Adieu Europa! „Da werde ich gebraucht“: Die Kulturmanagerin Ken Aicha Sy kehrt in ihre Heimat Senegal zurück

Eines hält Ken Aicha Sy der Stadt Paris bis heute zugute: „Ich war ein großartiges kulturelles Programm gewohnt, jeden Tag konnte ich zwischen Museen, der Oper, Konzerthallen und Kinos wählen. Und dann erst die fantastischen Bibliotheken.“ Vier Jahre lang lebte die junge Senegalesin an der Seine. Dank einer doppelten Staatsbürgerschaft – ihr Vater ist ein senegalesischer Maler, ihre Mutter eine französische Journalistin – brauchte sie dazu nicht mal ein Visum. Sie studierte Kunstgeschichte und Innenarchitektur, verbrachte jedes zweite Semester mit praktischer Arbeit im Kulturmanagement.

  Dass sie einmal freiwillig nach Senegal zurückkehren würde, das war, trotz mancher rassistischer Anfeindungen, lange undenkbar. Bedeutete eine Rückkehr nicht den sozialen Abstieg, finanzielle Einbußen, das Stigma das Scheiterns? So zumindest denken bis heute Tausende senegalesische Jugendliche, die wie Ken Aicha Sy auf der Suche nach besseren Bildungs- und Karriere-Chancen ihr Land verlassen. Migration, sagt die 29-Jährige, sei für Afrikaner viel selbstverständlicher als für Europäer: „Das gehört hier einfach zum Erwachsenwerden. Wer das Geld für ein Busticket hat, sucht sich einen Job in Abidjan. Und die Mittelklasse-Kinder schielen selbstverständlich alle Richtung Europa.“

Wer Ken Aicha Sy in ihrem kleinen Häuschen am Rande des Universitätsviertels von Dakar besuchen will, sollte dem Taxifahrer am besten das Handy geben. Ein energischer Wolof-Wortschwall lotst ihn bis zu einem Trafo-Häuschen am Rande einer Ausfallstraße. Dort wartet sie. Ken Aicha, die Kriegerin. Das markante Gesicht rahmen Kreolen und ein bunter Turban. Wäre da nicht die Spur eines Lächelns, ihre stattliche Erscheinung könnte furchterregend wirken. Sy, die sich den Mohawk-Namen Akacha als Alias zugelegt hat, käme das wohl gar nicht ungelegen: „Ich verstehe mich als Untergrundkämpferin. Denn Kultur hat Innovations-Potenzial. Sie hat politische Sprengkraft“.

  Sys Smartphone vibriert ständig: „Sind die Plakate für das Hip-Hop-Konzert fertig? Habt Ihr auch die Modemacher, Graffiti-Künstler und Tänzer mit drauf?“ Die Kultur-Managerin zündet sich die erste von vielen Zigaretten an, schnippt die Asche lässig auf einen Unterteller. Ihre Wohnung ist eine Mischung aus Künstler-Bibliothek und Museum: An den Wänden hängen afrikanische Plastiken und abstrakte Bilder. Zwischen den Kunstkatalogen auf dem Wohnzimmertisch zeigen Aufkleber den Schattenriss einer Frau mit Irokesen-Frisur. So vermarktet sich Ken Aicha Sy als Akacha – als kunstsinnige Amazone im Stil von Grace Jones.

„Senegal braucht mich mehr als Frankreich“, sagt Akacha Sy. Die Verwandlung der Pariser Kunststudentin zur „Revolutionärin der senegalesischen Kultur“, wie sie das Internet-Magazin Slateafrique betitelte, begann mit dem Besuch des Festival des Art Nègres in Dakar: „Ich sah eine vitale Szene junger Weltklasse-Musiker, Maler, Tänzer, Autoren und Filmemacher. Warum hatte ich noch nie von ihnen gehört? Bei allem Enthusiasmus waren sie weder miteinander vernetzt noch hatten sie eine Ahnung von Vermarktung.“ Das war im Jahr 2010. Sy blieb, sie wollte dieses Kommunikations-Loch stopfen. In Paris hatte sie einen Job in Aussicht, stattdessen entschied sie sich für eine unsichere Existenz, in der sie vier Tage die Woche Büro-Jobs bei einer Werbeagentur erledigt, um ihre Miete zu zahlen. „Senegalesen sind gute Geschäftsleute“, erklärt Akacha Sy ihre Wahl fast entschuldigend. „Sie arbeiten hart, bauen Unternehmen auf, zahlen Steuern, niemand von ihnen geht wegen der Sozialhilfe nach Europa.“ Die Emigranten schickten Millionen zurück in ihre Heimat. Doch noch mehr als Investitionen brauche Senegal ihr Know-how. Dakar strotze vor Kreativität.

