Monatsarchiv: August 2020

MUSIK FÜR DEN GLOBALEN KAMPF Von Soweto nach London: Das Projekt „Keleketla!“ spannt das DJ-Duo „Coldcut“ mit südafrikanischen Musikern und Veteranen der Protestmusik zusammen

Keleketla! bedeutet in der südafrikanischen Sepedi-Sprache so viel wie „ich höre“. „Keleketla!“ antworten die Zuhörer den Eröffnungen eines traditionellen Geschichtenerzählers, eine Beschwörungsformel, die über das Spiel von Ruf und Antwort eine Gemeinschaft herstellt. Wenn nun das für elektronischen Flow berüchtigte britische DJ-Duo Coldcut ein Projekt auf diesen unhandlichen Namen tauft, dann muss einige Ruf-und-Antwort-Energie zwischen Mikrofonen, Mixer und Laptops geflossen sein. Und zwar dort, wo das Wort herkommt: In Südafrika, genauer gesagt im Laden einer Kunst- und Bürgerinitiative in Soweto, an einem Ort also, der gemeinhin mit einem der größten und konfliktbeladensten Ghettos des globalen Südens gleichgesetzt wird.

  Tatsächlich waren es die südafrikanischen Aktivisten, die sich die Londoner Musiker holten und nicht umgekehrt. Die Keleketla Arts Initiative aus Johannesburg hatte die beiden britischen DJs als Wunschpartner auserkoren, um ein Album für die britische Charity „In Place of War“ einzuspielen. Und Coldcut ergriffen ihre Chance. Schließlich hat sich das Verhältnis zwischen westlichem Pop und afrikanischer Musik längst gedreht. Nicht die Afrikaner brauchen Nachhilfe aus dem Westen. Die Stars aus Europa und Amerika suchen hier ihren Jungbrunnen. Da befinden sich Coldcut mit Damon Albarn, Robert Plant oder Doctor L in guter Gesellschaft.

  Was die kommerzielle Zugkraft solcher Projekte betrifft, sind die Namen aus dem Westen dann doch wichtig. Coldcut hatten bereits seit den Achtzigerjahren mit Sample-Orgien und Remixen Furore gemacht. Afrodiasporische Musik zwischen Reggae, Funk, Hip-Hop und Jungle lieferte die Zutaten. Vor allem aber hatten die beiden DJs immer ein Ohr für genreübergreifende Synergien. Da gab es bezaubernde Flöten und arabische Gesangssamples auf ihrem Remix von Eric B und Rakims „Paid In Full“. Oder Verschneidungen von jamaikanischen Bässen, technoiden Rhythmen und Soul-Vocals, die sie auf ihrem ureigenen Ninjatune-Label pflegen.

  Die Gastgeber aus Soweto wussten, warum sie sich Coldcut ins Boot holten. Südafrika hat einen Reichtum musikalischer Traditionen zu bieten, von warmen Chorgesängen über melodischen Jazz bis zu lokalen House- und Elektro-Versionen. Und die Briten würden nicht als Kolonisierer kommen. Vielmehr atmet das ganze Projekt den Geist einer aufrichtigen Kollaboration. Bei der Musikerauswahl berieten die südafrikanischen Avantgarde-Label-Betreiber Mushroom Hour Half Hour. Und niemals drängen sich elektronische Ego-Trips in den Vordergrund. Nein, es sind die Stimmen der afrikanischen und afrodiasporischen Musiker, die die Musik wesentlich prägen. Sie singen in ihren Muttersprachen und teilen sich die Songwriting-Credits. Einen ähnlichen Ansatz hatte bereits Damon Albarn mit seinem Africa-Express-Projekt in Johannesburg verfolgt. Nur holt Keleketla! noch weiter aus. Auf die Ursprungsaufnahmen in Soweto im Jahre 2017 folgten zwei Jahre lang weitere Sessions in London, bis 2020 endlich der letzte Beat, der letzte Overdub abgemischt war.

