Monatsarchiv: April 2023

„Sind Wahlen wirklich das Wichtigste?“

Weltstars wie Beyoncé vergöttern sie, in Mali ist die Sängerin Oumou Sangaré eine Volksheldin. Im Gespräch erklärt sie, wie ihre Heimat zum Krisenherd wurde und wer das Land ruinierte

Maison de Oumou Sangaré“ – das hatte dem Taxifahrer als Zielangabe gereicht. Wer in Bamako Songs wie „Diaraby Néné“ mitsingen kann, und das sind vom Greis bis zum Kind praktisch alle, der weiß auch, wo die Grande Dame des malischen Pop wohnt. Von der großen Teerstraße am östlichen Ufer des Niger, zweigt an einer Tankstelle – „le station d’Oumou“ erklärt der Taxifahrer ehrfürchtig – ein Feldweg ab. Er führt durch Felder und Gemüsegärten, vorbei an halbfertigen Luxus-Rohbauten zu einer etwas abgerockten Villa.

„Oumou Sangaré – Diva“ lautet das Kennzeichen des in der Einfahrt parkenden Jeeps. Der Rest wirkt wie ländliches Mali: Ein paar Esel weiden auf dem Nachbargrundstück. Und gleich am Eingangstor recken zwei weiße Pferde und ein Kamel dem Besucher ihre Hälse entgegen. In Mali gelten sie als Glücksbringer. Und Beschützer des Hauses gegen neidische und böse Gedanken.

„Ani Sogoma“, grüßt eine Hausangestellte auf Bamana, „Madame kommt sofort“, und führt an einem leeren Swimmingpool und einer Kochstelle im Hof vorbei zu einer Schiebetür aus Rauchglas. Dahinter weiße Sofalandschaften, die Schutzhüllen aus Plastik noch auf dem Leder. Auf Regalen und an den Wänden prangen Memorabilien: Oumou in Öl gemalt, Familienfotos und Urkunden, die so nachlässig arrangiert sind wie überflüssiger Hausrat, den Oumou beim besten Willen nicht in einen ihrer anderen Wohnsitze in Paris, New York oder Abidjan mitnehmen konnte.

Längst ist sie dem Dunstkreis des regionalen Pop entwachsen, in dem sie einst mit Hymnen gegen Zwangsheirat und untreue Männer zu Westafrikas bekanntester Frauenrechtlerin aufstieg. Heute zählt Oumou Sangaré selbst die Stars des R’n’B zu ihren Fans: Alicia Keys verehrt sie ebenso wie Beyoncé (die Oumou etwa auf „Mood 4 Eva“ sampelt), Aya Nakamura hat ihr gar den Song „Oumou Sangaré“ gewidmet. Ganz aktuell ist Sangarés nasaler Soulgesang außer auf ihrem eigenen Album „Timbuktu“ auch auf dem gerade veröffentlichten „Voyageur“ ihres verstorbenen Mentors Ali Farka Touré zu hören.

„Ist die Klimaanlage kühl genug? Bei mir muss niemand schwitzen.“ Oumous rauchige Stimme eilt ihr die lange Treppe aus dem ersten Stock voraus. Die 55-jährige Sängerin scheint direkt aus der Garderobe zu kommen. Elegantes Kleid, hochgesteckter Turban, das Gesicht bleich geschminkt.

„Mit Deutschland verbindet mich viel“, erzählt sie. „Wissen Sie, dass ich zur Einweihung des Bundestags nach der deutschen Wiedervereinigung gesungen habe?“ Eine ihrer Schwestern hatte einen Deutschen aus der DDR geheiratet, Verwandte lebten in Hamburg und Freiburg, so habe sie deutsche Geschichte hautnah miterlebt, auch den Mauerfall in Ost-Berlin. Ein Ereignis, das ihr Hoffnung gab. „Deutschland ist heute eine Macht. Wenn ihr zwei lange verfeindete Länder zur Aussöhnung gebracht habt, warum sollten wir das in unserem von Bürgerkrieg zerrütteten Land nicht auch schaffen?“

Die Ausgangssituation allerdings erscheint alles andere als rosig: Seit zehn Jahren schon tobt ein Bürgerkrieg gegen die Dschihadisten, im Norden und der Mitte des Landes kommt es immer wieder zu Massakern an der Zivilbevölkerung. Seit 2020 regiert eine Übergangsregierung in Form einer Junta. Ein Militärputsch hatte den alten Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita abgesetzt, das daraufhin von den Nachbarländern verhängte Wirtschaftsembargo kurbelte die Inflation nochmal an, mit Preissteigerungen von bis zu 100 Prozent.