Mit Kultur-Management kannte Sy sich aus. Sie gründete den Blog Wakh’art und begriff sich fortan als Entwicklungshelfer. Wakh’art, das heißt auf Wolof „über Kunst sprechen“. In dem Webzine finden sich Kunstkritiken, Künstler-Porträts wie auch ein tägliches Kulturprogramm für Dakar. Ziel ist es, die international beachtete Kunstszene der Stadt endlich systematisch zu kartografieren. Das Ergebnis: Bisher hat sie mehr als 700 Interviews mit Kunstschaffenden hochgeladen, darunter sind Maler, Fotografen, Bildhauer, Tänzer, Filmemacher, Musiker und Rapper. „Ich vernetze sie untereinander und gebe Anstoß für Gemeinschaftsprojekte“, sagt die Kultur-Amazone. Es klingelt an der Haustür. Ein befreundeter Webdesigner kommt für das tägliche Update vorbei. Im Gefolge hat er ein paar Studenten und Künstler, die Material für eine Zeitschrift suchen. Akacha Sy scheint das ständige Kommen und Gehen zu genießen. „In Paris hätte sich mein Leben um meine Arbeit, meine Wohnung, meine persönliche Entwicklung gedreht“, sagt sie. „Hier aber kann ich was für die Evolution der Gesellschaft tun“.

Senegal habe kaum Bodenschätze, resümiert Sy und schenkt von ihrem selbstgemachten Mango-Saft nach. „Unsere wichtigste Ressource ist unsere reiche Kultur.“ Zusammen mit anderen Remigranten hat Sy das Musiklabel Wakh’art Music gegründet, in Senegal lassen sich nämlich viele Künstler noch allzu häufig von Verwandten und Freunden managen. „Die treffen oft impulsive Entscheidungen, anstatt einen langfristigen Karriere-Plan zu verfolgen.“ Doch immer mehr Senegalesen merkten, dass Kunst eine essenzielle Rolle für die Weiterentwicklung der Gesellschaft ihres Landes spiele. Auch die Touristen kämen nicht mehr nur für einen Strandurlaub – sondern weil sie von Musikern und Rappern wie Xuman oder Carlou D, von Fotografen wie Ibrahima Thiam oder Djibril Dramé oder den mystischen Freiluft-Installationen von Joe Ouakam gehört haben.

 Allerdings dürften sich die Kulturschaffenden keine Unterstützung vom Staat erwarten. Sie müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen oder ausländische Sponsoren gewinnen. So haben die Rapper von Africulturban mit Unterstützung der US-Botschaft eine Hip-Hop-Akademie in einem armen Vorort von Dakar aufgebaut, wo Jugendliche Scratchen und Studiotechnik, Event-Management und Buchhaltung lernen. Die Bürgerbewegung Y’en a marre hat in ihre Graswurzel-Kampagnen für ein gerechteres Senegal Künstler mit eingebunden. Sie alle bemühen sich darum, Chancen zu schaffen. Den Jugendlichen, denen der traditionelle Fischfang und Ackerbau nicht mehr genug zum Überleben einbringt, Hoffnung zu geben, ihnen Alternativen aufzuzeigen zur lebensgefährlichen Reise in Richtung Europa.

Akacha Sy differenziert zwischen Migration und Auslandsaufenthalt: Wer es sich leisten könne, sagt sie, solle es ihr nachtun und sich für eine Uni in Europa bewerben. Denn angesichts einer örtlichen Kunsthochschule, in der die Studenten weder Mal-Papier, noch Fotoapparate oder Fachbücher vorfinden, sei ein Auslandsstudium die beste Entwicklungshilfe – inzwischen sei auch die wachsende senegalesische Mittelklasse bereit, Geld für Kultur auszugeben. Deshalb appelliere sie an all die jungen Menschen die für eine Ausbildung nach Europa gehen: „Kommt zurück. Gründet ein Unternehmen in Senegal. Das kann funktionieren.“

Natürlich bedeute zurückzukehren, auch Opfer zu bringen. In Senegal gebe es nun mal keine Stellen, wo ein Master-Abschluss entsprechend entlohnt werde. Andererseits: Warum solle man den Europäern die Abschöpfung der kulturellen Ressourcen überlassen? Dafür sei es notwendig, ein Bewusstsein für den Stellenwert der Kunst zu schaffen. „Die meisten jungen Leute in Senegal können sich schwer vorstellen, dass es sich lohnt, etwas anderes zu studieren als Jura, Medizin oder Management. Viele Kinder hier wachsen auf, ohne jemals mit Kunst in Berührung zu kommen.“ Sy hat deshalb ein städtisches Programm etabliert, mit dem sie Kunstunterricht an die öffentlichen Schulen bringt. „Ich gebe eine Idee an diejenigen weiter, die unsere Zukunft gestalten“, sagt sie. „Ohne Kultur gibt es keinen Wohlstand!“J

JONATHAN FISCHER

SZ 25.3.2017

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