Monatsarchiv: September 2020

Neue Sounds in Sansibar

Kulturförderung ohne kolonialen Dünkel? Auf dem ostafrikanischen Archipel arbeiten Deutsche und Einheimische gemeinsam an einer Musik, die Tradition mit Pop verbindet. Ein Besuch in der Szene.

Wer Sansibar hört, denkt an weiße Strände, an hölzerne Dhaus, die mit Dreieckssegeln durch türkisfarbenes Wasser gleiten, an arabische Architektur und Gewürzplantagen. Vielleicht erinnert man sich auch noch an die dazugehörige Musik: Taarab-Orchester, deren Streichinstrumente in leierndem Auf und Ab melodramatische Gesangs-Arabesken verschleierter Sängerinnen unterfüttern. Für exotische Klischees ist die Insel immer noch gut. Aber Sansibar und „Street Credibility“? Taraab und Tiefstbässe? Das scheinen kaum verträgliche Begriffspaare. Doch sie liefern einem jungen, deutschen HipHop-Musiker mit seinem Sansibari-Partner das Rezept, die Insel aus ihrem musikalischen Dornröschen-Schlaf zu holen. Um den Sound des jungen Sansibar zu formen. Was ganz nebenbei einen heiklen Diskurs provoziert: Wann ist kulturelle Aneignung eine beidseitige Bereicherung? Wo fangen die Missverständnisse an?

Das „Stone Town Studio“ liegt etwas abseits des Souvenirgeschäft- und Touristenviertels. Bis man es in den engen labyrinthischen Gassen der Altstadt findet, hat man einige ehrenamtliche Guides in Messi- und Tupac-T-Shirts im Schlepptau. Zenji Boy wäre ihnen natürlich lieber, sagen die Jugendlichen, doch ihr lokaler Rapheld spielt noch nicht in der Fanartikel-Liga.

Keine Musik, keine Namenstafel, nicht einmal ein Klingelschild verrät das Studio im ersten Stock eines der typischen Souk-Häuser. Nur die vielen Schuhe an der Holztreppe deuten auf den Betrieb im ersten Stock hin. Oben winkt Kassim Omar alias Mash Marley, ein hagerer Rasta-Typ mit geschäftiger Miene, in den mit schweren Teppichen ausgelegten Aufnahmeraum. Die traditionellen arabischen Holzfenster sind zugemauert. Dafür schmückt ein Gemälde seines Helden Bob Marley die mit Stoffbahnen abgehängten Wände

Lange hat der populärste Hip-Hop-Star der Insel in einem Flughafenshop gearbeitet

„In meiner Jugend“ sagt Mash Marley, während er an seinem Mischpult hantiert, „galt Taraab als Musik für alte Menschen. Wir Jungen wollten damit nichts zu tun haben. Lieber imitierten wir amerikanischen HipHop.“ Aus Monitor Boxen dröhnt: Klassischer Boom-Bap, dazu bollernde Tiefst-Bässe und eine Taraab-Geige. Das klingt ein bisschen schräg. Aber auch nicht schräger als Kanye Wests Ethio-Jazz oder Jay-Zs Samples klassischer arabischer Musk. Zenji Boy nickt mit, er spielt Luftgeige dazu. Der Rapper ist Marleys und Herrmanns große Hoffnung. „Ich mache den Sound meiner Großeltern für eine neue Generation hip“, sagt er. Und diese Geige? „Die spiele ich selbstverständlich selber!“

Lange hatte der populärste HipHop-Star der Insel in einem Flughafenshop gearbeitet, seine Suaheli-Raps über Trap-Beats wollten nicht so richtig zünden. Bis ihm Herrmann und Marley, die beiden Betreiber der „Stone Town Studios“, mit einer Idee kamen. Warum nicht die klassischen Taarab-Instrumente Ganon, Violine und Oud für seine Musik verwenden? Er könne als Zenji Boy – Zenji wie Zenjibar, also Sansibar – den eigenen Kiez und dessen Kultur repräsentieren.

