Sven Väth über: Feiern

Die lichtdurchfluteten Räume von Sven Väths Cocoon-Agentur – zwei Stockwerke über seinem Cocoon-Club mitten im Frankfurter Gewerbegebiet gelegen – erinnern ein wenig an einen Tempel: Buddhastatuen, Designmöbel und unverputzte Wände, eine Ecke mit Meditationskissen, alles so ordentlich wie ein Zen-Garten. „Bin gleich da“, ruft Väth gut gelaunt aus einem Nebenzimmer. Fester Händedruck, hellwacher Blick, tänzelnder Gang über den holzgetäfelten Flur: Der Mann in den Schlabberhosen geht ein Interview mit derselben Energie an wie eines seiner legendären DJ-Sets.

von Jonathan Fischer

Viele Menschen fahren an Weihnachten mit sehr gemischten Gefühlen zu ihren Eltern nach Hause. Wie ist das bei Ihnen?

Mein Vater ist ja leider vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Jetzt trifft sich der Rest der Familie bei meiner Mutter, oder bei einem von uns Brüdern.

Und, wie feiert man bürgerlich bei den Väths?

In meiner Kindheit gab es immer zuerst Kartoffelsalat mit Würstchen, und anschließend ging’s ins Wohnzimmer zum Christbaum, dort haben wir ,O Tannenbaum‘ und ,Stille Nacht‘ gesungen, und dann kam die Bescherung. Heute machen wir das – bis auf die Würstchen – wieder genauso. Meinen 17 Monate alten Sohn werde ich beim Singen vorm Tannenbaum im Arm halten, und vielleicht kommt auch wieder ein kleines oder größeres Ohhh aus seinem Mund. Spätestens um Mitternacht muss ich dann aber los zu meinem traditionellen Weihnachts-Set, in meinem Club Cocoon. Und man mag es nicht glauben: Wir haben am Weihnachtsabend immer volles Haus . . .

Eben – weil viele Menschen dann auch gerne wieder von zu Hause flüchten . . .

Ich kann verstehen, dass man nach dem familiären Teil noch mal weggehen will, um Spaß zu haben und Freunde zu treffen. Aber gerade in Indien habe ich auch gesehen: Familie ist das höchste Gut. Bei uns wird nicht mehr ganz so gerne geteilt, oder auch mitgeteilt. Ich bin zwar selbst mit sechzehn nach Ibiza abgehauen, hab’ mir dort aus Strandliegen ein Lager im Pinienwald gebaut und bin dann jeden Abend feiern gegangen. Aber nicht, weil es mir zu Hause schlechtging. Das war eher Fernweh. Damals gab es noch keine Handys. Also habe ich mich jede Woche mal am Münztelefon gemeldet: Mutti, mir geht es gut!

Kurz vorher hatten Sie angefangen, aufzulegen: in der Diskothek Ihrer Eltern.

Genau, dem ,Queens Pub‘ in Frankfurt. Bei uns tanzten die Gäste zu Marianne Rosenberg, Fats Domino oder auch Diana Ross. Irgendwann sagte Mutti: Mach du mal. Meine Eltern zogen mich und meine zwei Brüder auch schon mal nachts um drei aus unseren Stockbetten: ,Ihr kommt jetzt raus.‘ Da saßen wir dann verpennt auf der Couch, während Vater und Mutter eine Rock’n’Roll-Platte auflegten und vor uns tanzten. Die waren gut drauf.

Scheint in der Familie zu liegen. Haben Sie nicht manchmal Angst vor dem Älterwerden?

Nein. Meine Eltern haben mir ja vorgelebt, dass man bis ins Alter mit Liebe dabei bleiben kann. Beide haben sie nichts geschenkt bekommen: Sie lernten sich in einem Auffanglager für Flüchtlinge kennen, mein Vater war ständig am Arbeiten, meine Mutter hat ganz jung schon drei Söhne bekommen. Gleichzeitig sind sie leidenschaftlich gerne Rock’n’Roll tanzen gegangen. Die haben sämtliche Preise abgeräumt und von dem Ersparten ihren Traum von der eigene Diskothek verwirklicht.

