Prozent der Bevölkerung, weder richtig lesen noch schreiben. „Bilder spielen da eine große Rolle. Besonders wenn man lernt, ihre Sprache zu lesen.“

Yamarou, der Name der Initiative, bedeutet „Schöpfer“

Ein weiß gestrichener Neubau im Viertel Boukoba im Norden Bamakos: das Hauptquartier von Yamarou. Gegenüber spielen Kinder Fußball, aus den Moscheetürmen dahinter schallt das Nachmittagsgebet. Im Innenhof sitzen ein halbes Dutzend Fotografen auf Plastikstühlen um ein Teestövchen. Egal, ob es um die nächste Ausstellung oder defekte Kameras geht – die Teerunde, ein paar Gläser des schaumig-süßen Minztees, ist in Mali obligatorisch. Was es mit dem Namen Yamarou auf sich habe? Camara erzählt von Mandé Boukary, dem jüngeren Bruder des legendären malischen Königs Soundiata Keïta, Begründer des Mali-Imperiums im 13.Jahrhundert. Boukary habe ständig neue Musikinstrumente, Stücke und Tanzschritte erfunden. Sein Künstlername lautete „Yamarou“. Zu Deutsch: Schöpfer.

Als solche sehen sich auch dessen heutige Jünger, die Yamaristen. Sie nehmen jeden auf, der fotografieren will und sich für mehr als nur Blende und Belichtungszeit interessiert. „Wir diskutieren nicht nur über Fotos“, sagt Camara, „sondern über Ethik und gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Kani Sissoko weiß, was Fotos auslösen können. Bei einer Ausstellung in Wagadugu in Burkina Faso hätte ihre Serie über Beschneidung eine hitzige Diskussion ausgelöst. Männer gegen Frauen. Traditionalisten gegen Liberale. „Es motiviert mich, wenn ich als Künstlerin das Schweigen überwinde. Ein Trauma zur Sprache bringe, das mich und viele andere Frauen betrifft.“ Sissoko hat erst auf Umwegen zur Fotografie gefunden. Früher, sagt die Frau mit den Rasta-Zöpfchen, sei sie in Theatern und Comedy-Veranstaltungen aufgetreten.

Man kann sie sich – forscher Blick, schnelle Zunge – gut als Komödiantin vorstellen. Heute liegt es an Lehrerinnen wie ihr, dass sich immer mehr malische Mädchen für die Fotografie interessieren. In den Yamarou-Kursen stellen sie sogar die Mehrheit – und das, obwohl Fotograf traditionell als Männerberuf gilt. Sissoko kennt das Vorurteil zur Genüge. Bis sie ein Fotokurs bei Seydou Camara überzeugte: „Mit der Kamera kann ich endlich meine ureigene Geschichte erzählen.“ Sissoko, die inzwischen weltweit ausstellt, machte zuletzt eine Serie über die alte afrikanische Religion. „Im Verborgenen praktizieren auch die meisten von uns Muslimen ihre Opfer-Riten. Deshalb habe ich die Verdammung dieser Praktiken nie verstanden. Meine Bilder wollen das zurechtrücken.“

Fotografie in Mali: Die Yamarou-Aktivisten gehen in die Armenviertel Bamakos, wo sie Jugendlichen Fotoapparate leihen, sie unterrichten und anschließend deren Werke auf der Straße ausstellen.

Die Yamarou-Aktivisten gehen in die Armenviertel Bamakos, wo sie Jugendlichen Fotoapparate leihen, sie unterrichten und anschließend deren Werke auf der Straße ausstellen.(Foto: Jonathan Fischer)

Wie aber könnten Malier den Anschluss an die internationale Fotografenszene halten? In Bamako, sagt Yamaristen-Chef Camara, gebe es nach der Schließung des „Centre de Formation de Photographie“, wo er und die meisten Kollegen gelernt hatten, keine Fotografenschule mehr. Das müsse sich ändern: „Bis 2025 wollen wir eine international besetzte Akademie auf die Beine stellen.“ Finanziert wird Yamarou durch eine schweizerische und eine niederländische Stiftung. Auch Donko Ni Maaya, eine Initiative der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, hilft und gibt Fortbildungen in Kulturmanagement. Mit diesen Partnern, so hofft Camara, könne eine Schule einen gesellschaftlichen Impuls setzen.

Im Moment suche er noch nach ausländischen Dozenten. „Wir malischen Fotografen leben in einem Zwiespalt“, sagt er. „Unsere Fotos werden in Europa oder Amerika ausgestellt – aber wie können wir der eigenen Bevölkerung etwas von ihrem Wert vermitteln? Ihnen beibringen, dass es sich lohnt, Ausstellungen anzuschauen, ja Geld für den Kauf von Bildern auszugeben?“ In Mali dekoriere man die Wohnung lieber mit chinesischer Serienware. Oder bestenfalls einem Foto der eigenen Hochzeit. „Wenn man aber ein Bild etwa von Kani kauft, dann hat man gleich noch eine Wertanlage dazu.“ Gelächter. Händeklatschen. Eine Runde Tee für alle.

Das westliche Klischee sieht Afrika als Ort der Katastrophen

Die Yamarou-Fotografen könnten vieles beklagen: ihre materielle Situation, die Fotografie-Unkenntnis ihrer Landsleute, die politische Instabilität in einem der ärmsten Länder der Welt. Stattdessen verstehen sie sich als Agenten des Wandels. Zukunftsbeschwörer. Afro-Optimisten. Denn wer genau hinschaut, kann auch in Mali jede Menge hoffnungsvolle Geschichte entdecken: „Wir Malier „, sagt Sissoko, „finden auch in den schlimmsten Situationen Freude, Glück, Harmonie. Das beflügelt mich auch in meiner Arbeit.“

Seydou Camara nickt. Immer wieder diskutiere er mit den Teilnehmern seiner Workshops, „welche Ideen wir transportieren“. Wolle man westliche Klischees bestätigen, Afrika als Ort voller Katastrophen, Krankheiten und Schmutz porträtieren? Ein negatives Image weiter verstärken? Überhaupt störe ihn dieser Trend zum Tabubruch. Auf jeder Biennale sehe er ausländische Fotografen, die etwa die LGBT-Community porträtieren. Junge Malier glaubten, dass sie das Gleiche tun müssten, um Erfolg zu haben. „Ich frage sie dann, worum es ihnen eigentlich geht: Urteilen sie ? Gerieren sie sich als Voyeure? Oder bilden sie tatsächlich ihre persönliche Lebenswirklichkeit ab? Wir malischen Fotografen müssen unsere Werte respektieren.“

Seydou Camara hat eigentlich Jura studiert, wollte Anwalt werden, bevor er sich entschied, mit der Kamera zu argumentieren, die sehr malische Idee von der cohésion sociale zu verteidigen. „Ich habe Bilder von berühmten westlichen Fotografen gesehen, die malische Kinder mit Schmutz im Gesicht und rotunterlaufenen Augen zeigen. So etwas stößt mich ab.“ Er selbst habe immer versucht, den Abgebildeten ihre Würde zu lassen. Etwa in einer von ihm realisierten Serie über Albinos. Sie seien zwar in der malischen Gesellschaft oft Diskriminierungen ausgesetzt, aber warum als Fotograf nicht ihre ureigene Schönheit feiern? „Mit Yamarou vermitteln wir auch ein Menschenbild. Ich bin in meinem Herzen immer Anwalt geblieben“, sagt er. „Der Anwalt der Menschen auf den Bildern.“

JONATHAN FISCHER

SZ 14.1.2021

GUTER STOFF

Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Dennoch ist dort der edle Damast beliebt, den wir nur noch von Omas Bettwäsche kennen. Das Rohmaterial stammt: aus Deutschland und Österreich.

Bamako, an der großen Kreuzung des Viertels Garantibougou: Vor den Ampeln klopfen bettelnde Kinder mit Blechnäpfen an Autoscheiben, Mädchen balancieren Tabletts voller Wasserbeutel oder Sesamkeksen zwischen den Passanten, die Busjungen schreien und schlagen aufs Blech der buntbemalten „Sotrama“-Kleinbusse, um einen Halt zu signalisieren. Ohrenbetäubendes Gehupe, Motorengebrüll, Staubwolken. Afrikanisches Megacity-Chaos. Und mittendrin: Frauen in grellblauen, grellgelben und grellgrünen Kostümen und Turbanen schlendern mit der Lässigkeit geborener Königinnen durch den Tumult. Männer in glänzenden, bestickten Boubous lassen ihre Gebetsketten klackern. Und weil heute Sonntag ist, der Tag der Hochzeiten, wirken selbst die Mofatrauben noch bunter und leuchtender als sonst – als ob sich die Fahrer gegenseitig in einem Wettbewerb um das prachtvollste Kostüm übertrumpfen wollten.

Wie kommt es, dass gerade in Mali, einem der ärmsten Länder der Welt, die Menschen am liebsten in edle Stoffe investieren? Welche Geschichten erzählen die handgeschneiderten Kostüme? Und was hat Deutschland damit zu tun?

Getzner, bitte! In Damast-Fragen gilt die Vorarlberger Firma in Mali als erste Adresse

Das sind die Fragen, die ich mir stelle, als ich das Stoffgeschäft mit den überdimensionalen Schaufenstern an besagter Ampel betrete. Wie ein moderner Supertanker ruht es im archaischen Tumult. Bazin riche, Damast, verkündet die Leuchtreklame – gerahmt von österreichischen und deutschen Flaggen. „Tatsächlich würden viele Malier lieber hungern, als an ihren Kleidern zu sparen“, sagt Soya Bathily, der 35-jährige Ladeninhaber. „Und wer Eindruck schinden will, kauft auf jeden Fall deutsche oder österreichische Stoffe. Die erste Qualität.“

Hinter dem Kontor hat Bathily eine ganze Wand voll glänzender Stoffe. Bazin riche aus Weberei-Betrieben in Gera, Augsburg oder Bludenz, dort wo der dicht gewebte Stoff mit dem typischen reliefartigen Fadenmuster seit vielen Jahrhunderten produziert wird. Dass aber ein Hochlohnland wie Deutschland ausgerechnet nach Westafrika exportiert! Glaubt man Bathily, hat das mit örtlichen Qualitätsstandards zu tun. Einer Liebe zu extravaganten Stoffen und Schnitten, die niemals von der Stange kommen dürfen.

Eine Kundin, eine ältere Dame, die wie sie sagt für eine Hochzeit einkauft, zeigt auf ein rosafarbenes Stoffbündel. Einer der Angestellten holt es mittels einer Leiter aus den Regal, entnimmt es der Plastikhülle, faltet es auf, und lässt es durch die Finger gleiten. Der Glanz stimmt. Das leichte Rascheln auch. Die zwei Qualitätsmerkmale, auf die es in Mali ankommt.

Mode in Afrika: Für jedes Fest ein Kostüm: Eine Taufe in Mali.