Zenji Boy nahm die Herausforderung an: Er studierte drei Jahre lang klassische Violine an der örtlichen „Dhow Country Music Academy“. Schrieb Lyrics, die Korruption und Machtmissbrauch der Eliten kritisieren („Mazabe“), oder mit Samples berühmter Taraab-Sängerinnen Kinderarbeit anprangern („Sikitiko“). Seitdem laufen seine Hits neben Jay-Z und Kanye West in den Pop-Radios. Demnächst steht die Veröffentlichung eines Taraab-Albums an und eine wegen Corona verschobene Tour durch Afrika.

Junge Hip-Hopper, die ihre traditionelle Musik wiederentdecken: Das passiert gerade auch in anderen Ländern Afrikas. Aber dass ihnen dabei ein deutscher Produzent unter die Arme greift, der selbst in der lokalen HipHop-Szene reüssierte? Das dürfte doch einmalig sein. Und wirft ein paar Schlaglichter auf die oft aggressiv geführte Diskussion um cultural appropriation.

„Vor fünf Jahren war ich in Ostafrika ein Popstar“, sagt Lorenz Herrmann mit leichtem Berliner Akzent. Kantiges Gesicht, verfilzte Afro-Frisur, Batikhose. Man könnte sich den einstigen Studenten der postkolonialen Ethnologie auch als Singer-Songwriter in einem alternativen Szene-Lokal in Kreuzberg vorstellen. Lorenz aber blieb nach einem Austausch-Jahr mit der Uni in Daressalam in der tansanischen Popszene hängen. Er studierte Posaune, besuchte lokale HipHop-Events und fing an, auf Kisuaheli zu rappen.

2015 feierte ganz Tansania seinen Hit „Shika Bomba“. Der sozialkritische Song dreht sich um die Dala-Dalas, die überfüllten Kleinbusse des öffentlichen Nahverkehrs. „Die Leute liebten mich dafür, dass ich als Deutscher auf Swahili rappe“, sagt Herrmann, der unter dem Alias Badani Poa, „Cooler Beduine“, firmierte. In einigen Radiosendern hätten die Hörer gar diskutiert, ob der Coole Beduine nicht doch Tansanier sei, der sich als vermeintlich Deutscher interessant machen wolle – bis sie ihn dann sahen. Lorenz zieht amüsiert einen Mundwinkel nach oben. Ja eine lehrreiche Zeit war das für ihn. Unerlaubte kulturelle Aneignung hätten ihm einige vorgeworfen. Oder Kolonialismus. Als ob er sich auf Kosten anderer bereichert hätte.

Dabei hatte der britische Soziologe Paul Gilroy diese Diskussion schon vor über 20 Jahren abgehakt. Schwarze Kultur schreibt er, sei eine Art Open Source Programm, an dem jeder mitschreiben könne. Produzent Mash Marley jedenfalls nahm Lorenz als Partner mit an Bord. Zusammen betreiben sie das Stone Town Studio mit dem Ziel, Strukturen zu schaffen, professionelles Management anzubieten. Die Rollenteilung: Marley hat die musikalische Vision und produziert. Sein deutscher Partner kümmert sich um internationale Kontakte, Finanzakquise und Management. Die künstlerische Kontrolle aber, das ist Lorenz gerade angesichts des Diskurses um „kulturelle Aneignung“ wichtig, bleibt bei den einheimischen Musikern. Zu ihnen gehört die Sängerin Siti Amina. Als gebürtige Sansibari hat sie es geschafft, ihren Platz irgendwo zwischen Beyoncé und traditionsbewusster Muslima zu finden. Sie trägt auf der Bühne lange Kleider zu Lippenstift und Diadem.