  Überlang mutet auch die Liste der Gastmusiker an. Doch wenn man das Album Song für Song durchhört, stimmt die Besetzung punktgenau. Und zwar nicht nur was die musikalischen Einzelteile angeht. Sondern auch für die alles überwölbende Keleketla!-Botschaft. Coldcut haben da politisches Gespür bewiesen. So luden sie einige Veteranen der Message Music hinzu, unter anderem Fela Kutis einstigen Keyboarder Dele Sosimi und dessen Schlagzeuger und Bandleader Tony Allen. Auf fünf von neun Tracks bringt der im April verstorbene Allen seinen unwiderstehlich synkopierten Afrobeat ins Spiel. Dazu rappen die Hip-Hop-Urahnen der Watts Prophets befeuert von den Bläsern von Antibalas aus Brooklyn. „Freedom Groove“, das könnte alternativ auch der Name des ganzen Projektes sein. Dazu kommen südafrikanische Legenden wie Bassist Thabang Tabane, der neben dem Kapstädter Elektro-DJ Mabheko die Grundlage für die Improvisationen junger Londoner Jazzer von Joe Armon-Jones bis Shabaka Hutchings legt.

  Ebenso historisch aufgeladen sind einige der Songtitel: „Future Toyi Toyi“ bezieht sich auf einen gestampften Tanz, der einst als Zeichen des Widerstands die Anti-Apartheids-Proteste befeuerte. Tony Allens gummiballartige Beats wirbeln da Flöten- und Gitarren-Sprengsel mit sich, während das südafrikanische Hip-Hop-Kollektiv Soundz of the South traditionelle Kampfslogans chantet: „Forward with the struggle!“ Immer wieder sind es Allens rollende, schnurrende, von Synkope zu Synkope federnde und dabei immer leicht variierende Perkussionsschleifen, die zusammenbinden, was sonst in ein halbes Dutzend Genres und Erdteile auseinanderfallen würde. Etwa in „Papua Merdeka“. Michael Kiwanukas Gitarrist Miles James untermalt da neben der südafrikanischen Kernband die klagenden Stimmen der Lani Singers und die Spoken Word Einlagen des Politaktivisten Benny Wenda zur Befreiung des von Indonesien annektierten West-Papua.

  Die Kanten aber setzt die Elektronik von Coldcut. Die Briten verstehen es, die akustischen Parts raffiniert mit ihren elektronischen Tiefstbässen zu konterkarieren, unschuldig klingende Folkgesänge mit technoiden Dub-Effekten aufzurüsten.

  Könnte „Keleketla!“ die Blaupause für zukünftige Nord-Süd-Kooperationen abgeben? Wenn man so viel Soul und Leidenschaft investiert wie Coldcut: Unbedingt! Drei Jahre des Zuhörens, Bewertens, Umschichtens und Kombinierens stecken in dem Projekt. Manchmal erstickt so viel Sorgfalt die Spontaneität. „Keleketla!“ aber hat zwischen den staubigen Straßen Sowetos und dem Londoner Studio nichts von seiner Frische eingebüßt. Weltmusik ist ja als Begriff schon länger diskreditiert. Coldcut allerdings sind von jeder Wohlfühl-Exotik weit entfernt. Im Gegenteil: „Keleketla!“ liefert die bisher raffinierteste Kampfmusik für unsere Gegenwart.

JONATHAN FISCHER

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KLIMA-KAMPF DER UNSICHTBAREN Kein Kontinent leidet unter der Erderwärmung so wie Afrika. Die Umweltaktivisten dort fühlen sich allerdings von ihren Regierungen und vom Westen im Stich gelassen

Vergangener Herbst am Rande einer Staubpiste in Bamako: Fousseny Traoré reckt ein selbstgemaltes Schild in die Höhe. Man muss nahe herangehen, um die dünne Handschrift zu entziffern: „Handelt endlich, sonst nehmen wir Jungen das auf unsere Weise in die Hand!“