Erklären Sie jüngeren DJs denn auch, wie man in Würde auf der Kanzel altern kann? Sie plagen sich ja seit einigen Jahren mit einem Tinnitus herum. . .

Spätestens durch den Tinnitus habe ich gelernt, auf mich selbst zu hören, Ruhephasen einzulegen, mal längere Zeit keine Musik zu hören.

Noch mehr Tipps für den Nachwuchs?

Ich bin sehr diszipliniert: Nach der Sommersaison halte ich es vier Monate ohne Alkohol und Fleisch aus. Ich gehe viel joggen und versuche, mit mir selbst in Balance zu sein, meditieren hilft hier sehr. In meiner Winterphase versuche ich auch, direkt nach dem Set ins Bett zu gehen.Ich nehme nur Wasser und Säfte zu mir, außerhalb meiner Fastenzeit auch mal ein Glas Champagner. Was mir immer ganz guttut, ist, vor einem Gig noch mal eine Stunde zu schlafen und mich mit Atemübungen vorzubereiten. Zu der Ayurveda-Kur, die ich schon seit 16 Jahren an der Mosel mache, gehört auch, den Darm komplett zu entleeren – der Darm ist ja letztlich unser Kraftwerk. Wenn da was fehlt, schlägt das gleich auf deinen Energiehaushalt. Ich sage das oft zu Leuten, die müde sind: Check’ mal deinen Darm!

Klingt ja nicht mehr sehr hedonistisch. Früher haben Sie sich doch eher mit Kokain als mit ayurvedischer Kost aufgeputscht. . .

Damals bin ich neben The Cure, Kim Wilde oder Vanessa Paradis auf den ganz großen Bühnen aufgetreten. Koksen gehörte da einfach dazu. Erst die Geburt meiner Tochter Paulina hat mich zur Besinnung gebracht. Ich war gerade mal 24 Jahre alt, schaute mich selbst im Spiegel an und erkannte: Die Droge hatte mich vorlaut gemacht, aggressiv, von oben herab. Aber die ganze Szene benahm sich damals so. Als ich damit aufhörte, blieben mir kaum noch Freunde.

Sie schreiben die Entdeckung eines gesünderen Lebensstils auch einem Indien-Aufenthalt zu, oder?

Ich habe 1991 Hermann Hesses ,Siddharta‘ gelesen. Nach der Lektüre geisterten mir viele Fragen im Kopf herum, und ich wollte in Indien nach Antworten suchen. Ich reiste dort seither jedes Jahr drei Monate umher und entdeckte Ayurveda für mich. Was auf Sanskrit ,Das Wissen des Lebens‘ bedeutet und eine jahrtausendealte Heiltherapie-Kultur ist. Vor allem aber habe ich mich spirituell geöffnet. Ich besuchte hinduistische und buddhistische Tempel, habe mir die Totenverbrennungen angeschaut. Da ist man als Westler ja doch etwas schockiert. Bei einer Totenverbrennung an einem Hindu-Tempel wollte ich mich gerade wieder etwas betreten davonschleichen, als plötzlich ein Sadu neben mir stand: weißes Gewand, langer grauer Bart. Der hat zwei Stunden lang auf mich eingeredet: Schau dir das ruhig an, alles geht wieder in den Fluss des Lebens zurück. Das saß.

Sie haben sich das erste Mal bewusst der Tatsache gestellt, irgendwann sterben zu müssen?

Bei mir bewirkten diese Erfahrungen erst einmal eine Entschleunigung. Ich hatte in Indien aufgehört, eine Uhr zu tragen: Warum so viele Dinge anhäufen, alles in Rekordgeschwindigkeit erledigen, wenn wir doch eh sterben müssen? Ich schloss mich dann aber nicht den Hippies an, die in Goa ihren Tee selbst anbauen und von der Hand in den Mund leben. Mich faszinierte ein anderes Motto: Spirituality through Technology. Da gab es Anfang der Neunziger ein Label aus San Francisco, die haben T-Shirts mit Buddhas bedruckt, aber unter dem Buddha schimmerte ein Computer-Chip. Das verstand ich auf Anhieb. Ich hatte ja schon seit langem Ambient-Musik von Brian Eno, Ryuichi Sakamoto und David Sylvian gehört. . .

