Monatsarchiv: Dezember 2019

Panafrikanischer Kampfgeist: Auf Afrikas wichtigster Fotografie-Biennale rückt der Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung die Diaspora und die Frauen in den Fokus

Es war vielleicht die anrührendste Geste dieser zwölften „Rencontres de Bamako“, der wichtigsten Fotografie-Biennale Afrikas: Chef-Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und sein Team hatten drei Familien im historischen Stadtzentrum von Bamako dazu überredet, Besucher in ihre Anwesen zu lassen um die klassischen Porträt-Fotografien von Seydou Keïta und Malick Sidibé einmal nicht als hochversichertes und perfekt ausgeleuchtetes Exponat in einem Museum für moderne Kunst zu erleben, sondern als alltägliches Familienalbum: Aufgehängt an Lehmwänden, unter billigem Glas, zusammengeworfen in groben Holzkisten. In dem großen Innenhof von Moussa Falls Anwesen säubern Frauen die Bohnen, rühren in großen Aluminiumkesseln, hängen Wäsche auf und beaufsichtigen spielende Kinder, während der Hausherr, ein Zollangestellter, nicht ohne Stolz die Verwandtschaftsbeziehungen zu den Porträtierten erklärt: „meine Tante“, „meine Mutter“, „die Familie eines Onkels“. Es sind feierlich dreinblickende und vornehm gekleidete Männer und Frauen. Ihre Selbstinszenierungen entfalten eine Würde, die aller äußeren Armut trotzt.

  Die Verneigung vor den Studiofotografen, die jahrzehntelang das Gesicht der afrikanischen Fotografie geprägt hatten, diente allerdings als Sprungbrett für eine radikale Umorientierung: „Streams Of Consciousness“ hatte Ndikung als Motto dieser Jubiläumsausgabe, 25 Jahre nach ihrem Debüt 1994 in Bamako, ausgegeben. Und er bezog sich dabei weniger auf Literatur denn Musik. Genauer gesagt auf ein Album, das der afroamerikanische Schlagzeuger Max Roach und der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim 1977 eingespielt hatten. „Ich will weg von der Fotografie als Objekt, wie sie so lange auf dem afrikanischen Kontinent praktiziert wurde. Vielmehr interessiert mich, wie Bilder von der Straße einen Raum eröffnen, Erfahrungen und Klänge wachrufen.“ Ndikung, der in seiner Berliner Savvy-Contemporary-Galerie postkoloniale Diskurse multimedial aufbereitet und zuletzt den finnischen Pavillon der Biennale in Venedig bespielte, will das Afrika-Bild verflüssigen und mit den alten Exotismen aufräumen.

Der Geist des Panafrikanismus liefert den Herzschlag dieser Biennale. In den über ganz Bamako verteilten Ausstellungsorten stellen Fotografen der verschiedenen afrikanischen Diaspora-Kulturen von Peru über Brasilien und Nordamerika bis nach Indien aus. Verwirrend nur, dass deren Nationalitäten auf den Begleittafeln konsequent ausgespart bleiben. Dabei hatte die Biennale selbst mit ihrer Abnabelung von der einstigen Kolonialmacht Frankreich zu kämpfen. Zwar übernahm das Institut Français wieder die Hälfte des Budgets von 500 000 Euro, doch zum ersten Mal lag die gesamte Organisation in Afrika, genauer gesagt beim malischen Kultusministerium. Wenn Bamako als die Fotografie-Hauptstadt Afrikas gelten möchte, warum sollte man dann die 1500 Abzüge nicht auch vor Ort machen? Das Kuratorenteam hatte allerdings mit den Bedingungen zu kämpfen. Einige angereiste Fotografen fanden kein Hotelzimmer, man suchte vergeblich nach Namenstafeln oder schaute wegen der täglichen Stromausfälle auf schwarze Videoschirme.

Mali, das musste man sich in dieser friedlichen Hauptstadt-Oase immer wieder ins Gedächtnis rufen, steckt seit 2012 in der Krise. Dschihadistische Gruppen haben weite Teile des Landes unzugänglich gemacht, bis vor zwei Monaten galt nicht zuletzt wegen ethnisch motivierter Massaker im Zentrum Malis der Ausnahmezustand.

