Monatsarchiv: November 2016

FEIERN IM ANGESICHT DES ABGRUNDS Von der Supermarktaushilfe zum Soulhelden: Mit seinem neuen albumlangen Mixtape „Yes Lawd!“ bestätigt Anderson Paak seinen Anspruch als Innovator des Rhythm’n Blues

imagesWo hört der Soul auf? Und wo fängt das Geschäft an? Fast vier Jahrzehnte ist es her, dass ein Marketing-Trick der großen Plattenfirmen die expressive Sangeskunst afroamerikanischer Gospel-und-Sex-Prediger einfach mal so umdeklarierte. Aus Soul wurde Rhythm’n Blues. Das trieb der Musik das verkaufshemmende Markenzeichen „schwarz und stolz“ aus, erlaubte auch weiße Sänger im Business und öffnete die Tür für das Panschen mit Mainstream-tauglichen Zutaten. Und doch hat sich bis heute ein Bewusstsein für die Sprengkraft des alten Soul-Erbes gehalten. Kreuzen gerade einige der innovativsten schwarzen Popjünger zurück in die Zukunft einer imaginären Gebets- und Glaubensgemeinschaft. „Ich schreibe meine Songs nicht nur für mich“, hatte Brandon Paak Anderson, der sich als Künstler etwas manieristisch Anderson.Paak schreibt, bei seiner ersten Europatournee im Frühjahr 2016 erklärt. „Im Leiden ein Wir zu schaffen – das war doch immer die große Stärke von Soulmusik“. Aus dem Lächeln des 30-jährigen kalifornischen HipHop-Newcomers blitzte da nicht nur ein gesundes „Was kostet die Welt?“-Selbstbewusstsein. Sondern auch das Gefühl, Teil einer größeren Geschichte zu sein. Wer könnte die geschundene Seele des Rhythm’n Blues besser retten als Paak? Das bekräftigt „Yes Lawd!“ (Stones Throw), das Soul-getränkte neue Album seines Gemeinschaftsprojektes Nxworries.

Zum Interview im Backstage-Raum des Münchner Ampere erscheint der Soul-Wiedergänger in seiner Bühnenkluft: Häkelmütze, Nasenring und ein Curtis Mayfield-Graffito auf der abgewetzten Jeansjacke. Der Name Mayfield war da bereits in vielen begeisterten Rezensionen der halb gesungenen, halb gerappten Message-Musik des 30-jährigen Kaliforniers gefallen. Doch der Retro-Blick kann in die Irre führen. Denn der Kalifornier nutzt die afroamerikanische Tradition lediglich als Treibmittel für seine ganz eigene, sehr gegenwärtige Erzählung. Genauer gesagt: Für die Coming-of-age-Geschichte eines übergewichtigen afroamerikanischen Jungen, der in der tristen Kleinstadt Oxnard, vor allem vor dem Fernseher aufwächst, während seine Mutter Glücksspielen nachgeht und der Vater im Gefängnis sitzt. Einem einsamen Typen, der Trost in der Plattensammlung seiner Mutter findet. Der später in ihrer Kirche Schlagzeug spielt. Und in seinem Schlafzimmer fieberhaft an seiner eigenen Genre-übergreifenden Soulfusion – irgendwo zwischen Westcoast-Rap, Disco-Funk und Sweet Soul – arbeitet.

„Songwriting ist für micht die beste Art, mit dem Wahnsinn meines Lebens umzugehen“, sagt Anderson Paak. Der Sohn einer koreanischen Hausfrau und eines afroamerikanischen Luftwaffen-Mechanikers kannte eine Ahnung von Geborgenheit bestenfalls aus den sonntäglichen Gospelgottesdiensten. Als er 14 Jahre alt ist wird der gewalttätige Vater weggesperrt. Später landet auch die Mutter wegen betrügerischer Anlagegeschäfte hinter Gitter. Paak aber folgt seiner Musik-Leidenschaft. Um seine Frau und seinen kleinen Sohn zu versorgen, packt er im Supermarkt an der Kasse ein, wechselt im Altenheim Windeln und gärtnert schließlich auf einer Marihuana-Plantage. Als er diesen Job verliert, wird seine Familie obdachlos. Sie übernachten im Wohnzimmer von Freunden, leben von der Hand in den Mund.

