Bobby Womack über Überleben

Dass Bobby Womack das Interview auf seinem Krankenbett im Encino Medical Center in Los Angeles führen muss, passt zu der Menge an Schicksalsschlägen, die er erlebt hat. Doch er spricht voller Lebenswut: selbstbewusst und mit einer verwitterten Stimme, der man endlos zuhören will. Womack redet, als ob es seine letzte Beichte wäre. „Das war kein Interview“, verabschiedet er sich hinterher. „Wir haben uns getroffen, um gemeinsam vom Leben zu lernen.“

von Jonathan Fischer

SZ: Hier ist es mehr als eine Floskel – wie geht es Ihnen, Mr. Womack?

Bobby Womack: Ich bin durch die schlimmste Prüfung meines Lebens gegangen.

Meinen Sie jetzt Ihre Prostata- und Darm-Operation? Oder fünf Jahrzehnte im Musikgeschäft?

Beides. Da fühlst du dich immer wie 28, und eines Tages wachst du auf und bist 68. In diesem Alter kannst du nicht mehr Muhammad Ali spielen, vor den Schlägen einfach davontänzeln. Bei mir wurden etliche Tumore gefunden, und einen Tag vor der Operation sagte der Arzt: Dieser Mann wird nicht wieder zurückkommen. Nun, ich habe wider Erwarten überlebt. Doch jetzt haben sie leider eine zweifache Lungenentzündung diagnostiziert.

Klingt, ehrlich gesagt, furchtbar.

Glauben Sie bloß nicht, dass ich Sie runterziehen will; ich bin einfach nur stolz darauf, mit meiner Situation umgehen zu können, denn früher wälzte ich mich gerne in meinem Leid. Heute sage ich: Ich bin ein Soul Survivor.

So nennt man in Ihrer Branche jemanden, der immer hart an der Kante gelebt hat. Sie haben den ersten Teil Ihrer Karriere auf Drogen verbracht, oder?

Ja. Auf meine Musik war ich schon immer sehr stolz, aber auf mein neues Album bin ich ganz besonders stolz, weil ich es nüchtern aufgenommen habe. Früher bin ich viel mit Soulstars wie Sly Stone und Billy Preston abgehangen, genau, da gehörten die Drogen zum Beruf. Sie waren gleichbedeutend mit Spaß. Bis ich dann mit ansah, wie die Drogen einen nach dem anderen umbrachten. Und irgendwann leistete ich dann meinen Schwur: Ich bin ein Soul Survivor, ich werde keine Drogen mehr anfassen. Und heute kommt mein High ganz allein von meinen Geschichten.

Sie waren als Sänger, Gitarrist und als Songschreiber erfolgreich, und jeder kennt Songs wie ,Across 110th Street‘. In den 80ern hatten Sie ein paar Hits, doch dann begann die Durststrecke, nicht?

Ja. Ich war die letzten zwei Jahrzehnte down and out. Ausgebrannt. Hatte mit dem Musikbusiness abgeschlossen. Und dann passierte mir das Beste, was mir überhaupt nur passieren konnte: Ich begegnete Damon Albarn. Ich kannte weder ihn noch seine frühere Band Blur, noch seine aktuelle, Gorillaz. Damon aber hatte meine Musik schon lange verfolgt. Dank ihm entdeckte ich, dass ich noch einen Reservetank hatte: ,Bobby, sing mir einfach deine Geschichte vor. . .‘ – und sobald ich wieder im Studio war, verflogen all die negativen Gedanken und Zweifel, die mich seit Jahren quälten. Ich komponierte schneller als je zuvor. Wie zu den Zeiten, als ich 16 war und ,It’s All Over Now‘ schrieb.

Das war der Song, der den „Rolling Stones“ ihren ersten Welthit lieferte, oder?

Ja, und das hat mich erst mal mächtig geärgert. Warum sollten die mit meiner Nummer bekannt werden und nicht ich?

Haben Sie dafür nicht einen 400 000-Dollar-Scheck eingestrichen?

Gut, das war tatsächlich eine Menge Geld. Aber mir hätte wohl noch weit mehr zugestanden. Mein Mentor, der Soulstar Sam Cooke, versuchte mich damals zu überzeugen, dass es meiner Karriere nicht schaden würde, auch für andere zu schreiben. Er sollte recht behalten. ,Midnight Mover‘ wurde ein Hit für Wilson Pickett, und auch von Janis Joplin, Aretha Franklin oder Chaka Khan sollte ich noch ein paar Schecks bekommen.