  Da bedurfte es starker Bilder. Bilder, die eine Gegenerzählung zum bloßen Überlebenskampf der Menschen auf der Straße entwickeln. Bilder, die spirituelle Sphären öffnen. In diesem Sinne lassen sich die geballten Fäuste des Maliers Fototala King Massassy als Widerstandsakte lesen, Fäuste, deren Talismanringe den Trägern Unverletzlichkeit oder zumindest Schutz versprechen. Andere Arbeiten beschäftigen sich mit traditionellen animistischen Glaubenssystemen. So ruft Kitso Lynn Lelliott aus Botswana in ihrem Video die über die Diaspora verstreuten Ahnen an: Der Gegenschnitt brasilianischer Candomblé-Riten, afrikanischer Savannen, Meeresküsten und Geisterfiguren zu einer einsamen schwarzen Frau in einem bayerischen Schloss des 19. Jahrhunderts entwickelt einen ganz eigenen Sog.

  In der Krise zählt die Solidarität. In diesem Sinn hat Ndikung neben 85 Einzelkünstlern auch ein halbes Dutzend Fotografen-Kollektive von beiden Seiten des Atlantiks geladen: Etwa die seit den Sechzigerjahren politisch emanzipatorische Gruppe „Kamoinge“ aus den Vereinigten Staaten. Oder „Invisible Borders“ aus Lagos. Die jungen nigerianischen Fotografen, Videofilmer und Autoren bereisen regelmäßig per Bus den Kontinent und erforschen über Installationen, die wie Reisetagebücher funktionieren, die Straßen als Metapher. Migration, sagt ihr Gründer Emeka Okereke, sei eine urafrikanische Lebensform. Eindrucksvoll auch das Kollektiv 2d aus Haiti, dessen Fotoserie an ein vergessenes Massaker während der Diktatur von Jean-Claude Duvalier erinnert. Überhaupt dreht sich in Bamako vieles um Archive, die Bergung verdrängter Historien, die Neubewertung von (Kolonial-)Geschichte: Kodwo Eshuns Gruppe „Otolith“ zeigt im etwas heruntergekommenen Musee du District Hunderte unbekannter Bilder, die der afroamerikanische Schriftsteller Richard Wright im Jahre 1953 gemacht hatte, als er für die Recherchen zu seinem Buch „Black Power“ die Rallyes der sozialistischen Unabhängigkeitsbewegung des späteren ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah begleitete. Gleich daneben fokussiert eine Videoarbeit eine andere fast vergessene Revolution: Historisches Filmmaterial und Veteranen-Interviews erinnern an die afro-kubanischen Milizionäre, die in den Sechzigerjahren für die panafrikanische Sache im Kongo kämpften.

Immer wieder geht es bei dieser Biennale um die Ränder der offiziellen Geschichte, die Sichtbarmachung der Übersehenen: So hat Yvon Ngassam den harten und gefährlichen Alltag der Zemidjan genannten Taxi-Moped-Fahrer in Benin dokumentiert. In „I Have A Dream“ erzählen sie per Video von ihrer Arbeit, ihren Hoffnungen und Träumen – während der Fotograf ihnen eine Serie von umgerüsteten Helmen widmet, die mit ihren Metallhörnern und Ornamenten an traditionelle Gelede-Masken erinnern. Vor allem aber zeigt diese Biennale zumindest zur Hälfte die Werke von Frauen: Denjenigen, die gegen alle Widerstände den traditionellen Männerberuf Fotograf ergriffen haben, und Geschichten von den Schattenseiten einer patriarchalen, restriktiven Gesellschaft erzählen.

  Fatoumata Diabate, die Präsidentin der Vereinigung malischer Fotografinnen widmet die Gruppenausstellung „A contre courant“ angesichts eines aktuellen Mordfalls „allen Frauen, die durch die Schläge ihrer Partner ermordet wurden“. Die starke Schau im „Lycee des jeunes filles“ erzählt einiges über weibliche Verletzlichkeit und Widerstandskraft – und die Rollen, die Frauen für sich imaginieren. Kichernd und mit ihren Handys im Anschlag streifen Hijab-tragende Mädchen des angrenzenden Gymnasiums durch die Ausstellung.

