Im Sahel schüren die sozialen Netzwerke die Spirale der Gewalt. Nun kämpfen Influencer gegen den Hass

Religiöse und ethnische Konflikte verursachen in Mali und Niger viel Leid. Eine NGO schult nun lokale Journalisten, Bloggerinnen und Aktivisten, um gegen digitale Hetze und Fake News vorzugehen

Im Sahel herrscht Krieg. Jihadisten und Tuareg-Separatisten kontrollieren einen Grossteil von Mali, aber auch der angrenzenden Länder Niger und Burkina Faso. Bilder von niedergebrannten Dörfern, überfallenen Bussen und massakrierten Zivilisten gehören zu den täglichen Nachrichten. Ebenso die Meldungen über Vergeltungszüge der Armee, die oft Angehörige von Minderheiten treffen.Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen bei dieser Spirale der Gewalt die sozialen Netzwerke: Denn dem Morden geht stets digitale Hetze voraus. Falschnachrichten schüren Vorurteile. Hunderttausendfach geteilte Bilder und Videos suggerieren ihren Zuschauern verzerrte Realitäten. Und zwar von allen Seiten.

Jeder Malier ist täglich mit Fake News konfrontiert: Ein Post kombiniert ein Foto, das Jihadisten auf Motorrädern zeigt, mit Aufnahmen von der Verladung ähnlicher Maschinen in ein französisches Militärflugzeug. Beweis dafür, dass Frankreich die Jihadisten unterstützt? Das würde in die gegenwärtige Paranoia passen: Die Rebellen haben es geschafft, drei Viertel des malischen Territoriums zu erobern gegen eine von Wagner-Söldnern unterstützte malische Armee.

Auf der anderen Seite stehen Russland und chinafreundliche und möglicherweise auch von dort bezahlte Blogger, die alle westlichen Hilfsbemühungen und selbst die Uno-Friedenstruppen als «kolonial» diskreditieren. Pekings und Moskaus Freundschaft wird dagegen als Allheilmittel propagiert. Am nachhaltigsten aber vergiften wohl Posts, die bestimmte Ethnien ohne jeden Beleg anprangern und für Terror und Massaker verantwortlich machen, das Zusammenleben.

Die weltweit tätige Non-Profit-Organisation Search for Common Ground versucht, der digitalen Desinformation entgegenzuwirken. «Die Situation scheint hoffnungslos verfahren», sagt Charline Burton, die Europa-Direktorin. «Doch die Menschen müssen weiterhin Seite an Seite zusammenleben, egal, welcher Ethnie sie angehören.» Dabei gebe es Gemeinsamkeiten, und diese wolle man stärken.

Bei Anschlägen sterben immer wieder Zivilisten

So haben Burton und Search for Common Ground in der malischen Hauptstadt Bamako eine Konferenz unter dem Motto «Digitaler und sozialer Zusammenhalt» ausgerichtet. Geladen sind alle, die die digitale Meinungsbildung in den Bürgerkriegsländern Mali, Niger und Burkina Faso prägen: Journalisten, Blogger, Radio- und TV-Macher. Aber auch Regierungsvertreter sowie Repräsentanten von Frauen-, Männer- und Jugendorganisationen. Es soll dabei nicht um die Gräben gehen. Sondern um eine «geteilte Menschlichkeit», wie Burton sagt.

Das ist nicht immer einfach. Seit die Regierung die Franzosen sowie die Uno-Friedenstruppe zum Abzug gezwungen hat, hat sich die Lage in Mali dramatisch verschlechtert. Die französischen Militärs waren ihrer ehemaligen Kolonie 2012 zu Hilfe gekommen, um die Okkupation des Nordens durch separatistische und islamistische, mit al-Kaida verbündete Gruppen zu beenden. Anschliessend sorgte eine Uno-Mission zumindest für einen relativen Schutz der Zivilbevölkerung.

Nun aber setzt die durch einen Militärcoup an die Macht gekommene Übergangsregierung alle Karten auf russische Berater und Wagner-Söldner. Das scheint nicht nur militärisch bis jetzt kaum zu fruchten. Jedes Jahr vervielfachen sich die Anschläge auf Zivilisten. In ethnisch motivierten Auseinandersetzungen starben bereits Tausende Menschen. Hunderttausende mussten aus ihren Dörfern fliehen.

Workshops für Blogger und Journalisten haben zum Ziel, etwas gegen die Ohnmacht der Bevölkerung zu tun. «Man erzählt uns immer wieder, wie die sozialen Netzwerke für Hasspropaganda genutzt werden», sagt Burton. «Konflikte entwickeln sich von online nach offline, digitale zu physischer Gewalt.» Warum also nicht dort intervenieren, wo sich die Jugendlichen – über die Hälfte der Bevölkerung der Sahelländer ist unter 18 Jahre alt – informieren und austauschen? Und die sozialen Netzwerke für «peace-building», wie es im Englischen heisst, nutzen?

Gewalttätige Konflikte sind überall auf der Welt die primäre Ursache für Leiden und Armut. Eine NGO wie Search for Common Ground sieht sich da in der Pflicht, humanitäre Hilfe zu leisten. Die Arbeit der Organisation wird etwa von der kanadischen und der amerikanischen Regierung, der Europäischen Union und privaten Stiftungen finanziert.

Unterstützung vom Facebook-Konzern Meta

Um das Freund-Feind-Denken zu durchbrechen, wird auf verschiedenen Ebenen gehandelt: Man bietet Mediation an, bildet jugendliche Online-Influencer aus, veranstaltet Fussballspiele oder Theaterstücke.

In Kursen für Fact-Checking lernen Blogger, wie sie Informationen verifizieren können. Sie realisieren, welchen Einfluss sie auf ihre Community haben. An der Konferenz in Bamako nehmen auch Vertreter von Meta teil, dem Mutterkonzern von Facebook, Instagram und Whatsapp. Die Tech-Designer erforschen Wege, um entmenschlichende Inhalte und die Rekrutierung für gewalttätige Gruppen in den sozialen Netzwerken zu unterbinden.

Und wie steht es um den Erfolg, lässt sich dieser überhaupt messen? Das wollen auch die Geldgeber der NGO wissen. Zumal es sich bei den Projekten von Search for Common Ground nicht um Spitäler oder Schulen handelt, wo der Nachweis erfolgreicher Arbeit leichterfällt.

Also erforscht man vor Ort gesellschaftliche Strukturen. Wie polarisiert ist die Bevölkerung? Hält sie die Regierung für legitim? Glaubt man, an der eigenen Situation etwas verändern zu können? So hofft man, besser zu verstehen, wie die Bürger Konflikte lösen, auf deren Dynamik die Regierung keinen Einfluss mehr hat.

Zum Beispiel das Projekt Youth-Talk in Mali. Drei Jahre lang erhalten die Teilnehmer, unter ihnen Jugendliche, Frauen oder Behinderte, Schulungen, um anschliessend in ihren Communitys eigene Jugendklubs zu gründen. Man diskutiert online und offline gesellschaftliche Probleme – und ergreift Massnahmen gegen Fake News.

Anschliessend organisiert die NGO ein Treffen mit Ministern. Diese hören den Jugendlichen zu, was in einem Land, in dem die Alten das Sagen haben, nicht selbstverständlich ist. Aber Hoffnung macht. Denn die digitalisierte und über die sozialen Netzwerke verbundene junge Generation entscheidet langfristig über Krieg und Frieden im Sahel.

JONATHAN FISCHER

NZZ 13.11.2023

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