Monatsarchiv: November 2015

Kunst gegen die Seuche: Mali ringt mit Islamismus, Gewalt und Ebola. Dabei hat in der Hauptstadt Bamako gerade die wegweisende Foto-Biennale begonnen

 

„Die Menschen in Mali glauben an die Kraft der Kultur“, sagt die nigerianische Kuratorin Bisi Silva, eine kleine, energische Frau mit Kurzhaar-Frisur und Lesebrille. „Denn Kultur diente in diesem Land schon immer als Motor gesellschaftlicher Entwicklung.“ Dass Kunst produziert werde , nehme der Rest der Welt kaum wahr, berichtet würde nur über den Krieg. Die Gewalt hat das Land beherrscht, aber seine Kultur überlebte. Noch 2013, ein Jahr nach der Besetzung des Norden Malis durch bewaffnete Islamisten, fielen die „Rencontres de Bamako“ der Krise zum Opfer. Nun sollte die Wiederaufnahme der Biennale Ende Oktober Normalität signalisieren. Die Rückkehr zum Alltag. Doch niemand ahnte, dass nur drei Wochen später ein Attentat bewaffneter Dschihadisten auf ein großes Hotel im Stadtzentrum 22 Tote hinterlassen würde. Es war der zweite Anschlag dieses Jahres. Und doch geht in Bamako das Leben nach jedem Anschlag weiter, die Musik, der Tanz, die Kunst lassen sich hier nicht so leicht erschrecken. „Terror-Gefahr hin oder her“, sagt Bisi Silva trotzig, „Mir macht es mehr Angst in eine amerikanische Stadt zu reisen als nach Timbuktu. Selbst Raubüberfälle sind in Bamako seltener als in Paris.“ Silva empfängt im Frühstücksraum eines Boutique-hotels in Bamakos Marktviertel Medina. Ein vollklimatisiertes Refugium: Vom Lärm der Moped-Trauben und Eselskarren auf den Straßen, dem rötlichen Staub und Smog, der brüllenden Hitze schon am morgen, bekommt man hier zwischen Teakholz-Bar und Lehnensesseln nichts mit. Nur die Leibesvisitation am Eingang erinnert an die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Ansonsten ist überall in der Stadt dieser Wille zu spüren: Nach vorne zu schauen. Endlich eine nationale Versöhnung zu finden und wieder anzuschließen an die eigene große Vergangenheit.

„Telling Time“: Das diesjährige Biennale-Motto, sagt Silva, gebe Künstlern die Möglichkeit, in den Archiven zu wühlen, und von ihnen aus die Gegenwart wie auch ihre Vorstellung der Zukunft zu erzählen. Afrika sei eben nicht eine einzige Kriegszone. Sondern auch ein Reservoir an Zukunftsvisionen. In den Ausstellungshallen des Musée National sammeln sich jedenfalls eine Menge Hoffnungsgeschichten: Etwa die vom Ghanaer Nyani Quarmyne produzierte Serie über das Leben malischer Flüchtlinge in einem Lager für 70 000 Menschen in Mauretanien. Hier springt einen kein Elend an. Eher erinnert die Szenerie an ein Wüstenmärchen, so viel Würde, Stolz und Lebenskraft strahlt aus den Alltagsszenen. Oder Hyppolyte Samas Dokumentation des erfolgreichen Aufstands seiner Landsleute in Burkina Faso: Trotz brennender Autos und Rauchschwaden bei den Demonstrationen gegen den verfassungswidrig eine dritte Amtszeit anstrebenden Präsidenten Blaise Compaore, stehen in seinen Fotos nicht die Gewalt im Vordergrund, sondern die tragende Rolle, die Frauen bei der Revolution spielen. Und auch Salif Traorés Portraits verfallender und vernachlässigter neo-sudanesischer Architektur zielen nicht auf Tristesse: Eher imaginiert der Fotograf da die Vergangenheit als Inspiration, versteht er seine Bilder als Appell, die eigene traditionelle Baukultur nicht der Gesichtslosigkeit von Billigbeton und chinesischen Import-Palästen zu opfern.