Amina spielt als einzige Frau das „Männerinstrument“ Oud

Für das Interview in einem Café in Stonetown ist sie ungeschminkt und ohne Schleier gekommen. Amina gilt seit einigen Jahren als Aushängeschild der revitalisierten Taraab-Szene. Ihr Funk-lastiger Sound zielt auf eine jüngere Zuhörerschaft. Wie ihr Vorbild Bi Kidude vor 100 Jahren verkörpert sie die selbstbewusste Rebellin: „Kidude war eine große, ungehemmte Frau“, sagt Siti Amina, „sie sang barfuß und rauchte Zigaretten“. Amina geht noch weiter: Sie spielt als einzige Frau das „Männerinstrument“ Oud.

Ihr Handwerk hat sie an der Dhow Country Music Academy gelernt, die Institution, aus der die gesamte junge Popszene der Insel hervorgegangen ist. Geleitet wird sie von einer Italienerin, die auf Sansibar in einer der großen historische Kolonialvillen in Hafennähe die erste Musikschule Ostafrikas mit Schwerpunkt auf den Erhalt örtlicher Traditionen betreibt. Sie lebt allein von Crowdfunding. Und von der Unterstützung durch westliche Besucher.https://tpc.googlesyndication.com/safeframe/1-0-37/html/container.html

Zuletzt hatte hier die britisch-ghanaische Band Onipa kurz vor dem Corona-Lockdown mit Siti Amina und anderen heimischen Musikern einen zweiwöchigen Workshop abgehalten. Der Austausch hat Aminas missionarischen Geist beflügelt: „Warum“, sagt sie, „sollten wir Jungen nicht Sessions in den Schulen abhalten? Wir könnten auf diese Weise die Gesellschaft Sansibars verändern.“ Früher hätten ihr Produzenten in Tansania geraten, ihren Sound doch bitte westlichen Formaten anzupassen. „Ich habe mich geweigert. Und nun bin ich zum Rollenmodell einer jungen Generation herangewachsen, die ihre Traditionen gerade wiederentdeckt.“

Lorenz Herrmann, nebenbei auch Manager von Siti Amina, schätzt die Sängerin nicht nur als Musikerin. Amina sei auch emanzipiertes Vorbild für junge Mädchen und Frauen. Schon länger laufen in den Stonetown Studios Workshops nur für weibliche DJs – unter dem Namen „Stonetown Sisterhood“. Gerade planen Herrmann und Amina eine „Empowerment-Kampagne“, für die sie mit anderen weiblichen Künstlern durch die Dörfer Sansibars ziehen soll, um mit ihren Auftritten Aufklärungsarbeit zu leisten.

Die Zukunft seines Studios aber sieht er international: Die Berliner Global Bass Band Symbiz, die ugandische DJane Atim Catu, aber auch die amerikanischen HipHop-Größen Reallionaire und Akua Naru haben bereits bei ihm mit lokalen Künstlern aufgenommen, um anschließend Masterklassen für den Sansibari Nachwuchs zu geben.

Dieses Modell will Lorenz nun unbedingt ausweiten. Und in Zukunft gezielt auch deutsche Musiker dazu bewegen, in mehrwöchigen Workshops und Gastdozenturen Kulturförderung zu betreiben. Natürlich nur in einer politisch unbedenklichen Form: „Am Ende profitieren immer beide Seiten“, sagt Herrmann. „Gäste geben ihre Skills an lokale Künstler weiter – dafür bringen sie etwas vom Taraab-Flavor aus Sansibar zurück

JONATHAN FISCHER

SZ 23.9.2020

„Na, biste am Händchenhalten?“

Der Autor und Streetworker JJ Bola erklärt, dass die Idee des dominanten Mannes ein Hindernis für Nähe ist, wie Männer unter überholten Klischees leiden – und warum Gangsta Rap ein Teil des Problems ist.

Interview von Jonathan Fischer

In Zeiten von Trump, „Me Too“ und der von männlichen Machtfantasien getriebenen Attentäter wird der Begriff „Männlichkeit“ oft mit Adjektiven wie „toxisch“, „fragil“ und „überholt“ verbunden. Das verunsichert viele Männer. Der in London lebende Autor und Sozialarbeiter JJ Bola flüchtete im Alter von sechs Jahren mit seiner Familie aus dem Kongo, wuchs in Tottenham auf, studierte Psychologie und Kreatives Schreiben. In seinem Buch „Sei kein Mann“ untersucht er, wie Männer alte, von populären Mythen gespeiste Formen der „Männlichkeit“ verlernen können.

