Das Lachen von Sharon Jones ist schon von weitem zu hören. „How are you doing, sweetheart?“ Jones trägt Jogging-Anzug statt ihres Pailletten-bewehrten Bühnenkleides und macht die Runde durch ihre „Familie“, wie sie die Musiker und Angestellte bei Daptone Records in Brooklyn nennt. Hier ist immer noch die Kommandozentrale des weltweiten Funk- und Soul-Kosmos, wenn die Räume auch etwas heruntergekommen wirken. An den Wänden sieht man Wasserflecken, überall liegen Stapel von Papieren und Platten, im Studio dann ein Sammelsurium von Verstärkern und Keyboards aus den 70ern. Resolut räumt Jones einen Tisch frei und lässt sich frisch gepressten Saft bringen.
SZ: Mrs. Jones, wie geht es Ihnen heute?
Sharon Jones : Besser als die letzten Tage, danke. Ich spüre immer noch die Knochenmark-Spritze, die mir helfen soll, weiße Blutkörperchen zu entwickeln. Aber dann denke ich mir: Schmerzen hin oder her, du willst zurück auf die Bühne.
Seit 1996 touren Sie mit Ihrer Band durch die ganze Welt. Kürzlich mussten Sie dann überraschend die Veröffentlichung Ihres neuen Albums und Ihre geplante Welttournee absagen.
Bei einem Auftritt in Idaho spürte ich plötzlich dieses brutale Seitenstechen. Die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Ich dachte: Sharon, du wirst die Veröffentlichung deines Albums nicht mehr erleben. Mir wurden große Teile des Darmtrakts rausgeschnitten, ich musste immer donnerstags zur Chemotherapie. Bis Montag war ich jedesmal total geschafft. Wenn ich am Mittwoch gerade wieder Lebensmut gefasst hatte, fing alles von vorne an. Zum Glück war die letzte Behandlung am 31. Dezember. Im Februar kehre ich zurück auf die Bühne.
In Ihrer Musik zeichnen Sie das Bild einer Soul-Überlebenskünstlerin, die allen Stürmen des Lebens trotzt. Werden Sie noch dieselbe Sharon Jones sein?
Unbedingt. Selbst an dem Abend vor drei Jahren, an dem meine Mutter starb, sagte ich meinen Auftritt nicht ab, sondern legte alles, was ich fühlte, in meinen Gesang. Und auch jetzt werde ich weitersingen. Meine Karriere hat so spät angefangen, da denke ich noch nicht an Ruhestand.
Sie waren lange Backgroundsängerin, bekamen erst mit 40 einen Plattenvertrag. Spornt Unterschätzung Sie an?
Ich habe gelernt, meinen Wert nicht nach Äußerlichkeiten zu bemessen. Sonst hätte ich mich längst aufgegeben: zu klein, zu schwarz, zu fett. Das bekam ich immer wieder von den Plattenfirmen zu hören. Großartige Stimme, ja, aber das Aussehen! Also arbeitete ich als Gefängniswärterin auf Rikers Island und als Wachfrau für Geldtransporte. Bis mich der Boss von Daptone 1996 bei einem Job als Backgroundsängerin entdeckte und mir einen Solo-Vertrag anbot.
Jetzt erfüllt es Sie sicher mit Genugtuung, weltweit große Hallen zu füllen, in Film und Fernsehen aufzutreten.
Trotzdem kann ich mich noch immer aufregen: etwa wenn bei den Grammy-Verleihungen Justin Timberlake und Taylor Swift in der Kategorie Rhythm’n’Blues gewinnen. Nicht dass sie keine guten Sänger wären. Aber sie machen Pop! Wenn ich mit meiner Band, den Dap-Kings, singe, dann geht es um die Seele. Soul. Vielleicht lässt sich diese Musik nicht so leicht verkaufen wie Pop – aber sie wird immer neue Generationen erreichen. Deshalb sind doch Stars wie Amy Winehouse zu uns gekommen.
Amy Winehouse nannte Sie als Inspiration. Dennoch waren Sie anfangs nicht gut auf die Engländerin zu sprechen.
Sie hat ihre Hits mit meiner Band eingespielt, mein Studio benutzt, unseren Sound imitiert. War ich deshalb eifersüchtig? Höchstens ein kleines bisschen! Amy hatte eine phantastische Stimme.
Das Soul-Genre strotzt von Suchtgeschichten und Missbrauch. Ob Sam Cooke oder Marvin Gaye, Etta James oder Sly Stone. Sind Sie verschont geblieben?