„Alle meine malischen Kolleginnen müssen sich mit Fotografien von Hochzeiten, Taufen und Geburtstagen über Wasser halten“, sagt Diabate. Sie war die erste Fotografin, die nach dem Abschluss an der Fotografenschule CFP in Bamako zu weltweitem Renommee kam. Stolz präsentiert sie bei der Eröffnung ihrer Off-Ausstellung im Hotel Tamana ihren Vater, einen pensionierten Polizisten, der „zum ersten Mal meine Bilder anschaut“. Fatoumata hatte sich erfolgreich gegen dessen Berufswunsch, wie auch gegen die traditionelle Ansicht, dass man nach der Heirat dem Gatten den Broterwerb überlässt, durchgesetzt. Selbstverständlich sei das aber noch immer nicht. Was sie noch mehr bedrückt: Dass ihre einstige Schule CFP, jahrzehntelang die fotografische Talentschmiede Malis schlechthin, 2017 wegen des Ausfalls westlicher Sponsoren schließen musste. Wer würde die vielen ambitionierten Frauen nun ausbilden? Fatoumata Diabates Aufnahmen von malischen Bauern, die sich dem Umweltschutz und der Aufforstung widmen, hat sie vom Niederländer Marc Decoux im Stil afrikanischer Schulbücher überzeichnen lassen. „Das führt die Leute dazu, genauer hinzugucken. Wir haben immer auch einen gesellschaftlichen Auftrag.“

Wie aber erreicht man die Bevölkerung von Bamako? Während man bei den offiziellen Anlässen nur immer wieder derselben In-Crowd an Fotografen, Kuratoren und Journalisten begegnet, öffnet die Ausstellung der Gruppe Yamarou ein Fenster zum malischen Alltag. Hier in einer Lehmstraße im Viertel Medina haben die lokalen Nachwuchs-Fotografen ihre Abzüge an Hauswänden aufgehängt. Ein Soundsystem bringt die Kinder aus der Nachbarschaft mit lokalen Hits zum Tanzen, zwei Marionettenspieler sorgen für zusätzlichen Auflauf. Straßenhändler, Schulkinder und Hausfrauen bleiben an den Mauern stehen, zeigen mit Fingern auf Szenen, die ihnen bekannt vorkommen oder Geschichten auslösen.

  Im Schatten eines Vordachs hocken einige der Yamarou-Mitglieder um ein Stövchen mit Minztee. „Ich habe die Händler fotografiert, die sich auf den Schienen der Bahntrasse Dakar – Bamako niederlassen“, sagt Sidiki Haidara, „weil dieser Ort der Spielplatz meiner Jugend war.“ Der renommierte malische Fotograf Seydou Camara leitet die Gruppe: Nach der Schließung der CFP wollte er wenigstens informell Unterricht anbieten. „Wir sprechen nicht nur über Fotografie, sondern auch über die Entwicklung der Persönlichkeit.“ Man dürfe sich als Fotograf nicht auf die von westlichen Medien vorgegebenen Themen Krieg, Armut und Gewalt konzentrieren. „Um weiterzukommen, müssen wir unsere Gegenwart durch die Kunst denken“, erklärt Camara. Eines strahlen die von seinen Schülern beklebten Lehmwände jedenfalls aus: Den unerschütterlichen Optimismus derjenigen, die an eine bessere Zukunft glauben.

Rencontres de Bamako. Biennale Africaine de la Photographie. Bis 31. Januar.

JONATHAN FISCHER

SZ 30.12.2019IMG_4909

Gemetzel in Wakanda: Marlon James neues Fantasy-Epos will ein „schwarzes Game of Thrones“ sein, verirrt sich aber in einem Dschungel aus Mythologie, Sex- und Gewaltexzessen

Seit seinem letzten Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ gilt Marlon James als eine Art literarischer Quentin Tarantino. Ein Autor, der die große Geste des Pop versteht: sexy Gewalt trifft auf gewaltigen Sex. Beides würzt er mit dunklem Humor und einer Sprache, die so basslastig, soulful und rhythmisch versiert auftritt wie der Reggae seiner Heimat Jamaika. Beziehungsweise wie das Straßen-Patois von Kingston.

