Monatsarchiv: Februar 2012

Die im Dunkeln siehst du nicht: Rapperin Speech Debelle hält die Fackel der Sozialkritik hoch

Als letzten Sommer Lagerhallen brannten und für einen Moment die Spaltung der britischen Gesellschaft in haves und have nots auf hässliche Weise sichtbar wurde, lieferte Speech Debelle den Song der Stunde: Blaze Up A Fire. Der Aufruf der 28-jährigen Rapperin, das eigene Leiden sichtbar zu machen, statt weiter auf Almosen zu warten, schien den Sprachlosen eine Sprache zu geben, den Soundtrack zum Aufstand zu liefern. Dabei war der Song schon Monate vorher geschrieben worden.

Die kalte Wut, die da unter der mädchenhaften Stimme hervorblitzte, gehörte ihr selbst. Es ging um die Demütigungen, die Corynne Elliott, wie Speech Debelle mit bürgerlichem Namen heißt, einst als junge Obdachlose erlebt hatte, aber auch das Elend, das ihr tagtäglich in den verwahrlosten Einwanderervierteln Südlondons begegnet. Man hat sie naiv genannt, der Gewaltverherrlichung bezichtigt, aber jeder, der ihr zuhört, versteht sofort, dass sie nur getan hat, was im Pop jeder tut: sich als unberufenes Subjekt zu Wort zu melden. Wenn auch in ihrem Fall vielleicht mit einer größeren Dringlichkeit.

Speech Debelle, die als 16-Jährige damit begann, Gedichte über ihr zerrüttetes Zuhause zu schreiben, ist längst über das schüchterne Mädchen ihres 2009er Debüt-Albums Speech Therapy hinausgewachsen. Damals erzählte die Tochter einer Engländerin und eines Jamaikaners mit unschuldig-gebrochener Stimme von Hungergefühlen und leeren Zigarettenpäckchen: die vertonte Odyssee eines von daheim ausgebüxten Teenagers. Dass die Außenseiterin damit auf Anhieb den Mercury Prize, Großbritanniens wichtigsten Musikpreis, gewann, war eine Sensation – verkauft aber hat sich ihr Album kaum.

Drei Jahre später ist sie scharfzüngiger geworden. Und weitsichtiger. Ihr neues Album Freedom Of Speech – das auch Blaze Up A Fire enthält – kommt wie eine Sympathieerklärung für die marginalisierte Großstadtjugend daher. In heftigen Wortkaskaden beschreibt sie das zweigeteiltes Großbritannien aus der Perspektive von unten, verflucht rassistische Polizisten und das Schulsystem. Doch so cool das daherkommt: Songs über Verrat oder auch das Eingeständnis einer enttäuschten Liebe gewähren Einblick in ihre privatesten Empfindungen. Der Eröffnungssong Studio Backpack Rap, eine klassische Hip-Hop-Nummer, in der sie die Party im Hier und Jetzt feiert, bleibt die Ausnahme, auch musikalisch. Sehr effektvoll kontrastiert Produzent Kwes auf den nachfolgenden Titeln Debelles helle Stimme mit schroffen Elektro-Beats und dunkel-glitzernden Synthesizern, es gelingt ihm, mit minimalen Mitteln eine Schattenwelt zu erschaffen.

Freedom Of Speech wirkt bisweilen so düster wie die Fluchten der Sozialwohnungskasernen von Südlondon – und ist doch nicht ohne Hoffnung. Am deutlichsten ist das in Songs wie Live For The Message zu hören: Bluesige Gitarrenläufe verhallen, der Bass schleicht wie ein Raubtier dahin, während Speech Debelle mit trotziger Stimme die Fackel der Sozialkritik von Nina Simone aufnimmt. In dem Moment ist sie dann doch eine, die ein Feuer anzündet, damit das Leiden aller gesehen wird.
JONATHAN FISCHER
Die Zeit 16.2.2012

Der Eintänzer: Mit 75 Jahren starb Don Cornelius, der den „Soul Train“ startete

Als „Soul Train“ am 17. August 1970 das erste Mal auf Sendung ging, der Moderator Don Cornelius seinen gewaltigen Afro in die Kameras hielt, lässige Sprüche wie Kleingeld um sich warf und seine Soul-Train-Truppe der Reihe nach mit der Geschmeidigkeit von Raubtieren durch das Spalier der Mittänzer gleiten ließ, sollte Popkultur sich ganz neu definieren. Fernsehen war plötzlich funky. Und Amerika, immer noch erschüttert von der Bürgerrechtsbewegung und den mit ihr einhergehenden gesellschaftlichen Verwerfungen, lernte zu tanzen. Vor allem aber rollte der „Soul Train“ auf einem Gleis, das Selbstermächtigung nicht mehr als politische Parole formulierte. Sondern Menschen zeigte, die Freiheit körperlich, seelisch und künstlerisch in Bewegung umsetzten. Als getanzte Emanzipation. Funky feet. Schwarze Gesichter auf der Mattscheibe bedeuteten nicht mehr bloße Quoten-Erfüllung, nein, „Soul Train“ gab Samstag für Samstag immer wieder aufs Neue ein Versprechen: auf Brüder- und Schwesternschaft. Und vermittelte eine stolze Coolness, die schwarze Kultur zum weltweiten Exportschlager machen sollte.

Don Cornelius, ein ehemaliger Autoverkäufer und Radio-Discjockey aus Chicago, wollte ursprünglich eine schwarze Version von Dick Clarks fünfmal die Woche gesendeter Mainstream-Musikshow „American Bandstand“ produzieren. Aber ohne Scheitel, onkelhafte Ansagen und pomadige Tanzschritte. „Ich wusste, dass schwarze Kids besser tanzen, dass schwarze Künstler bessere Musik machen und ein schwarzer Moderator hippere Sprüche bringen könnte – warum also nicht einen Versuch wagen?“, erklärte Cornelius 195l. Mit 500 Dollar aus der eigenen Tasche schuf er eine Pilotsendung. Dass „Soul Train“ – lange vor MTV – einmal eine der einflussreichsten Musiksendungen Amerikas werden würde, die Karrieren von Soulsuperstars wie Aretha Franklin, Stevie Wonder, Marvin Gaye und Michael Jackson befördern und schwarze Kultur als humanistisches Vehikel und rassenübergreifende Party-Bewegung predigen würde – das ahnte Cornelius damals wohl kaum. 35 Jahre lang blieb der Zug auf den Schienen, länger als jede andere Fernsehserie. Breakdancer lösten die tanzenden Soulpaare ab. Das Format aber lief bis 2006 unverändert. Am Mittwoch hat sich der alternde Pop-Moderator in seinem Haus in Los Angeles das Leben genommen. Er kämpfte zuletzt mit gesundheitlichen Problemen und einer Scheidung. Sein ultra-cooler Stil: unerreicht. Wie moderierte er doch jede Sendung ab? „Love, peace and soul.“
JONATHAN FISCHER
SZ, 3.2.2012