Herr Bola, Jahrzehnte des Feminismus haben alte Männerklischees längst aufgeweicht, denkt man. Warum sie jetzt noch einmal ins Gespräch bringen?

JJ Bola: Der feministische Diskurs hat Erfolge für Frauen gezeitigt, das zeigt schon das öffentliche Interesse an der „Me Too“-Debatte. Wir müssen aber einmal darüber sprechen, dass Männer nicht nur Täter, sondern selbst auch Opfer ihrer Selbstbilder sind. Wenn man ihnen die alten Rollen nimmt und keine neuen anbietet, dann bleibt vor allem Verunsicherung, Wut, Leiden. Ich arbeite seit vielen Jahren in London in der Sozialarbeit für Männer mit psychischen Problemen. Da erlebe ich, dass wir Männer viel verletzlicher sind, als wir zugeben. Unsere Selbstbilder verursachen enormes Leiden.

In welcher Hinsicht?

Schauen Sie nur, wieviele Männer unter Depressionen und anderen seelischen Krankheiten leiden. Männer werden mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit als Frauen obdachlos, drogenabhängig, gewalttätig oder bringen sich um. Und das alles weil sie es nicht schaffen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Weil sie glauben, keine Schwäche zeigen zu dürfen. Weil sie in ein Bild passen wollen, dass sie und andere Männer für sich geschaffen haben. Ich selbst habe das als Jugendlicher praktiziert: Nach außen gab ich stets den gutgelaunten Sonnyboy – und ließ mir um keinen Preis anmerken, unter welchen inneren Qualen ich wirklich litt.

Sie haben eine Rolle gespielt, die Sie von sich selbst abgeschnitten hat?

Pausenlos. Das kostete eine Menge Kraft: Immer auf der Hut zu sein, vor dem vermeintlichen Rollen-Versagen. Dabei war ich ein sportlicher Typ, spielte Basketball in der nationalen Liga, und wusste, welche coolen Codes und Gesten ich als Mann zu benutzen hatte, um den Respekt der anderen Jugendlichen in meinem Brennpunkt-Viertel zu gewinnen. Ich hatte keine Ahnung, dass Männlichkeit in verschiedenen Kulturen und Kontexten auch ganz anders aussehen könnte….

Sie beschreiben in Ihrem Buch eine Situation, wo ihre kongolesischen Männer-Freunde ihr Rollenbild unabsichtlich ins Wanken brachten…

Ja, das war eine extrem peinliche Situation für mich. Eine Gruppe älterer kongolesischer Männer aus unserer Kirchengruppe hatte mich eingeladen, mit ihnen zu einem dieser „Onkel“ daheim essen zu gehen. Ich freute mich außerordentlich. Bis wir in die Hauptstraße in Tottenham einbogen, wo ich sonst mit Jugendlichen aus einem komplett anderen sozialen Umfeld abhing. Ich hatte wie immer Hoodie, Sporthose und Nike Air Force 1 Schuhe an. Meine Begleiter aber waren nach kongolesischer Mode in farbenfrohe und exzentrische Designs gekleidet, und zogen durch ihre lauten Gespräche und Gelächter viel Aufmerksamkeit auf unsere Gruppe. Schon aus der Ferne starrten uns Passanten an und zeigten auf uns. Was für mich noch schlimmer war: Wir gingen in Zweierpaaren, so wie das unter kongolesischen Männern üblich ist, Hand in Hand. Ich bemerkte die verwirrten bis von Ekel geprägten Gesichtsausdrücke einiger Jugendlicher aus der Siedlung, die besonders mich und meinen Begleiter musterten. Am liebsten hätte ich mich unter meiner Kapuze versteckt. Und dann rief einer von ihnen in meine Richtung: „Na biste am Händchenhalten?“

Es war als ob in diesem Moment all der Respekt, den ich mir als großer, muskulöser Mann verdient hatte, all die Stärke, die ich immer nach außen demonstriert hatte, in Luft auflöste…

Weil Sie gegen das ungeschriebene Gesetz der Straße verstoßen hatten, als Mann keine Weichheit zeigen zu dürfen?

