Wenn Funk heute einen Namen hat, dann diesen: Maceo Parker. Der 1943 in Kinston, North Carolina geborene Musiker wollte eigentlich Lehrer werden, bis ihn James Brown 1964 in seine Band holte. Von da an sollte Parkers Saxofonspiel nicht nur die Musik seines Chefs, sondern auch den Pop des nächsten halben Jahrhunderts prägen. Er spielte unter anderem mit George Clintons Parliament, mit Prince und der Hip-Hop-Band De La Soul. Heute gehört der 74-jährige mit seiner Band zu den letzten noch aktiven Paten des Funk. Im Februar erscheint eine üppig ausgestattete Neuauflage seines Albums „Life On Planet Groove“ (Minor Music), das er mit dem Tenorsaxofonisten Pee Wee Ellis und dem Posaunisten Fred Wesley einspielte, mit denen er einst den Bläsersatz für Brown, Clinton und die Gruppe Horny Horns bildete. Außerdem gibt es ein neues Album mit dem Titel „It’s All About Love“ (Leopard), das er zusammen mit der WDR Big Band eingespielt hat.
SZ: Anfang der Neunzigerjahre lancierten Sie mit dem deutschen Label Minor Music ihr Comeback und arbeiten seitdem immer wieder mit deutschen Produzenten und Musikern zusammen. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Deutschland?
Maceo Parker: Deutschland fühlte sich für mich immer wie eine zweite Heimat an. Während meines Militärdienstes war ich Mitte der Sechzigerjahre als Teil der Army Band in Bremerhaven stationiert. Ich erinnere mich an meine damalige Lieblingskneipe Chico’s. Wir haben dort nach Feierabend unseren James Brown-Groove auf die Deutschen losgelassen.
Sie sind für Ihr neues Album zum zweiten mal – nach Ihrem Ray Charles Tribute Album aus dem Jahre 2004 – mit der WDR-Bigband ins Studio gegangen. Bemerken Sie einen Unterschied – etwa im Vergleich zum Zusammenspiel mit Ihren afroamerikanischen Kollegen?
Nein, starke Musiker sind starke Musiker. Sie fühlen den Beat. Deshalb sage ich: Schwarze Musik ist nicht an eine Hautfarbe gebunden. Alles andere wäre genauso ein Vorurteil, wie jenes, dass Schwarze besser tanzen können. Ich jedenfalls sehe eine Menge schwarze Typen, die es nicht hinkriegen, sich mit dem Beat zu bewegen.
Haben Sie deshalb mit Ihrer Band eine so genaue Choreografie ausgearbeitet?
Das hat etwas mit dem Respekt vor unserem Publikum zu tun. So wie unsere Anzüge. Ich würde nie in T-Shirt und Jeans auftreten. Genauso wenig würde ich zulassen, dass jemand stocksteif auf der Bühne steht. Das habe ich von James Brown gelernt.
Funktioniert der Sound nur über die Hüftbewegung?
Genau. 98 Prozent Funk, 2 Prozent Jazz. Mit dieser Ansage eröffne ich jedes Konzert – es ist die Erlaubnis, den Körper einzusetzen.
Können Sie uns Funk mal definieren?
Funk ist eine Einstellung. Du hörst auf die synkopierte Seite des Beats. Das fühlt sich um einiges leichtfüßiger und spaßiger an als etwa beim Jazz.
Wann sind Sie das erste Mal mit Funk in Berührung gekommen? Als Sie 1964 in James Browns Band einstiegen und mit ihrem Saxofon Hits wie „Papa Got A Brand New Bag“ und „Cold Sweat“ mitprägten?
Nein, viel früher. Meine Brüder und ich hatten unsere eigene Band, mit der wir alles von Jazz-Standards bis zu Rock’n’Roll spielten. Unser Erweckungserlebnis kam 1958: Da hörten wir Ray Charles mit „What I’d Say“ im Radio. Dieser Rhythmus ließ uns vollkommen ausrasten. Wir tanzten und tobten durchs Haus, warfen Tische und Stühle um. Wir hatten unser Ding gefunden. Davor dachte ich, dass ich mal unter dem Motto „Maceo Parker spielt Charlie Parker“ auftreten würde. Nun begriff ich, dass ich mehr auf der Rhythmusseite stand und keine langatmigen Akkordfolgen spielen wollte.
