Monatsarchiv: Dezember 2014

Faust aufs Herz: Wegsperren oder therapieren? Nach der Attacke auf Tuğçe A. stellt sich wieder die Frage, ob es bei jugendlichen Gewalttätern eine Alternative zum Gefängnis gibt. Christoph Budde glaubt daran. Zu Besuch bei seinem Anti-Gewalt-Training.

„Ich kann mir vorstellen, dass du sehr wütend bist, so alleine gelassen zu sein“, sagt Anti-Gewalt-Trainer Christoph Budde. „Und auch sehr traurig.“ Mert hält sich die Hände vors Gesicht. Niemand soll seine Tränen sehen. Er ist es nicht gewohnt, schwach da zu stehen. Schwach waren bisher immer nur die anderen. Diejenigen, die ihm am falschen Ort zur falschen Zeit über den Weg liefen. Denen er gerne mal „ein paar Fäuste mitgibt“, wie er es ausdrückt.Typen wie Mert gibt es in jeder deutschen Stadt. Seit ein 18-Jähriger, der wegen Gewaltdelikten schon häufiger aufgefallen war, auf einem Parkplatz in Offenbach die 22-jährige Tuğçe A. mutmaßlich so schlug, dass sie in der vergangenen Woche ihren Hirnverletzungen erlag, wird wieder über den Umgang mit Gewalttätern diskutiert: Gibt es eine Alternative zum Wegsperren?Die Alternative erprobt Christoph Budde auf einer Hütte im Alpenvorland bei Lenggries. Dort bilden fünf Jugendliche einen Stuhlkreis um Mert. Einer von ihnen war schon mal Merts Opfer. Die anderen kennen seinen Ruf als brutaler Schläger. Jetzt, „im ungeladenen Zustand“, kann man sich Merts Aggressionen kaum vorstellen. Der kompakte 17-Jährige mit den Kastanien-Augen gilt als einer der gefürchtetsten Diskotheken-Schläger in einer oberbayrischen Kleinstadt, doch das merkt man ihm im „ungeladenen Zustand“ nicht an. Er ist zurückhaltend und lächelt vorsichtig. „Ich verurteile Merts Gewalttaten auf das Entschiedenste“, sagt der Trainer. „Andererseits sehe ich seine guten, starken Anteile, ich glaube, dass er sich anders verhalten kann.“ Ein Satz, den Budde wie ein Mantra wiederholen wird.Wie ein strenger FamilienvaterDas Wochenende auf der Hütte ist Teil eines Anti-Gewalt-Trainings. Christoph Budde gibt seine Anweisungen wie ein freundlicher, aber strenger Familienvater: „Was wir hier reden, bleibt unter uns – und eure Handys schaltet ihr bitte aus.“ Der Arm über der Schulter signalisiert: Wir sind keine Gegner. Eher eine Art Familie.

Wie Mert sind auch die anderen Jugendlichen, deren Namen alle geändert sind, nicht freiwillig hier. Ein Richter hatte sie wählen lassen: Arrest und Geldstrafe – oder Anti-Gewalt-Training an zehn Wochenenden. Einen Vertrag mussten sie unterzeichnen, wonach sie am „heißen Stuhl“ teilnehmen würden, einer harten Konfrontation mit der eigenen Gewaltgeschichte. „Es geht darum, neue Handlungsmuster zu finden“, sagt Christoph Budde. „Dazu müssen die Jugendlichen erkennen, wie sie sich selbst und anderen schaden“.

Eine Statistik des Deutschen Jugendinstituts weist sechs Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren als Tatverdächtige aus. Tendenz steigend. Nach Lösungen jenseits polizeilicher Kontrolle und strafrechtlicher Abschreckung wird meist erst gesucht, wenn wieder eine spektakuläre Gewalttat wie die gegen Tuğçe Albayrak stattgefunden hat. So sind es derzeit nur einzelne engagierte Richter, die Jugendliche zum Anti-Gewalt-Training schicken. Selbsterkenntnis statt Sitzen.

