Trip-Hop – so nannte man einmal das nebelverhangene, melancholische Hip-Hop-Subgenre aus Bristol, das Bands wie Massive Attack, Portishead oder Tricky Mitte der neunziger Jahre popularisierten und das in der Folge Cafés, Bars und Wohnzimmer in aller Welt mit Film-noir-Atmosphäre auflud. Achtzehn Jahre nach dem Portishead-Debüt «Dummy» mag Geoff Barrow den Begriff «Trip-Hop» selber nicht mehr leiden – so wenig wie die entsprechenden Beats.
Der Produzent des Bristoler Kollektivs legte gar eine fünfjährige Schaffenspause ein, um sich in seiner Musik nicht ständig zu wiederholen: «Ich war an dem Punkt angelangt, wo ich von Dance-Musik die Nase voll hatte. Ich hasste die ganze DJ-Kultur.» Mit neuen Projekten aber, sagt Barrow, habe er nun seine Liebe zur Musik wiederentdeckt. Seine neuesten Projekte: Das ist einerseits die Jam-Rock-Band Beak, die vor allem als Live-Act funktioniert. Und andererseits der exzentrische Hip-Hop der Quakers. Was steckt hinter dem Namen? «Die Quäker formierten sich Mitte des 17. Jahrhunderts in England als religiöse Erweckungsbewegung. Sie nannten sich ursprünglich Seekers und Dissenters – da finden wir uns in Bezug auf Hip-Hop auch wieder.»
Als Abweichler und Sucher: So sieht sich das Produzenten-Trio der Quakers, zu dem auch der Portishead-Toningenieur 7-Stu-7 und der australische Beat-Bastler Katalyst gehören. Drei Hip-Hop-Gläubige, über deren Gesinnung eine Menge gesagt ist, wenn man weiss, dass Barrow einmal einen Remix-Auftrag von Jay-Z mit dem Argument ablehnte, dass ihn «Mainstream-Hip-Hop mit all den Euro-Disco-aufgepeppten Jacht-Storys» nicht interessiere. Entsprechend alternativ und «low-profile» liest sich die Gästeliste des Projekts: Aloe Blacc, Guilty Simpson und Dead Prez – das sind die bekanntesten Namen. Zusammen mit den restlichen 32 Rappern teilen sie das gesellschaftskritische Ethos und eine Ästhetik, die sich weniger dem Pop-Markt als der Hardcore-Gemeinde verpflichtet fühlt. Rau und düster rumpeln die Beats. Geoff Barrows offensichtliche Einflüsse: «Rebel Without A Pause» von Public Enemy und «Da Mystery Of Chess Boxing» vom Wu-Tang Clan; sowie die trockene Aura, die amerikanische Produzenten wie DJ Premier prägten und Madlib oder J Dilla perfektionierten. Barrow kann stundenlang von diesen Vorbildern schwärmen. Und doch behauptet er einen dezidiert britischen Einschlag: «Wir versuchen Public Enemy auf unsere Verhältnisse zu übersetzen. In England war schwarze Musik dank den Einflüssen der jamaicanischen DJ-Kultur immer etwas rauer als die Soul-lastigen amerikanischen Produktionen.»
Barrows ureigene Hip-Hop-Geschichte reicht bis in seine Teenage-Zeit zurück: Damals elektrisierte ihn Herbie Hancocks «Rockit»; später schloss er sich einer lokalen Breakdance-Crew in Portishead an. Eigenem Bekunden nach war Barrow ein miserabler Tänzer: «Mein Ausweg war das Plattendeck.» Mit batteriebetriebenen Plattenspielern und einem Billig-Sampler fing er an, eigene Hip-Hop-Beats zu basteln. Später arbeitete er als Techniker in den Londoner Coach House Studios, wo Massive Attack aufnahmen. Und unterzeichnete 1990 – er war gerade 19 Jahre alt geworden – seinen ersten Plattenvertrag. Und auch wenn Portishead eine Sängerin statt eines Rappers auf die Bühne brachte: Die Hip-Hop-Community respektierte ihn – gerade wegen seiner genialen Andersartigkeit – als einen der Ihren: Barrow erhielt jede Menge Remix-Aufträge, während seine eigenen, düster-flackernden Beats unter anderem vom Wu-Tang-Clan-Produzenten RZA und von Timbaland gesamplet wurden.
Mit dem Quakers-Projekt aber tauscht Barrow nun die Rollen: Er sucht sich die Rapper, die zu seinen Beats passen. Unter dem Alter Ego Fuzzface surfte er zusammen mit Katalyst nächtelang durch die Musiker-Profile auf Myspace. «Da stiessen wir auf grossartige MC. Und wir sprachen nie über Geld. Sondern nur darüber, dass wir eine grossartige Platte produzieren wollten und ob sie Lust hätten, etwas über unsere Beats zu rappen und uns Sound-Files zum Mixen zurückzuschicken.» Kaum einer der Rapper habe die Portishead-Verbindung geahnt. Und gerade weil Barrows Projekt die Geld-getriebene Hip-Hop-Philosophie auf den Kopf stellte, funktioniert es gut: Hungrige Rapper aus den Tiefen der digitalen Musikwelt offenbaren sich hier zu Beats, die so dreckig daherkommen, als müsste Hip-Hop nochmals als Punk erfunden werden. Auch die Samples rumpeln unorthodox: etwa eine Marching Band, die Radioheads «The National Anthem» covert (in «Fitta Happier»). Nach insgesamt 41 Tracks und zahllosen Ideen mag man dem Quakers-Projekt vielleicht nicht gerade das Erregungs-Potenzial einer «Odd Future»-Platte zugestehen – dafür sind die bereits bejahrten Produzenten dann doch zu abgeklärt. Aber die Energie stimmt. Eine Energie, die noch einmal an jene Momente erinnert, als man zum ersten Mal Run DMC, Public Enemy oder Gang Starr aus den Boxen donnern hörte.
Quakers: Quakers (Stones Throw).
JONATHAN FISCHER
NZZ 30.3.2012