SCHATTEN IM GELOBTEN LAND Black Power in Tel Aviv: Der äthiopisch-jüdische Popstar Gili Yalo macht sich in Israel für afrikanische Migranten stark und gibt mit seinem Ethiojazz den Ungeliebten eine Stimme

 

Selbst in Tel Aviv, wo einige Stadtteile im Süden fast wie ausgelagerte Viertel einer afrikanischen Großstadt wirken, fällt das auf. Äthiopische Frauen mit fein geschnittenen Gesichtern und aufwendigen Frisuren drängen sich vor der Bühne des Barby Club. Zupfen ihre Kleider zurecht. Schwenken ihre Smartphones. Dann gellendes Jubeln, als ihr ureigener Superstar ans Mikrofon tritt: Gili Yalo, ein schlaksiger Typ, der mit seinem Afro und dem engen, bunt gemusterten Hemd wie ein Wiedergänger eines afroamerikanischen Soulpropheten der Siebzigerjahre wirkt.

Die Gitarre gibt ein Funk-Riff vor, Bass und Schlagzeug fallen in einen dieser vorwärtsstolpernden ostafrikanischen Beats, während Orgel und Bläser düstere Moll-Figuren übereinandertürmen. „Fek’er“, singt Yalo, so nennen Äthiopier die Liebe, und seine Fans singen mit, egal ob hebräisch, englisch oder amharisch. Bis auf die Backgroundsängerinnen und den Saxofonisten sind alle Musiker weiß. Im gedimmten roten Licht des Clubs aber spielt das keine Rolle. Gut fünfhundert Fans haben sich unter dem hohen Wellblechdach des Barby versammelt – Hip-Hop-Teens, Frauen in Miniröcken und bärtige Hipster aller Hautfarben.

„Für uns schwarze Juden“, hatte Yalo in der Garderobe gesagt, „galt es lange, sich anzupassen, höflich zu sein, die Klappe zu halten. Das hat sich erst in den letzten vier, fünf Jahren geändert.“ Entschlossenes Nicken. Abklatschen mit den Mitmusikern.

Yalos PR-Kampagne für sein erstes Album bei Dead Sea Recordings läuft seit Monaten. Er ist in fast jeder nationalen Fernsehshow aufgetreten, tourte von Tiberias im Norden bis Dimona in der Negev-Wüste durch alle Städte Israels. „Irgendwann müssen sie mir zuhören“, sagt er. Sein Sendungsbewusstsein ist so spürbar wie die Hitzestrahlung einer Motorhaube.

In Tel Aviv gibt er ein Heimspiel. Die Stadt bildet innerhalb des kleinen Landes eine Blase. Seine Bewohner müssen sich vom Rest oft als liberale, linke Spinner beschimpfen lassen. „Selam“, Frieden, heißt Yalos Mitsing-Hit. Wer seine Geschichte kennt, der weiß, dass sich dieses Wort nicht nur auf das Verhältnis von Israelis und Palästinensern bezieht. „Würde ich die selben Texte auf Hebräisch singen“, sagt Yalo, „würden mich die Leute als naiv auslachen. Aber auf Amharisch bekommt alles eine tiefere Bedeutung.“

Bis vor kurzem verstand der 36-jährige Sänger die Sprache seiner Eltern kaum. Er verfluchte sie regelrecht. „Meine Eltern durften mit mir nur hebräisch reden. Und wenn daheim Popsongs aus der alten Heimat liefen, hielt ich mir die Ohren zu.“ Rückständig fand er das. Zum Schämen. Yalo jedenfalls wollte alles Äthiopische ablegen, um ein „Super-Israeli“ zu werden. Hatte man ihn nicht hierhergeholt? Waren sie, die andere abwertend „Falaschen“ schimpfen und die sich selbst als Beta Israel bezeichnen, nicht demselben jüdischen Glauben verpflichtet? Mehr als 120 000 äthiopischstämmige Juden leben heute in Israel. Und zumindest was die Religion betrifft, haben sie ihre Pflicht übererfüllt.

„Ich wurde zu Hause sehr streng erzogen“, sagt Yalo, „Die Regeln meiner Eltern, waren die Regeln, die die äthiopischen Juden seit über 2000 Jahren überliefert hatten. Die Neuerungen des Talmud hatten uns nie erreicht.“ Lange blieben die schwarzen Juden kaum sichtbar. Erst in letzter Zeit tauchen äthiopische Gesichter als Fernsehsprecher, Talkshow-Moderatoren, Entertainer auf. „Wir haben leider ein Rassismus-Problem“, sagt Yalo. „Egal, wie sehr wir uns anstrengen. Für manche Leute sind wir nicht mehr als Schatten.“

Yalo erzählt seine Geschichte bei einem eisgekühlten äthiopischen Import-Bier Marke Raya in der Shisha-Bar eines Freundes. Strohmatten, Plastikmöbel und Flachbildfernseher. Es ist eines der typischen Einwanderer-Lokale im Stadtteil Neve Sha’anan. Nirgends wirkt Tel Aviv afrikanischer. In den heruntergekommenen zwei- bis dreigeschossigen Gebäuden rund um den südlichen Busbahnhof reihen sich sudanesische Friseure, eritreische Kramläden und äthiopische Bars aneinander. Auf der Straße hocken Gruppen von Afrikanern um Shisha-Pfeifen herum. „Die Migranten leben zusammengepfercht“, sagt Yalo, „weil sie sich die Mieten in den besseren Vierteln von Tel Aviv nicht leisten können.“ Mehr als die Ghettoisierung aber nervt ihn die staatliche Politik. Die Regierung unter Premierminister Netanjahu habe im November eine neue Abschiebe-taktik verkündet. Nichtjüdischen Flüchtlingen droht demnach der Entzug der Arbeitserlaubnis und die Abschiebung in Wüsten-Camps. Von dort aus sollen 40 000 Eritreer und Sudanesen notfalls auch gegen ihren Willen nach Uganda und Ruanda abgeschoben werden. „Wir vergessen unsere eigene Geschichte“, schimpft Yalo, Worte, die er bei jedem Radioauftritt wiederholt: „Ist Israel nicht einmal als Hafen für die Vertriebenen gegründet worden?“