  Ein paar Dutzend Schüler und Studenten in Warnwesten begleiten ihn, drängen sich zwischen überladenen Kleinbussen, Mofa-Trauben und Lastenträgern. „Unsere Generation. Unser Planet. Unsere Zukunft!“, ruft Traoré in sein Megafon. Und: „Stoppt den Klimawandel jetzt.“ Parolen also, die an diesem Tag auch viele Millionen Menschen so oder so ähnlich in München, Paris oder Sydney skandieren, wo Rundfunk, Fernsehen und Zeitungsreporter breit über den globalen Klimastreit der Aktivisten von „Fridays for Future“ berichten. Während in westlichen Großstädten allerdings Soundanlage, Bühne und Ordner selbstverständlicher Teil eines solchen Medienereignisses sind, müssen sich Traoré und seine Mitstreiter mühsam gegen das tägliche Hupkonzert, die Konkurrenz der Marktschreier und Wasserverkäufer durchsetzen. Keine Popband greift ihnen unter die Arme. Ja nicht einmal Flyer oder Aufkleber haben sie zu verteilen. Nur der Wille, endlich etwas zu verändern, treibt die jungen Malier an.

  Wer allerdings westliche Medien verfolgt, erfährt kaum etwas von den Fousseny Traorés dieser Welt. Die Berichterstattung über die globalen Klimastreiks zeigt fast ausschließlich weiße Gesichter. Fast könnte man glauben, der Klimaschutz sei ein Anliegen des privilegierten Bürgertums im Westen. Wo aber bleibt Afrika? Wo die Sahelzone, deren Länder zwar für nur 0,25 Prozent der weltweiten Treibhausemissionen verantwortlich sind, deren Bewohner aber jetzt schon am meisten unter dem Klimawandel leiden?

  Schnell entsteht der Eindruck, der Westen müsse mehr oder weniger im Alleingang die Welt retten – während Afrikanern die „Fridays for Future“-Parolen egal seien. „Viele Leute haben schon Probleme genug, sie sind einfach entnervt“, sagt Traoré in einem Café in Bamakos Stadtteil Hippodrome. Er spricht leise. Fast wirkt es, als ob der schmale Mann im gebügelten Hemd sich hinter seinem Anliegen zurückstellen würde. Die Einladung zur Cola jedenfalls lehnt er ab. Niemand soll denken, er sei als Bittsteller gekommen. Immerhin kennt er den Verdacht mancher Landsleute, er und seine Umweltschützer-Kollegen würden das Geschäft der Westler betreiben: „Sie sagen: Wir haben eine schlechte Gesundheitsversorgung, die Schulen funktionieren nicht, im Norden herrscht Krieg – und dann kommt ihr noch mit der Klimakrise! Überlassen wir das doch den Europäern!“

  Traoré ist 26 Jahre alt, hat mal Apotheker gelernt und muss sich wie die meisten Malier seiner Generation mit kleinen Jobs über Wasser halten. Die Umwelt- und Klimaschutzinitiative „Ensemble pour le Climat Bamako“ hat er vor drei Jahren gegründet. Weil er die Menschen leiden sah, aber kaum jemand über die Zusammenhänge Bescheid wusste. „Ich bin bei meinem Onkel, einem Bauern und Lehrer, in einem Dorf in der Nähe der Hauptstadt aufgewachsen. Und ich habe dort gesehen, wie sich die Umwelt verändert, wie es auf den Feldern jedes Jahr trockener wird.“ 2010 hätten sie noch 100 Säcke mit Hirse geerntet. 2012 seien es nicht mal 70 gewesen. „Gleichzeitig sehe ich, wie unsere Landwirtschaft die Böden zerstört. Es fehlt an Informationen über nachhaltige Anbaumethoden.“

Weitere Lieblingsthemen Traorés sind die Wertschätzung der Bäume und der Kampf gegen den Plastikmüll. In Bamako ist er allgegenwärtig: Knäuel von Plastiktüten säumen jeden Straßenrand, jede Brachfläche, hängen als Fetzen in jedem Strauch. An den Marktstraßen häufen sie sich zu meterhohen Müllbergen, der beißende Geruch brennenden Plastiks weht überall durch die Stadt. Und zur Regenzeit gibt es wegen der mit Plastik verstopften Abwasserkanäle sogar tödliche Überschwemmungen. Wenn Traoré regelmäßig mit einem Dutzend Mitstreiter ausrückt, um den Straßenmüll zusammenzukehren oder Abwasserkanäle zu reinigen, dann habe das vor allem erzieherischen Wert: „Irgendjemand muss damit anfangen. Sonst schiebt nur einer die Verantwortung auf den anderen.“

