Mister Funk von der Isar: Um den Tubaspieler Wolfi Schlick und die Express Brass Band hat sich eine weltweit beachtete Fusion-Szene gebildet

Als die Dap-Kings, einstige Begleitband von Amy Winehouse, vor kurzem in München gastierten, löcherte Bandleader Neil Sugarman die Journalisten: „Wo ist Wolfi Schlick? Wer hat seine Handynummer?“ Der Münchner Allround-Bläser hatte vor Jahren in Zuckermans Studio in Brooklyn Querflöte und Tuba gespielt, Songs für den New Yorker Rapper Mr. Lif, die Dap-Kings und die Whitefield Brothers geschrieben – und somit den Ruf der Isarmetropole als heiße Suppenküche für Funk-Fusionen aller Art gefestigt. Nun sollte er special guest von Sharon Jones und den Dap-Kings sein. Wolfi Schlick aber hatte für diesen Abend schon einen anderen Auftrag angenommen: Mit seiner Express Brass Band spielte er im Westend bei der Eröffnung eines sozialen Wohnbauprojekts. Aus „Verpflichtung der guten Sache gegenüber“. Und – wie so oft – für lau. Tatsächlich hört man das mächtige Gebläse der Express Brass Band überall dort in München, wo es um Nachbarschaftshilfe und Solidarität geht. Etwa auf der St. Martinsfeier einer Kinderinitiative, einer Studenten-Demo oder einem Asylanten-Benefiz. Dann wird selbst in München auf der Straße getanzt.

„Für mich“ erklärt Schlick, „gehört es zum Ethos einer Brassband, nicht nur auf Hochzeiten und Partys zu spielen. Sondern auch denen Gehör zu verschaffen, die sonst nicht gehört würden.“ Der Bandleader entkorkt einen Rotwein. In Schlicks Schwabinger Altbauwohnung – ein Labyrinth aus Antiquitäten und einem Haufen alter Instrumente – laufen die Fäden der Münchner Funk-Szene zusammen. Das Handy klingelt alle paar Minuten: 15 Musiker der Express Brass Band müssen zusammengetrommelt werden. „Das übliche Chaos“, sagt Schlick und lächelt. Es ist beinahe unmöglich, sich in der Münchner Livemusik-Szene zu bewegen, ohne diesem freundlichen Schwärmer mit der James-Last-Frisur und der Vorliebe für 70er-Jahre-Spitzhemdkrägen zu begegnen. Stellt Schlick doch das Bindeglied zwischen einem Dutzend renommierter Münchner Bands, bläst er von Embryo bis zu Radio Citizen, von den Malcouns bis zum La Brass Banda-Ableger Monobo Son wahlweise in Saxophon, Tuba oder Querflöte; wenn in der Bandbeschreibung das Wörtchen Funk vorkommt, ist er jedenfalls der richtige Mann. Ein Diplomat, Stil-Jongleur, Alleskönner.

„Nachdem ich 1991 ein Jahr lang in England in einer Brassband auf Demos und Tanzveranstaltungen mitspielte, dachte ich mir: Warum gibt es so etwas nicht in München?“ Zusammen mit dem Trompeter Zsolt Tokay trommelte Schlick Freunde und Freunde von Freunden zusammen. Fertig war das, wie Schlick nicht ohne eine gewisse Ironie vermerkt, „superbasisdemokratische Anarcho-Ensemble“. Manchmal stünden ein halbes Dutzend Meinungen gegeneinander. Und die Besetzung? Nie vorhersehbar. Da fangen Konzerte mit einem Quintett an, während der Rest der Musiker nach und nach per Fahrrad und Straßenbahn eintrudelt, um schließlich in einer gewaltigen Big Band das Finale zu blasen. Schlick hält die Express Brass Band für ein musikalisches wie soziales Experiment: „Niemand kann hier viel Geld oder Karriere machen. Nur der kollektive Spaß zählt.“

Diesen Spaß aber hört man der Wucht der Bläser an: Wenn der Bandleader aus dem Trichter seines Helikons einen synkopierten Basslauf hinausdrückt, der Perkussionist losfeuert, Posaunen, Saxophone und Trompeten im schrägen Unisono einfallen – dann rückt München plötzlich ein ganzes Stück näher an Lagos, Marrakesch oder New Orleans.