Das Tragische ist doch, dass all diese Sänger schon in einem Alter Erfolg hatten, als sie mit den Nebenwirkungen des Ruhms noch nicht umgehen konnten. Zu viel Partys, zu viel Alkohol, zu viele Affären. Dann beraubten die Plattenfirmen sie auch noch ihrer Tantiemen. Mir kann das nicht passieren, weil ich zu alt dafür bin.
Und Ihren Trost haben Sie sich stattdessen im Gottesdienst geholt?
Nun kann ich es ja zugeben: Durch das Koksen habe ich damals fast eine Oktave meines Stimmumfangs verloren. Ich war Mitte Zwanzig, hatte einen Job bei einer Anwaltskanzlei an der Wall Street und imitierte die Lebensweise meiner Kollegen. Nebenbei sang ich im Kirchenchor, das hielt mich über Wasser. Ich hätte wohl noch lange dieses Doppelleben geführt. Bis mir dämmerte, dass ich meine Stimme unwiderruflich ruinierte. Ich ging in die Kirche und betete: Gott, wenn du mir diese Nacht beistehst, bleibe ich clean.
Sie haben diese Geschichte noch nie erzählt, oder? Dabei passt das doch gut zur Biografie der leidgeprüften Soulsister.
Ich habe das verschwiegen, weil die Medien großes Tamtam um Drogengeschichten machen. Mir geht es aber um meinen Glauben: Er hat mich aus meiner Drogensucht gerettet, er hat mich gestützt, als niemand an die Sängerin Sharon Jones glaubte, er wird mich auch durch den Krebs bringen.
In „Longer And Stronger“ singen Sie darüber, wie oft Ihr Vertrauen in andere Menschen enttäuscht wurde – und dass Sie trotzdem immer wieder aufstanden. Woher rührt dieser Kampfgeist?
Man wird weniger wehleidig, wenn man in Armut aufwächst. Meine ersten Jahre verbrachte ich in der Baracke meiner Oma in Augusta, Georgia. Wir hatten ein Plumpsklo im Garten, kein fließend Wasser. Essen war der einzige Luxus. Großmutter ging in den Garten, erntete Senfkohl und Süßkartoffeln, dazu gab es Huhn oder eine Beutelratte, wenn ich Jagdglück hatte.
Warum erlegt ein Kind Beutelratten?
Ich habe auch Rotkehlchen mit der Steinschleuder gejagt und das Dutzend für ein, zwei Dollar verkauft. Mein Vater brachte mir das Angeln und Fallenstellen bei. Ich erinnere mich, dass wir mal eine Beutelratte heimbrachten, und dann zeigte er mir, wie man sie mit dem Hammer erschlägt. Wir schmorten das Opossum mit Süßkartoffeln im Ofen. Wir nannten das Soulfood.
Heute ist das traditionelle Soulfood wegen seines Fett- und Zuckergehalts in Verruf geraten.
Ich liebe dieses Essen. Aber statt Fleisch koche ich öfters Fisch. Am liebsten, wenn ich ihn selbst geangelt habe.
Sie haben mal erklärt, dass Sie jede Minute, die Sie nicht musizieren, an einem Fischteich verbringen.
Ich liebe das Angeln. Während der Krebsbehandlung habe ich davon geträumt. Ständig. Ich verbinde damit ein Gefühl der Entspannung. Wissen Sie, was ich nach der Entlassung als erstes tat? Obwohl ich vor Schmerzen kaum stehen konnte, packte ich meine Angel, ging an meinem Lieblingsteich und fing einen Barsch.
Müssen Sie wegen Ihrer Krebserkrankung nicht eine strenge Diät einhalten?
Ich nehme Enzym-Pillen, damit meine Verdauung funktioniert. Anfangs hatte ich sie zu niedrig dosiert: Schon nach der ersten Mahlzeit musste ich mich übergeben und kam in die Notaufnahme. Jetzt ernähre ich mich mit Gemüsesäften und biologisch angebauten Lebensmitteln. Unser Essen ist vollgestopft mit Chemikalien. Früher hielt ich Junkfood für normal. Auch eine Folge der Armut: Als meine Mutter meinen prügelnden Vater verließ und mit sechs Kindern nach New York zog, gab es täglich Erdnussbutter-Sandwiches oder Grießbrei.