Bis sich 2014 auf märchenhafte Weise sein Schicksal drehte. HipHop-Produzenten-Legende Dr. Dre rief Paak an und bestellte ihn gleich für sechs Songs seines letzten Albums „Compton“ ins Studio: „Er hatte ein paar Mixtapes von mir gehört, ließ mich ein wenig Gesang improvisieren. Das reichte ihm. Er sagte: Du hast diesen natürlichen Schmerz in der Stimme“. Plötzlich avancierte Paak, dieser Typ, der so anders verletzlich klang zum gefragten Gastsänger – mit Auftritten bei The Game, Kaytranada und Mac Miller. „Malibu“, sein drittes Album unter eigenem Namen, griff weit in die Musikgeschichte aus, nahm Stevie Wonders „Innervisions“, den Disco-Funk von Bands wie Shalamar, die zurückgelehnten Jeep-Beats des Westküsten-HipHop mit – und wirkte dabei doch ganz aus einem Guss. Zeitlose Sehnsuchtsmusik. Die HipHop-Rennaissance, die etwa Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“ verkörperte, hatte einen weiteren sensiblen Geschichtenerzähler gefunden. Wo Dr. Dre – Schützling Lamar sich auf den Jazz kaprizierte, schürfte sein neu rekrutierter Labelkollege Paak im Soul. Und – hört man „Yes Lawd!“ – birgt diese Mine birgt noch einiges an Überraschungen.

Sein Partner dabei ist Knxwledge, bürgerlich Glen Earle Boothe. Mit Paak hat der Produzent aus Philadelphia viel gemein: Mehr als 60 selbstproduzierte Alben zählt seine Bandcamp-Seite, aber erst mit dem für Kendrick Lamar produzierten „Momma“ wurde er schlagartig bekannt. Auch er wuchs in der schwarzen Kirche auf, seine ersten Beats schnitt er auf dem selben Rekorder, der zuvor den Gottesdienst aufgenommen hatte. Nun wagen Paak und Knxwledge zusammen den ganz großen Wurf: Ein Wiedereintauchen in die Welt von Curtis Mayfields „Superfly“, eine Beschwörung des lasziven 70er Jahre Funk unter den Vorzeichen der HipHop-Loop-Ästhetik. „Yes Lawd!“ mutet dabei wie ein Mixtape, eine lose Skizzensammlung an. Von den 19 Stücken ist keines länger als drei Minuten, zwischendurch werden Songideen eher angerissen als ausgeführt. Doch gerade diese Lässigkeit überzeugt. Alles fließt. Und der Enthusiasmus der Musiker wirkt hochgradig ansteckend. Knxwledges Hand ist in den geschickt zerhackten Loops, den von Streichern, Orgel und Unterwasserbässen flankierten Stop-and-Go Rhythmen erkennbar. Paak dagegen hat das Songwriting geliefert – und ja, natürlich diese wunderbar sehnsuchtsvoll raspelnde Soulstimme!

Seine Lyrics nehmen es diesmal leicht: „I’m livin’/ it ain’t all about the money, you feel me?/ But if its aout there, why don’t you get it?“ Ein weiblicher Hintergrundchor schmachtet dazu. Nein, in Paaks Gottesdienst sind Sex und Geld und Vergnügen keine Sünde, er feiert sich, seine Eroberungen, seinen Erfolg – und lässt doch in der dunklen Brüchigkeit und Verletzlichkeit seiner Stimme durchscheinen, welcher Schwermut er dieses Hoch abgerungen hat. War Gospel jemals etwas anderes? Die Feier der eigenen widerständigen Lebenskraft im Angesicht des Abgrunds? Nur dass hier Stimme, Sprachfetzen, Samples, Beats sich dermaßen gegenseitig durchdringen, dass man in diesem feinen, fließenden Soulgewebe nicht mal auf die Texte achten muss, um die Stimmung zu erfassen. „Ich möchte mich vor meinem Publikum in meiner Unvollkommenheit, meinem Entwicklungsprozess zeigen“, hatte Paak im Interview erklärt. Nun nimmt er uns mit auf eine berauschende Cabrio-Fahrt durch sein Kalifornien: Mehr Oxnard als Malibu. Mehr Soul-Messe als Beach-Party. Und auf Palmen-gesäumten Highways passieren wir noch einmal die einsame Jugend, die Gewalt-und-Drogen-Sozialisation, die gebrochenen Liebesversprechen des Sängers. „Yes Lawd!“ So klingt ein wärmender kalifornischer Sonnenaufgang nach einer langen Nacht.

JONATHAN FISCHER

NZZ 3.11.2016