Mert interessiert das kaum. „Ich wollte einfach nicht wieder in den Bau. Meine zwei Wochen Arrest waren die schlimmste Zeit meines Lebens“, sagt er. Trotzdem hat Mert auch nach seinem Gefängnisaufenthalt weitergeschlagen: Fünf tätliche Angriffe und Prügeleien hat die Polizei allein im letzten halben Jahr aufgenommen. Wie alle Teilnehmer hat er ein großes Poster mit seinem „Lebensfluss“ gemalt, seinen wichtigsten Bezugspersonen und einschneidenden Erlebnissen. „Alles ganz normal“, sagt er und zeigt auf ein selbstgemaltes Haus. „Hier wohne ich mit meinen Eltern, gehe in den Kindergarten, Grundschule.“ Eine dunkle Wolke im siebten Lebensjahr: „Mein Vater ist weggegangen.“ Die Mutter hatte danach wechselnde Freunde.

Kaputte, meist vaterlose Elternhäuser

„Wie war das für dich?“ fragt Christoph Budde. „Wenn die kamen, bin ich auf mein Zimmer. Wollte deren Fresse nicht sehen“. – „Weil sie den Platz deines Vaters einnehmen?“ Schlucken. „Das Thema langweilt mich.“ Viele der Jungs nicken wissend. Sie kommen selbst aus kaputten, meist vaterlosen Elternhäusern. Haben keinen Halt. Wechseln ständig die Jobs. Und senden Hilferufe: „Egal ob sie wegen Schlägern, Sachbeschädigung oder Dealen da sind“, sagt Budde, „meist steht ein ungelöstes Familiendrama im Hintergrund.“ Die Gewalt sei Abwehr der eigenen Ohnmacht.

„Wie haben dich die anderen provoziert?“, fragt Fabian, ein bulliger, jovialer Typ, der selbst eine Reihe von Bierzelt-Keilereien auf dem Kerbholz hat. „Gar nicht.“ Mert schaut in die Runde, trotzig wie ein Kind, das beim Griff in die Bonbondose erwischt wurde. Mühsam ringen ihm die Anderen ein Geständnis ab: Er habe in Diskotheken Toilettentüren so lange zugehalten, bis sich die Eingeschlossenen aufregten. Das reichte als Vorwand zum Zuschlagen.

„Mert, du darfst jetzt eine Viertelstunde nach draußen gehen. Und du redest mit niemandem“, sagt Christoph Budde. Er beratschlagt mit den übrigen Jugendlichen, wie man Mert am besten packen kann. Hart und konfrontativ oder eher mitfühlend? „Mert hat kein einziges Mal über seine Opfer gesprochen, wie die sich fühlen“, sagt Marius, ein hagerer Kiffer-Typ mit schläfrigen Augen. „Man muss den schon ein bisschen kneten.“ – „Aber ihr habt doch gesehen, wie peinlich ihm das ist“, sagt Nick, dessen kindliche Gesichtszüge so gar nicht zu seinem Strafregister von Körperverletzung bis Handy-Raub passen. Ihm tue Mert leid: „Der braucht einen Ausweg.“ Der Trainer entscheidet sich für eine Strategie, die beides kombiniert. Gegen Angriffe könnten sich die meisten Teilnehmer schützen, sagt er. „Das kennen sie nun mal. Die packst du eher mit Zuwendung.“

Den Panzer aufweichen

Mert setzt sich in die Mitte des Stuhlkreises. Das ist schlimmer als eine zugehaltene Toilettentür. Denn hier sind die Spielregeln nicht seine. Hier wird Stärke neu definiert. Mert rutscht hin und her, knetet die Finger. „Kann es sein“, fragt Budde, „dass deine Wut mit deinem Vater zu tun hat?“ Stummes Kopfnicken. Budde nimmt ein Glas Wasser vom Tisch. „Mert, stell dir vor, dieses Glas bist du, und dieses Wasser ist deine Trauer, deine Wut. Was passiert, wenn es überläuft?“ – „Ich will das alles nicht“. Schluchzen. Ehrfürchtiges, fast mönchisches Schweigen. Das also ist auch Mert. Ein Jugendlicher aus dem Kreis reicht ihm ein Taschentuch. Scheue Blicke streifen den Jungen, der gebückt dasitzt. Als ob seine Trauer auch ihr Geheimnis lüften würde.

