Bereits unter Mubarak hat sich Mohamed El Deeb mit kritischen Texten profiliert. Er trat während der Januar-Revolution auf dem Tahrir-Platz auf. Vom Kairoer Studio aus spricht Deeb über die Krise in seinem Land.
Sie gehören als Rapper und Polit-Aktivist seit der Januar-Revolution zu den respektiertesten Stimmen der säkularen ägyptischen Jugend. Wie stehen Sie zum Verfassungsentwurf der regierenden Islamisten?
Ich habe mit Nein gestimmt! Niemand von uns hat vor zwei Jahren sein Leben auf dem Tahrir-Platz riskiert, um nun einen neuen Pharao einzusetzen.
Dennoch hat eine Mehrheit der Ägypter für die neue von den Muslimbrüdern befürwortete Verfassung gestimmt.
Die neue Verfassung repräsentiert nicht alle Ägypter, sondern nur einige islamische Gruppierungen. Alle säkularen und christlichen Vertreter haben die Verfassungskommission wegen der Manipulationen der Muslimbrüder verlassen und keinen Anteil an der Gestaltung des Entwurfes gehabt.
Wie wollen Sie nun Ihre Meinung geltend machen?
Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf dem Tahrir-Platz gegen Mursi zu demonstrieren so wie einst gegen Mubarak. Am Ende ähneln sich die beiden doch frappierend, nur dass der neue Präsident einen Bart trägt: Muhammed Mubarak Mursi, skandieren die Demonstranten.
Die Bilder vom Tahrirplatz kommen einem inzwischen bekannt vor: Zeltlager, wütende Chöre, Schlachten mit der Polizei. Wie nimmt sich die Stimmung heute im Vergleich zum Januar 2011 aus?
Sie ähnelt der von vor zwei Jahren: Menschen aus verschiedensten Schichten und Hintergründen kommen da zusammen, darunter ein hoher Anteil an Frauen. Die Bewegung hat eher noch an Breite gewonnen: Auch Bürger, die das letzte Mal aus Angst zu Hause blieben, haben sich uns angeschlossen.
Droht nicht angesichts der Schlägertrupps der Muslimbrüder auch diesmal Gefahr für Leib und Leben?
Die Muslimbrüder hetzen viele Leute mit ihrer Propaganda auf: Sie behaupten, dass wir Liberale einen Krieg gegen die Religion führen würden, dabei geht es uns lediglich um die Verfassung. Wir fechten nicht mal den zweiten Artikel an, der dem Islam eine prinzipielle Rolle bei der Rechtsprechung zubilligt. Uns geht es um ganz andere Dinge: Wir wollen keinen allmächtigen Präsidenten, der alles kontrolliert.
Hat die säkulare Opposition es versäumt, Ihre Landsleute ausreichend über den Sachverhalt aufzuklären?
Sehen Sie, 40 Prozent der Ägypter sind Analphabeten. Das macht es den Religiösen leicht, sie über Prediger und Sheikhs zu kontrollieren. Die Muslimbrüder mögen zwar in der Minderheit sein, aber sie verstehen es, über die emotionale Ausbeutung der Religion eine Mehrheit hinter sich zu scharen. Selbst viele der Ägypter, die lesen und schreiben können, haben sich eher mit religiösen Schriften denn mit Politik und politischer Bildung beschäftigt. Ich bin selbst ein Muslim. Aber ich halte es nicht nicht für ausreichend, den Koran zu lesen, um ein mündiger Staatsbürger zu sein.
Sie sind im Westen als einer der politischsten Musiker Ägyptens bekannt. Welche Rolle spielt HipHop heute bei der Meinungsbildung der Jugend?
Wir haben ein halbes Dutzend HipHop-Clubs in Kairo – und jeder weiß, was im Netz läuft. Den Refrain meines Songs „Maw3ood“ singen junge Ägypter auf jedem Konzert mit: „Lasst uns zusammenhalten, damit wir nicht sterben / Rufen wir ein lautes Nein zu den regierenden Affen, es ist die Zeit der Löwen“. Meine Raps sagen den Muslimbrüdern, dass sie Politik mit Religion vermischen. Dass sie die Staatsmedien zensieren und keins ihrer Versprechen gehalten haben.
Welche Versprechen meinen Sie?
Mursi wollte in den ersten hundert Tagen seiner Präsidentschaft Arbeitsplätze schaffen und die öffentliche Ordnung wiederherstellen. Nichts dergleichen ist passiert. Heute terrorisieren Gangs, die von den Muslimbrüdern und anderen islamistischen Parteien gesponsert werden, die Straßen und attackieren Demonstranten. Wer garantiert noch für unsere Sicherheit?
Sind Sie nicht frustriert darüber, wie sich die Revolution entwickelt hat?
Natürlich sind wir enttäuscht. Andererseits verstehe ich, dass es ein langer Prozess ist, die illiteraten und verarmten Massen, die lediglich auf ihren Prediger in der Moschee hören, von den Vorteilen einer echten Demokratie zu überzeugen. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass sich die Wahrheit auf Dauer durchsetzen wird. Denn die Mehrheit der Bevölkerung will von den Politikern genug Essen und gute Bildung, nicht extreme religiöse Ideen serviert bekommen.
Sie sprechen von der „dritten Welle der Revolution“.
Wir haben zuerst die Mubarak-Clique gestürzt, im zweiten Anlauf die Militärs zurechtgestutzt. Jetzt müssen wir noch die Religiösen in ihre Schranken weisen.
Die westlichen Medien waren sehr enthusiastisch, was die Rolle der sozialen Netzwerke bei den Massenprotesten des arabischen Frühlings betrifft. Lässt sich der Widerstand heute noch über Facebook organisieren?
Die neuen Medien spielen nach wie vor eine große Rolle, gerade für die Jugendkultur. Wir teilen über das Netz unsere Alltagsprobleme miteinander. Bei meinen Auftritten in Rom, London, Paris, Berlin und Kopenhagen habe ich mitbekommen, dass viele der Jugendlichen auch in diesen Ländern für ihre Rechte kämpfen müssen.
Sie saßen bei einer HipHop-Konferenz in London mit KRS-One und Jesse Jackson als Stimme der arabischen Jugend auf dem Panel. Offenbar erfüllen Sie die romantischen Ideale westlicher Bürgerrechtsaktivisten.
Ich bin den amerikanischen Kollegen sehr dankbar. Polit-Rapper wie Tupac, Chuck D oder KRS-One haben die Jugendlichen in Ägypten, Palästina, im Libanon oder auch Syrien nachhaltig inspiriert. HipHop hatte doch damals wie heute dasselbe Ziel: Die Menschen und ihre Community selbst zu ermächtigen, sich selbst ein Sprachrohr zu verschaffen. Wir versuchen das heute im Nahen Osten zu erreichen.
Interview: JONATHAN FISCHER
FAZ 29.12.2012