Ich hatte damals noch nicht das Selbstbewusstsein von heute. Und ich war wie so viele Jugendliche in dem Glauben aufgewachsen, dass bestimmte Verhaltensweisen für heterosexuelle Männer tabu seien. Mein Ideal war der coole, dominante und distanzierte Macker. Das ging so weit, dass ich nicht nur keine Tränen oder emotionale Rührung zeigen durfte. Es war auch unmöglich, mich zu entschuldigen – selbst wenn ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das Erstaunliche dabei: Ich war von meinen Eltern überhaupt nicht auf diese Weise erzogen worden…

Sie haben dann aber doch im Geheimen Strategien entwickelt, um mit ihren Anteilen, die nicht in dieses Macker-Muster passten, klar zu kommen….

Ich fühlte als junger Mann eine Depression, die auch daher rührte, dass ich meine weichere Seite nicht ausdrücken konnte, niemanden zum Reden hatte. Mein Eindruck war: Als Mann musst du das alles mit dir selbst ausmachen. In dieser Situation war es meine Rettung, ein Tagebuch zu schreiben. Und dadurch meine eigenen Gefühle zu verstehen….

Später haben Sie angefangen, auch Gedichte zu schreiben. Bis heute haben sie drei Bände mit Lyrik veröffentlicht…

Diese Gedichte waren meine Art, mich zu zeigen. Wenn ich bei einer Lesung meine Männer-Fassade mit meinen Selbstzweifeln, meinem Liebeskummer oder meinen Empfindlichkeiten kontrastierte, kamen anschließend Männer zu mir und bedankten sich: Du hast genau ausgedrückt, wie wir uns fühlen. Wir hatten bisher nur noch keine Worte dafür gefunden…

Was hat Sie motiviert statt noch mehr Gedichten, ein Selbsthilfe-Buch für Männer zu schreiben?

„Sei Kein Mann“ bringt verschiedene Fäden meines Lebens zusammen: Ich hatte Psychologie studiert, arbeitete an der Schule mit pubertierenden Jungs, und kannte als Spieler einer hochklassigen Basketballmannchaft auch all diese Männer-Gespräche, die man in der Kabine oder im Tourbus miteinander führt. Da wusste ich: Wir Männer sehnen uns nach Intimität, echtem Austausch.

Und das ausgerechnet im Basketball-Team? Ist der Leistungssport denn nicht die Arena für Macho-Gehabe schlechthin?

Nein, ganz im Gegenteil: Ich habe hier mit anderen Männern über Bücher oder Filme reden können, die uns etwas bedeuten. Gerade weil wir uns gegenseitig nichts beweisen mussten, schien da oft eine sehr sensible Seite durch. Man braucht als Junge immer andere Männer außerhalb der eigenen vier Wände, an denen man sich als Vorbild orientiert.

Wo haben sie diese Vorbilder gefunden?

Eine der ersten Stolpersteine für mein Straßen-Ideal von Männlichkeit war ein Song von Tupac, den ja viele nur als Gangster-Rapper kennen….

… der aber, bevor er sich sein hyper-maskulines Image zulegte, eine Kunst-Akademie besucht und Ballett getanzt hatte….

Ja, die meisten seiner Fans wissen das nicht, aber wahrscheinlich macht ihn gerade diese Ahnung einer Ambivalenz bis heute so attraktiv. Mich jedenfalls erwischte als Jugendlicher sein Song „Keep Your Head Up“ wie eine Erleuchtung. Da mahnt Tupac, Frauen mit Respekt zu behandeln, fragt er, warum Jungs, die einst von einer Frau geboren und großgezogen wurden später andere Frauen vergewaltigen, misshandeln, ihnen Babys machen und die jungen Mütter alleine lassen… So etwas hatte ich im Mainstream-HipHop noch nicht gehört. Sonst begegneten mir da eher zynische, misogyne Songs. Wie etwa „Mask Off“ von Future, das mir als Titel für die englische Orginalausgabe meines Buches diente.