Damals begannen wilde, wirre Zeiten in der Musikbranche: Sam Cooke wurde 1964 erschossen, von der Managerin eines Motels, in das er mit einer Prostituierten eingecheckt hatte . . .

. . . und ich war am Boden zerstört.

Aber haben Sie nicht direkt drei Monate später seine Witwe geheiratet?

Doch, aber Sams Ehe war zum Zeitpunkt seiner Ermordung schon lange den Bach runtergegangen. Und niemand stand seiner Witwe Barbara näher als ich. So konnten wir uns gegenseitig trösten.

Das hat Sie beinahe Ihre Karriere gekostet, oder? Cooke war so etwas wie die Lichtgestalt der schwarzen Musikszene.

Die ganze Community ächtete mich, und die Radiostationen boykottierten meine Songs. Für mich war allerdings noch viel schlimmer, dass ich dauernd mit Sam verglichen wurde. Wie sollte ich jemals an diese Heldenfigur heranreichen? Ich fühlte mich dem Druck nicht gewachsen, fing an, Drogen zu nehmen.

Wie hielten Sie sich im Geschäft?

Ich war weiterhin ein sehr gefragter Gitarrist und Songschreiber, arbeitete mit James Brown, Ray Charles, Jimi Hendrix, Sly Stone, Jackie Wilson, Johnnie Taylor, Otis Redding und Marvin Gaye. Alle musikalische Genies, Pioniere des Rock’n’ Roll. Typen wie sie haben zu Lebzeiten nicht die gebührende Anerkennung bekommen. Sie mussten auf den weißen Markt schielen, und wenn sie kompromissbereit waren, verwehrten die Weißen ihnen den Zugang zu den großen Radiostationen.

Stieg beispielsweise Hendrix nicht auch zum Rock-Idol der weißen Kids auf?

Gut, aber die Art wie sie ihn dafür vermarkten, macht mich krank. Wenn Jimi wüsste, dass eine von ihm gespielte Gitarre heute für 200 000 Dollar verkauft wird, würde er wohl ein zweites Mal sterben. Ihm ging es nie ums Geld. Er war ein sehr bescheidener Mensch, das können Sie mir glauben, er hat mir seine erste Gitarre geschenkt, ein Billigteil, das er bei Sears & Roebucks gekauft hatte. Er hatte sie auf der Bühne zerbrochen. Man fing an, mir viel Geld dafür zu bieten, aber ich ließ sie lieber richten, um selbst darauf zu spielen. Es gibt Dinge, die darf man nicht verkaufen.

Wenn man Ihre Biografie liest, fragt man sich: Wie kann ein Mensch so viele persönliche Tragödien wegstecken?

Ja, Sam ist nur der erste in einer langen Liste von Menschen aus meinem Leben, die zu früh starben.

Ihr Bruder Harry wurde in Ihrer Wohnung von einer eifersüchtigen Freundin erschossen. Einer Ihrer Söhne erstickte als Baby. Ein anderer nahm sich als Teenager das Leben . . .

Grauenvoll. Hinzu kamen immer wieder Kollegen, die von einem auf den anderen Tag starben. Janis Joplin. Ich war – abgesehen von ihrem Dealer – der Letzte, der sie an ihrem Todestag zu Gesicht bekam, wir arbeiteten gerade an zwei Songs: ,Trust Me‘ und ,Mercedes Benz‘. . .

Der Song handelte von Ihrem Auto, stimmt’s?

Ja, ich fuhr damals einen Mercedes 600. Und während Janis mal drinnen saß, stimmte sie plötzlich diesen Song an – und ich sagte: Komm, lass uns das gleich aufnehmen. Damals fühlte ich mich noch wie auf der Überholspur. Ein künftiger Superstar in einem großen Schlitten. Bis ich merkte, dass Stars nichts anderes als Sterne sind, die vom Himmel fallen und sich in ordinäre Steine verwandeln.

Nach Joplins Tod zogen Sie zu Sly Stones Villa in Bel Air, um bei den Aufnahmen von dessen später legendären Album ,There’s A Riot Going On‘ mitzuwirken.

Das war dann wirklich nur noch ein einziger, großer Drogenzirkus. Aber ich schätzte Sly Stones Kreativität, seinen Wahnsinnsgesang. Genauso liebte ich diese arrogante Stimme von Wilson Pickett. Oder Marvin Gayes Mischung aus Sex und Schmerz. Ich arbeitete gerade mit ihm an einem neuen Album, als er von seinem Vater erschossen wurde.