Für jedes Fest ein Kostüm: Eine Taufe in Mali.(Foto: Jonathan Fischer)

„Wie viel Meter Getzner darf es sein?“ Getzner – das Wort gilt im örtlichen Bamana inzwischen als Synonym für hochwertigen Damast. Die Firma Getzner in Vorarlberg ist seit knapp einem Jahrzehnt Marktführer in Westafrika. Auch die deutschen Firmen HC, Dierig oder Barilux konkurrieren um die Gunst der malischen Kundschaft. „Ich reise jedes Jahr zu Getzner nach Vorarlberg und auf Textilmessen in München und Hamburg“, erklärt Bathily, der, wie es sich für einen weltgewandten Geschäftsmann gehört, ein Damast-Boubou trägt. „Die Farben auf den Fotos entsprechen oft nicht der Realität. Da ist es besser, alles vor Ort zu prüfen.“

Handelszentrum für Westafrika: An den Stoffen hängt in Mali eine regelrechte Industrie

Bathily ist einer von einem knappen Dutzend Großhändlern aus Bamako, die ihre Ware direkt aus Deutschland und Österreich importieren. Um sie an Hunderte von Boutiquen in ganz Westafrika weiterverkaufen. „Damast ist der Mercedes unter den Stoffen“ sagt Bathily. „Und Mali ist das Zentrum des Damasthandels. Geschäftsleute aus Senegal, Burkina Faso oder der Elfenbeinküste reisen hierher, um den Stoff einzukaufen. Oder gleich fertige Kostüme zu bestellen.“ Am Bazin hänge eine regelrechte Industrie: Die Importeure, die Marktverkäufer, die Färbereien, die individuelle Designs fertigen, die Werkstätten, die den Damast glänzend klopfen, die Stickereibetriebe und dann noch all die Schneider, die jedem Kunden sein ganz persönliches Design verpassen. „Wir Malier tragen den Bazin nicht nur freitags für den Moscheebesuch“, erzählt Dandara Traore, eine von Bathilys Stammkundinnen, „sondern auch zu allen anderen Festtagen. Wenn du hier zu einer Hochzeit oder Taufe geladen bist, dann brauchst du auf jeden Fall ein neues Kostüm. Eines aus deutschem bazin riche.

Was afrikanische Haute-Couture-Phantasien befeuert, gilt im Westen seit langem als Ladenhüter. Damast: Das steht hierzulande für Omas Servietten, Tischtücher und Bettwäsche. Brav. Und ungefähr so altmodisch wie gehäkelte Tischtelefon-Überzüge. Tatsächlich ist das Know-how der Damastherstellung vor knapp 900 Jahren aus Damaskus – daher der Name – nach Mitteleuropa gelangt. Ein Stoff für gehobene Ansprüche. Gewebt nur aus reinster Baumwolle, extrem dünnen Garnen und in raffinierten Webmustern. Als in den 1970er-Jahren das Geschäft mit der Damast-Bettwäsche zusammenbrach, und günstigere, bunt bedruckte Baumwollwäsche modern wurde, hatten ein paar findige Manager der Firma Getzner die rettende Idee: Warum nicht den afrikanischen Markt beliefern? Nigerianische Kaufleute hatten als Erste Kontakte in die damalige DDR zu Damastwebereien in Sachsen und Thüringen geknüpft. Andere Hersteller bekamen Wind von der Afrika-Connection. Besonders für Getzner erwies sie sich als Glücksgriff. Heute gehen 98 Prozent der Damast-Produktion in den Export, das Vorarlberger Unternehmen expandiert und ließ neue Webereien im thüringischen Gera errichten.

Der Trend begann, als Geschichtenerzähler und Sänger in neuen Gewändern auftraten

Der Siegeszug des Damasts in Westafrika, erinnert sich Bathily, kam mit der Plötzlichkeit einer Flutwelle. Lange dominierten die bedruckten Wax-Stoffe den Markt. Doch dann zeigten sich immer mehr Griots, die traditionellen Sänger und Geschichtenerzähler Westafrikas, in glänzendem Damast. Politiker, Popstars und Entertainer folgten. Und selbst im Radio besang man leidenschaftlich diesen einen speziellen Stoff – wie etwa die Chanteuse Safi Diabate mit ihrem Song „Nuit de Bazin“. Heute kommt kein Malier mehr um ein Damast-Kostüm herum. Das war einst auch Bathilys Wette. 2014, nach Abschluss seines Jura-Studiums in Tunis, stand er vor der Wahl: Sich als Rechtsanwalt mit einem korrupten System herumschlagen – oder Schönheit zu Geld machen. Bathily eröffnete auf dem zentralen Markt von Bamako sein erstes Stoffgeschäft. Inzwischen hat er zwei weitere Boutiquen eröffnet, der Umsatz sei fantastisch. Vor allem wenn man statt chinesischer Billig-Imitate deutsche und österreichische Traditionsnamen wie Getzner, Fussenegger, HC oder Dierig anbieten könne.

Mode in Afrika: Pracht aus Deutschland und Österreich: ein blaues Festgewand.

Pracht aus Deutschland und Österreich: ein blaues Festgewand.(Foto: Jonathan Fischer)

Die Deutschen und Österreicher brauchen im Gegenzug die Rückmeldung von Großeinkäufern wie Bathily. „Sie richten ihr Farbangebot nach unseren Bestellungen“, sagt der Damast-Kaufmann. Normal koste ein Meter der rund 1,60 Meter breiten Stoffbahn 10 000 Francs. Deutsche Qualität, das bedeute, dass die Stoffe auch nach mehrmaligem Waschen ihren Glanz behielten. Dann faltet er ein mit Pflanzenmotiven bunt bedrucktes Tuch auf. „Das ist der teuerste Damast im Angebot. Der Meter für 15 000 Francs.“ Das entspricht etwa 23 Euro. Angesichts eines Monatsgehalts von etwa 100 Euro für einen staatlich angestellten Lehrer ein Vermögen. „Manche Leute sparen jahrelang, um dann auf einen Schlag eine Million CFA (über 1500 Euro) für eine Kleiderbestellung auszugeben. Besonders mit den Hochzeiten mache ich viele Geschäfte: Das Brautpaar gibt ein Modell und eine Farbe vor. Und erwartet von den Geladenen, sich entsprechende Uniformen schneidern zu lassen.“

Ist hier Kulturimperialismus am Werk? In Mali betrachtet man den Damast als Rohmaterial

Der Damast-Boom wirft allerdings auch unbequeme Fragen auf: Bereichert sich der Westen womöglich ein weiteres Mal am wirtschaftlichen Gefälle zu Afrika? Schaden europäische Stoffe – analog zu den aus der EU exportierten überschüssigen Tomaten oder Gefrier-Hähnchen – dem heimischen Markt? Steckt dahinter gar so etwas wie Kulturimperialismus? Zumindest letztere Frage kann Sale Dembele eindeutig verneinen: „Den Bazin sehen wir als unseren ureigenen malischen Stoff an“, sagt die 50-jährige Betreiberin einer Stofffärberei in Bamakos Stadtteil Badalabougou. „Der weiße Getzner-Damast ist nur das Grundmaterial. Denn die Kunden kommen mit ihren ganz eigenen Vorstellungen, was Farbgebung und Muster betrifft. Am Ende gleicht kein Tuch dem anderen.“

Ein staubiger Platz am Straßenrand, ein halbes Dutzend große Bottiche, ein paar Wäscheleinen: Das ist die ganze Ausstattung von Dembeles Unternehmen. Sie und ihre Schwester beschäftigen ein Dutzend Frauen, die bewehrt mit Gummihandschuhen und Mundschutz große Stoffbündel in die brodelnden, dampfenden Farbbäder eintauchen. Zuvor haben die Färberinnen die Stoffrollen kunstvoll mit Schnüren abgebunden: So entstehen die batikähnlichen Marmorierungen und Muster – wenn gewünscht auch in mehreren kombinierten Farben.

„Durch das Färben und anschließende Bearbeiten gewinnen die Stoffe an Wert“, sagt Dembele, die ihre Färberei in zweiter Generation führt. Sie selbst rührt die Farbtöpfe allerdings nicht mehr an. Die Farbe selbst sei ungiftig, sagt sie, nicht aber das hinzugerührte Fixiermittel. Weil sie sich früher zu wenig gegen die giftigen Dämpfe geschützt habe, sei ihre Gesundheit angeschlagen – Haut- und Lungenbeschwerden, die sie in Paris behandeln lasse. Dembele kann sich das dank ihres florierenden Betriebes leisten. 10 000 CFA pro Meter kostet das Färben. Dafür ist die anschließende Hochglanzbehandlung im Preis inbegriffen. Ein junger Mann auf dem Mofa übergibt Madame Dembele, die in einem Plastiksessel ihre Geschäfte überwacht, ein Dutzend Plastiktüten. Ein paar Straßen weiter haben zuvor ein paar muskulöse Jungs unter einem Strohdach die gefärbten aber stumpf gewordenen Stoffbahnen bearbeitet. Mit fünf Kilogramm schweren Holzschlegeln auf einem Baumstamm behämmert. Glänzend geklopft. In einem Rhythmus, der wie handgemachter Techno durch das Karree donnert. Stundenlang. Nun geht es zur Qualitätskontrolle. Einzeln reißt die Unternehmerin jede Tüte auf. Behutsam streicht sie über die gefalteten Stoffbahnen. Der Damast glänzt speckig, knirscht zwischen den Fingern, fällt seidig leicht. Sie nickt zufrieden. „Jetzt müssen nur noch die Schneider und Sticker ihre Arbeit machen.“

Wenn es nach Soya Bathily geht, wird sich auch der Rest der Wertschöpfungskette nach Mali verlagern. „Mali ist einer der größten Baumwollproduzenten Afrikas“, sagt der Kaufmann. „Bis in die 70er-Jahre hatten wir eine eigene Textilindustrie, produzierten malische Wax-Stoffe.“ Dann legten Ersatzteilmangel, Korruption und Handelsschranken den Betrieb lahm. Der Damast-Boom aber könnte nun neue Voraussetzungen schaffen. Bathily jedenfalls hat einen Plan: „Die Webmaschinen für Damast sind zwar sehr teuer. Aber ich verhandele mit einigen Betrieben in Europa über den Kauf gebrauchter Webstühle.“ Könnte die Einrichtung einer eigenen Weberei vor Ort mit den deutschen und österreichischen Produkten in den Boutiquen Westafrikas konkurrieren? Noch ist es ein Traum. Am Ende aber werden die westafrikanischen Kunden entscheiden: „Jeder Malier“, sagt Bathily, „erkennt auf den ersten Blick die Qualität eines Stoffes. Und wer es sich leisten kann, wird niemals Zweitklassiges kaufen. Dein Bazin ist deine Visitenkarte.“

JONATHAN FISCHER

SZ 11.1.2022

Der HipHop-Mönch

RZA hat als Gründer des Wu-Tang Clan Popgeschichte geschrieben. Inzwischen pflegt er neben harten Rhymes auch fernöstliche Meditation.

Kann unter der harten Fighter-Schale ein weicher Kern stecken? Oder gar so etwas wie Spiritualität? Das sind Fragen, die sich bei einem Gespräch mit Robert Fitzgerald Diggs alias RZA aufdrängen.

Der weltbekannte Rapper, Schauspieler und Kopf der New Yorker Rap-Crew Wu-Tang Clan hatte mit seiner furchteinflössenden Truppe gerade einen Auftritt in Ostdeutschland absolviert und Tausende von Fans zum Mitbrüllen animiert: „Wu-Tang Clan Ain’t Nothin‘ To Fuck With“. Nun aber wirkte RZA – den langen drahtigen Körper auf dem Rücksitz eines VW-Busses ausgestreckt – entspannt wie ein Wanderer nach einem Wellnessbad.

Er zeigte auf den Vollmond am Abendhimmel über Thüringen: „Schau nicht auf meinen Finger, du verpasst das himmlische Schauspiel da draussen“. Eine Art Koan, das auf den qualitativen Unterschied zwischen dem Vermittler einer Botschaft – in diesem Fall dem Rapper RZA – und deren größerem Hintergrund anspielt. Er sagt das im Brustton eines routinierten Anführers. Und nach einer kurzen Pause: „Das habe ich von Bruce Lee“. Vom Kampfsportler? Ja! Neben der Bibel und buddhistischen Schriften sei Bruce Lee sein grösster Lehrmeister.