Steckt im Funk eigentlich auch eine politische Botschaft?
Nein, nicht für mich. Aber natürlich hat er eine eigene Kraft. Ich denke nur an den Abend nach der Ermordung von Martin Luther King, als wir mit James Brown im Fernsehen auftraten, und so womöglich drohende Ausschreitungen verhinderten.
Stevie Wonder kniete kürzlich auf der Bühne nieder, und nahm damit eine Geste amerikanischer Footballspieler gegen rassistische Polizeigewalt auf. Geht ihnen das zu weit?
Ich bin auf jeden Fall auf der Seite all jener, die gegen ein System aufstehen, in der Polizisten ungeschoren mit ihren Straftaten davon kommen. Mehr will ich nicht zur Politik sagen.
Dann reden wir doch übers Geschäft. Sie sind der meistgesampelte Saxofonist der Welt. Profitieren Sie denn auch finanziell davon?
Ein paarmal hat ein Rechtsanwalt in meinem Namen geklagt, dann gab es eine Art außergerichtlicher Einigung. In der Regel aber bekomme ich kaum Tantiemen. Obwohl ich musikalischer Direktor war, steht mein Name bei den meisten James-Brown-Songs nicht in den Credits. Das war mein größter Fehler: Mich nicht mit Mr. Brown hinzusetzen und meinen Anteil auszuhandeln. Aber ich wollte das damals nicht. Es fühlte sich wie Bettelei an.
Sie haben Brown 1970 verlassen. Warum haben Sie gleich die gesamte Band mitgenommen?
Wir wollten endlich selbstbestimmt arbeiten. Das Album, das wir als Maceo & All The King’ Men aufnahmen war auch einigermaßen erfolgreich, aber wir hatten nicht geahnt, wie weit James Brown gehen würde um uns zurückzubekommen.
Stimmt es, dass er Konzertveranstalter und Radiostationen veranlasste, Sie zu boykottieren?
Er fühlte sich in die Enge getrieben, so eine Meuterei hatte er noch nie erlebt. Darum wollte er uns seine Macht spüren lassen. Irgendwann sind wir zwangsläufig zurückgekehrt. Heute habe ich ihm das alles längst verziehen. Nur wenige wissen, dass ich sogar einen Song für James Brown geschrieben habe, als er im Gefängnis saß: „Let Him Out“.
Sie haben sich dann Mitte der Siebzigerjahre George Clintons P-Funk-Truppe Parliament angeschlossen. War es das krasse Gegenprogramm zur eisernen Disziplin, die James Brown forderte?
Mit George Clinton ließen wir ein Raumschiff auf der Bühne landen, um als Außerirdische den Funk zu den Erdenbürgern zu bringen. Uniformität war plötzlich nicht mehr gefragt: Du willst ein Eisenbahner-Kostüm anziehen? Dir die Haare grün färben? Nackt in einer Windel auftreten? „Warum nicht“, sagte George zu allem. „Seid einfach funky und habt euren Spaß.“ Da musste ich natürlich doch erst mal etwas schlucken.
Zuletzt holte Sie Prince in seine Band. Was hat er von Ihnen erwartet?
Prince ging es vor allem darum, den Original-Saxofonisten von James Brown an seiner Seite zu haben. Sein Einfluss war vor allem spiritueller Natur. Diese wunderbare, liebvolle Person, die er für seine Fans verkörperte – genauso war er wirklich.
Sie touren über 200 Tage im Jahr. Haben Sie das überhaupt noch nötig?
Tja, von Tantiemen allein kann heute niemand mehr leben. Das Musikgeschäft entwickelt sich ohnehin dorthin, wo es in den Vierzigern und Fünfzigern schon einmal war. Du spielst eine neue Platte ein, nur damit du wieder auf Tour gehen kannst. Ich habe jedenfalls vor, noch mit 85 oder 90 Jahren auf der Bühne zu stehen. Immer weiterspielen: Das ist meine Art, mich aufs Sterben vorzubereiten.
JONATHAN FISCHER
SZ 19.2.2018