„Ich sehe die Fotografen als die Griots von heute“, sagt Silva in Bezug auf die singenden Geschichtenerzähler, die als Überlieferer der Vergangenheit gelten. „Ihren Bildern kommt in diesem westafrikanischen Land besondere Bedeutung zu: Denn sie erreichen auch die Analphabeten – in Mali 70 Prozent der Bevölkerung.“ Aus über 800 Bewerbungen hat Silva 39 afrikanische Foto- und Videokünstler für die offizielle Präsentation im Musée National und einem halben Dutzend Off-Locations ausgesucht. Silva hatte sich bisher als Gründerin des Centers for Contemporary Art in Lagos einen Namen gemacht, nebenbei Biennalen für moderne Kunst von Dakar bis Thessaloniki kuratiert. Das wichtigste Fotografentreffen Afrikas aber bietet ihr eine einmalige Gelegenheit: Im Brennpunkt des Konflikts zwischen Verwestlichung, Islam und afrikanischem Selbstbewusstsein die Afrika-Klischees herauszufordern. Und eine Rückbesinnung einzufordern. „Wir drehen uns irgendwann im Kreis, wenn wir uns nicht anschauen, was früher passiert ist“. So wie etwa der Südafrikaner George Mahashe: Er arbeitet mit den Archiven seines Landes in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, und geht im Rahmen einer Installation sprichwörtlich in seine Dunkelkammer, um dort seine Bilder zu entwickeln. Eine starke Metapher. Weil er die unsichtbare Geschichte der Schwarzen Anfang des letzten Jahrhunderts ans Licht bringt, das was vergessen war, langsam in der Gegenwart erscheinen lässt – alles vor den Augen der Betrachter

Die Galerie Medina, ein paar Straßenecken von Silvas Hotel entfernt: Vom Dach hängen symbolische Pappbündel, Erinnerung an die vor der Zerstörungswut der Islamisten geretteten Manuskripte Timbuktus. Der Malier Seydou Camara hat ihnen eine großformatige Foto-Serie gewidmet. Honorig wirkt das, staatstragend fast. Aber dann hängen hier eben auch Schwarz-Weiß-Fotografien feiernder südafrikanischer Lesben-Paare, Party-Szenen die in einem islamisch geprägten Land wie Mali durchaus Anstoß erregen könnten. Was bedeutet da noch „afrikanisch“? „Ich kann nicht über eine afrikanische Fotografie reden, bestenfalls über bestimmte lokale Schulen“, sagt Simon Njami, der zehn Jahre lang selbst die „Rencontres de Bamako“ kuratierte und nun – mit Unterstützung des Goethe Instituts – eine panafrikanische Meisterklasse für Photographie gibt. Das Verbindende beschränke sich oft auf die geteilten äußeren Hürden: „Man darf nie vergessen, wie hart etwa die Arbeitsbedingungen für Fotografen in Mali sind. Um zwei Megabyte herunterzuladen braucht man hier gefühlteStop Ebola-7989 zwei Tage“. Er versuche deshalb, Informationslücken zu schließen, den Fotografen ihre internationalen Referenzen aufzuzeigen – und gegen die Verwirrung anzugehen, was der weltweite Kunstmarkt wolle: „Es wäre naiv, aus den Erfolgsgeschichten von Malick Sidibe und Seydou Keita zu schließen, dass die Welt von Afrikanern Studiofotografie erwartet“.

In den 60er und 70er Jahren hatten die Schwarz-Weiß-Portraits der beiden Malier den Optimismus und die Faszination der Jugend Bamakos für westliche Pop-Moden eingefangen. Heute referieren deren Enkel auf die Ikonen von einst: So installiert die junge malische Fotografin Fatoumata Diabate im Garten des Musee National ein Ad-hoc-Studio. Besucher können da Hüte, Kleider, Accessoires anprobieren, sich fotografieren lassen, und ein Portrait nach Hause zu nehmen. „Diese Selbstinszenierung hat für mich nichts ihrer ursprünglichen Magie verloren“, sagt Diabate. „Nur dass die Menschen heute viel zerrissener sind: Damals wollen sie dem Westen nacheifern, heute suchen sie eher nach eigenen Traditionen“. Diabates Arbeit hält den Menschen einen Spiegel ihrer Sehnsüchte vor. Gleichzeitig stellt sie kraft ihres Berufes Traditionen in Frage: Denn Fotograf gilt in Mali noch immer als Männerberuf. „Ich experimentierte mit der Digital-Kamera eines Cousins. Aber durfte ich als Frau das auch an einer Hochschule studieren? Meine Familie war skeptisch. Ich stand damals täglich mit Gummistiefeln am Straßenrand und hob Wasserkanäle aus, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen“. Heute werden Diabates Bilder in Galerien in ganz Europa und Nordamerika gefeiert – gerade wegen ihrer unbekümmerten Art mit Traditionen zu spielen.

