Santa hat den Funk! Die außergewöhnliche Weihnachts-Soul-Kompilation des Münchner DJs und Plattensammlers Tobias Kirmeyer

Als Tobias Kirmeyer den Vorschlag eines DJ-Kollegen hörte, auf seinem Tramp-Label doch mal eine Weihnachts-Kompilation herauszubringen, war er gelinde gesagt skeptisch: Gab es denn nicht schon genug Sampler, die „soulful Christmas“ oder „rockin’ Santa Claus“ versprachen? Und hatte die amerikanische Tradition des Weihnachts-Popsongs nicht etwas allzu Sentimentales, ja für Funk-Liebhaber wie ihn geradezu unerträglich Weichgespültes? Doch dann fing Kirmeyer zu graben an. Und legte unter all den schmalzigen Geigen, Glockenspielen und Engelsschluchzern ein gutes Dutzend wahrer Funk-Perlen frei. Singles aus den sechziger Jahren wie Detroit Juniors „Christmas Day“, Rose Grahams „Black Christmas“ oder Fat Daddys „Holyday Baby“, die keine Kompromisse mit Kirchenchören und Kaufhausmusik eingingen, sondern Weihnachten so schwarz und funky feierten, als steppte Santa Claus mit Afro, Spitzkragen und ein paar neuen Tanzstiefeln durch den Schnee.

„Santa’s Funk & Soul Christmas Party“ jedenfalls, wie sich das Ergebnis von Kirmeyers Grabungen nun nennt, hat nichts Weihnachtsmütziges an sich: Vielmehr paraphrasiert Gary Walker den Soulbrother Number One mit „Santa’s Got A Brand New Bag“, fährt Vernon Garrett einen unwiderstehlich schweineorgelnden „Christmas Groove“ auf, rauschen Jimmy Jules & The Nuclear Soul System auf „X-mas Done Got Funky“ in einem tiefergelegten Pimp-Mobil durch die verschneiten Straßen. Und selbst ein alter Blueser wie Jimmy Reed verdoppelt an Weihnachten seine Schlagzahl.

Sammler könnten sich hier wohl viel Geld für den Kauf der seltenen Singles sparen. Aber die sind eher nicht Kirmeyers Zielgruppe: „Richtige Nerds wollen doch alles nur im Original. Mir geht es vielmehr um Funk-Fans und Tänzer, die mal was anderes als immer nur James Brown hören wollen.“

Der Weihnachts-Sampler ist bereits das 13. Album auf Tramp Records, Kirmeyers Kleinlabel, das in den vergangenen acht Jahren wesentlich zum Ruf von München als El Dorado für Retro-Funk beigetragen hat. 2003 ließ der DJ und Plattensammler eine erste Single pressen. Und zwar, wie Kirmeyer erklärt, erst einmal nur mit der Absicht, ein paar unveröffentlichte Songs der befreundeten Münchner Funk-Pioniere Poets Of Rhythm endlich in Umlauf zu bringen. Anfangs duldete Kirmeyer nur Vinyl. Später nahm er CD- und MP3-Formate dazu, „sonst könnte ich die Kosten für meine Veröffentlichung nicht decken“. Gewinn macht er dennoch kaum – schließlich legt er im Gegensatz zu so manchen Bootleg-Labels Wert darauf, alle Songs so weit wie möglich bei den Original-Musikern und Rechteinhabern zu lizensieren.

„Aber es macht eben auch Spaß“, sagt Kirmeyer, „mit siebzigjährigen schwarzen Opas in Amerika zu telefonieren, die sich geehrt fühlen, dass jemand ihre alten, in Kleinstauflagen erschienenen Songs kennt.“ Der Weg dorthin ist mühselig: Oft gibt das Kleingedruckte auf den Single-Labels die einzigen Hinweise. Um etwa Vernon Garrett ausfindig zu machen, rief Kirmeyer mehrere Fernseh- und Radiosender in den Südstaaten an, in denen der Bluesmann zuletzt aufgetreten war. Was für ein Glück, den Veteranen dann endlich an der Strippe zu haben – mit der Geschichte zum Song: Wie er mangels Taxigeld kilometerweit mit der Gitarre auf dem Buckel zum nächsten Gig gelaufen ist, mit welchen Bühnentricks er die Mädels rumbekommen oder die DJs der Radiostationen eingeseift hat. Man hört „Santa’s Funk & Soul Christmas Party“ das Leben an, das hinter jeder Nummer steckt. Besser noch: Dieser Sampler klingt auch noch frisch, wenn der letzte Schnee geschmolzen ist.
JONATHAN FISCHER
SZ 23.12.2011

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