„Könnt ihr verstehen, was Mert fühlt?“, fragt der Trainer nach langen Minuten in die Runde. Stummes Nicken. „Ich kenn das gut“, fasst sich Fabian ein Herz und rückt etwas näher zur Mitte. „Von meinem Vater habe ich mich genauso im Stich gelassen gefühlt.“ Er sagt das leise und weich. Als ob aus dem breitschultrigen Bierzeltschläger wieder ein Junge geworden wäre. Am Vortag hatte er noch den Unerschrockenen markiert, getönt, dass ihm das Anti-Gewalt-Training gar nichts könne: „Da bleibe ich cool. Egal was die sagen, ich schalte einfach um auf Show.“ Nun schimmert es in Fabians Augen. Und Olli, der sich daheim als Aschenputtel fühlt, Probleme bereden für einen „Scheißdreck“ hält und seine Familie mit dem Tod bedroht hat, lässt zum ersten mal einen längeren Satz los: „Des is schon schwer zum Aushalten, sowas.“

Aus den Schlägern wird eine Gemeinschaft

Jetzt hat Christoph Budde die Jungs am Haken. Aus dem widerstrebenden Haufen von Schlägern und Kleinkriminellen ist eine Gemeinschaft erwachsen. Ein Beichtkreis. Ein Bruderbund verwundeter Krieger. „Was kann Mert machen, dass das Glas nicht überläuft?“ fragt Budde. HipHop-Marius hat einen fast besorgten Ton: „Du musst darüber reden. Ich konnte das früher auch nicht. Aber jetzt hab ich einen Kumpel, und es geht mir viel besser.“

Budde sagt, Erfolg oder Misserfolg eines Anti-Gewalt-Trainings hänge oft an kleinen menschlichen Gesten. Daran, wieweit er die Panzerung der Gewalttäter bereits im Vorfeld aufweichen kann: Mit Kooperationsübungen, Täter-Opfer-Rollenspielen und Filmen, in denen Empathie für Gewaltopfer geweckt werden soll. Oder einem halbtägigen Boxtraining. Nicht um die Schlagkraft zu optimieren, sondern die Fairness der Jugendlichen zu testen. Vorläufer des Anti-Gewalt-Trainings waren in den 70er Jahren in amerikanischen Resozialisierungseinrichtungen wie der Glenn-Mills-School erprobt worden.

Doch Budde setzt weniger auf Umerziehung, sondern mehr auf das Gute, das in den Jugendlichen steckt: „Wenn du jemandem etwas nimmst, musst du ihm etwas Besseres anbieten können.“ Das Bessere, das sind die Fähigkeiten, die die Jugendlichen in sich tragen, die in ihrem Umfeld aber nie bestärkt wurden. Bei Mert ist es der Mut, seine Verletztheit zu zeigen. Sich anderen zu öffnen – und in der geteilten Geschichte Trost zu finden. „Viele Täter sind sich ihrer Stärken nicht bewusst“, sagt Budde. „Das ist aber die Voraussetzung, um alte, hinderliche Verhaltensmuster abzulegen.“

Kochen, Tischdecken, Aufräumen und Abwaschen sind während des Wochenendes Gemeinschaftsarbeit. Das schafft zwar immer wieder Konflikte. Aber genau die brauchen Christoph und Andre – als Material für ihre Arbeit. Sie beobachten die Jugendlichen: Wer hilft mit? Wer rebelliert? Wer verdrückt sich? „He Nick, du faule Sau, lässt dich von uns bedienen.“ – „Ach fick dich, Alter“. Es gärt in der Küche. „Muss ich kochen?“ motzt Olli. „Ich kann keine Tomaten schneiden.“ Nach ein, zwei Aufmunterungen der Trainer greift Olli doch zum Küchenmesser, schneidet einen ganzen Berg Tomaten, Gurken und Feldsalat. Er strahlt, als er am Esstisch als Koch erwähnt wird.

Der Salat schmeckt super“

Eine Art der Aufmerksamkeit, die dem Schulabbrecher zu Hause noch nie zuteil wurde. „Der Salat schmeckt super“, sagt Mert. Olli, der sonst nie Blickkontakt hat, hebt den Kopf. Es ist nur ein banaler Satz. Aber er wirkt wie der ungelenke Versuch einer anderen, neuen Sprache. Ein vorsichtiges Rückenklopfen. Ein Angebot. Am Vorabend wäre jetzt ein fieser Spruch zum Essen gefallen. Heute bleibt es beim „super“.