Über acht Jahre ist das her. RZA hatte damals gerade angefangen, sich auch als Autor philosophischer Hip-Hop-Fibeln zu profilieren: „The Tao of The Wu“ etwa enthielt eine Menge fernöstlicher Weisheiten, garniert mit ein wenig Wu-Tang-Folklore, abgepackt in Rap-kompatibler Sprache. Auch auf das Wu-Tang-Album „A Better Tomorrow“ (2014) liess er ein paar Songs mit untypischen (und von Kollegen mit Unmut quittierten) Weltfriedens- und Hoffnungsbotschaften einfliessen.

Unterdessen hat RZA keine Camouflage mehr nötig. Der stilbildende Musiker postet in den Social Media seit Neuestem regelmässig Achtsamkeits-Aufrufe: „Let’s Meditate“ – lasst uns Meditieren. In den entsprechenden Videos (etwa auf wutangclan.net) rät er seinen Millionen Follower, in sich zu gehen, zumindest für ein paar Minuten: „Wenn wir von der Aktivität zur Ruhe übergehen“, lässt er verlauten, „führt das zu bewussterem Verhalten“. Oder: „Meditation kann dir helfen, deine positiven Eigenschaften zu entdecken“. Oder auch: „Meditation kann die Rezeptoren im Hirn verändern, die für Alkohol – und Drogensucht veranwortlich sind“.

RZA meint das ernst. „Ich bin in einem Alter“, sagte er unlängst in einem Telefongespräch, „in dem man versucht, Wissen weiterzugeben, anderen Menschen zu helfen, die Blockaden ihrer Kreativität zu lösen“. Wie aber kann man sich den Clan-Paten als Meditations-Coach vorstellen? Hat der 52-jährige Wu-Tang-Star einen Weg gefunden, um in Würde zu altern? Ähnlich wie Mitstreiter Ghostface Killah als praktizierender Muslim oder wie Kanye West, der sich mittlerweile als christlicher Prediger in Szene setzt?

RZA hatte schon immer einen Hang zur Esoterik. Das zeigt schon der Künstlername RZA – beim Akronym von „Ruler Zig Zag Allah“ handelt sich um ein Zahlen- und Buchstaben-Mysterium der islamisch geprägten Five-Percenter-Sekte. Später nannte er sich in Anspielung auf die buddhistischen Shaolin-Mönche auch „The Abbott“ und liess sich dazu in entsprechendem Kapuzengewand ablichten.

Rückblickend darf man vermuten, dass es sich bei der ganzen Wu-Tang-Geschichte um das geniale Selbstfindungs-Unterfangen eines 21-jährigen, musikverrückten Kleindealers aus den Projects von Staten Island handelte. Nach einer Anklage wegen versuchten Mordes – RZA wurde freigesprochen – mag er sich geschworen haben, sein Leben wie einen Kung-Fu-Film zu gestalten. Einen Film, der Bruce Lee die Ehre erweisen sollte.

1993 debütierte der Wu-Tang Clan mit „Enter The Wu-Tang: 36 Chambers“. Die billige Produktion klang düster, die Texte wirkten surreal, die Songs kamen bisweilen ganz ohne Melodie oder Chorus aus. „Ich wollte keine Tanzmusik machen, sondern andere zu einem Gefängnisausbruch inspirieren“, sagt RZA. Das Debütalbum schlug ein, es machte den Wu-Tang-Clan zur erfolgreichsten Hip-Hop-Band. Als Bandleader schrieb RZA einerseits den Rapper-Kollegen je eine spezielle Rolle auf den Leib, andrerseits sorgte er für Lyrics mit üppigen Slang- und Kung-Fu-Einschüben sowie für dunkle, soulige Soundscapes.

Wenn sich Hip-Hop bisher zwischen Dance-Tracks und Gangster-Hedonismus bewegte, dann brachte der Wu-Tang-Clan nun jede Menge Rätsel ins Spiel. Die Geschichten von brennenden Mülltonnen, gescheiterten Überfällen, Armut und den Projects funktionierten auf mehr als nur einer Ebene. Sie verwandelten Staten Island in den Klosterbezirk Shaolin, sie überhöhten alles Profane mit Zahlenmystik, stets machten sie einen höheren Sinn geltend im weltlichen Chaos. Wann hatte Hip-Hop schon einmal so viel Mythisches transportiert?

Seitdem hat sich RZA konstant bewegt: Als Rapper aus dem Ghetto fand er einen Weg in ein Hip-Hop-Schamanentum, das sich bei Indianer-, Buddhisten- und Aborigines-Weisheiten bediente. RZA gründete überdies die Hip-Hop-Chess Federation, eine Initiative, die Schulkindern eine Kombination aus Schach, Kampfsport und Hip-Hop anbietet – „um Geist und Körper zu formen“. Er spricht nun an Schulen über die „kreative Umwandlung von Aggressionen“. Als Veganer propagiert er, „Tierleben nicht mehr für den schnellen Profit zu opfern“.

Über allem aber steht RZA‘s Engagement für einen Crossover-Buddhismus, in dem Hip-Hop ebenso Platz hat wie Kung Fu. Bereits 2012 hat RZA mit seinem Lehrmeister und Freund Jim Jarmusch einen Hollywood-Kung-Fu-Film gedreht. „Man With The Iron Fists“. Der Hip-Hop-Produzent lieferte dabei die Musik, gab selbst den Hauptdarsteller – einen Schmied, der die Armen und Unterdrückten verteidigt – und legte sich Sätze in den Mund, die an Bruce Lee erinnerten: „Ertrinke im Teich und werde wie Wasser“.

RZA liebt solche Sentenzen. Ihn hätte die philosophische Botschaft von Bruce Lee stets mehr berührt als die Kampfszenen. Das gilt auch für die Sequenz aus ‚36 Chambers‘, die den Jungen aus dem Ghetto einst zur Gründung des Wu-Tang Clan inspiriert habe: „Da trifft ein junger Mönch auf seine Meister: Er will kämpfen, für sie aber zählt allein die geistige Haltung.“

RZA hat aber auch jahrzehntelang Kung Fu trainiert. Wie hat ihn das verändert? Der zertifizierte Kung-Fu-Meister lächelt, lässt kurz die Goldzähne aufblitzen: „Ich habe gelernt, meine Gedanken zu zähmen.“ Wie das funktioniert, zeigt sein vor einem Jahr inmitten der ersten Corona-Panik veröffentlichtes Album „Guided Explorations“. Tazo, eine grosse Tee-Firma, übernahm die Promotion und organisierte ein zweitägiges „Tazo Camp“ auf Staten Island, wo ausgewählte Teilnehmer unter RZAs Anleitung meditieren, Schach spielen, philosophieren und zeremonielles Teetrinken lernten.

Unterdessen richten sich RZAs Predigten auch gegen viele Hip-Hop-typische Egomanien. So erklärt er auf „Guided Explorations“ Techniken, die helfen sollen, mit vergiftenden Gedanken und Gefühlen umzugehen: „Der Druck der Konkurrenz kann dich stagnieren lassen.“ Oder: „Versuche nicht dem Chaos zu entfliehen, sondern finde die Ordnung darin“. Man mag das so oder ähnlich schon in mancher Selbsthilfefibel gelesen haben. Aber im Bariton des Wu-Tang-Abbott klingt das dann doch irgendwie überzeugender und smarter. Eines macht RZA allen Fans klar: Spiritualität ist nicht nur für Sitzkissen-Softies.

JONATHAN FISCHER

NZZ 5.1.2022

Hilferuf aus Mali – „Wir bräuchten ein beherztes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft“, sagt Oumar Yamadou Diallo. Der Archäologe fürchtet um das Kulturerbe seines von Dschihadisten bedrohten Landes.

Mali durchlebt seine größte Krise seit der Unabhängigkeit im Jahre 1960. Im vorigen Jahr übernahm das Militär die Macht von einer korrupten Regierung, seitdem ist das Land ökonomisch am Boden und international weitgehend isoliert. Der Staat kontrolliert kaum mehr als die größeren Städte: Dschihadistische und andere bewaffnete Gruppen verüben regelmäßig Anschläge und terrorisieren die ländliche Bevölkerung. Nun bedrohen sie auch das kulturelle Welterbe Malis. Oumar Yamadou Diallo, Archäologe, Historiker und ehemaliger Ausstellungsleiter des malischen Nationalmuseums, über die Gefährdung jahrhundertealter religiöser Kultstätten und Traditionen.

SZ: Die malische Bevölkerung leidet gerade unter Armut, Hunger und zunehmender Unsicherheit. Ist da die Erhaltung des malischen Weltkulturerbes nicht ein sekundäres Problem?

Oumar Yamadou Diallo: Nein, unsere kulturellen Traditionen sind unser Reichtum und unser historisches Prestige. Sie haben unser Land immer zusammengehalten, den Geist der Toleranz begründet, für den Mali so berüchtigt ist. Wir können stolz sein auf die Leistungen unserer Vorfahren: Bereits im 6. und 7. Jahrhundert wurde in unserer Region das erste afrikanische Imperium gegründet. Später schrieben malische Könige wie Mansa Musa oder Soundiata Keita Geschichte. Die Zeugnisse dieser Vergangenheit verdienen es, geschützt zu werden. Aber nun sind sie in großer Gefahr.

Von wem geht die Gefahr aus?

Wir haben in Mali 19 Ethnien, die meist friedlich zusammengelebt haben. Aber der Zusammenhalt ist zerbrechlich. 2012 hat eine kleine, aber schwer bewaffnete Minderheit von Tuareg und Islamisten den Norden Malis besetzt und versucht, die Macht an sich zu reißen . Seit 1962 hatte es immer wieder Rebellionen der Tuareg gegen die Regierung gegeben, um sich und ihrer unterentwickelten Region mehr Rechte zu sichern. Aber nun ist etwas Neues dazugekommen: Dschihadisten oktroyieren dem Land ihre radikale Ideologie auf. Ihnen war der tolerante, mit animistischen Praktiken durchsetzte Islam der Mehrheit der malischen Bevölkerung schon immer ein Dorn im Auge.

Und nun wollen sie zerstören, was nicht ihrer Auffassung von Religion entspricht?

Wir haben das bereits erlebt, als die Dschihadisten im Jahre 2012 ein Jahr lang den Norden beherrschten. Ich war damals traurig und wütend, dass ein paar Fanatiker mit ein paar Spitzhacken in der Lage sind, unser malisches Kulturerbe zu zerstören.

Können Sie Beispiele nennen?

In Timbuktu etwa, der Stadt der 333 Heiligen, gibt es 333 Mausoleen. Die Menschen dort verehren sie glühend. Die Besatzer aber sagten, das entspreche nicht ihrer Version von Islam – und begannen damit, die Mausoleen mit Spitzhacken zu zerstören. Darüber hinaus haben sie alte Bücher aus den örtlichen Bibliotheken verbrannt. In einer der drei großen Moscheen Timbuktus , Sidi Ya, haben sie ein jahrhundertealtes Tor eingerissen: Von ihm hieß es, wenn es falle, dann bedeute das den Weltuntergang.

Die Vertreibung der Dschihadisten durch die Franzosen im Jahre 2013 hat sich als nicht dauerhaft erwiesen. Im Moment destabilisieren islamistische Gruppen wie Katiba Macina zunehmend das Zentrum und sogar den Süden Malis.

Diese Gruppe von Islamisten hat ihre Basis vor allem bei jungen Peulh-Hirten. Sie tun so als hätten sie den Islam noch mal neu erfunden. Dabei gab es in Timbuktu bereits im 14. Jahrhundert Universitäten und islamische Gelehrte, pilgern Koranschüler aus ganz Afrika seit jeher zu den berühmten alten Koranschulen in Mopti und Djenné. Das Herz des westafrikanischen Islam schlägt hier. Seit ein paar Jahren aber hat ein radikaler örtlicher Prediger namens Amadou Kouffa viel Einfluss gewonnen. Seiner Lehre nach sind alles Westliche, die französische Sprache und weltliche Schulen haram.