  Eine Facebook-Seite für „Ensemble pour le Climat“ hat Traoré inzwischen eingerichtet. Aber gedruckte Poster? Broschüren? Geld gar für ein eigenes Büro? Fehlanzeige. Traoré arbeitet von seinem Schlafzimmer aus, sein Laptop ist die einzige Verbindung zur großen Welt da draußen und all den Klimaaktivisten aus Frankreich, Amerika, Deutschland, mit denen er – notfalls per Google Translator – Kontakt aufnimmt. Eine französische Umweltgruppe hat ein Interview mit ihm online gestellt. Eine australische Umweltwissenschaftlerin sich auf Facebook für seine Arbeit begeistert. Dauerhaftere Partnerschaften aber haben sich bisher nicht ergeben. Traoré und seine Mitstreiter sind denn auch hin- und hergerissen: Zwischen dem Wunsch, Teil einer weltweiten Bewegung zu sein, und dem Gefühl, am Rande zu stehen. So wie die ugandische Klimaschutzaktivistin Vanessa Nakate beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Ein Fotograf der Agentur Associated Press hatte aus einem Gruppenbild von Greta Thunberg und ihren jugendlichen Mitstreitern aus aller Welt ausgerechnet das einzige schwarze Gesicht herausgeschnitten.

  Klimaaktivisten aus Afrika haben es doppelt schwer: Sowohl im Ausland als auch daheim kämpfen sie oft vergeblich um Sichtbarkeit. Umso bewegender ist es zu sehen, mit welcher Unermüdlichkeit und trotziger Hoffnung das Grüppchen Klima-Aktivisten um Traoré agiert. An jedem der weltweiten Klimastreik-Freitage stehen sie an einer Straßenkreuzung in Bamako: „Stoppt die Umweltzerstörung durch die Minenkonzerne“, haben sie mit Filzmarker auf eine der Wellpappen geschrieben. „Fridays for Future Mali“ auf eine andere. Oder auch einfach: „Merci Greta!“

  In der afrikanischen Metropole voll von Gerüchen, Farben und Lärm kann man die Demonstranten leicht übersehen. Und dennoch: Traoré und seine Mitstreiter – es sind zur Hälfte Frauen – haben am Ende einige der Umstehenden überzeugt. Im persönlichen Gespräch. Der einzigen Methode, die den mittellosen Aktivisten zur Verfügung steht. „Bei jeder Demonstration“, sagt der „Ensemble pour le Climat“-Präsident, „gewinnen wir in der Regel ein paar Dutzend neue Mitglieder“.

  Das ist an sich schon ein Erfolg. Denn nicht einmal die örtlichen Radio- und Fernsehsender berichten über „Ensemble pour le Climat“. Was wohl nicht nur daran liegt, dass die zwei Hundertschaften an „Fridays for Future“-Aktivisten in Bamako rein zahlenmäßig nicht mit ihren westlichen Pendants konkurrieren können. Sondern auch an der Ignoranz der Politik: „Wir können von unserem Umweltministerium keine Unterstützung erwarten. Es bleibt privaten Initiativen überlassen, etwas zu bewegen.“

  Etwa der Stiftung Santé Environnement, die zusammen mit dem Bürgermeister der Gemeinde VI des Distrikts Bamako im Juni 2019 das Pilotprojekt „Bamako ohne Plastikmüll“ ins Leben gerufen hat, und seitdem in zehn Kiosken aus Haushalten, Straßen und Rinnen gesammeltes Plastik gegen eine Zahlung von umgerechnet 30 Cent pro Kilo annimmt. Anschließend werden die gesammelten Kunststoffe Recyclingunternehmen zugeführt und wieder für den lokalen Markt aufbereitet. Traoré aber geht das noch nicht weit genug: In Ruanda, Kenia und Tansania etwa seien Plastikverpackungen von den Märkten verbannt. Auch in Mali gebe es bereits seit 2012 ein Gesetz gegen den Import, Verkauf und die Verwendung von Plastiktüten. Nur interessiere das niemanden. Die Verordnung werde nicht durchgesetzt, es fehlten jegliche Sanktionen. Genauso verhalte es sich mit einem Gesetz gegen das illegale Abholzen. Viele junge Menschen sähen keinen anderen Weg zum Überleben, als wahllos Bäume zu fällen und als Feuerholz zu verkaufen. Der Staat müsse ihnen Alternativen bieten.