Auf andere Weise vorwitzig thematisiert ihr malischer Kollege Bakary Emmanuel Daou die Ebola-Seuche. Als ein Reisender aus Guinea 2014 den ersten Fall nach Mali trug, starben Patient und behandelnder Arzt, im ganzen Land liefen Aufklärungs-Kampagnen, während Daou – „ohne die nötige Erlaubnis, und erfüllt von Angst und Neugier“ – ins Krankenhaus ging um dort zu recherchieren. Die resultierende Fotoarbeit besteht aus zwei Teilen: Der Dokumentation von Krankenhaus-Szenarien mit Ärzten in ihren Schutzanzügen, und einer Fiktion, in der er dem Personal zusätzlich Masken anzog. „Ich setze da auf die Kontinuität der Sprache unserer Vorfahren. Sie kommunizierten wichtige Botschaften über Masken. Und für Heilungsrituale setzten unsere Medizinmänner eine spezielle Maske auf. Sie heißt Domo oder übersetzt: Fische das Wissen ein“. Schade nur, dass Daous Fotos kaum eine weitere malische Öffentlichkeit erreichen. Für ihn wie für viele andere malische Fotografen ist die Biennale eine der wenigen Möglichkeiten, ihre künstlerischen Werke auszustellen und zu verkaufen. Ihr Brot aber verdienen sie als Dienstleister: „Was hier allein geht“, sagt Daou, „ist die Fotografie von sozialen Zeremonien, von Hochzeiten, Taufen, Geburtstagen“. Für alles andere müsse man die Bevölkerung erst sensibilisieren. In seinem alten Mercedes kutschiert Daou den Besucher hinaus in den Vorort Hamdallaye: Zwischen Wassermelonen-Verkäufern und Blechhütten, die Handykarten und Fleischspieße verkaufen, betreibt er hier mit den Kollegen des Künstlerkollektivs Jawmali ein Gemeinschaftsatelier. Computer, moderne Graphik-Software und Drucker in einem kahlen Raum. Ein krasser Gegensatz zum ein Haus weiter angesiedelten Fotostudio mit seinen Alpen- und Eiffelturmtapeten. „Jeder mit einer billigen Digital-Kamera macht hier so einen Laden auf“, sagt Daoui. „Wir aber bringen bei uns jungen Fotografen das Handwerkszeug bei, um auch als Künstler bestehen zu können“.

Rund um ihr Atelier haben Daous Kollegen großformatige Papierabzüge ihrer Arbeiten an Lehmmauern befestigt. Täglich ziehen sie mit Hammer und Nägeln los – um sich aufrollende Studiofotografien malischer Mode oder Portraits der Handwerker des Viertels neu zu befestigen. „Wir bemühen uns, auch die zu erreichen, die nie ein Museum besuchen würden. Viele glauben immer noch, dass Fotografen nur dazu da sind, um alltägliche Folklore zu produzieren“. Es ist dies wohl die größte Schwäche der seit 20 Jahren gemeinsam vom malischen Kulturministerium und dem Institut Francais produzierten „Rencontres de Bamako“: Dass sie oft einen Diskurs von oben herab führen. Und es Privatinitiativen wie Jawmali überlassen bleibt, außerhalb von Galerien und Hotellobbys auszustellen, die Jugendlichen vor Ort mit ihren Werken einzubinden. Bisi selbst sieht das allerdings nicht nur als Nachteil: „Klar muss ein afrikanischer Fotograf zehn mal so viel Einsatz zeigen um in der Kunstwelt mitmischen zu können. Aber braucht Kreativität ein Museum? Nein, Kreativität braucht nur ein Gehirn. Ich habe in Afrika viele Künstler gesehen, die nicht mal das Geld für eine Busfahrkarte haben und trotzdem über ungeheure Ressourcen verfügen.“ Silva kramt ein paar Fotos aus einer Mappe. Papierabzüge. Sie habe einer Vereinigung junger Frauen in Mali, die selbst eine Off-Show organisiert, die Druckkosten gezahlt. Eine weitere Erfolgsgeschichte.

JONATHAN FISCHER

SZ 28.11.2015 (in leicht gekürzter Fassung)