Muss man vom Leben geschlagen sein, um als Songwriter und Soulsänger glaubwürdig zu sein?

Nein, man muss dazu nicht tausend Tragödien erleben. Das ganz normale Leben reicht aus. Du musst deine Geschichten mit dem gelebten Leben in Einklang bringen. Den Schmerz zulassen. Dann wächst du vom Entertainer zum Künstler heran.

Hat der Schmerz Sie auch auf Ihrem neuen Album beflügelt?

Am selben Tag, als ich mit Damon Albarn sein Londoner Studio betrat, lag meine 91-jährige Mutter im Sterben. Damon schlug mir vor: Willst du dir nicht ein paar Tage Auszeit nehmen? Aber ich lehnte ab. Was sollte ich auch in meinem Londoner Hotelzimmer tun, zumal meine Familie doch weit weg in Los Angeles lebt? Also ließ ich mich in die Emotionen hineinfallen, spürte, was ich spürte, und steckte das in meine Songs. Und eine Nummer habe ich meiner Mum gewidmet, der Frau, die dabei war, als wir Sam Cooke kennenlernten und mich die übrigen 60 Jahre meiner Karriere begleitet hat. Niemand wird je ermessen können, was ich durchgemacht habe, um diesen Song zu singen, und wie schwer jedes seiner Worte für mich wiegt. Er heißt ,Dayglo Reflection‘, und ich singe ihn im Duett mit Lana Del Rey.

Sie ist die Pop-Göttin dieser Tage, und über 40 Jahre jünger als Sie. Wie lief die Zusammenarbeit mit ihr?

Lana Del Rey erschien mir wie ein Bote des Himmels. Ein altvertrauter Engel. Wissen Sie, dass Lana und ich dasselbe Zeichen tragen? Ich hatte mal einen Traum: Dass mein Daumen und kleiner Finger schwarz lackiert wären. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber ich malte mir daraufhin meine Nägel entsprechend an. Und als ich Lana das erste Mal im Studio traf, fiel mein Blick auf ihre Hände: schwarz lackierter Daumen, schwarz lackierter kleiner Finger. So etwas ist kein Zufall!

Soulmusik erlebt gerade einComeback, dank Sängerinnen wie Amy Winehouse, Joss Stone oder Adele . . .

Welche Namen nannten Sie da zuletzt?

Adele. Eine Britin, weltweit erfolgreich und auf demselben Label unter Vertrag wie Sie.

Adele – ja, mir hat jemand von ihr erzählt. Von Lana hatte ich zuvor noch nie etwas gehört. Aber wissen Sie: Ich verfolge die Pop-Charts seit 20 Jahren nicht mehr. Ich stehe nun mal für Soul, die großartigste Musik überhaupt, und wissen Sie, warum? Weil sie dich mit deiner Seele verbindet. Es ist eine Sache, eine gute Show abzuliefern. Da siehst du akrobatische Tänzer, grelle Kostüme, Menschen, die in den Himmel fliegen – aber das ist nicht Musik, das ist Entertainment. Ich aber singe über eine innere Wirklichkeit. Über die Hölle am Tag und die Hölle in der Nacht, dann, wenn alles still wird und du nicht mehr davonlaufen kannst. Ich singe das nicht nur für mich. Sondern für alle Menschen, die um ihr Überleben kämpfen.

Aber den Erfolg von Hip-Hop haben Sie mitgekriegt; schließlich haben Sie vor zwei Jahrzehnten Muhammad Alis Tochter auf einem Ihrer Songs rappen lassen.

Und dabei hatte ich eine Höllenangst, denn Muhammad Ali war ein Freund von mir, ich wusste, dass er keinen Rap mochte, wegen der gewaltverherrlichenden Texte. Und wer will schon einen Faustschlag von Ali riskieren?

Für die heutige Jugend hat Hip-Hop den Soul längst abgehängt.