  „Die Alten klauen uns unsere Zukunft“, sagt Traore, „aber wenn wir sie ansprechen, sagen sie uns: Du bist jung, du musst dich unterordnen.“ Gerade weil die Altershierarchien in Afrika so erdrückend seien, sei er froh „um die Ehrlichkeit und Respektlosigkeit unserer Schwester Greta“. Bei jeder Demonstration rede er über den Vorbildcharakter der 17-Jährigen aus Schweden. Dabei mutet der Kampf der malischen Klimaschützer ebenso heldenhaft an. Mindestens. Um gehört zu werden, müssen sie sich nicht nur gegen die Ablenkungen der Selfie-Kultur, die Klimaleugner, eine apathische Regierung und den täglichen Überlebensstress durchsetzen. Sondern auch gegen einen latenten Rassismus.

  „Wir jungen afrikanischen Umweltaktivisten“, sagt Traoré, „kämpfen denselben Kampf wie unsere Brüder und Schwestern im Westen, aber wer gibt uns eine Bühne? Wer lädt uns zu den großen internationalen Gipfeln ein?“ Er selbst habe schon zahlreiche Schreiben an internationale Organisationen wie etwa Greenpeace Afrika verfasst. Um Kooperation gebeten. Gemeinsame Aktionen angeregt, etwa eine Aufklärungskarawane, die durch die malischen Dörfer zieht, um die Menschen dort über Naturschutz, Klimawandel und eine daran angepasste Landwirtschaft zu informieren. Eine Antwort aber sei nie gekommen.

  „Der Planet braucht es, dass wir alle Hand in Hand zusammenarbeiten. Am Ende aber werden nur medial hochgehandelte Partner zu den Konferenzen eingeladen – und die afrikanische Jugend bleibt unsichtbar.“ Es ist das erste Mal, dass in Fousseny Traorés Augen so etwas wie Wut aufleuchtet. Auch später schickt er regelmäßig Mails über die Aktivitäten seiner Umweltgruppe. Während in Bamako gerade Barrikaden brennen und die Opposition fast täglich Demonstrationen gegen das als korrupt und unfähig geltende Regime organisiert, schreibt Traoré, das Problem sei durch einen neuen Präsidenten für ihn noch nicht gelöst. Weil kaum ein Politiker langfristige Umweltziele verfolge. Das Bewusstsein für Klimapolitik sei bisher kaum wahlentscheidend. Noch.

  Traorés Gruppe hatte die Covid-19-Krise genutzt, um die Bevölkerung über die Zusammenhänge von Seuchen und Umweltzerstörung aufzuklären. „Die Leute hören zu, wenn sie sehen, dass du auf ihrer Seite stehst.“ So verteilten die Umweltaktivisten von ihrem Spendengeld Seifen, Säcke mit Reis und halfen bei verschiedenen kommunalen Gemüseanbauprojekten. Die Notsituation hat zu panafrikanischer Solidarität geführt. Gerade hat Traoré mit Gesinnungsgenossen aus Togo, Niger, Burkina Faso, Senegal und der Elfenbeinküste die Koalition „Sauvons le Sahel“ (Lasst uns den Sahel retten) gegründet. Eine ihrer ersten medialen Aktionen: ein Kettenbrief, der gerade von Tausenden Afrikanern an die Afrikanische Union, deren Parlamentsmitglieder und den Vorsitzenden, den südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa geschickt wird. Er zählt die wachsenden Umweltprobleme – Heuschreckenplage, Waldbrände, Trockenheit und Überschwemmungen – auf und mahnt: „Afrika ist den Klimawandel betreffend der verwundbarste Kontinent.“ Traoré weiß, dass es noch lange nicht sein letzter Brief sein wird.

JONATHAN FISCHER

SZ 12.8.2020fousseny