  Das jamaikanische Kreolisch lieferte James das ideale Medium für seine sinnlich gesättigte Semi-Fiktion um Bob Marleys versuchte Ermordung im Jahre 1976 sowie die resultierenden Politpossen und Gang-Kriege. So wahnwitzig seine Figuren auch schillern mögen: Der historische Boden erdet die Geschichte, verleiht ihr seelische Tiefe, macht selbst die Gewaltorgien in seinen Romanen zu mehr als einer grausamen literarischen Fingerübung. James brillierte jedenfalls in diesem aus wechselnden Perspektiven erzählten Gesellschaftsroman darin, moralische und sexuelle Konventionen, wie auch die Machtspiele und Manipulationen zwischen erster und dritter Welt zu demaskieren. Keine Frage: Auf seinem Hometurf ist dieser Mann unschlagbar. 2015 wurde der Roman mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet.

  Nach drei in der Geschichte der Karibikinsel verankerten Romanen hatte der Jamaikaner etwas flapsig eine Art „afrikanisches Games Of Thrones“ angekündigt. Nicht nur ein einzelnes Buch. Eine Mammut-Trilogie sollte es werden, ein „Dark Star“ genanntes Opus Magnum der fantastischen Literatur, in dem jeder Band die selbe Geschichte aus dem Blickwinkel eines anderen Protagonisten erzählt. Der Zeitgeist steht auf James’ Seite: Wakanda ist das neue Eichmeter schwarzer Kultur und ein wiederentflammter Afrofuturismus befeuert Bücher, Jazzplatten, Modeschauen und Beyoncés Musikvideos.

  „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ könnte nun die epische Krönung dieser Bewegung sein. Dick wie eine Hausbibel, in der deutschen Übersetzung 832 Seiten lang und mit einem Register ausgestattet, das über 80 Charaktere in sechs Fantasiekönigreichen aufzählt. Ein Neil-Gaiman-Zitat auf dem Cover verspricht „ein gefährliches, halluzinatorisches, vergangenes Afrika als Fantasiewelt auf Tolkien-Niveau, geschrieben mit der Sprachgewalt einer Angela Carter“. Auch die Rezensenten der großen amerikanischen Medien vom New Yorker über die Washington Post bis zum National Public Radio schwärmten allesamt für diesen „Klassiker der fantastischen Literatur“.

  Drastisch ist schon der Einstieg. Sucher, der Anti-Held und für den Roman namensgebende „Rote Wolf“, erklärt aus dem Gefängnis heraus seinem Inquisitor: „Das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen. Ich höre, im Süden gebe es eine Königin, die denjenigen tötet, der ihr schlechte Kunde bringt. Besiegle ich also mein eigenes Todesurteil, wenn ich ihr den Tod des Jungen melde?“ Das ist das vorweggenommene Ende der Geschichte. Der Rest des Buches behandelt die Fahndung nach diesem möglicherweise königlichen Kind, mit der Sucher aufgrund seiner außergewöhnlichen Nase – er kann Gifte wie auch Lebewesen über viele Meilen hinweg erschnüffeln – beauftragt ist. Eine Suche, die zunehmend zur Gewaltorgie ausartet. Gleich zu Anfang schildert Sucher dem Inquisitor, wie er die anderen fünf Zellen-Insassen erledigt hat: „Das Messer – ich rammte es ihm zwischen die Rippen und hörte sein Herz platzen.“ Erst danach erfahren wir etwas über Suchers Geschichte: Seine Vertreibung durch den grausamen Vater, seine Entwicklung zum zynischen Einzelgänger, für den Liebe nur eine Illusion ist, sein Herumirren zwischen den Welten.

  Doch Sucher ist nicht der Einzige auf der Fährte des Kindes: Mit ihm pirscht eine schillernde Schar durch den Urwald, irrt durch Städte aus Türmen, Baumhäusern oder Tunneln, Bibliotheken und Zonen des Zeitstillstands.