Sie leben schon viele Jahrzehnte in New York, aber Ihre Musik klingt noch so, als sei sie in einer weißgestrichenen Baptisten-Holzkirche entstanden.
Da ist mein Herz geblieben. Irgendwann werde ich wieder ganz in meine Geburtsstadt Augusta ziehen, ich habe meiner Mutter dort vor ein paar Jahren ein Haus gekauft – Michael Bublé sei Dank.
Nur, weil Sie mit dem kanadischen Sänger 2011 ein Duett aufnahmen?
Der Song „Baby You’ve Got What It Takes“ hat auf einen Schlag mehr Geld gebracht als ein ganzes Jahr bei Daptone. Meine Plattenfirma wird von jungen Soul-Enthusiasten betrieben. Und meine Gagen müssen eine zehnköpfige Band ernähren. Von der ersten Million bin ich noch weit entfernt.
Dann stimmt es also, dass Sie sich in den 90er Jahren noch Geld von Ihrem Kirchenvorstand leihen mussten, wenn Sie auf Tournee mit den Dap-Kings gingen?
Ja, auf den ersten Tourneen waren wir völlig abgebrannt. Ich war glücklich vor Publikum zu singen, mit Stars wie Prince oder Al Green die Bühne zu teilen. Was bedeutete dagegen schon Geld? Zur Not konnte ich ja stets als Backgroundsängerin arbeiten.
Deshalb gingen Sie dann auch 2007 mit Lou Reeds Band auf Tour.
Mit Lou gibt es eine Geschichte: Drei Tage vor seinem Tod rief mich sein musikalischer Direktor an: „Lou liebt dich. Wir sehen gerade das Video an, wo ihr zusammen ,Sweet Jane’ singt.“ Viele hielten Lou für grantig. Er konnte ekelhaft sein! Als ich eine Tournee mit ihm absagte, weil ich als Clubsängerin in einem Film mit Denzel Washington aufzutreten sollte, drohte Lous Manager mir mit einer Klage. Ein halbes Jahr später traf ich Lou wieder, und er wollte wortlos davonmarschieren. Ich packte ihn, schloss ich ihn in meine Arme und drückte ihn so fest, dass er kaum Luft bekam. Ich sagte: Oh mein armer Lou, was habe ich Dir getan? Danach hofierte er mich wie der liebenswürdigste Mensch der Welt.
Er hat Sie ins Herz geschlossen, weil Sie keine Angst vor ihm hatten?
Ich habe sein grimmiges Äußeres ignoriert und zu dem kleinen Jungen in ihm gesprochen. Die meisten Menschen verstecken doch nur ihr verletzliches Kind hinter der Maske der Unfreundlichkeit. Aber Soulmusik spricht zum Kern des Menschen.
Wie werden Sie jetzt öffentlich mit Ihrer Krankheit umgehen?
Äußerlich habe ich mich natürlich stark verändert: Mir sind durch die Chemotherapie alle Haare ausgefallen. Und ich habe auch nicht vor, das mit einer Perücke zu verdecken. Ich bin eine Soulsängerin. Und Soul heißt, zu sich selber zu stehen.
Demnächst kommen Sie auf Europatournee. Wie bereiten Sie sich für Ihre Rückkehr auf die Bühne vor?
Ich trainiere mit Laufband und Hanteln. Aber den Glauben, dass ich alles kontrollieren kann, den habe ich verloren. Vielleicht werde ich meine Geschichte auf der Bühne erzählen, vielleicht werde ich auch weinen – und genau daraus Kraft schöpfen. Meine Mutter sagte immer: Zeig dich, mein Mädchen, dann spürst du, was du wert bist.
Zur Person
Die amerikanische Soulsängerin Sharon Lafaye Jones gehört mit ihrer Band „The Dap-Kings“ zur Speerspitze des weltweiten Soul- und Funk-Revivals. 1956 in Augusta, Georgia, geboren und in New York aufgewachsen, schlug sich Jones lange als Backgroundsängerin durch. Erst mit 40 bekam sie einen Plattenvertrag. Sharon Jones ist heute Aushängeschild des Brooklyner Labels Daptone, das schon Musik für Hits von Jay Z lieferte. Seit 1996 nahm sie sechs Alben auf und arbeitete unter anderem mit Lou Reed, David Byrne und Michael Bublé. Gerade erscheint ihr neues Album „Give The People What They Want“.
INTERVIEW: JONATHAN FISCHER
SZ 15.1.2014