Eigentlich ist das doch das musikalische Gegenteil von dem, was Sie als Techno-DJ tun. Sie peitschen die Leute auf, wollen sie in Bewegung bringen. . .

Ich sehe da keinen so großen Gegensatz. Es hat ja schon was Hypnotisches, dass sich Leute dem DJ anvertrauen, der Musik voll und ganz hingeben, sich zusammen mit mir in eine Trance fallen lassen. Es gibt magische Momente in der Nacht, wo ich dieses kollektive Rauscherlebnis spüre: jetzt, hier und wir! Das hat etwas sehr Spirituelles.

Sind Diskotheken nicht auch Orte, wo man sich zudröhnt, kurzweilig unterhält und von der Realität abschottet?

Das kommt drauf an, ob man dauernd von hier nach dort zappt, oder eine Nacht lang einer Geschichte folgt, die der DJ erzählt. Viele junge Menschen haben ja schon ein Problem, sich mal ein ganzes Album anzuhören, nichts darf bei ihnen länger als eine Minute dauern. Dagegen wirkt meine Musik fast schon entschleunigend.

Werden Sie nostalgisch, wenn Sie an die Zeit denken, als Sie sich noch mit anderen DJs samstags im Plattenladen trafen und über neue Maxis diskutierten?

Also, diese Zeiten vermisse ich sehr. Heute kann man ja alles als Datenfile auf dem Computer anhören. Ich brauche allerdings die sinnlichen Rituale: Ein Cover öffnen, die Platte rausziehen, diesen Geruch aufsaugen, die Platte zurechtlegen, die Nadel aufsetzen. Das gibt es digital nicht. Oder dieser Duft, wenn man einen DJ-Koffer aufmacht, und noch einmal die Erinnerung an eine lange Nacht einatmet.

Und Sie fühlen sich nie alt, wenn Sie im Club stehen?

Überhaupt nicht. Zwar stehen – außer vielleicht Ricardo Villalobos, Tobi Neumann, Carl Cox, Gilles Peterson oder DJ Hell – nicht mehr so viele aus meiner Generation Nacht für Nacht hinterm Pult. Aber ich kann mich ja in punkto Altern an Typen wie Mick Jagger orientieren, den ich mal auf Bali kennenlernte. Der lebt heute ein ziemlich asketisches Leben, macht Yoga, kocht gesund und meditiert. Anders kannst du nicht mit 60 noch unter Starkstrom stehen.

Trotzdem komisch, ausgerechnet Sie von Disziplin reden zu hören.

Wenn man Dinge verstanden hat, dann muss man sich nicht mehr disziplinieren, dann macht man sie gerne. Weil man besser drauf ist.

Treffen Sie denn noch viele Gleichaltrige in den Clubs?

Dadurch, dass ich jetzt 30 Jahre unterwegs bin, habe ich mir auch ein eigenes Publikum erspielt. Leute, die mir musikalisch gefolgt sind, und vielleicht nur noch ein Mal im Monat ausgehen, die bestellen sich dann zu diesem Termin einen Babysitter. Oder sie gehen mitsamt ihren Kindern zu Festivals, wo schon nachmittags getanzt wird.

Die meisten Clubs lassen ihre berühmten DJs erst weit nach Mitternacht auftreten. Ist das nicht ein Versäumnis gegenüber den älteren Musikfans, die dann schon todmüde sind?