Christoph Budde will nicht garantieren, dass ein heißer Stuhl und 80 Stunden Reden ein Leben voller Gewalt umdrehen. Aber die Jugendlichen „haben eine Tür geöffnet. Sie werden sich daran erinnern.“ Zum Abschied klatscht Mert Christoph Budde ab. „Hoffentlich sehe ich dich nicht so bald wieder“, sagt er. Dann fügt er ernst und leiser hinzu: „Das war eine Faust aufs Herz.“

JONATHAN FISCHER

SZ 2.12.2014

„Wir sind nicht Malcolm X, wir sind Martin Luther King“: Der Wu-Tang Clan kehrt ins Musikgeschäft zurück. Ein Gespräch mit ihrem Vordenker RZA über die neue Zuversicht im Hip-Hop

 

Seit zwei Jahrzehnten gilt der Wu-Tang Clan als erfolgreichste Hip-Hop-Band der Welt. Robert Fitzgerald Diggs alias RZA, ihr Anführer, stand zuletzt vor allem als Schauspieler und Filmregisseur im Licht. Nun versammelt der Künstler – er beliefert nicht nur Kanye West und Jay-Z mit Musik, er hat auch das philosophische Traktat „The Tao of Wu“ verfasst – den Clan noch einmal zum 20-jährigen Jubiläum. Das Album „A Better Tomorrow“ überrascht mit einer optimistischen Zukunfts-Botschaft

Sie haben das neue Album des Wu Tang Clan als „demütiger“ angekündigt. Demut und HipHop .passt das überhaupt zusammen?

RZA: Wir sind mit dem Alter einfach cooler geworden, müssen andere Künstler und MCs nicht mehr so aggressiv angreifen. Diese innere Ruhe hat etwas mit Reife zu tun…

Aber basiert HipHop nicht gerade auf der aggressiven Zurschaustellung der eigenen Qualitäten, einem Wettbewerb um die größte Klappe und den besten Diss?

RZA: Natürlich, da haben Sie Recht! HipHop wurde als ein Weg erfunden, seine Aggression ohne Gewalt auszudrücken. Wir waren damals jung und New York eine Stadt voller Gang-Kriege. Wir fingen an uns in DJ- und Rap-Battles zu messen, anstatt aufeinander zu schießen. HipHop hatte da eine friedliche Mission. Und um die geht es auch auf „A Better Tomorrow“: Hören Sie sich mal an wie Method Man , GZA oder Cappadonna in ihren Reimen die politischen Probleme Amerikas auf den Punkt bringen – ohne „Fuck the police“ zu schreien oder zu schimpfen. Als junge Männer hatten wir die Energie eines Malcolm X, aber jetzt wo wir älter geworden sind, bevorzugen wir den Tonfall eines Martin Luther King.

Andererseits gehört die Aggression, der schmutzige Straßen-Duktus doch zu den größten Markenzeichen des Wu-Tang-Clan, das können Sie doch nicht so einfach aufgeben…

RZA: Wie bei allem im Leben gilt auch für HipHop: Du musst die richtige Balance finden. Tracks wie „Cross Ego“, „Keep Watch“ oder „Necklace“ bringen die bekannte Wu Tang-Aggression, während ich den Titelsong oder „Wu Tang Reunion“ eher mit Bescheidenheit und Demut assoziiiere. Ich habe sehr auf dieses Gleichgewicht geachtet..

Können Sie mal kurz erklären, von welcher besseren Zukunft der einst als gefährlichste HipHop-Band der Welt geltende Clan da rapt?

RZA: Wir sind immer noch hungrig. Aber es geht heute eben nicht mehr ums nackte Überleben. Ich musste mir als Kind in den Sozialhilfe-Wohnblocks von Staten Island ein Bett mit zwei Geschwistern teilen, täglich Grießbrei essen und das Geld für meinen ersten Sampler durch Zeitungsaustragen verdienen. Das habe ich nicht vergessen. Egal ob ich heute zusammen mit Quentin Tarantino und Jim Jarmusch Soundtracks produziere, für einen Hollywood-Film wie „Man With The Iron Fist“ Regie führe oder in meiner Freizeit das Wu-Tang Kloster in China besuche: Es geht mir immer darum, mich als Mensch zu vervollkommnen, mein Potential zu entwickeln. Ich bin Vegetarier. Warum? Kein Tier braucht zu sterben, damit ich lebe. Ich setze mich für erneuerbare Energien ein. Ich vermeide Plastikflaschen und überflüssigen Müll. Kung Fu hat uns als Teenager wegen dem Kampfsport und der Brüderlichkeit fasziniert: Heute habe ich mit GZA oder Ghostface Killah die dahinterliegenden fernöstlichen Philosophien studiert, es geht darum alle Menschen zu respektieren, egal welche Hautfarbe sie haben, ob sie männlich, weiblich, homosexuell oder sonstwas sind…