Dass Schlicks Konterfei noch nicht auf Plakaten klebt, hat einen Grund: Er fühlt sich im Hintergrund am wohlsten. Stellt den musikalischen Anspruch über die Karriere. Eine neue Platte der Express Brass Band? Eine Anfrage der Plattenfirma gebe es seit Jahren, „aber irgendwie bin ich nie richtig zufrieden mit unseren Aufnahmen“. Über so viel Selbstbescheidung kann man den Kopf schütteln. Oder sie als konsequente Haltung der Münchner Funk-Szene verorten: Underground bleiben. Als Geheimtipp ungestört vor sich hin experimentieren. Fragt man etwa den kalifornischen Hip-Hop-Produzenten Madlib, den Londoner DJ-Propheten Gilles Peterson oder auch Will Holland von der englischen Funk-Formation Quantic, dann kocht in der Isarmetropole gerade eine der weltweit interessantesten Funk-Fusion-Süppchen vor sich hin, gilt „made in Munich“ als untrügliches Gütesiegel. Ein amerikanisches Webzine fand in unserer Stadt gar „uralte tribalistische Rituale, wieder belebt von Männern, deren eigene Götter staubige alte Vinylscheiben darstellen“. Schlick gehört zu diesen Männern.

Er blies vor zwei Jahrzehnten bereits mit den Poets of Rhythm: Die Band arbeitete schwer konspirativ, veröffentlichte meist nur auf Vinyl oder Single. Und erhielt wohl gerade deswegen den Segen der weltweiten Hipster-Gemeinde. Das erste Album der Poets of Rhythm jedenfalls löste 1992 eine weltweite Rückbesinnung auf die schwarze Musik der sechziger und siebziger Jahre aus. Jan Weissenfeldt, sein Bruder Max, Boris Geiger, Thomas Wieland und Wolfi Schlick bildeten den Kern einer Truppe, die mit Instrumenten und Verstärkern aus der damaligen Zeit den verrauschten, schmutzigen Groove von James Brown oder den Meters nachempfinden wollten. Und vom Epigonentum zum Experiment fortschritten. Als der Westcoast-Rapper Lyrics Born in einem Second-Hand-Laden eine ihrer Singles fand, glaubte er, die „tighteste Funkband der Welt“ gefunden zu haben und lud sie zu sich ins Studio. Später saugten Schlick und die Gebrüder Weissenfeldt auch Afrobeat und Ethno-Jazz-Klänge auf: Der Funk von der Isar ist heute der Vorreiter der Globalisierung – zumindest was die Vielfalt der Grooves und Rhythmen betrifft.

Daran ist nicht zuletzt der Einfluss einer anderen Münchner Band-Institution schuld: Embryo. Die Krautrock-Pioniere nahmen Nachwuchsmusiker wie Wolfi Schlick und Max Weissenfeldt mit auf ihre weltweiten Tourneen. Diese Begegnung, erinnert sich Schlick, habe den zündenden Funken gebracht: „Ich war nicht nur von der Virtuosität der Truppe erschüttert. Sondern vor allem von ihrer Offenheit: Sie suchten ständig nach dem Neuen, Unerhörten – und ließen dabei Greenhorns neben Weltklasse-Musikern spielen.“ Schlick selbst wurde diese Einstellung zum Ansporn, keinem Wagnis aus dem Weg zu gehen. „Als wir einmal ein paar Abende hintereinander ein ähnliches Set spielten, frotzelte Embryo-Boss Burchard etwas von ‚Polizeikapelle‘“. Schlick lacht. „Das hat gesessen.“

Im Moment experimentiert er zusammen mit Bläserkollege Niko Schabl in Radio Citizen, einer Fusionband, deren düstere Grooves in der amerikanischen Serie „Californication“ liefen und die weltweite DJ-Avantgarde entzückten. „Irgendwann“, daran glaubt Wolfi Schlick ganz fest, „wird das Echo aus Berlin, New York oder San Francisco zum Alpenrand zurückschallen.“ Bis dahin aber wird er weiterhin mit der Express Brass Band durch Uni-Feste, Benefiz-Partys und Lesungen tingeln. Und jeden Sonntag Nachmittag am Monopteros proben. Unter freiem Himmel. Mit jedem, der sein Instrument dabei hat. Und „den Funk versteht“.
JONATHAN FISCHER
SZ, 11.4.2012

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