Mit dem Konzept unseres Cocoonclubs habe ich ausdrücklich versucht, auch die Älteren zu erreichen. Menschen, die Lust haben, essen zu gehen und ein gutes Glas Wein zu trinken, und die anschließend tanzen wollen, ohne dafür noch mal extra ins Taxi zu hüpfen. Das ist uns mit unseren Restaurants und unserem Sterne-Koch Mario Lohninger ganz gut gelungen. Allerdings kommen manchmal ältere Gäste zu mir, die Berührungsängste mit der Welt der Jungen haben. Ich sage dann immer: schade, dabei hast du doch Spaß an der Musik.

Sie wirken auch im Gegensatz zu vielen Altersgenossen noch recht jugendlich. Achten Sie sehr auf Ihre Erscheinung?

Wenn du auf die Bühne gehst, musst du das. Einerseits tanze ich nach wie vor gerne. Andererseits mache ich viel Fitness – auch weil ich gerne gut esse und auch mal ein oder zwei Flaschen Wein dazu trinke.

Oder Schokolade. Wir haben ja hier schon fast einen ganzen Teller Ihrer Lieblings-Pralinen weg gefuttert. . .

Ich werde auf gute Schokolade nie verzichten können. Dafür gehe ich, so oft es geht, im Park laufen, trainiere zweimal die Woche mit meinem Personal Trainer.

Haben Sie eigentlich noch eine Ahnung, was Ihre 18-jährigen, mit Soundfiles arbeitenden DJ-Kollegen auf die Tanzflächen loslassen?

Neue Musik ist in meinem Leben nach wie vor das Wichtigste. Oft hören meine Frau und ich zusammen neue Alben wie ,50 Words for Snow‘ von Kate Bush oder ,Swim‘ von Caribou. Kennen Sie das? Da haben wir das ganze Jahr dazu gesungen und getanzt. Zusammen mit anderen Eltern organisieren wir manchmal am Wochenende ein Nanny-Programm und gehen dann alle gemeinsam in den Club. Das Tanzen darf man sich durch die Kinder nicht nehmen lassen.

Teilen Sie Ihre Musikbegeisterung auch mit Ihrer 22-jährigen Tochter?

Wenn die tanzen will, dann kommt die zu mir in den Club. Aber weil sie in Bensheim wohnt, sehe ich sie relativ selten. Hört Ihre Familie denn Ihre Musik?

Mein 17-jähriger Sohn kreuzt schon manchmal mit einem Dutzend Freunden in einem Club auf, in dem ich alten Soul auflege. Zumindest für ein Bier lang.

Bei mir ist das eher meine Mutter, mit der ich überall rechnen muss. Die reserviert im Restaurant zwei Tische für ihre Freundinnen – und geht anschließend ins Cocoon runter zum Tanzen. Bis vier Uhr morgens. Manchmal stellt sie sich auch mit mir auf die Kanzel, wartet, dass ich mal auf die Toilette gehe, damit sie endlich das Mischpult übernehmen darf. . . Und dann gibt sie richtig Gas.

Sven Väth, 1964 in Offenbach geboren, gehört seit 30 Jahren zu den weltweit gefeierten Pionieren und DJ-Stars der Techno-Musik. Seit Anfang der 80er Jahre stand er in In-Clubs wie dem Frankfurter Dorian Gray oder Vogue hinter den Plattentellern. Gleichzeitig machte er auch als Musiker und Sänger von sich reden. 1985 erreichte die von seinem Projekt Off produzierte Nummer „Electrica Salsa“ die Spitze der deutschen und vieler europäischer Charts. Väth tourte in der Folge mehrfach rund um die Welt. Von 1988 an führte er zehn Jahre lang seinen eigenen Techno-Club in Frankfurt, das Omen. Später kamen ein eigenes Label und eine eigene DJ-Bookingagentur dazu. 2004 eröffnete Väth die aufwendig eingerichtete Party-Location Cocoon, zu der auch zwei Restaurants und der Gault Millau Sterne-Koch Mario Lohninger gehören. Gerade ist auf Cocoon Recordings das Album „Sven Väth In The Mix – The Sound Of The Twelfth Season“ erschienen. Väth lebt mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn in Frankfurt.
SZ 24.12.2011

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