Das klingt ja fast so, als würde der Wu Tang Clan demnächst Yoga-Studios beschallen. Woher nehmen Sie als HipHop-Produzent ihr politisches Sendungsbewusstsein?

RZA: Ich schaue mir täglich die Nachrichten an. Was gerade in Ferguson passiert, das Fortleben des Rassismus in Amerika, oder auch unsere Ignoranz gegenüber dem Treibhauseffekt und der Erderwärmung macht mich wütend. Deshalb sehe ich HipHop als eine der Kräfte, die für eine bessere Zukunft stehen. Wir sollten unser Gewicht viel mehr in die politische Wagschale werfen…

Wenn Sie das Amerika von heute mit dem Amerika Ihrer Jugend vergleichen: Hat sich Ihr Land drei Jahrzehnte nach dem Siegeszug des HipHop zum Besseren geändert?

RZA: Ohne die Generation HipHop-sozialisierter Amerikaner gäbe es heute wohl keinen schwarzen Präsidenten. Und egal wie sehr die rechten Medien über Barack Obama lästern: Ich bewundere seine Ausgeglichenheit, er punktet rhetorisch, haut nur auf den Tisch, wenn es unbedingt sein muss. Als uns noch George Buch regierte, konnte ich die Aggression in seinem Gesicht, in all seinen Aktionen lesen. Das ist der Unterschied: Bush wollte allen eins überbraten, während Obama die Balance hält.

Gilt Ihre Versöhnlichkeit auch für den HipHop? Früher haben Sie Rapper, die Tanzmusik machten, als Pop-Marionetten beschimpft und gedroht mit dem Wu Tang Clan die Ghettos zum Brennen zu bringen

RZA: Wir waren arm und wütend, und wollten keine Partymucke liefern, sondern Musik zu der man aus dem Gefängnis ausbricht. „We grew up on the crime side, not the New York Times side“. Aus der Aggression zogen wir unsere Energie: Um gegen die gewalttätige Polizei anzurappen, gegen die Tatsache, dass manche Mitbürger allein aufgrund ihrer Hautfarbe, bessere Chancen hatten. Die rappenden College Jungs wie Kid’n Play oder Run DMC hatten im Gegensatz zu uns keine Ahnung, wie es sich anfühlte, jeden Tag gejagt zu werden, aufgerieben zwischen Polizei, Crack-Dealern und Minderjährigen mit Schusswaffen. Die alten Wu Tang Videos zeigen unsere Welt: Menschen, die über Zäune springen und sich Nachts an brennenden Ölfässern die Hände wärmen…

Diese wilde, raue HipHop-Welt ist ja heute zu einem Nostalgie-Fetisch verkommen, der Stoff mit dem sich junge saturierte Mittelschicht-Kids antörnen…

RZA: Wir Wu Tang Clan Rapper lieben immer noch Filme wie „Scarface“, „Goodfellas“, „Godfather“, und Kung-Fu-Streifen in denen einem Bösewicht ins Gesicht getreten oder gar der Kopf abgesäbelt wird. Aggression im Film kann gute Unterhaltung sein. Ebenso kann brutaler HipHop großartig amüsieren. Nur dass die Konsumenten oft vergessen, dass unsere Wut für uns Protagonisten keine Unterhaltung darstellte, wir uns wirklich unterdrückt fühlten. HipHop bot uns einen Ausweg. All die Kids in unserer Sozialsiedlung rechneten damit, wie Tupac oder Biggie jung zu sterben, erschossen von einem Dealer oder der Polizei, wie sollten wir uns ein Leben als Erwachsene vorstellen? Dass wir mal mit unseren Ehefrauen nach Paris reisen und den Louvre besuchen, uns in einem Restaurant eine Käseplatte bestellen oder Urlaub am Strand machen würden: Das wagten wir vor drei Jahrzehnten nicht mal zu träumen.