Warum fallen solche Ideen bei den Jugendlichen vom Land auf derart fruchtbaren Boden?

Die dschihadistischen Ideologen aus dem Ausland haben in Mali ideale Bedingungen vorgefunden: einen schwachen Staat, und jede Menge Jugendliche ohne Perspektive. Diese arbeitslosen ehemaligen Koranschüler sind ihre Rekruten . Sie bekommen von ihnen Essen, Motorräder, Waffen und Schießunterricht, um Gendarmerieposten und Militärs anzugreifen, oder um Drogentransporte durch malisches Gebiet zu sichern. Dabei treffen sie auf wenig Gegenwehr. In den vergangenen Jahren haben die Dschihadisten in großen Teilen Malis französischsprachige Bücher verbrannt, Lehrer bedroht, über 800 Schulen gewaltsam geschlossen, die Bürgermeister und Präfekten vertrieben. Selbst die einst dort stationierten Militärs haben ihre Posten aufgegeben.

Oft werden die Zustände in Zentralmali als Konflikt zwischen verschiedenen Ethnien, also den Peulh und den Dogon geschildert. Trifft das den Kern der Krise?

Die Peulh und Dogon haben jahrhundertelang friedlich koexistiert. Sie gelten als Cousins, sprechen die Sprache des jeweils anderen, ihre Verwandtschaft ist heilig. Hier geht es aber auch um einen Konflikt zwischen knapper werdenden Weidengründen der Peulh-Hirten auf der einen und dem Ackerland der Dogon-Bauern auf der anderen Seite. Dazu kommt eine verschiedene Auslegung des Islam. Während sich viele Peulh islamistischen Predigern angeschlossen haben, praktizieren die Dogon einen Islam, der auch Praktiken afrikanischer Religionen mit einschließt. Besonders bei Geburt oder beim Tod behalten sie traditionelle Zeremonien bei. Für die Islamisten gelten sie deshalb als Ungläubige.

Und deshalb wollen sie deren heilige historischen Traditionen und Kultstätten zerstören?

In Zentralmali stehen einerseits einige der berühmtesten Gebetsstätten des traditionellen Islam in Westafrika. Etwa die Moschee von Djenné, der größte Lehmbau der Welt. Auf der anderen Seite sind in der Gegend von Bandiagara viele Zeugnisse einer uralten, längst untergegangenen afrikanischen Kultur erhalten. Etwa die in die Felsenklippen und Überhänge der Felsklippen gebauten Lehmsiedlungen der Telem, eines Volkes, das die Region vor der Ankunft der Dogon im 15. Jahrhundert besiedelt hatte. Heute stellen deren Miniaturhäuser, Kornspeicher und Totengrotten so etwas wie ein lebendiges Freilichtmuseum dar. Einige der Mauerwerke konnte man zurück auf das zweite und dritte Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung datieren.

Im Westen sind die Dogon vor allem durch ihre legendären Tier-Masken bekannt.

Ja, die Dogon haben eine hohe Kultur der Maskentänze entwickelt. Dazu gehören über hundert verschiedene Typen von Tiermasken, die alle speziellen Energien und Zeremonien zugeordnet sind. Den Höhepunkt der Dogon-Kultur aber gibt das Sigui-Fest. Es wird nur alle 60 Jahre gefeiert. Aber all diese alten Traditionen, die Masken, Tänze und Feste wollen die Islamisten mit Gewalt unterdrücken.

Hatten die Muslime in Mali in der Vergangenheit Probleme mit diesen archaischen religiösen Praktiken?

Nein, es hatte bisher niemanden gestört. Ich bin selber Muslim. Aber ich halte mich an den Koran. Dort steht: Praktiziere deinen Glauben und lasse die anderen den ihren praktizieren. Nirgends steht geschrieben, dass man Andersgläubige mit Gewalt bekehren oder gar töten soll. Jede Ethnie in Mali hat ihre traditionellen Praktiken. Sie blieben mit und neben dem Islam bestehen. Jetzt behaupten Eiferer plötzlich, das Orakel aus Kauri-Muscheln oder die Geomantie seien schlecht.

Sie sprechen vom traditionellen Wahrsagen aus Sandspuren?

Ja, in Mali ist das eine hohe Kunst. Ich selbst habe bei den Dogon lange die Geomantie studiert: Man lässt einige Samen oder Bohnen über Nacht in einem Sandfeld liegen. Am nächsten Morgen sieht man die Spuren der Füchse, die darübergelaufen sind. Gelehrte können daraus schicksalhafte Ereignisse lesen. Man sollte solche jahrhundertealte Praktiken um keinen Preis der Welt aufgeben.

Sprechen Sie da nur als Museologe oder sehen Sie auch einen praktischen Nutzen?

Meine Eltern haben beide das Kauri-Orakel gelesen, Freunde von mir betreiben die Geomantie. Unsere Marabouts oder heiligen Männer mischen Koransprüche und islamisches Wissen mit traditionellen Praktiken. So sagen sie dir deine Zukunft voraus. Wenn ich ein Problem habe, besuche ich selbstverständlich einen Marabout. Damit etwas gelingt, musst du etwa ein Huhn, einen Hahn oder eine Ziege opfern. Für die Islamisten ist das aber haram.

Auch die Imame müssen sich vor den Dschihadisten fürchten?

Ja, insofern sie den überlieferten toleranten Islam vertreten. Ich behaupte, dass ein Großteil der malischen Imame selbst beim Besuch der Moschee ein paar Gris-Gris – also von Feticheurs oder traditionellen Heilern gefertigte Zauber- und Abwehrmittel – in der Tasche haben, um sich vor bösen Absichten zu schützen.

Haben die malischen Autoritäten genug getan, um das kulturelle Erbe des Landes zu dokumentieren und zu konservieren?

Das Nationalmuseum hat Artefakte in allen Regionen Malis gesammelt. Im Depot des Museums finden sich Musterstücke fast aller Dogon-Masken. Aber diese Sicherung hat ihre Grenzen. Es gibt viele Objekte, die wir an Ort und Stelle lassen müssen, weil sie eine Rolle für religiöse Rituale spielen, wie etwa die Totengrotten im Dogonland. Dort werden bis heute Opfer gebracht.

Was kann der Westen in dieser Situation tun, um die Menschen, aber auch ihr kulturelles Erbe besser zu schützen?

Wir bräuchten ein beherztes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft – also den Auftrag, uns mit Waffen zu schützen. Bisher läuft es so: Wenn die Dschihadisten wie in Tumbuktu abgezogen sind, dann kommt die Unesco und versucht, die zerstörten Mausoleen, dieses Weltkulturerbe, wieder aufzubauen. Es wäre aber besser, man würde erst gar nicht dessen Zerstörung zulassen.

Reicht der Einsatz der UN-Friedenssicherungstruppe Minusma denn nicht aus?

Die Minusma wird in Mali wegen ihrer Untätigkeit kritisiert. Die UN-Soldaten sind vor allem damit beschäftigt, sich selbst zu schützen, vielleicht bauen sie hier und da mal einen Brunnen. Aber sie haben die Massaker an der Zivilbevölkerung nicht verhindert. Deshalb hat die Mission – genauso wie der Militäreinsatz der Franzosen – die Unterstützung bei einem Großteil der Bevölkerung eingebüßt. Wenn bewaffnete Banden hier ungehindert alles niederbrennen, dann betrifft das nicht nur Mali. Nein, die ganze Welt verliert einen Schatz.

JONATHAN FISCHER

SZ 29.12.2021

Für zwei Säcke Reis

Das Mädchen mit der lauternen Stimme“: Der Debutroman der Nigerianerin Abi Daré erzählt vom Überlebens-Kampf eines Hausmädchens in Lagos

Abi Daré

„Das Mädchen mit der lauternen Stimme“: Der Debutroman der Nigerianerin Abi Daré erzählt vom Überlebens-Kampf eines Hausmädchens in Lagos

Kann das Leben mit 14 Jahren schon zu Ende sein? Adunni scheint keine Wahl zu haben. Das Dorf- Mädchen aus Nigeria muss alles, was sie sich im Leben wünscht, aufgeben: Die Schule besuchen, Lehrerin werden, ein selbstbestimmtes Leben führen. Abi Darés Debutroman nimmt den Leser mit an einen Ort, wo archaische Traditionen mehr zählen als Frauenrechte, wo Greise sich Teenager als Zweit- und Drittfrauen nehmen und das Gesetz in der Hand der Dorfältesten liegt. „Wenn du zur Schule gehst, wird dich keiner in diesem Dorf zwingen, irgendeinen Mann zu heiraten… Deine Schulbildung ist deine Stimme Kind. Sie spricht für dich, auch wenn du gar nicht den Mund aufmachst“. Das war die letzte Ansprache der schwerkranken Mutter. Nach deren Tod aber hält der Vater sein Versprechen nicht, die Tochter in der Schule zu lassen: Stattdessen bietet er Adunni dem sehr viel älteren Taxifahrer Morufu als Drittfrau anbietet: Gegen die Hausmiete, ein paar Ziegen, und zwei Säcke Reis.

Schulbildung, entgegnet der Alkoholiker-Vater auf die verzweifelten Bitten seiner Tochter, sei nur das Rezept für einen „aufmüpfigen Charakter“. Für Adunni beginnt eine lange Flucht: Vor Morufu, der sie vergewaltigt, vor dessen eifersüchtiger Erstfrau, die sie schlägt, vor einem Leben, in dem erwartet wird, dass junge Mädchen Ehemännern zu Diensten sind und ihnen – möglichst männlichen – Nachwuchs gebären. Als Hausangestellte einer reichen Familie kommt sie nach Lagos. Doch auch hier wird sie ausgebeutet. Jung, weiblich,arm: Das scheint für jemanden, der etwas im Leben erreichen will, eine unüberwindbare Hürde. Und doch gibt Adunni ihren Traum nie auf: Endlich gesehen zu werden. Sich über schulische Bildung Gehör zu verschaffen. Kurzum: „eine lauterne Stimme“ zu haben.

Die tragische Heldin von Abi Darés Debutroman „Das Mädchen mit der lauternen Stimme“ steht für das Schicksal Millionen junger Mädchen in Nigeria und ganz Westafrika. Hausmädchen zählen dort kaum mehr als Leibeigene. Oft werden sie von armen Eltern beziehungsweise Kupplern an vermögendere Familien „verkauft“. Viele finden sich dabei in ähnlichen Höllen wie Adunni wieder. Sexuell belästigt , beschimpft, geschlagen. Und was ist mit ihrem Lohn? Adunni wird gewarnt, sich nicht zu beschweren, wenn es ihr nicht so ergehen soll, wie ihrer verschollenen Vorgängerin.

Abi Darés Roman – das englischsprachige Original titelt „The Girl With The Louding Voice“ – spielt im Jahre 2014: Präsidentschaftswahlen führen zu Spannungen, im selben Jahr erregt Boko Haram mit der Entführung von 276 Schulmädchen international Aufsehen. Adunnis Lebenswelt spiegelt die Spaltung der Gesellschaft wieder: Nigeria, eines der reichsten Länder Afrikas, hat seine urbane Mittel- und Oberschicht in die kapitalistische Moderne katapultiert, während die arme Mehrheit in patriarchalen, mittelalterlichen Verhältnissen gefangen bleibt. Vor diesem Hintergrund gewinnt Adunnis Kampf, zur Schule gehen zu dürfen, an gesellschaftlicher Brisanz.