  Da ist eine Mondhexe, die von unsichtbaren Feinden bedrängt wird. Eine kleine Flussgöttin. Ein geschwätziger Riese. Und ein Büffel mit der Intelligenz eines Menschen. Die einzigen Wesen allerdings, die Sucher etwas bedeuten, sind der schwarze Leopard, sein homoerotisch aufgeladener Gegenpart, dessen Gestalt zwischen Mensch und Raubkatze oszilliert. Und eine Schar von Kindern mit übersinnlichen Kräften. Sucher nimmt sich dieser von der Gesellschaft todgeweihten Außenseiter an, die bei einer Anti-Hexe Zuflucht gefunden hatten – es sind die wenigen Momente, in denen man glaubt, eine menschliche Seelenbewegung in dem verhärmten Söldner-Charakter auszumachen. Dafür wimmelt es nur so von Kampfszenen: Gegen Vampire, fledermausgeflügelte Kannibalen und Omoluzu, eine Art Deckengeister, die sich aus Schatten unter Dächern formen. Doch je mehr Informationen Sucher sammelt, desto mehr schwindet die Gewissheit. Nicht nur wegen der komplexen politischen Spannungen zwischen den verschiedenen Königreichen, sondern auch, weil seine Begleiter oft nicht die sind, als die sie sich ausgeben.

  Sicher ist nur der unvermeidliche Zirkel der Rache und des Blutvergießens. James entwirft hier eine afrikanische Dystopie, die mal an die westafrikanischen Märchen von der durchtriebenen Spinne Anansi erinnert, mal an die chaotischen Grausamkeiten der jüngsten Bürgerkriege im Ostkongo, Somalia, dem Südsudan. Man ist versucht, „Schwarzer Leopard, Roter Wolf“ als magisch überhöhte „Herz der Finsternis“-Replik zu lesen, als grimmig aufgeladenes Panoptikum menschlicher Seelenabgründe. Doch dann bremst James den eigenen Flow immer wieder aus – mit einer Sprache, die wohl Fake-Mittelerde-Lingo sein soll, und ungeschlachten Dialogen wie diesem: „‚Warum du mich treten, Sohn einer herumhurenden Halbkatze?‘ ‚Ich hinter dir, du Narr. Was wenn ich dich tret in den …‘ Ich schwang das Beil, versenkte es tief in Egberes Stirn, zog es heraus und versenkte es in seinem Hals. Ich schwang es wieder und wieder, bis sein Kopf fiel, Ewele schrie und schrie, der Wind töte seinen Bruder… ‚Verschließe dein Gesicht. In sieben Tagen wird sein Kopf nachgewachsen sein. Es sei denn, er entzündet sich, dann wächst ihm nur eine dicke Eiterbeule.‘ ‚Zeig dich, ich will dich totschlagen.‘ ‚Du schlägst meine Zeit tot, Troll.‘“ So geht das oft seitenlang.

  Natürlich versteht James es, auf der Klaviatur des Fantasy-Genres zu spielen: Er sät strategisch dunkle Vorahnungen und verleiht seinen Figuren so alptraumhaft-fantasievolle Eigenschaften, dass man vor dem Einschlafen die Decke schon mal ängstlich nach Omoluzu-Geistern absucht. Mit fortschreitender Lektüre aber droht der Leser sich wie der Held Sucher im Dschungel von Namen und Orten zu verlieren. Erschlagen von zu viel Mythenhuberei. Abgestumpft von einer Überdosis ausgerissener Augäpfel.

  Gewalt- und Sexszenen sind James Paradedisziplin. Aber ihre comicartige Massierung geht auf Kosten des Plots. Wo bleibt zwischen all den gefickten Gestaltwandlern und geschlachteten Geistwesen noch Platz für Subtilität? Womöglich würde die Aufeinanderfolge aus Waffengängen und einfachen Dialogen als Videospiel ganz gut funktionieren. Oder auch als Fernsehserie. Dann könnte der Nebel aus Action und Verwandlungen eine ganz andere visuelle Ordnung und Eindrücklichkeit erhalten und als Afro-Gegenstück zu „Herr der Ringe“ seine popkulturelle Kraft entfachen. Man würde es vielen der brillant geschriebenen Einzelszenen wünschen. Black-Panther-Star Michael B. Jordan jedenfalls hat schon die Verfilmungsrechte erworben.

JONATHAN FISCHER

SZ 13.12.2019Marlon James