Es gibt immer noch Ghettos in Amerika. Sieht die Welt für die schwarzen Jugendlichen heute rosiger aus?

RZA: Heute sage ich: Es besteht Hoffnung. Du darfst dich nur nicht vom Weg abbringen lassen. Als amtierender Meister der HipHop Chess Federation gehe ich manchmal in Schulen, um junge Menschen für Schach zu begeistern. Da geht es um Existentielles: Wie behalte ich in der Herausforderung einen kühlen Kopf? Und wie gehe ich mit Sieg und Niederlage um? Beim Schach hast du die Chance, aus deiner Niederlage zu lernen. Du musst dein Spiel anpassen. Das gilt auch für den HipHop. Heute können sich HipHop-Stars wie Drake einerseits als Wu Tang-Fans bekennen, und doch ganz ohne Aggression erfolgreich sein. Auch den Wu-Sound habe ich für eine neue Generation remixt. Mehr Hoffnung, mehr Coolness, weniger Gewalt.

Eine Konstante aber bleibt Ihre Vorliebe für alten Soul. Nachdem der Vorgänger „8 Diagrams“ mit Sitar-Melodien und akustischen Gitarren experimentierte, kehren sie auf „A Better Future“ zu Ihren typischen Soul-Samples zurück.

RZA: Diesmal habe ich viele Samples allerdings von Musikern live einspielen lassen: Einen Teil der Musik habe ich bei Kenny Gamble (Teil des Philly-Produzenten-Duos Gamble & Huff) in Philadelphia eingesammelt. So habe ich eine alte Gesangsspur von Teddy Pendergrass auf „A Better Tomorrow“ verwendet. Den anderen Teil spielte ich in Willie Mitchells Hi-Studios in Memphis ein. Dass ich an diesem Ort aufnehmen durfte und Typen wie den Hodges Brüdern und den Memphis Horns, Soul-Veteranen, die schon für Al Green, Syl Johnson, O.V. Wright und Ann Peebles gespielt hatten, meine Kompositionen erklärte, das machte mich total high…

Weil Sie sich inzwischen mehr als Musiker denn HipHop-Produzent begreifen?

RZA: Früher konnte ich nur den Sampler bedienen, inzwischen habe ich selbst gelernt, ein paar Instrumente zu spielen. Erst Klavier. Als ich dann merkte, dass es nie auch nur halbwegs zu Thelonious Monk reichen wird, habe ich auf Gitarre umgesattelt. Wenn ich eine freie Minute auf meinem Hotelzimmer habe, dann rufe ich mir keine Groupies, sondern übe neue Akkorde. Rocksongs, Blues- und Jazznummern. Mein Horizont ist längst viel weiter als HipHop: Aber für manche meiner alten Wu-Kumpels ist das schwer zu verstehen, es tut weh, wenn sie mir vorwerfen, „Hippiekram“ zu machen…

Sie haben mal gesagt, die von langjährigen Streitereien zwischen Ihnen und einigen Kollegen begleitete Produktion des neuen Wu Tang – Album wäre für Sie so schmerzhaft gewesen wie eine Geburt. Wie gehen Sie mit Frustrationen um?

RZA: Ich kann da zum Glück auf meine Schauspieler-Karriere ausweichen. Während der Produktion von „A Better Tomorrow“ spielte ich in einer Fernsehserie einen Undercover-Polizisten: Da durfte ich – privat ein No Go! – rumbrüllen, zuschlagen, Türen eintreten. Auch zu HipHop gehört ein Teil Theater. Aber wir vergessen oft die andere Seite. Wenn man wie ich in den 40ern ist, dann möchte man Songs mit einer Message schreiben, sich bei Soul-Brüdern wie Curtis Mayfield, Isaac Hayes oder Syl Johnson einreihen. „If There’s a Hell Below We All Gonna Go“ oder „Move On Up“. Das sind die Zukunfts-Botschaften, die bleiben werden.

Interview: JONATHAN FISCHER

unveröffentlichte Langversion, gekürzt erschienen

Die Welt 2.12.2014