Abi Daré, die selbst in einer reichen Mittelschichts-Familie in Lagos aufwuchs, Jura und kreatives Schreiben studierte und heute in England lebt und arbeitet, sollte erst durch eine Diskussion mit ihrer achtjährigen Tochter auf ihr Thema kommen. Als diese sich weigerte die Geschirrspülmaschine auszuräumen, habe sie ihr von den nigerianischen Hausmädchen erzählt. Nur dass die Tochter anders reagierte als erwartet: „Kann ich nicht auch dafür bezahlt werden, wenn ich Hausarbeit mache?“ In der Folge habe sie sich erstmals intensiv mit den Lebensbedingungen von Hausmädchen auseinandergesetzt – um auf Berichte voller Gewalt, Misshandlung und unbezahlter Arbeit zu stoßen. Wie, fragte sich die Autorin, könnte sie deren Welt überzeugend einfangen?

Einer von Darés stärksten Kunstgriffe ist Adunnis Sprache: Ihre Erzählstimme nimmt den Leser in einfachem, oft falschem Englisch an der Hand, macht ihn zum intimen Komplizen ihrer kindlichen Gefühlswelt. Naiv aber ist Adunni nicht wirklich. Sie stellt alles in Frage, beobachtet mit Verwunderung die Machtspiele ihrer Arbeitgeber, deren ostentativ zur Schau gestellten Reichtum, die falsche Freundschaften, ja den ganzen Standesdünkel der nigerianischen Oberschicht. Ihre – von der Übersetzerin Simone Jakob wunderbar ins Deutsche übertragenen – Neologismen sorgen dabei immer wieder für Situationskomik: Fernseher heißt für Adunni Fernseh, Ausland nennt sie Außenland, ein Flugzeug Aeloplane. Es ist gerade diese vermeintliche „Kindersprache“, die als Folie umso mehr das Gekünstelte und Korrupte ihrer Umwelt spürbar macht.

Dass Adunni doch noch einen Weg zur Realisierung ihrer Träume findet, aber verdankt sie nicht allein ihrer Intelligenz und Beharrlichkeit. Es ist Frauen-Solidarität, die sie immer wieder rettet. Und das Glück, auf eine Gönnerin und Freundin aus der Oberschicht zu stoßen, die Adunnis Unschuld anrührt. Die die „lauterne Stimme“ des Mädchens als Teil ihrer eigenen Menschlichkeit hören kann. .

JONATHAN FISCHER

gekürzt in SZ 28.9.2021

„Die Gier ist überall dieselbe“ – Von der Kleinstadt Kita zur New Yorker Galerie: Über den rasanten Aufstieg des malischen Malers Famakan Magassa.

Nichts messe deinen Erfolg besser als die Zahl deiner Neider, heißt es in Westafrika. Und wenn Neid auch eines der größten Hindernisse für den gesellschaftlichen Fortschritt in Mali sein mag, dann kann Famakan Magassa zumindest sicher sein, dass er es geschafft hat. „Bei Ausstellungen in Bamako muss ich mir oft harte Worte anhören“, sagt der 24-jährige Maler und Shootingstar der Kunstszene. „Meist kommen sie von älteren Künstlerkollegen. Sie sagen mir: Deine Kunst hat keine Bedeutung. Oder: Komm mal zu mir ins Atelier, dann zeig ich dir, wie man richtig malt.“

Älteren widerspricht man in Mali nicht so ohne Weiteres. So darf jeder mit ein paar grauen Haaren auf dem Kopf an allen anderen vorbei zum Schalter vortreten, auch wenn sich dort schon seit Stunden eine Warteschlange formiert hat. Wie er dann reagiert? Magassa, ein schlaksiger Typ mit Brille und einem neugierigen Blick, hebt ein Taschenbuch in die Höhe. Marshall B. Rosenbergs „Gewaltfreie Kommunikation“ in der französischen Übersetzung. „Ich will die Situation richtig bewerten, analysieren und dann angemessen reagieren.“

Magassa lächelt einen entwaffnend an. Dann legt er das Buch zurück auf den Glastisch in der Wohnung einer holländischen Kunstsammlerin in einem Geschäftsviertel Bamakos. Mangels Atelier bleibt ihm nur dieser Ort, um sein Werk angemessen zu präsentieren. An der Wand hängt eines seiner großformatigen Acryl-Gemälde. Den Rest seines Werks hat Magassa im vergangenen Jahr an europäische Sammler verkauft oder die Bilder hängen in Galerien jenseits des Atlantiks. Seit ein paar Monaten hat er einen internationalen Agenten: die Albertz Benda Gallery in New York.

„Ich gehöre der ganzen Welt. Und sie mir.“

Magassa ist dort der jüngste vertretene Künstler. Und der einzige Afrikaner. Das ist – für die Galerie – sicher auch als Zukunftsstrategie zu verstehen, zeitgenössische Kunst aus Afrika ist gerade angesagt zwischen Paris, New York und Berlin. Vor allem in Europa eröffnen Galerien, die sich auf die Vermarktung junger afrikanischer Künstler spezialisieren. „Aber was passiert, wenn diese Welle vorbei ist?“, fragt Magassa. „Ich möchte nicht allein als Afrikaner wahrgenommen werden, und auch nicht als afrikanischer Künstler, sondern als Künstler. Ich gehöre der ganzen Welt. Und sie mir.“

„Von Kita nach New York.“ So titelte eine malische Zeitung über den rasanten Aufstieg des jungen Malers. Kita, das ist eine Kleinstadt im Westen Malis und Magassas Geburtsort. Hier spazierte er als Kind ständig mit Stift in der Hand umher. In der Schule war Magassa deshalb für das Tafelbild zuständig: Im Biologieunterricht zeichnete er Pflanzen und Tiere, in Geographie ganze Landkarten. Später, als er für sein Abitur und ein Studium am Conservatoire des Arts et Métiers Multimédia nach Bamako kam, nutzte der Teenager sein Talent zum Geldverdienen: „Ich habe Ladenschilder gemalt, Banderolen, T-Shirts und Werbeplakate entworfen. Vor allem aber machte ich Porträts.“ Magassa wischt auf seinem Smartphone und präsentiert eines seiner frühen Werke. Ein recht fotorealistisches Porträt einer älteren weißen Frau. „In Bamako besuchte ich regelmäßig die Künstlerkommune Ateliers Badialan und Amadou Sanogo, einen unserer berühmtesten Maler. Er sagte mir jedes Mal: Lass die Porträtmalerei und suche dir lieber etwas Eigenes.“

Bei einem Kulturfestival im Städtchen Segou, etwa 200 Kilometer nördlich am Nigerufer, wurde Magassa fündig. Er sah Männer in Frauenkleidern und vice versa, Erwachsene, die auf Holzpferdchen ritten oder mit bizarren Brillen und Hüten im Kreis tanzten. Die Koredugaw. Er hatte vorher noch nie von dieser Geheimgesellschaft der Bambara gehört. Noch mehr als das Spektakel faszinierte ihn ihre gesellschaftliche Funktion: „Sie denken anders als die anderen und machen, was sie wollen. Diese unbegrenzte Freiheit des Ausdrucks hat mich sofort angesprochen.“ Dass die Koredugaw alle Konventionen des Alltags aufbrechen, sei nicht Selbstzweck. Nein, sagt Magassa, „sie gebrauchen den Humor, um soziale Konflikte zu lösen. Ihr Ziel ist das friedliche Miteinander in der Gesellschaft“.

Auf comicartige Weise kehrt der junge Maler die Triebe seiner Figur nach außen

Seitdem beherrschen die Koredugaw Magassas Leinwände. Sie inspirieren seine deformierten menschlichen Körper, deren Gesichtspartien und Gliedmaßen oft ein Eigenleben zu führen scheinen. Magassa zeigt auf das großformatige Gemälde an der Wand gegenüber: aufgerissene Augen, gierige Lippenwulste, unförmig ausgreifende Hände. Die Frauengestalt sitzt auf einem modernen Wohnzimmersessel, die Beine übereinandergeschlagen, ein Glas Wein neben sich. Auf comicartige Weise kehrt der junge Maler das Triebleben seiner Figur nach außen – bis sie wie ein lebenshungriger Zombie erscheint.

Man könnte Magassas Gemälde irgendwo zwischen Brueghel, Dubuffet und Basquiat einordnen, wenn sie nicht aus einem ganz eigenen animistisch-afrikanischen Kontext kommen würden. Die Koredugaw, das sind immer auch Trickster, Wegöffner, die zwischen göttlicher Weisheit und menschlichem Wahn vermitteln. Magassas Material passt zu deren Idee, alles wiederzuverwerten: Er malt mit Wandfarbe, mit der man in Bamako üblicherweise Häuserwände streicht. Einmal habe er auch teure importierte Farben aus Abidjan probiert – war aber mit dem Ergebnis unzufrieden.

Wie vermarktet sich ein junger Künstler in einem Umfeld, wo es kaum Museen oder Galerien gibt?

Umso mehr investiert er in das Konzept seiner Kunst. Seine Serien, sagt er, seien „strikt formatiert“. Er lese Bücher zu Psychologie, Soziologie und Kunstgeschichte, und wenn er ein Thema gefunden habe, schreibe er erst mal einen Text. Dann bestimme er, aus wie vielen Bildern die Serie bestehen solle. „Ich überlege mir vorab für jedes Bild einen Titel – erst wenn das alles steht, fängt für mich die eigentliche Malerei an.“

Und wie vermarktet sich ein junger Künstler, wenn er aus einem Land wie Mali kommt? Wenn es in seinem Umfeld- wie im Gros Afrikas – kaum Museen oder Galerien gibt? Er kenne in Mali zwar genug reiche Menschen, sagt Magassa. Ein Kunstmarkt aber fehle. „Das ist eine Frage der Bildung. Die meisten würden sich wohl lieber ein drittes Auto kaufen als ein Kunstwerk.“

Der junge Maler lächelt. Seine erste Ausstellung hatte er 2019 im Institut français in Bamako. Sie habe ihm schlagartig Kontakte nach Europa verschafft. Kontakte, die für ihn alles ändern sollten – und das auch dank seiner Kommunikationsstrategie. „Viele meiner Kollegen hier warten nur, dass sie über Facebook oder Instagram von einem Käufer entdeckt werden. Ich aber schreibe Personen, die ich für potentielle Interessenten halte, aktiv an. Wer mir antwortet, dem schicke ich regelmäßig Nachrichten und Bilder meiner neuesten Arbeiten. Egal, ob er jemals etwas kauft oder nicht.“ So habe er sich ein Netzwerk an Unterstützern geschaffen.

Es waren europäische Sammler, die Magassa 2020 mehrere Ausstellungen in Paris organisierten. Sie ebneten ihm auch den Weg nach New York. Zuvor hatte Magassa zusammen mit seinem Bildhauer-Kollegen Ibrahim Kébé – die beiden sind Gründer des Künstlerkollektivs Sanou’Art in Bamako – eine dreimonatige Residenz am Cité Internationale des Arts in Paris absolviert. Magassa erweiterte dort sein Sujet: Seine neue Serie nannte er „Soif“, Durst. Die Figuren lehnten sich zwar an seine Koredugaw-Serie an, nun aber symbolisierten sie mit aufgerissenen Mündern und fordernden Gesten die menschliche Gier. „Ich möchte“, sagt Magassa, „das unstillbare Verlangen nach Vergnügen, Macht, Liebe, Lust und Anerkennung darstellen. Nie kann der Mensch zufrieden sein. Immer findet er noch etwas, das ihm fehlt.“

Die 21 Leinwände der „Soif“-Serie hat Magassa inzwischen alle der Albertz Benda Gallery in New York geschickt. Das Thema hat, gerade in Zeiten des für die Umwelt und den sozialen Frieden geforderten Verzichts, universalen Appeal: Mali, sagt Magassa, sei eines der ärmsten Länder der Welt. Die Menschen dort aber hegten dieselben Träume wie Europäer oder Amerikaner – nur die Mittel zur Erfüllung dieser Wünsche seien ungerecht verteilt. Magassas ureigener Wunsch aber hat weder mit Ruhm noch Geld zu tun: „Ich hoffe, nie wieder hören zu müssen, ich solle erst mal malen lernen.“

JONATHAN FISCHER

SZ 7.9.2021

rpt

Eine Rapperin kämpft für die Frauen Malis

Rebellin gegen Familie, Tradition, Patriarchat: Ami Yerewolo war lange Zeit die einzige Rapperin, die sich im Männer-dominierten HipHop Malis durchsetzen konnte. Das ändert sie nun: Mit einem von ihr organisierten HipHop-Festival nur für Frauen.