Sie sagen, man müsse als Junge Glück haben, um in seiner Umgebung auf starke Männer zu stoßen, die andere Männlichkeits-Ideale als die der Populärkultur vorleben…

Ich hatte wirklich Glück mit meinem Basketballtrainer. Ein Zwei-Meter-Hüne von Mann, mit noch breiterem Rücken wie ich und einer durchdringen Bass-Stimme. Aber so streng er auch im Training war, so sanft und zugewandt zeigte er sich als Mensch. Du konntest ihm mit jedem Problem kommen – er nahm dich dann zur Seite, um mit dir zu reden. Vor allem aber lebte er uns vor, was Respekt bedeutet, Respekt auch vor Frauen. Heute dient mir mein ehemaliger Trainer als Vorbild für meine eigene Arbeit als Basketball-Coach: Denn du kannst junge Menschen über eine persönliche Bindung nachhaltig beeindrucken.

Sie schreiben, dass Männlichkeit an vielen Orten viel fluider und vielschichtiger gelebt wird, als das binäre System, das uns unsere Kultur aufzwingt. Haben Sie da von ihrer Migrationsgeschichte profitiert?

Auch wenn ich als Jugendlicher noch nicht dazu stehen konnte: In der kongolesischen Kultur gelten tatsächlich etwas andere Männlichkeits-Ideale: So ist es selbstverständlich, dass Jungs ihre Kleider waschen und flicken und alles dafür tun, um sauber und ordentlich auszusehen, gepflegte Mode gehört zu unserer Kultur… Du hast als Mann auch Kochen und viele der Haushaltsarbeiten gelernt, die anderswo als Frauensache gelten. Bis heute liebe ich es, zu Bügeln. Ich kann das stundenlang zelebrieren….

Mindestens ebenso vermint ist das Feld der Sexualität zwischen Männern und Frauen. Sie schreiben von diesem enormen Druck, als Mann, erlernten Vorstellungen folgend „richtig zu performen“….

Diesen Druck sieht man ja schon daran, dass sexuelle Auschweifungen von Männern meist von ihresgleichen bewundert wird, während Frauen mit ähnlichem Benehmen als „Schlampen“ und „Huren“ gelten. Immer noch wird der sexuelle Trieb als männlich konnotiert. Dabei haben Frauen sicherlich nicht weniger Lust, aber vielleicht andere Vorstellungen, wie sie gelebt werden sollte. Die Idee des „dominanten Mannes“ jedenfalls habe ich immer wieder als Hindernis für wahre Intimität erlebt. Viele Männer erlauben sich nur über Sex eine gewisse Intimität zu erleben. Warum aber gilt ein Mann als schwach, wenn er gerade nicht auf Sex steht? Warum darf er nicht andere Arten der Verbindung eingehen? Wir Männer habe da eine toxische, fast pornographische Erwartungshaltung an uns selbst….

Ist diese Angst vor Nähe nicht noch größer wenn es um Intimität oder Offenheit zwischen Männern geht?

Die group pressure ist in dieser Hinsicht gewaltig. Oft hängen junge Männer, die ihresgleichen Komplimente machen, zur Sicherheit den Nachsatz an: „Ist jetzt nicht schwul gemeint“. Als ob man als heterosexueller Mann keine Form von Weichheit oder Liebe zeigen dürfte. Ständig ist da diese Angst: Wer bin ich, wenn ich mit meinen eher femininen Anteilen in Berührung komme?

Diese Unsicherheit hat zusammen mit dem Einfluss der Religion zur Ablehnung und Verfolgung von schwulen oder Bi-Männern beigetragen. Das beinhaltet auch: Die Verteufelung jeder freundschaftlichen Berührung unter Männern.