Nun sind die Franzosen, 2012 zur Rettung vor den auf Bamako vorrückenden Dschihadisten gerufen, aus dem Land geworfen worden, die Bundeswehr soll mangels Kooperation seitens der Malier folgen, während man – ausgerechnet – russische Wagner-Söldner zur Stärkung der eigenen Armee ins Land rief.

Oumou Sangaré sieht sich – darauf weist sie mehrmals hin – als Sängerin, nicht als Politikerin. Aber dann redet sie doch: über ihre Verantwortung für ihr Land. Und darüber, dass es sie schmerzt, wie Mali in den westlichen Medien immer nur als Krisenherd wahrgenommen werde. „Wir mögen äußerlich arm erscheinen. Aber innerlich sind wir reich. Bitten Sie mal einen armen Malier, der kaum etwas zum Essen hat, um Hilfe – er wird es mit einem Lächeln auf dem Gesicht tun.“ Stolz und Gutmütigkeit. Das mache laut Sangaré das Wesen ihrer Landsleute aus.

Tatsächlich strahlt das Alltagsleben in Bamako eine gelassene Normalität aus. Händler gehen lachend ihrer Arbeit nach. Polizisten und Soldaten hocken in Teerunden zusammen Die bunt bemalten Kleinbusse im Stadtverkehr hupen um die Wette. So gut wie jedes Wochenende wird am Ufer des Niger ein anderes großes Festival mit Theater, Tanz, Marionettenspiel und Konzerten von Weltklassemusikern gefeiert. Der Optimismus der Malier scheint unerschöpflich. Wenn man von Kultur allein leben könnte, dann würde dieses Land zu den wohlhabendsten der Welt gehören.

Auch wenn Frankreich und Mali gerade im Clinch liegen, das Land aus Perspektive des Westens das Lager gewechselt hat – in der Bevölkerung spürt man keine Feindseligkeit. Im Gegenteil: „Es sind die Regierungen, die ein Problem miteinander haben, aber nicht die einfachen Menschen“, sagt Sangaré. Anders als in westlichen Medien gerne kolportiert, sehen sich die Malier keineswegs ins Abseits manövriert.

Gerade flutet eine Welle des Patriotismus über das Land: Überall, auf Taxis, Bussen, Motorrädern prangt das Bildnis des Juntaführers Oberst Assimi Goita. Malische – und bisweilen auch russische – Fahnen wehen an den großen Straßenkreuzungen. Und die Menschen auf den Straßen reden wieder von „Mali Ba“: Der Rückkehr des „großen Mali“, einer Nation die bereits im 12. Jahrhundert die Universitäten von Timbuktu, später berühmte Königreiche und eine in der ganzen Welt gefeierte Kultur und Musik hervorgebracht hat.

„Auch wenn viele Menschen in Europa das nicht verstehen wollen: Die Mehrheit der Malier steht hinter der Militärregierung“, erklärt Sangaré. Nicht nur, weil die Regierung neue Fabriken und Arbeitsplätze schaffe. Nicht nur, weil die Sicherheitssituation in Bamako sich verbessert habe. Sondern vor allem, weil sie endlich das Erzübel Malis anpackten: „Sie sind die Ersten, die die Korruption bekämpfen, die Verantwortliche auch vor Gericht stellen“. Klar hätten sich die vorigen Regierungen demokratisch genannt. „Aber was war das für eine Demokratie? Die Herrschenden haben sich nur mitsamt ihrem Freundeskreis bereichert. Sie dachten nur an ihre Frauen, an ihre Autos und Häuser, haben alles auf Konten in der Schweiz transferiert.“

Und der Westen? Habe den Komplizen gegeben. Jetzt aber kritisiere man die Militärjunta. Werfe der von ihr eingesetzten Übergangsregierung vor, sich die falschen Partner zu suchen. „Man darf nicht erstaunt sein, wenn Mali gerade sehr deutlich seine Souveränität demonstriert.“ Sangaré erhebt ihre Stimme und nimmt eine mütterliche Strenge an, die sie bisher unter einem Lächeln versteckt hielt: „Die ehemaligen Kolonialherren haben uns zu lange wie unmündige Kinder behandelt. Wir Malier empfangen jeden Gast mit großer Fürsorge. Aber wenn wir Nein sagen, dann meinen wir auch Nein!“