Ami Yerewolo könnte einer dieser Raubtier-gepimpten Parfum-Werbungen entsprungen sein. Distanzierte Pose, androgynes Styling, die scharf geschnittenen Gesichtszüge so undurchsichtig wie eine afrikanische Maske. Möglicherweise aber ist ihre Coolness nur Notwehr. Eine Art Schutzpanzer. „Ich bin die meist beleidigte und am wenigsten gebuchte Rapperin Malis“, sagt sie ohne eine Mine zu verziehen. Das ist nicht mal arg übertrieben: Einerseits weil Yerowolo lange als einzige Frau überhaupt durchhielt. Andererseits weil in Mali selbst im HipHop-Business traditionelle Rollen- und Kleiderordnungen herrschen.

Selbst hier im Innenhof des polyglotten Institut Francais fällt die zierliche Rapperin mit dem Büschel Dreadlocks auf. Sie trägt weder Rock noch das frauentypische Damast-Kostüm. Stattdessen Slipper, elegante Anzughose, enges T-Shirt. Als sie die überdimensionierte Sonnenbrille abnimmt, blitzt ein Hauch von Spott aus ihren Mandelaugen. „In Mali will dir jeder sagen, was du als Frau zu tun und zu lassen hast. Vor allem solltest du erst mal heiraten und Kinder kriegen“. Yerewolo dagegen hat ganz selbstverständlich ihre Lebenspartnerin zum Interview mitgebracht. Dass die Rapperin einen anderen Weg gewählt habe, sei nicht nur bei ihrer Familie auf Unverständnis gestoßen. „Viele aus der HipHop-Szene glaubten, dass ich spätestens nach ein zwei Jahren wieder in der Versenkung verschwinden würde . So wie vor mir alle anderen malischen Rapperinnen auch“

Nun ist sie schon 10 Jahre dabei. Und kontert alle Spötter mit dem Album „AY“. AY wie Ami Yerewolo, wie ein trotziges: „Ihr kriegt mich nicht unter “. Das Meisterwerk der Malierin wurde vom Kameruner Blick Bassy in Paris produziert und unterlegt Yerewolos Selbstbehauptungs-Raps mit einer Mischung aus Elektronik, afrokaribischen Beats, Bläsern, Flöten und traditionellen Melodien. Nie klang die Malierin lässiger. Nie so sehr auf der Höhe einer Zeit, in der afrikanische Elektro-Spielformen sich ihren Weg auch in westliche Avantgarde-Clubs bahnen. „AY“ stellt sie in eine Reihe von weiblichen afrikanischen Pop-Superstars wie Muthoni Drummer Queen, Yemi Alade oder Tiwa Savage. Ami Yerewolo klingt dabei auf eine sehr malische Weise uralt und urban zugleich. Weibliche Selbstermächtigung buchstabiert sich hier noch mal anders als in Europa oder Nordamerika. .

„Ich danke Gott, jeden Tag dass er mich mit meinem Körper und meiner Seele so wie ich bin geschaffen hat. Mash’allah!“ Ähnliches sagt sie auch gerne von der Bühne herab, erinnert die Männer daran, sie seien alle mal „aus dem Bauch einer Frau gekommen“, und fragt, ob es denn irgendetwas gäbe, was die vermeintlichen Herren der Schöpfung einer Frau voraus hätten? Yerewolo nutzt den Angriff als Verteidigung – und hat einen trockenen, desillusionierten Witz auf ihrer Seite. Dafür redet sie in ihren Songs so gut wie nie von all den amourösen Turbulenzen, die afrikanische Pop-Chanteusen so gerne beschwören. Liebe, Eifersucht, spendable Verehrer? Der Rapperin geht es um Grundsätzlicheres. Um Respekt. „Ich bin gekommen um eine Kette zu sprengen.“

Tatsächlich war die 29-jährige mehrmals kurz davor gestanden, aufzugeben. Wie ihre Kolleginnen das Mikro endgültig fallen zu lassen: „Zuerst riet man mir ganz freundlich: Such dir etwas anderes, du machst deine Familie nur unglücklich. Außerdem kannst du es in einem Land wie Mali sowieso nie schaffen.“ Selbst wenn ich das allergrößte Talent besäße: Ich bliebe eben doch eine Frau. Als das nicht wirkte, hätten Konzertveranstalter, Radio-DJs, die Männer im Musikbusiness sie schlichtweg boykottiert. Nichts, sagt Yerewolo, töte effektiver als Indifferenz. Und das gerade in einem Land, in dem wie überall in Westafrika, männliche Rapper Fußballstadien füllen, von jedem zweiten Kleinbus prangen und oft mehr Vertrauen genießen als die Politiker. Yerewolo aber reagierte trotzig: „Was wäre denn wenn alle Frauen so schnell aufgeben würden? Ich war des Familienfriedens wegen bereits von zu Hause ausgezogen, hatte mir mit Jobs als Nachhilfelehrerin, Sekretärin oder Putzfrau das Geld für die Studiomiete verdient. Jetzt musste ich anderen nachwachsenden Talenten ein Beispiel geben“.

Zum Rap war Yerewolo durch einen Musikwettbewerb in ihrer Schule gekommen. Aufgewachsen in Mahina, einem Dorf in der Nähe von Kayes, hatte sie kaum eine Ahnung von internationalem HipHop. Stattdessen orientierte sie sich an Mandingue-Musikern wie Salif Keita oder Oumou Sangare. Nur dass sie glaubte, in gesprochenen Reimen mehr von sich selbst erzählen zu können. Mit ein paar Cousins und Cousinen bildete sie eine HipHop-Crew. Den Schulpreis gewann sie zwar nicht. Aber Aminata Danioko – so ihr bürgerlicher Name – war angefixt. Sie nannte sich fortan Yerewolo: Auf Bambara bringt dieses Wort die Bewunderung für eine authentische Person zum Ausdruck. Oder auch für ein enfant terrible.

Ihr Vater ließ die Schülerin unter einer Bedingung gewähren: Dass sie ihr Abitur und eine Ausbildung absolvierte. Yerewolo machte – nach abgebrochenem Medizinstudium – eine Lehre als Bankkauffrau, merkte aber nach ihrem ersten Berufsjahr in einer Bank in Kayes, dass sie ihre Medizin brauchte. Medizin in Form von Raps. „Jedesmal wenn es mir schlecht ging, andere mir reinredeten, schrieb ich einen Song, in dem ich mir selber Mut zusprach“. Ami kündigte, hielt sich mit Jobs und Auftritten bei Balani Shows – traditionellen dörflichen Feiern und Familienfesten – über Wasser. Lauryn Hill und Queen Latifah schienen weit weg. Der Glamour ihrer HipHop-Ahnfrauen noch nicht in den „Brousse“, also den malischen Busch, durchgesickert.

2014 veröffentlicht Yerewolo ihr Debut-Album „Naissance“, vier Jahre später folgt „Mon Combat“. Zwischen Kora,Synthesizer und spärlichen Beats glimmt und glüht da der Widerstandsgeist einer fast Abgeschriebenen.

Dann kam 2020 ihr Auftritt beim Schweizer Festival „Show Me“. Ein Showcase für unabhängige Talente, wo einer der Mitbegründer, der kamerunische Bassist und Produzent Blick Bassy sofort Yerewolos Qualitäten erkannte: Ihre auf Bambara und Französisch gehaltenen Raps hatten diesen furios-femininen Flow. Diese Frau verwandelte ihre Wut in einen strahlenden Meteoriten-Schweif. Bassy nahm Yerowolo unter Vertrag. Und produzierte sie als erste Künstlerin auf seinem eigens gegründeten Label Othantiq AA. Bassy ermutigte die Rapperin, auf die Konventionen von Afrobeats und HipHop zu pfeifen. Und stattdessen nur sich selbst auszudrücken. „Es war das erste mal“, sagt sie, „dass mich jemand ohne Wenn oder Aber akzeptierte“.

Dazu passt Yerowolos neuestes Video: „Je Gère“ – auf Deutsch in etwa „Ich schmeiß den Laden“. Man sieht die Rapperin, angemalt wie eine Kriegerin, auf einem weißen Pferd durch die Wüste reiten. Sie hält die Zügel in der Hand. In einer konservativen Gesellschaft wie Mali, wo viele Frauen ihre Männer noch um Ausgang bitten müssen, hat das durchaus Brisanz. „Zehn Jahre lang hat mir niemand unter die Arme gegriffen“, sagt Yerewolo, „ also hat auch niemand das Recht, sich einzumischen“. Von ihrem Hürdenlauf über Konventionen handelt auch „Ibamba“. Übersetzt heißt das in etwa „Durchhaltewillen“. Eine Abrechnung mit Musikmanagern und männlichen HipHop-Kollegen, die sie links liegen ließen. „Man nennt mich gerne abwertend eine Feministin.“ Yerewolo kräuselt den Mund, das F-Wort mag sie nicht. Zu viel westliche Schublade. „Ich bin Humanistin, ich arbeite für gleiche Chancen für alle.“

So betreibt Ami Yerewolo nicht nur ihre eigene Künstleragentur „Denfari Event“. Sie hat auch ein jährliches Gipfeltreffen malischer Rapperinnen ins Leben gerufen: „Le Mali a des Rapeuses“. ‚Ein HipHop-Festival nur für Frauen, das nachwachsenden Rapperinnen Türen öffnen, ihnen die Beratung und Unterstützung geben soll, die Yerewolo selbst gefehlt hatte. „So viele junge Frauen in Mali interessieren sich heute für Rap. Aber sie haben Angst: Vor ihrer Familie, vor der Häme der Männer, davor, in der HipHop-Szene nur ausgenutzt zu werden“. Ihre Stimme schneidet wie ein Messer, das erst im ständigen Abrieb gegen Patriarchat, Macho-Gehabe und konservativen Islam seine Schärfe bekommt.

Dann lächelt die HipHop-Queen aus Bamako – zum ersten mal. „Dank unserem Festival haben wir auch einige der Veteraninnen zurück ans Mikro gelockt“. Diejenigen, die einst vor der Macht der Männer resigniert hatten. Für die jungen Mädchen seien sie die „grand soeurs“. Große Schwestern, die Workshops anleiten, und ihnen Erfahrungen austauschen. Was sie den Jüngeren am Dringendsten mitgeben wolle? „Ich hätte ich es mir leichter machen können, indem ich mich als sexy Weibchen präsentiere. Aber das kam für mich nie in Frage“, Yerowolo rückt ihre Sonnenbrille zurecht. Nachdem die ersten vier Ausgaben von „Le Mali a des Rapeuses“ – in diversen Jugendzentren und hier im Institut Francais – hoffnungslos überlaufen waren, möchte sie für den nächsten Februar expandieren: „Wir rappen dort, wo sonst nur Männer spielen. Ich denke daran, ein Fußballstadion anzumieten“.