Das mag sein. Und sollte ich noch mal ein Album machen, möchte ich unbedingt Snoop Dogg dabeihaben. Aber dass Hip-Hop die Soulmusik ersetzt? Nein, unmöglich! Da fehlt doch die eine Hälfte der Seele. Mein Freund Keith Richards hat mir mal gesagt: Ich kann nicht mit mechanischen Beats arbeiten, fürchterlich. Die Rolling Stones sind in dieser Hinsicht konsequent. Sie machen alles live, nehmen auf die altmodische Tour auf. Aber, habe ich Keith erklärt, auch du kannst nicht ewig denselben Stiefel reiten, ihr seid nicht mehr so heiß wie früher, und wenn ihr eure alten Fans mobilisiert, verkauft ihr ein neues Album vielleicht gerade noch 200 000 Mal. Da ist es schon besser, sich von Generation zu Generation zu erneuern. Nach vorne zu schauen. Wenn du die jungen Leute dort abholst, wo sie stehen, kannst du ihnen was beibringen.

Damon Albarn ist auch nicht mehr der Allerjüngste. Aber er scheint zu wissen, was junge Leute hören wollen, oder?

Er macht alles richtig, was ich früher falsch machte. Er nimmt keine Drogen, trinkt höchstens mal ein Bier, wenn er frustriert ist. Und er schart die richtigen Leuten um sich. Als wir anfingen zu arbeiten, kam plötzlich ein Typ ins Studio, um die Drums zu programmieren. Ich reagierte gereizt: Damon, ich dachte, nur wir beide machen die Aufnahmen. Aber er meinte nur: Das ist Richard Russell, mein Partner, und der Boss der Plattenfirma. Was für ein Schock! Dem gehört der ganze Laden? Solange ich im Geschäft bin, kam noch nie der Präsident einer Plattenfirma, um mich zu hören, und dieser Typ steckte sogar all seine kreative Energie in die Feinjustierung unserer Beats!

Sie haben mit Plattenfirmenbossen wohl eher schlechte Erfahrungen gemacht?

Das waren häufig Typen, die mir einen Strich durch die Rechnung machten, wenn ich was Neues probierte.

Als Sie in den 80er Jahren noch ein paar Hits landeten, haben Sie keinen Cent dafür gesehen. Wie kam das?

Meine damalige Plattenfirma ging pleite. Aber dafür wurde meine Musik wenigstens im Radio rauf und runter gespielt, Songs wie ,If You Think You’re Lonely Now‘ . . .

Den hat 50 Cent gerade gesampelt. Es ist einer der traurigsten Songs, die Sie je geschrieben haben.

Er handelt von Einsamkeit, und damit kenne ich mich nun mal aus. Ich habe aus Unsicherheit viele Frauen vor den Kopf gestoßen. Und als ich mit den Drogen aufhörte, verlor ich auch meine Musikerfreunde. Plötzlich gingen sie auf Distanz: Dieser Womack nimmt nichts mehr, wir trauen ihm nicht . . . Sie waren paranoid, dachten, dass ich vielleicht mit den Cops zusammenarbeite. So wurde ich zum Einzelgänger. Denn solange sie vor mir Drogen konsumierten, wollte auch ich nichts mehr mit ihnen zu tun haben. An diese Regel hielt ich mich übrigens – und so habe ich es geschafft. Heute gehe ich nur noch nüchtern auf die Bühne. Schon um all diejenigen zu vertreten, die es nicht überlebt haben, wie zuletzt Teena Marie oder Donna Summer.

Sie tragen den Beinamen ,The Preacher‘. Was wollen Sie Ihrem Publikum heute predigen?

Du musst für etwas stehen – um für etwas fallen zu können.

Bobby Womack, 1944 als Sohn eines Stahlarbeiters in Cleveland geboren, gehört als Sänger, Songwriter und Gitarrist seit fünf Jahrzehnten zu den Heldenfiguren der Soulmusik. In den 60ern war Womack vor allem Songlieferant für die Rolling Stones oder Janis Joplin. Anfang der 70er-Jahre hatte er dann eine Hitsträhne unter eigenem Namen, mit lyrisch anspruchsvollen Botschaften („Communication“, „I Can Understand It“) hob er das Soul-Genre auf eine neue Ebene. Die letzten kommerziellen Erfolge feierte Womack in den 80er Jahren: Alben wie „The Poet I“ und „The Poet II“ gelten als Klassiker. Danach wurde es still um den Mann, der bereits Elvis Presley auf der Gitarre begleitet und auch mit Keith Richards, Ron Wood, Stevie Wonder und Marvin Gaye zusammen gespielt hatte. Bis Damon Albarn Womack für ein Dutzend neue Songs ins Studio holte; ein Statement, und ein Album, das den Soul in die Gegenwart holt. „The Bravest Man In The Universe“ ist soeben erschienen.
SZ 23.6.2012

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