Sie schreiben von panischen Gefühlen, als der kongolesische Onkel sie damals an der Hand nahm.Wie würden Sie heute in der selben Situation reagieren?

Inzwischen habe ich ein ganz anderes Standing. Ich muss nicht mehr vor anderen Männern eine Vorstellung geben, meine Männlichkeit beweisen. Aber es gehört eben, gerade als Jugendlicher, ein enormes Selbstbewusstsein dazu, nicht mehr in diese Norm passen zu wollen.

Was raten Sie jungen Männern, um dieses Selbstbewusstsein zu entwickeln?

Schreibt Tagebuch! Haltet eure Erfahrungen fest, um euch selbst besser zu verstehen, dann verlieren die stereotypen Rollenbilder von selbst an Anziehungskraft. Seid bereit, in Therapie zu gehen, um Eure traumatischen Erlebnisse zu bearbeiten. Und hört endlich mit der Schauspielerei auf. Es gibt einen Satz, den ich Männern immer wieder mitgebe: Wenn ein Freund dich nicht so akzeptiert wie du bist, dann ist er nicht dein Freund. Wenn jemand dich aber als Menschen wirklich schätzt, bedeutet das : Du darfst du selbst sein.

Das klingt so einfach. Verdrängen Sie da nicht den Einfluss der sozialen Medien, die uns konstant mit ihren Männlichkeits-Idealen bombardieren?

Die sozialen Medien wecken besonders bei meinen jüngeren Klienten riesige Erwartungshaltungen und gleichzeitig riesige Ängste. Auch was das Äußere betrifft. Da werden Körperbilder propagiert, die bestenfalls Berufsathleten hinbekommen, die aber für die Mehrheit unerreichbar sind. Das ist Gift für das eigene Selbstbewusstsein. Bei vielen Männern, die sowieso schon Probleme mit sich haben, verstärken sie das Leiden noch.

Gibt es einen Unterschied wie Sie als schwarzer Mann – im Gegensatz zu Weißen – solchen Stereotypen begegnen?

Schwarze Männer werden in westlichen Medien oft als aggressiver, wütender und sexuell getriebener dargestellt – ein Bild, das so gar nicht in die kongolesische Kultur passt, aus der meine Familie kommt. Manchmal gestehen mir Menschen, dass sie Angst vor mir hatten, bevor sie mich angesprochen haben. Gangsta Rap ist ein Teil des Problems. Aber auch populäre Figuren aus Mafiafilmen, die manche jungen Männer als Vorbilder für ihr privates Beziehungsverhalten missverstehen. Die Mainstreamkultur verkauft männliche Gewalt. Das wäre kein Problem, wenn sie gleichzeitig auch Gegenmodelle anbieten würde…

An welche Modelle denken Sie?

Jazz zum Beispiel ist genauso sehr ein Teil schwarzer maskuliner Kultur wie HipHop, aber mit etwas anderen Männlichkeits-Idealen. Auch die Sänger im K-Pop mit ihren geschminkten Gesichtern stellen unsere binären Stereotypen in Frage. Ich habe gelernt, dass in anderen Kulturen so viel mehr Schattierungen der Männlichkeit existieren, als wir glauben. Da hat das Internet dann wieder sein Gutes: Du findest heute auf Youtube alle möglichen Kanäle von jungen Menschen, die Plattformen für verschiedene Formen von Männlichkeit kreieren. So muss sich niemand mehr so ausgesondert fühlen wie früher.

Haben Sie nicht trotzdem die Befürchtung, dass das Wortspiel im Titel Ihres Buches „Sei Kein Mann“ auf verunsicherte junge Männer abschreckend wirken könnte?

Letztlich geht es doch darum: Diese ganze „Sei ein Mann“-Nummer als unnötige Quälerei zu entlarven. Warum sich nicht einfach mit sich selbst entspannen? Da kommt doch erst die wirkliche Stärke eines Mannes zum Tragen.

In gekürzter Form erschienen in SZ vom 8.9.2020