JONATHAN FISCHER

in gekürzter Version in der NZZ, 25.8.2021

Es muss krachen

Von malischen Dorfplätzen in westliche Clubs: DJ Diaki zeigt mit hochgepitchten Folk-Rhythmen
und lärmenden Loops, warum elektronischer Musik aus Afrika die Zukunft gehört

Die Ankunft in Diakis Heimatdorf Sanakoroba ist ernüchternd und extrem zugleich. Das Taxi, ein zerbeulter Mercedes 190, hatte sich von Malis Hauptstadt Bamako gut 30 Kilometer seinen Weg zwischen Lastwagen mit Achsenbruch, überfüllten Kleinbussen, Melonenbergen und Kohlesäcken gebahnt. Roter Staub wirbelt von den Schlaglöchern auf und dämpft das Sonnenlicht zu einem matten Orange. Umso krasser die hereinwehenden Soundfetzen: Muezzin-Rufe, brüllende Dieselmotoren, der Sirenengesang der Musikerin Oumou Sangarés, übersteuertes Balafon-Geklöppel von Hochzeitsgesellschaften am Straßenrand. Ein Frontalangriff auf das Nervensystem. Oder doch der Grundstoff für die hochtourigen Rhythmen, mit denen sich DJ Diaki einen Namen gemacht hat?

  Wenn die Zukunft elektronischer Musik in Afrika liegt, dann muss DJ Diaki zu ihren künftigen Superstars gezählt werden. Der englische Guardian führte sein Debütalbum „Balani fou“ in den Top Ten seiner Jahresbestenliste von 2020. Zu Recht. Die Musik: vitales Chaos. Rumpelrhythmen. Dancefloor, aber eckiger, kantiger als der oft geleckte Four-to-the-floor-Wumms westlicher Technoproduktionen. Erst vor etwa acht Jahren hat elektronische Musik aus Afrika ja auch ein Hipster-Publikum im Westen erreicht. Seitdem hört man in immer mehr Clubs auch nigerianische Afrobeats, Kuduro aus Angola oder Gqom aus Südafrika. Doch keiner beschwört noch mal so körnig wie DJ Diaki den Enthusiasmus aus der Gründerzeit des Techno. Mehr als 250 000 Follower haben über Facebook Diakis tägliche Radiosendung abonniert. Seit er 2019 beim führenden afrikanischen Technolabel Nyege Nyege Tapes in Kampala unterschrieben hat, erhält er weltweite Buchungen. Zuletzt war er im Januar 2020 auf der CTM, einem der führenden elektronischen Musikfestivals, in Berlin zu Gast. Chicago, Detroit, Sanakoroba?

  Der Ort hat auf Google Maps genau einen Eintrag: „Discotheque DJ Diaki“ , heute geöffnet bis 18 Uhr. An einer unscheinbaren Ladenfront an der Route National 7 findet sich der Schriftzug wieder. In verwitterten Buchstaben. Rechts ein Kohlenhandel, links eine Schlosserei. Keine Limousinen. Aber Eselsgespanne parken am Straßenrand. Diaki, ein kurzer, drahtiger Typ in Jeans und fadenscheinigem Hemd streckt seine Faust zum Gruß entgegen. „Bienvenue!“

  Der 45-Jährige hat sich auf den Besuch vorbereitet. Obwohl zwischen Lautsprecherboxen und Generator kaum drei Menschen Platz finden, steht seine Anlage aufgebaut und verkabelt im Laden. „Normalerweise“, sagt er, „spiele ich draußen. Bis zu fünf Abende die Woche packe ich die Ausrüstung zusammen und fahre mit meinem Bruder zu irgendeinem Dorf, wo wir dann bis zum Morgengrauen auflegen.“ Sein Bruder, DJ Iba, nickt und tippt auf seinen Laptop.

  Sofort geht eine Lärmlawine ab. Kollektive Krachmacher-Traditionen prallen aufeinander. Die Rohheit von frühem House, das Chaos des Jungle, der Dreck malischer Folk-Musik. Hier klöppelt ein Balafon-Riff. Da sägt eine gesampelte Ngoni-Laute. DJ Diaki ruft auf seinem Touchpad ein Signalhorn ab, ein startendes Düsenflugzeug oder das Rattern eines defekten Nadeldruckers. Hochbeschleunigte Rhythmuspartikel, die sich zu einem sensorischen Overkill addieren. Diaki reitet die Welle: Während sich seine Finger im Stakkato-Rhythmus bewegen, leuchtet ein 1000-Watt-Grinsen über sein Gesicht. „Warum sind Sie gestern nicht mitgekommen?“ Er zeigt Videos von Menschen, die Nachts im Dunkeln auf einem Feld tanzen und sich dabei gegenseitig mit ihren Handys filmen.

  Gestern. Klar wäre man da gerne dabei gewesen. Techno-Avantgarde im Mondschein in einem Dorf am Niger-Ufer. Aber Mali ist seit 2012, als Dschihadisten vorübergehend die Hälfte des Landes überrannten, nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Botschaft hatte gewarnt: Bamako nachts auf keinen Fall verlassen. In den vergangenen Jahren hatten sich Überfälle und Entführungen gehäuft. Doch die Dörfer, der Busch oder „la brousse“, wie sie hier sagen, bilden die Basis für DJ Diakis Popularität: „Für die Leute in der Stadt sind meine Rhythmen zu wild. Sie folgen lieber den neuen Moden aus dem Westen …“

  Mal wieder so ein großes interkulturelles Missverständnis: Diaki, der von den urbanen Landsleuten gemiedene Dorf-DJ, wird im Westen gefeiert.

  Angefangen hatte Diaki vor 20 Jahren als Kassetten-DJ: mit zwei Kassettendecks und Songs, die er aus dem Radio aufgenommen hatte. Eine Mischung aus gerappten Ansagen, ivorischem Coupé Decalé und den rasanten Balafon-Rhythmen, die in Mali traditionellerweise Hochzeiten anheizen.

  Eine kanadische NGO, die in seinem Dorf ein Informationsradio für die ländliche Bevölkerung aufbaute, war Diakis große Chance: Er hatte schon vorher als Hobby einen lokalen Sender betrieben – und bekam einen Moderatorenjob. Was ihn aber noch mehr interessierte: seine Musik endlich live auf einem Computer zu komponieren. Malische DJs hatten in den Neunzigerjahren begonnen, die Balafon-Rhythmen auf den Hochzeiten elektronisch zu simulieren – war günstiger als echte Musiker. DJ Diaki ließ sich von einem kanadischen Entwicklungshelfer das Tractor-DJ-Programm erklären, lieh sich Boxen und Verstärker. Der Start eines der aufregendsten Soundsysteme Westafrikas.

  Und der Kurzschluss zwischen archaischen Dorftraditionen und Club-Futurismus. „Ich komme aus einer armen Familie. So wie mein Vater und mein Großvater bestelle ich Felder mit Maniok und Mais.“ Um seine zwei Ehefrauen und fünf Kinder zu ernähren, arbeitet Diaki zusätzlich als Lagerarbeiter. Die DJ-Gagen reichen nicht. 30 000 CFA, nicht mal 50 Euro. Dafür muss er manchmal ein paar Hundert Kilometer durch den Busch fahren, aufbauen, morgens wieder abbauen. Wenn er und sein Bruder Pech haben, streikt der Generator während eines Sets. Dann werden sie ohne Gage und Essen wieder heimgeschickt. La brousse eben.

  Und dann plötzlich: Hamburg, Paris, Warschau. Das waren einige der Stationen seiner zweiwöchigen Tour durch Europa.

  „Ich war noch nie im Westen. Und dann bekomme ich letztes Jahr ein Flugticket erster Klasse nach Berlin.“ Diaki drückt den Arm seines Gegenüber. „Sie haben mich dort behandelt wie einen König.“ Verwirrend war noch einiges mehr: die viele nackte Haut. Die Transvestiten. Die grellen Kostüme. „Ich bin ein gläubiger Muslim, wir denken hier sehr konservativ. Ich fand diese Freiheit trotzdem faszinierend …“ Diaki sagt, dass ihm klar geworden sei, dass DJs, jenseits bloßer Tanzanimation, auch Freiräume schaffen, damit sich Menschen eine Nacht lang anders geben können, als die Gesellschaft es erlaubt. Sie dürfen dann neue Rollen probieren.

  Genau aus diesem Grund gefällt in Mali nicht allen DJ Diakis Musik. Konservative Imame geißeln die „Balani Show“ als Frevel. Angeblich vergessen die Leute das Beten. Außerdem tanzen Männer und Frauen sich gemeinsam in Ekstase. Entnervt trommelt der DJ auf seinem Pult: „Aber bin ich etwa ein Dieb? Stehle ich jemandem das Geld? Ist das Musik des Teufels, bloß weil die Leute sich amüsieren?“

  Diaki nimmt ein Klebeband, befestigt einen der lose herabhängenden Zettel am Ladenfenster, auf denen er in Regenbogenfarben „Discotheque DJ Diaki“ und seine Telefonnummer geschrieben hat. Auf einem anderen steht: Fax, Scan, Kopierservice. Noch ein Zusatzgeschäft. Mit der DJ-Gage aus dem Westen konnte er sich immerhin zum ersten Mal einen eigenen Gebrauchtwagen leisten – bisher musste Diaki seine Anlage in klapprige Buschtaxis verladen.

  Der Höhepunkt des vergangenen Jahres aber war sein eigenes Festival: Die Macher von Nyege Nyege hatten ihm vorgeschlagen, als Ersatz für das wegen der Pandemie ausgefallene Event in Uganda eine kleinere Variante in Sanakoroba zu organisieren. Er zeigt auf einen staubigen Platz, jenseits der Teerstraße: Dort sei die Bühne gestanden. Hunderte frenetischer Tänzer, ein Clash der besten elektronischen Soundsysteme des afrikanischen Kontinents. Vor allem aber: der Segen seiner Familie. „Sie haben endlich gesehen, dass ich mit der Musik etwas auf die Beine stellen kann.“ In Mali muss man die Eltern auch als erwachsener Mann um Erlaubnis für Reisen bitten. Als er seine erste Festival-Einladung bekam, habe sich der Vater dagegengestellt. Was, wenn ihm, dem Erstgeborenen, im Ausland etwas zustoße? Wer werde dann dessen Familie ernähren? Erst mit religiösen Argumenten konnte Diaki seinen Vater überzeugen. Gott habe ihm ein Talent gegeben. Jetzt sei es seine Pflicht, dieses zu nutzen, Insch’allah.

  Eine Woche später, ein Anruf von DJ Diaki: Er spiele auf einer Hochzeitsfeier, in einem Dorf südlich von Bamako. Zur sicheren Tageszeit. Der gepanzerte Wagen der deutschen Botschaft – die Kulturreferentin plant einen DJ-Austausch zwischen Berlin und Sanakoroba – braucht fast zwei Stunden für die 40 Kilometer Teerstraße. Neben der Dorfschule steht ein großes weiß-blaues Zelt, eine Hundertschaft Gäste wartet auf Plastikstühlen im Schatten. Frauen in bunt glänzenden Damastkostümen, Männer in traditionellen Boubous. Begrüßungsrufe. Mädchen, die Schüsseln mit Wasserbeuteln oder Orangen auf dem Kopf balancieren, machen die Runde. Bei 35 Grad im Schatten bewegt sich niemand mehr als nötig.

  Bis DJ Diaki und sein Bruder ihre Anlage anwerfen: Krwitt krwitt, bongbong, rattatattatatatat …

  Ein paar der jüngeren Frauen springen in den Halbkreis vor dem DJ-Pult. Nehmen mit minimalen Hüftbewegungen den Rhythmus auf. Verdrehen die Schultern. Stampfen mit ihren Füße im roten Staub.

