Monatsarchiv: Oktober 2013

Klartexter aus Dakar: Der westafrikanische Hip-Hopper Awadi zu Gast im Ampere

München – Während die Flüchtlingskatastrophen vor Lampedusa die Öffentlichkeit aufwühlen, es ins Bewusstsein dringt, dass Hunderte Afrikaner jedes Jahr auf der Überfahrt nach Europa ertrinken, möchten die EU-Politiker das Problem am liebsten vom Halse haben. Was aber würden uns die Afrikaner sagen, wenn sie denn eine Stimme hätten? Der senegalesische Hip-Hop-Pionier Didier Awadi greift mit seiner Mischung aus intelligentem Rap, westafrikanischen Melodien und Rhythmen all das auf, was die „Géneration Consciente“, die selbstbewusste Generation junger Afrikaner bewegt. Und gilt deshalb seit 15 Jahren als wichtigster Hip-Hop-Star in Westafrika.

Dabei sieht Awadi seine Mission auch in den Konzerthallen Europas: „Mir geht es um eine andere Sichtweise auf die Emigration. Wer würde sonst laut sagen, dass all die senegalesischen und afrikanischen Jugendlichen, die sich in Nussschalen auf den Weg nach Norden machen, daheim von ihren Machthabern und deren Vetternwirtschaft betrogen wurden? Dass die Regierungen Europas für diese Misere Afrikas mitverantwortlich sind? Dass die senegalesischen Fischer nichts mehr fangen, weil europäische Trawler das Meer vor ihrer Küste leerfischen? Dass sich Europäer und afrikanische Eliten bereichern, während die einfachen Menschen immer ärmer werden?“

Awadis Raps schonen niemanden – weder die heimischen Machthaber noch die opportunistischen Politiker Europas. Klar, dass er damit aneckt. Doch die Jugendlichen zwischen Lomé, Bamako und Dakar geben mehr auf die Zeilen dieses Hip-Hop-Klartexters als auf die Regierungspropaganda. Bereits 1989 hatte Awadi die senegalesische Erfolgsband Positive Black Soul gegründet. Seitdem greifen seine Raps den Polit-Diskurs der Straße auf: So heißen seine letzten Soloalben „Kaddu gor“ (Ehrenwort), „Un autre monde est possible“ (Eine andere Welt ist möglich), oder „Sunuuugal“, ein Plädoyer gegen die Flucht und für die Entwicklung Senegals.

Awadis Hip-Hop-Songs erzählen panafrikanische Geschichte von unten und geben den von ihren Eliten im Stich gelassenen Jugendlichen Westafrikas politische und moralische Orientierung. Dazu passen die neuen musikalischen Töne auf seinem Album „Ma Revolution“. Reggae-Bässe und der Pianist von Bob Marleys Wailers treffen auf senegalesische Mbalax-Trommler und programmierte Beats. Eine Mischung, die bereits die Straßen von Dakar rockt. „Die Herausforderung“, sagt der Hip-Hop-Star, „ist es, euch zum Tanzen, aber gleichzeitig auch zum Nachdenken zu bewegen.“
JONATHAN FISCHER
SZ 18.10.13

Ein schlauer Hund: Mit seinem neuen Album «Flying Colours» zeigt der kenyanisch-kanadische Rapper Shad, dass innovative Impulse heute aus der afrikanischen Diaspora kommen – musikalisch wie lyrisch

Nein, Shad hat keine Angst vor der eigenen Geschichte. Im Video zu seiner neuen Single «Fam Jam (Fe Sum Immigrins)» inszeniert der kanadische Hip-Hop-Star die Kindheitserinnerung an eine Familienfeier kenyanischer Immigranten in Ontario, Kanada. Der Clip zeigt einen vollkommen unglamourösen Gemeindesaal mit DJ-Pult und Platten voller afrikanischem Essen, um die herum Erwachsene und Kinder freundlich plaudern, tanzen und Fotos aus der alten Heimat anschauen. Die Musik: Soulig-federnde Hip-Hop-Beats, eine indische Sitar, afrikanische Gitarren. Dazu Shads lässiger Flow. Raps, die vor der Kulisse dieser multiethnischen Party ein paar essenzielle Fragen stellen: «If its a big world / show me my place in it.» Wo ist mein Platz in dieser Welt?
Aussenseiter-Attitüde

Die unprätentiöse Aussenseiter-Attitüde gehört zu Shadrach Kabango alias Shad: Bei den letztjährigen Juno-Awards (dem kanadischen Grammy) gewann er – vor seinem Superstar-Landsmann Drake – den Preis für das beste Hip-Hop-Album des Jahres. Er hängt das allerdings ebenso wenig an die grosse Glocke wie die Tatsache, dass er während der Aufnahmen zu seinem neuen Album «Flying Colours» nebenbei auch noch sein Universitätsstudium mit einem Master in Liberal Studies gekrönt hat. Im Interview erzählt der 31-jährige Immigrantensohn lieber vom Gefühl der Entfremdung in beiden Heimatländern oder von der Schwierigkeit, als Christ und Hip-Hop-Celebrity die richtige Frau zu finden. Wie erklärt er den Titel seines neuen Albums «Flying Colours»? «Wir sind doch alle erst einmal Erfolgsgeschichten, egal welcher Farbe», sagt Shad. «Niemand muss sich entschuldigen oder erklären, solange er einfach sein Bestes gibt», findet er.