Man hat diese Sätze schon öfter gehört. Bei den Grins, den traditionellen Teerunden der Männer am Straßenrand. Beim Austausch mit malischen Journalisten. Oder auch aus dem Mund junger Rapper wie Master Soumy, die als das politische Gewissen Malis gelten. Oumou Sangaré kennt beide Welten. Den Westen mit seinem Demokratie-Dogma. Und die Nöte der Malier, die Hilfe von allen annehmen, die ihre Konditionen akzeptieren, ihnen ihre Würde lassen. „Sind Wahlen wirklich das wichtigste? Wenn die Militärs Mali voranbringen, die weniger korrupt sind als ihre demokratisch gewählten Vorgänger, dann unterstütze ich diese Regierung!“

Die Malier müssten sich endlich emanzipieren, sagt sie. Mali verfüge über Bodenschätze, große Goldvorhaben, eine weltweit gefeierte Kultur. Wenn man die Vermarktung selbst in die Hand nehme, müsse man nicht in der Rolle des ewigen Hilfeempfängers stecken bleiben. Oumou Sangaré führt in Bamako ihr eigenes Hotel. Sie vertreibt japanische Geländewagen. Hat Rinder- und Fischzuchten. Dazu richtet sie einmal jährlich mitten im Busch, eine Autostunde südlich von Bamako, ein großes Festival mit internationalen Stars aus. Das Festival International Wassoulou soll nicht nur der traditionellen Kultur von Sangarés Heimatregion eine Bühne geben: „Es geht darum zu zeigen, dass wir mit unserem Reichtum Arbeitsplätze schaffen können“.

Wo immer sie auftrete, ermutige sie junge Unternehmerinnen es ihr gleichzutun. Über alle vermeintlichen Hindernisse hinauszuwachsen. „Ich gehörte auch mal zu den Mädchen, die am Straßenrand Wasserbeutel verkaufen. Meine Mutter war alleinerziehend, ich weiß, was Armut bedeutet.“ Ob man die vielen Mädchen gesehen habe, die anstatt in die Schule zu gehen, Wasser schleppen, Mangos oder Kekse verkaufen, um ihrer Familie, ihren Geschwistern die nächste Mahlzeit zu sichern? „Sie sind es, für die ich singe. Sie sind es, denen ich Mut machen will.“

Gerade in einem Land mit geschätzt 70 Prozent Analphabeten gelten Musiker wie Sangaré als Autoritäten, ihnen wird mehr geglaubt als jeder Zeitung, jeder Politikerverlautbarung. Wenn man Menschen in Mali eine Botschaft übermitteln wolle, sagt sie, müsse man sie in einen Song verpacken. So werde sie garantiert gehört. Sie habe in dieser Hinsicht schon viel bewirkt: „Nachdem ich in den Neunzigerjahren über die Polygamie gesungen habe, Mädchen aufgefordert habe, bei Zwangsheiraten vor dem Imam nein zu sagen, diskutierten alle plötzlich über das Tabuthema.“ Natürlich habe sie sich durch ihre unverblümte Art auch Feinde gemacht. Aber sie wisse: Die Jugend stehe hinter ihr. „Die jungen Frauen von heute lassen sich nicht mehr so leicht rumkommandieren. Mehr von ihnen gehen zur Schule. Mehr von ihnen kennen ihre Rechte.“

Nach einer guten Stunde erklärt Sangaré, sie müsse jetzt leider gehen. Zu einer Beerdigungsfeier innerhalb der Großfamilie. Doch das bedeutet – Zeit ist in Mali stets dehnbar – noch längst keinen überstürzten Aufbruch: Zunächst dreht die Diva mit der malischen Begleitung des Journalisten noch bereitwillig ein TikTok-taugliches Fanvideo, packt den Besuchern eine Tüte mit Obst ein, verabschiedet sich mit vielen Wangenküssen und Segenswünschen. „Möge Gott die Deutschen wie die Malier beschützen. Dass beide Länder ihren Frieden finden. Inshallah!“

JONATHAN FISCHER

Die Welt 30.3.2023