  DJ Diaki greift zum Mikro, ruft wie sonst Rapper ihre Viertel die umliegenden Dörfer aus. Zustimmendes Gejohle. Bei 170 Beats per Minute können Altersgrenzen schnell gleichgültig werden. Großmütter im Wickelrock zucken rhythmisch neben Scharen kleiner Kinder und Jugendlichen im Hip-Hop-Outfit. Ein Sound für alle. Der akustische Bombast aus Achtzigerjahre-Drum-Pads, Synthesizer-Arpeggien und Balafon-Samples. Überwältigende Präsenz.

  Diaki hat keine vorgefertigten Stücke. Er komponiert seine Krach-Variationen im Moment. Schleife um Schleife. Loop um Loop. Man ahnt es: Schöpfen die elementaren Bestandteile westlicher Clubkultur nicht schon immer aus diesem urafrikanischen Prinzip? Taumelnd sinken die Tänzer nach zwei, drei Stücken zurück in ihre Plastikstühle. „Niemand kann länger als eine Stunde zu meinem Sound durchhalten!“ Für andere DJs wäre das ein Anreiz, leisere Passagen oder Spannungsbögen einzubauen. Diaki aber hackt wie ein delirierender Reiseschriftsteller auf seine Tasten ein. Findet den Groove im Chaos. Grinst. Richtig getanzt, sagt er, wird sowieso erst, wenn es dunkel ist.

Jonathan Fischer

SZ 1.6.2021

Die bösen und die eigenen Träume

Der Schriftsteller Ousmane Diarra über sein Land Mali, das politische Vakuum, das islamistische
Extremisten für sich nutzen, und was Literatur, Kunst und Feste dagegen ausrichten können

Ousmane Diarra ist einer der bedeutendsten westafrikanischen Schriftsteller der Gegenwart. In seinen im französischen Verlag Gallimard erscheinenden Romanen („Vieux Lézard“, 2006, „Pagne de Femme“, 2008, und „La Route des Clameurs“, 2014) thematisiert der 60-Jährige die gesellschaftlichen Konflikte seines Heimatlandes. Dem Animismus und einer über alle ethnischen und konfessionellen Grenzen hinausreichenden Toleranz steht ein korrupter Staat gegenüber, der Tribalismus verstärkt und dem radikalen Islam in die Hände spielt. Diarra, der für das Institut français als Bibliothekar arbeitet, lebt mit seiner Familie am Stadtrand von Bamako. Zum Interview empfängt er in seinem Garten zwischen Hühnerstall und Maulbeerbäumen.

Herr Diarra, Sie schreiben an Ihrem vierten Roman, „Le Djinn de Bamako“, einer Liebesgeschichte. Wenden Sie sich von Ihren bisher politischen Themen ab?

Ousmane Diarra: Nein, im Gegenteil. Es geht um zwei junge Menschen, die sich an der Hochschule ineinander verlieben. Der junge Mann wurde aus seinem Elternhaus verbannt, weil es hieß, er habe mit seiner Freundin im Klassenzimmer Liebe gemacht. Ein Skandal! Die Großfamilie fürchtet um ihre Ehre und will den jungen Mann töten. Hier kommen Dorftraditionen ins Spiel, Familienbande stehen gegen einen korrupten Präsidenten und dessen Steigbügelhalter, einen salafistischen Imam.

Eine Satire auf die malische Gesellschaft und ihre schleichende Islamisierung?

Sie werden in dem Buch einige Figuren der malischen Politik wiedererkennen. Mali, ein laizistischer Staat, der seit der Unabhängigkeit großen Stolz auf die Verständigung zwischen den Ethnien und Konfessionen gehegt hat, ist gerade am Zerbrechen.

Obwohl die französische Armee 2013 die Dschihadisten aus den Städten des Nordens vertrieb, versinkt Mali im Bürgerkrieg. Ganze Dorfgemeinschaften sind Massakern zum Opfer gefallen, al-Qaida und IS erstarken. Wie passt das zu einem Land, dessen überwältigende Mehrheit dem traditionell toleranten malikitischen Islam anhängt?

Das liegt daran, dass junge Menschen vom Staat und seinen Institutionen vollkommen im Stich gelassen werden und salafistische Prediger in Mali wie überall in Westafrika in dieses Vakuum stoßen. Sie sind eine Minderheit, aber im Gegensatz zu anderen Muslimen gut organisiert. Wenn Politiker nicht auf sie eingehen, schicken sie im Handumdrehen ihre Anhänger auf die Straße. Das passiert etwa jedes Mal, wenn ein Minister versucht, Frauenrechte zu stärken und die Verheiratung Minderjähriger zu verbieten.

Die Lebensweise der Wahhabiten – Vollverschleierung der Frauen, Ablehnung weltlicher Vergnügungen – scheint kaum zur Tanz- und Musikkultur Malis zu passen. Woher beziehen die Islamisten ihre Anziehungskraft?

Unsere Politiker haben die säkularen Ideen diskreditiert. Der letzte gewählte Präsident Ibrahim Boubacar Keïta trat im August 2020 nach einem Militärputsch zurück. Zuvor war öffentlich geworden, dass sein Sohn Millionen an öffentlichen Geldern für sein Luxusleben auf Ibiza verschwendet hatte. Die Religiösen setzen sich dagegen als moralische Autorität in Szene. Ihre eigentliche Macht aber ist wirtschaftlicher Natur. Sie beherrschen ganze Branchen der malischen Ökonomie, etwa den Handel mit Edelsteinen bis nach Dubai und Bangkok. Mit Geld aus den Golfstaaten bauen sie die größten Moscheen und fanatisieren junge Menschen.

In Ihrem Buch „La Route des Clameurs“ heißt es: „Dabei müssen wir lernen, nicht den Träumen der anderen zu folgen, sondern unsere eigenen wieder zu finden.“ An welche Träume denken Sie?

Toleranz und Verständigung sind Grundwerte der malischen Kultur, jeder zweite Song handelt davon. Radikale Prediger diskreditieren diese Werte als „westlich dekadent“. Ihre leichteste Beute sind Rückkehrer, die in Europa Demütigungen erfahren haben und sich am Westen rächen wollen.

Sie machen Rassismus und die Ausgrenzung der Migranten in Europa mitverantwortlich für die religiöse Radikalisierung in Mali?

Ich erlebe das in meiner eigenen Familie. Meine Neffen, die in Spanien oder Frankreich gelebt haben, wurden erst dort von den Salafisten radikalisiert. Jetzt predigen sie den Hass auf den Westen. Dabei haben sie von dessen Freiheiten und Privilegien profitiert.

Sie wurden wegen Ihrer Bücher mit dem Tod bedroht. Trotzdem schreiben Sie immer wieder über die im Namen des Islam begangenen Verbrechen in Mali.

Weil es sonst niemand tut. Unsere Intellektuellen reden von der Kolonisierung Afrikas durch die Europäer, aber von der anderen großen kulturellen Invasion traut sich niemand zu sprechen. Von den Dschihadisten etwa, die im 19. Jahrhundert angeführt von El Hadj Omar Tall das animistische Königreich in Ségou zerstörten. Dabei metzelten sie Zehntausende animistischer Bambara nieder, ein Völkermord. Man schätzt, dass sie bei ihren Feldzügen 70 Prozent der malischen Kultur und ihrer Artefakte zerstörten.

In den 60er- und 70er-Jahren blühten unter einer sozialistischen Regierung in Mali Fotografie, Kunst und Literatur. Auf Biennalen wetteiferten die großen Orchester des Landes. Hat die malische Kultur heute noch ihre Kraft als gesellschaftlicher Kitt?

Das Problem ist das Bröseln einer säkularen nationalen Identität. Der Tribalismus ist Mali eigentlich fremd. Unsere Geschichtenerzähler, die Griots, haben niemals eine ethnische Gruppe gegen die andere ausgespielt. Als ich Student war, waren meine Freunde Tuareg, Songhai und Peulh, wir glaubten, zusammen die Zukunft unseres Landes gestalten zu können. Erst das Versagen des modernen Staates hat eine Art Balkanisierung hervorgebracht. Intellektuelle, die Kritik daran üben, werden verteufelt.

Sie machen als ehemaliger Lehrer auch den Bildungsverfall in Ihrem Land für dessen Probleme mitverantwortlich.

Hier trägt der Westen Schuld. Die Sparverordnungen der Weltbank in den Achtzigerjahren haben unser Gesundheits- und Schulwesen zerstört. Abderrahmane Sissako hat das in seinem Spielfilm „Bamako“ angeklagt. Lehrer wurden entlassen, das Bildungsniveau sank drastisch. Heute funktionieren nur noch Privatschulen. Die staatlichen Schulen dagegen haben Klassen mit bis zu 100 Schülern, nicht einmal Schulbänke gibt es für alle.

Was kann Literatur jungen Menschen bieten, die tagtäglich um ihr Überleben kämpfen müssen?

Als Waisenkind gehörte ich in meinem Dorf zu den Außenseitern. Aber was ich aus Büchern lernte, tröstete mich: Dass die Grenze meines Dorfes nicht die Grenze der Welt ist. Bücher haben meinen Willen bestärkt, aus meinen Verhältnissen auszubrechen. Als ich 1973 an die weiterführende Schule nach Bamako kam, lebte ich bei meiner Tante, einer Marktfrau für Gemüse. Es reichte kaum für das Essen. Trotzdem fing ich an zu schreiben: Briefe an meine verstorbene Mutter, in der ich ihr alles berichtete. Meine Vorbilder waren der kongolesische Schriftsteller Sony Labou Tansi und Albert Camus. Auch Schiller, Goethe und Nietzsche habe ich damals gelesen.

Was kann Literatur denn gesellschaftlich bewegen?

Ich habe einen Lektüreklub ins Leben gerufen, da sind Doktoren, Rechtsanwälte, Imame, Männer, Frauen und Jugendliche dabei. Jeden Samstag debattieren wir über ein anderes Buch oder Thema – mit einem Sprecher pro und einem anderen contra. Der Zulauf ist enorm. Wir füllen damit eine Leerstelle: Vielen Menschen fehlen die intellektuellen Werkzeuge, um sich komplexe Probleme erklären zu können. Stattdessen gehen sie den Predigern der einfachen Lösungen auf den Leim.

Sie denken an Kampagnen in den sozialen Medien gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich oder auch die Uno oder den Westen?

Ressentiments werden von bestimmten religiösen Kreisen geschürt. Etwa mit Gerüchten, dass die französischen Militärs in Mali unser Gold klauen. Diese Rhetorik ruft bewährte antikoloniale Bilder auf. Nicht dass Frankreich sich nichts vorzuwerfen hätte. Aber letztlich handelt es sich um eine Taktik, die Interessen der Salafisten und ihrer Finanziers zu verschleiern. Länder wie Kuwait, Katar und Saudi-Arabien planen schon für die Zeit nach dem Erdöl, versuchen mit islamischen Stiftungen Einfluss zu gewinnen. Ihr Ziel ist, in rohstoffreichen Ländern wie Mali über eine fanatisierte Masse Politik zu machen.

Was kann der Westen zu einer Beilegung der Krise in Mali beitragen?

Wir brauchen wirtschaftliche Projekte, die Arbeitsplätze schaffen und jungen Menschen eine Perspektive jenseits von Extremismus und Tribalismus bieten. Aber auch die Kultur braucht Unterstützung. Es sind Sänger wie Habib Koité oder Rapper wie Master Soumy, denen die jungen Menschen glauben, und es sind die dörflichen Feste und Riten, die den Menschen Mut machen. Wenn sie kulturell entwurzelt sind, dann bleibt den jungen Menschen nur noch die Migration, im schlimmsten Falle als Illegale nach Europa.

Interview: JONATHAN FISCHER

SZ 6.5.2021