Optimismus. Hoffnung. Sein Bestes geben. Diese Erfolgsstrategie gilt auch im Hip-Hop. «Third world born, first world torn», rappt Shad. In der Dritten Welt geboren, in der Ersten verloren. Die Texte sparen die eigene Zerrissenheit als Immigrantensohn nicht aus, während «Flying Colours» die Schärfe und Experimentierfreudigkeit des Hip-Hops auf urafrikanische Gemeinschaftswerte prallen lässt. Das schafft kreative Reibung.

Kein Zufall, dass gerade Diaspora-Rapper die innovativsten Hip-Hop-Alben der letzten Jahre lieferten: So brillierte der Somali-Kanadier K’naan als afrikanischer Geschichtenerzähler, bevor er dann sehr erfolgreich zum Mainstream wechselte. Der belgische-kongolesische Polit-Rapper Baloji legte 2011 mit «Kinshasa Succursale» eine grossartige Live-Fusion von kongolesischer Folklore und Hip-Hop vor. Und Blitz The Ambassador – ein Ghanese mit Wohnsitz New York – veröffentlichte im gleichen Jahr das Album «Native Sun»: eine Reise zu den Schnittpunkten von Hip-Hop, Highlife, Afrobeat und futuristischem Funk, die zeigte, dass Hip-Hop gerade an den Rändern der afrikanischen Diaspora die buntesten und erstaunlichsten Blüten treibt.

Der musikalische Reiz des Exotismus, die Rekombination von Koras, äthiopischen Bläsern oder Soukous-Gitarren erklärt dabei nicht alles: Genauso wichtig ist die lyrische Ebene. Wirkt doch nach 35 Jahren die Geschichte des Hip-Hops samt Testosteron- und Kapitalismus-Klischees seltsam ausgebleicht. Wen können Lil Waynes Pimp-Albernheiten oder Jay-Z’s Vom-Drogendealer-zum-Tycoon-Plattitüden noch überraschen? Ähnelt Chart-Rap heute nicht vielmehr der dünnen Brühe, die man als American Coffee serviert bekommt? Rapper wie Blitz The Ambassador, Baloji oder Shad bringen da überraschende Brechungen ins Spiel. Sie erzählen noch einmal eine ganz andere Geschichte.
Assoziations-Feuerwerk

Auf seinem Song «Stylin’» etwa rappt Shad in einem Assoziations-Feuerwerk über seine kenyanische Jugend, über Essen mit Stäbchen, Shakespeare, Ice-Cube und Afrikaner mit hohem IQ – und amüsiert sich über Missverständnisse von Fans, die («I hate Rap, but I like you») seine Musik lieben, aber Hip-Hop verachten. Denn Hip-Hop, dieser Quellcode, durch den man jede positive wie negative Geschichte transportieren kann – Hauptsache neu und unerhört: Er bedeutete für den Rapper zuerst einmal Freiheit.

Dem Stereotyp eines erfolgreichen Rappers hat Shad allerdings nie ganz entsprochen. In Kenya geboren, kam er als Kleinkind mit seinen rwandischen Eltern nach London, Ontario. Schulischer Ehrgeiz und eine christliche Erziehung prägten Shads Jugend. Mit 14 Jahren fing er mit Rappen an. Doch wichtiger noch war ihm der Abschluss seines Betriebswirtschaftsstudiums. Erst als er einen Hip-Hop-Wettbewerb einer grossen Radiostation gewann, nutzte er die 17 500 Dollar Preisgeld, um sein erstes Album «When This Is Over» zu finanzieren. Das war im Jahre 2005.

Zwei Alben später überrascht «Flying Colours» nun mit einer selbst für Indie-Hip-Hop unglaublichen Differenziertheit: Da treffen knochentrockene, swingende Beats auf Streicher, Pianos und elektrische Zerrgeräusche – während Shads kluge und empathische Texte auch auf dem Papier noch funktionieren.
Wie ein Ethnologe

