Der Standard über die Kompilation „Early Rappers“ (Trikont): Buchstabensuppe, mit Schießpulver gewürzt

Die Kompilation „Early Rappers“ durchleuchtet die Kulturgeschichte des Rap. Von seinen Wurzeln in Afrika und den Straßen der Ghettos, von der vollmundigen Brautwerbung bis zum politischen Umsturz.

Karl Fluch

Wien – Die Kunst der großen Klappe ist nicht der Politik allein vorbehalten. Vollmundige Ankündigungen und Versprechen setzten sich in den letzten drei Jahrezehnten im Windschatten des globalen Erfolgs des HipHop-Genres als Rap bis ins dunkelste Oberösterreich durch. Dort bellen heute die Trackshittaz ihre Version vom Traktor.

Auch wenn sich der Erfolg dieses spezifischen Rap scheinbar eher mit Evergreens aus der Tierpsychologie und männlichem Imponiergehabe erklären lässt, schreibt er auf seine Art die Tradition des Rap fort. Doch ungeachtet diverser Auswüchse des Fachs gilt, dass die Kulturtechnik des Rap älter ist als der sie heute transportierende HipHop.

Der Münchner Journalist und Black-Music-Spezialist Jonathan Fischer hat für den Sampler Early Rappers auf dem deutschen Trikont Label Pioniere des Sprechgesangs zusammengetragen und so dessen Kulturgeschichte aufbereitet. Zu den Vorfahren des Rap gehören Disziplinen wie der Jive Scat, der Talking Blues, Hep Talk, Toasts, Spoken Poetry, Soul Preaching oder Love Raps.

Diese Begriffe haben ihre Wurzeln meist auf der Straße. Dort wird in Wortduellen versucht, andere mit originellen und bissigen Reimen zu übertreffen und zum Verstummen zu bringen. Für diese Disziplin des „Dozens“ war und ist jede Grenzüberschreitung recht. In diesem bis heute gepflegtem Wettbewerb der großen Klappe wurde immer schon gerne davon berichtet, wer mit wessen Mutter die Liebe auf welch schmutzige Weise vollzogen hat; und dafür werden je nach Bedarf Wörter und ihre Bedeutung gebogen, gebrochen, umgedeutet oder neu erfunden.

Wichtig in diesem Albtraum der Sprachbewahrer und Duden-Fundamentalisten ist eine deftige Pointe, noch besser eine Aneinanderreihung von Pointen, die mit einer passenden Sprachmelodie versehen eine möglichst coole Story ergeben.

Subversive Sprache

Die Wurzel dieser Tradition verfolgt Fischer im Begleitheft dieser auf CD und LP erhältlichen Sammlung bis auf den afrikanischen Kontinent zurück, seine frühesten Tondokumente datieren aus den 1950ern, wobei er den bereits Ende der 1920er-Jahre entstandenen prototypischen Song Minnie The Moocher von Cab Calloway absichtlich außen vor lässt.

Stattdessen ist Calloway mit dem Lied The Jungle King vertreten. Ein Stück, in dem ein Affe einen Löwen mit verbalen Tricks überlistet. Fischer leitet daraus „ein Gleichnis für die subversive Rolle von Sprache und Insider-Codes“ ab, die in der schwarzen Popkultur bis heute bestehen – vom Jazz bis zum HipHop.

Anders als bei vielen zeitgenössischen Rappern stellt Fischer nicht allein deren Vortrag in den Mittelpunkt seiner Sammlung, sondern trägt auch für dessen Durchhörbarkeit Sorge. Die große Mehrheit der Early Rappers kommt aus dem Soul und Funk der 1960er- und 1970er-Jahre. Das garantiert neben der thematischen Auflage auch musikalisches Vergnügen.

The Cadets berichten im rasant-schlüpfrigen Love Bandit von einem Schwerenöter, der durch die Lande zieht und fremde Töchter sammelt, Bo Diddley produziert sich in I’m Bad glaubwürdiger denn Michael Jackson als harter Knochen, der Nägel isst und seine Suppe mit Schießpulver würzt: „I’m bad, don’t mess with me.“

Das sind Dreiminüter, die bei Soul- und Funk-Stars wie Isaac Hayes später zu Epen wuchsen. Fischer erwähnt den 18-minütigen Klassiker By The Time I Get To Phoenix , der vom sonoren Erzählton Hayes lebt, ebenso wie die detailverliebten Anzüglichkeiten einer Millie Jackson aus dem Zeitalter vor dem moralinsauren Parental-Advisory-Sticker.

All das, was HipHop ab Ende der 1970er-Jahre weltweit erfolgreich machte, war also längst vorhanden. Early Rappers ist der Breite des Angebots geschuldet keine vollständige Dokumentation dieser Kultur und verzichtet auf bekannte Pioniere wie Gil Scott-Heron oder Richard Pryor zugunsten weniger bekannter Acts, das Hörvergnügen wird davon nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil.
Der Standard (Wien), 10.8. 2011

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