Auch für ihn hatte alles mit einer Flucht angefangen: Yalo war als Vierjähriger mit seinen Eltern vor einer Hungersnot aus der äthiopischen Heimat in den Sudan geflohen. Viele überlebten die wochenlangen Märsche nicht. 1984 organisierte die israelische Regierung die „Operation Moses“. Die geheime Luftbrücke holte Yalos Familie zusammen mit weiteren 8000 äthiopischen Juden aus dem Sudan nach Israel. Bei ähnlichen Aktionen kamen bis Mitte der Neunzigerjahre insgesamt gut 30 000 Angehörige des verlorenen jüdischen Stammes Dan „heim“.

  Die Legende besagt, dass sie einst wegen Landstreitigkeiten aus dem heutigen Israel Richtung Afrika ausgewandert seien. Schriftliche Überlieferungen berichten außerdem von Menelik, dem Sohn von König Solomon und Königin Saba, der 980 vor Christus das Kaiserreich Abessinien gegründet und die Bundeslade mit den Zehn Geboten von Jerusalem ins heutige Äthiopien gebracht haben soll. Erst 1975 akzeptierte das israelische Rabbinat die Beta Israel als „amtliche“ Juden.

Yalo lernte im Eilverfahren Hebräisch, besuchte israelische Schulen und leistete seinen Militärdienst ab. Statt zum Frontdienst wurde er zur Unterhaltung der Truppe eingeteilt. „Immer wieder bat man mich, etwas aus meiner alten afrikanischen Heimat singen. Aber mir war das nur peinlich.“ Yalo suchte zwar schwarze Idole. Aber in Afrika glaubte er sie nicht zu finden.

Stattdessen übernahm er die Haltung afroamerikanischer Rapper. „Ich suchte wie so viele Immigranten erst einmal den materiellen Erfolg.“ Zusammen mit Freunden eröffnete er eine Hip-Hop-Disco in Tel Aviv. „Drei Etagen, ein Indoor-Pool, und dicke Autos auf dem Parkplatz.“ Nebenbei versuchte er sich an hebräischem Gangsta-Rap. Bis er auf der Straße eine Bob-MarleyKassette fand, sich dessen „One Love“-Message zu eigen machte und das Zvuloon Dub System gründete. Versuchsweise gab er – der Rasta-Kult um Abessinien und Kaiser Haile Selassie war ihm nicht entgangen – ein wenig äthiopische Musik in den Mix. Wenig später erhielt er eine Einladung zum größten Musikfestival Jamaikas. Als erster Israeli. Yalo fühlt sich bei aller Ehre verwirrt: „Viele Jamaikaner wollten partout nicht verstehen, dass ich ihren Rastaglauben nicht teile. Und Äthiopien für mich kein Märchenland ist.“

Ein politischer Skandal brachte Gili Yalo zu seinen Wurzeln zurück: 2013 hatte die Stadt Kirjat Mal’achi ein geheimes Abkommen mit örtlichen Immobilienmaklern getroffen, nicht an die ungeliebten schwarzen Juden zu vermieten. „Ich war wütend. Und ich wollte meine Wut hinausschreien“.

Je mehr ihn Israel befremdet, umso mehr besinnt sich Yalo auf seine Wurzeln. Er lernt wieder Amharisch. Passt diese vergleichsweise nervöse und holprige Sprache in seine Grooves ein. Und besucht die äthiopische Musiklegende Abate Berihun in dessen Tel Aviver Studio. Dieser führt Yalo erst einmal in die Geschichte des Ethio-Jazz ein. Dass der in den Sechzigerjahren von Typen wie Mulatu Astatke entwickelte Mix aus traditionell pentatonischer Musik, Soul und Jazz gerade zum Fetisch des westlichen Pop aufstieg, Hipster-Bands in London, München und New York mit diesem Sound kokettierten, während selbst Kanye West auf Ethio-Jazz-Samples setzte – das alles hatte Yalo kaum mitbekommen. Jetzt holte er sich die alten Kassetten seiner Mutter. Verdammt hip klang das!

Yalo war nun für einige der Videos zu seinem Album sogar nach Äthiopien zurückgekehrt, zum ersten Mal seit seiner Jugend. Er habe Angst davor gehabt. Aber dann fand er viel menschliche Größe in der alten Heimat. Yalo lacht, als er gesteht, sich vor europäischen Verehrerinnen schon mal als Jamaikaner ausgegeben zu haben. „Es ist immer ein Kampf, wer deine Geschichte erzählt,“ sagt er. „Aber ich habe beschlossen, niemanden mehr erklären zu lassen, wer ich bin und welchen Wert meine Kultur hat.“

JONATHAN FISCHER

SZ 5.2.2018images

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