Rapper wie Common oder Curtis Mayfields Message Soul drängen sich als Vergleichsgrössen auf: etwa wenn Shad aufzählt, was er alles von den Frauen in seiner Familie gelernt hat oder an was ihn all die vernachlässigten Kinder in der Nachbarschaft erinnern. Zu viel der Familienmoral? Keineswegs. Shad predigt nie. Vielmehr erforscht er wie ein Ethnologe seine Umgebung und was ein Leben als Secondo in einer oft ausserirdisch anmutenden amerikanischen Kultur bedeutet, wo «selbst Kirchen für den Tod von Obama predigen / und diesen Wunsch mit Osama teilen». Dass ein Obama es mit kenyanischen Wurzeln ins Weisse Haus geschafft hat, darauf spielt Shad immer wieder an. «A sly dog and you’re African?» Warum sollte nicht ausgerechnet ein Kenyaner das nächste All-American-Hip-Hop-Wunder stellen? «Mein Programm», sagt Shad, «ist es, so viel von mir selbst zu zeigen wie möglich.» Die Phrase «keeping it real» nimmt er nicht in den Mund.
JONATHAN FISCHER
NZZ 18.10.2013

Soul in Zeiten der Robotik: Janelle Monae und ihr neues Album „Electric Lady“

Lange her die Zeiten, als schwarzer Pop noch einen Anspruch auf Echtheit hegte: Der seine Seele ausschwitzende Soulsänger, der aufpeitschte und Geständnisse intonierte, ist seit Ende der sechziger Jahre ein Anachronismus. Ihm folgten die Stars von Disco, Garage, New Jack Swing und des heute allgegenwärtigen Rhythm’n’Blues-Radiokleisters. Mit der Künstlichkeit allerdings ging ein Freiheitsanspruch einher. Eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten. Denn jede neue schwarze Pop-Welle lieferte Freiräume, um die alten Klischees hinwegzufegen, sich selbst noch einmal neu zu erfinden. Das konnte in dem Raumschiff-Wahnsinn eines George Clinton münden. In Princes androgyner Rock-Funk-Oper. Oder zuletzt in der esoterischen Selbstinszenierung von Erykah Badu als ägyptische Königin, Afro-Feministin und kosmische Heilerin.

Nun aber rekombiniert Janelle Monae die Bausteine all dieser freisinnigen Pop-Vorgänger zu etwas ganz Eigenem. Insbesondere steigert sie das afro-futuristische Spiel mit dem Ausserirdischen zu einer grellen Androiden-Disco. Die 27-jährige Musikerin aus Kansas City treibt die Künstlichkeit auf die Spitze. Und mit ihr die Lizenz, alle Hautfarben- und Gender-Zuschreibungen zu umtanzen. Geniale Notwehr, könnte man meinen. Wie liesse sich die Softporno- und Leistungsethik einer Beyoncé & Co., das Bikini-Gerobbe und Bettkanten-Geschmachte all ihrer singenden Kolleginnen besser aushebeln?

Janelle Monae, Tochter einer Putzfrau und eines Müllmanns, taucht ihre «Electric Lady» – so der Titel des neuen Albums – in ein Bad aus Glitter, Glamour und Stahl. Sex habe sie nur mit Androiden. Und ihr Privatleben gehe uns nichts an. Jede unziemliche Nähe erstickt Monae schon mit ihrem Outfit: Smoking, Fliege, Riesentolle, ein Cyber-Geschöpf im Körper einer jungen Frau mit glänzenden Backenknochen.

Die dazugehörige Musik gibt sich indes viel irdischer als die Superheldin: Abgesehen von den hörspielartigen Skits, in denen ein durchgeknallter Radiomoderator in der Androidenstadt Metropolis das Leben von Janelle Monaes Alter Ego Cindy Mayweather kommentiert («Robot Love Is Queer»), versammelt «Electric Lady» eineinhalb Dutzend unterhaltsamer Rhythm’n’Blues-Vignetten. Bald folgt sie dem Frühwerk ihres Verehrers Prince (mit dem sie sich im Slow Jam von «Givin‘ em What They Love» duelliert), bald schwelgt sie in Siebziger-Jahre-Soul-Funk («Victory», «Can’t Live Without Your Love»), dann wiederum reitet sie auf Jazz-Harmonien und den Synthesizer-Spielereien des späten Stevie Wonder durch ihr Privat-Universum. Am schönsten ist das Gipfeltreffen zweier Space-Queens: Auf «Q. U. E. E. N.» buchstabiert Janelle Monae mit Erykah Badu alle Missverständnisse von Weiblichkeit durch – unterfüttert von kalten, synthetischen Beats, die sich in Streicher-Soul-Wohlgefallen auflösen.

Nur dass das Roboter-Thema irgendwann nervt und man sich Monaes virtuose Stimme zurück auf die Erde wünscht – als Instrument all der menschlichen Entzückung, Zärtlichkeit und Verzweiflung, die der Black Music noch immer humane Grösse verleihen. Monae kann als Roboter nichts falsch machen. Aber was sagt es über den Zustand des gegenwärtigen Rhythm’n’Blues aus, wenn die Liebe in eine Androidenstadt fliehen muss?
JONATHAN FISCHER
NZZ 11.10.2013