Wenn Walt Whitman 1855 im Vorwort zu „Leaves Of Grass“ dazu aufrief, „die Erde, die Sonne und die Tiere zu lieben, Reichtümer zu verachten und jedem, der fragt, Almosen zu geben“, dann folgt das Folk-Duo The Pleasants eineinhalb Jahrhunderte später einem ähnlichen Traum. Da schwören Amanda Rogers und Mike Matta der Plastik-Zivilisation ab, um stattdessen die Seligkeit und stille Kraft der Natur zu besingen. „Forests and Fields“ nennt sich ihr Debüt. Wälder und Felder als Orte der Selbstfindung.
Auf der rauhen, braunen, laut Aufkleber „ökofreundlichen“ Cover-Pappe sieht man Zeichnungen pflügender, erntender und unter Bäumen schlafender Landmenschen – rückwärtsgewandte Phantasien zweier bekennender Veganer, Tierschützer und Spät-Hippies, mag man denken. Doch schon nach den ersten Takten ist man mit Herz und Hirn von ihrer Mythologie eingefangen. Mythen, hat Ralph Waldo Emerson einmal erklärt, erlaubten der Vergangenheit, in der Gegenwart zu sprechen. Und hier glaubt man sie tatsächlich zu hören: die bukolische Idylle der Berglandschaft von Vermont, wo die beiden seelenverwandten Musiker das Album aufgenommen haben; das geschichtslose Rauschen der Natur. Oder ist es nur die Sehnsucht nach einfacheren Zeiten? Eine Beschwörung derselben amerikanischen Mythen, die die wunderbaren Harmoniegesänge von Bluegrass-Combos wie den Stanley Brothers beseelten, die in der Kopfstimme des jungen Neil Young in den sechziger Jahren mitschwingen und der von Bob Dylan mit The Band eingespielten (und später als „Basement Tapes“ veröffentlichten) „Mountain Music“ ihre weltumarmende Melancholie verliehen?
Prägendes Merkmal der Pleasants ist das schaurig-schöne Zusammenspiel der Stimmen von Rogers und Matta. Selbst schmerzliche Zeilen wie „It was a wounded man / that wounded me“ bekommen durch die Eintracht ihres Chorgesangs etwas Versöhnliches: Ja, das Leben ist kostbar. Und wenn man sich an das Feuer der Pleasants begibt, dann schließt diese Wertschätzung auch eine pantheistisch beseelte Natur ein. Alle Songs des Duos sind live entstanden. Wer einem von Feldblumen gerahmten Auftritt dieses Duos beiwohnen durfte, hat die Intimität erlebt, mit der sich Matta und Rogers Gesangslinien zuspielen, sie scheinbar aus dem Off Harmonien setzen und zu den sparsamen Akzenten von Piano und Akustik-Gitarre in eine Welt der Blockhütten und Lagerfeuer abdriften; eine Welt, in der noch jede Handarbeit mit einem entsprechenden Lied auf den Lippen verrichtet wird. Selbst wenn ab und zu ein Tamburin, ein verhaltenes Schlagzeug oder Geigen ins Spiel kommen, strahlt die Musik eine überwältigende Einfachheit und Zärtlichkeit aus. Mike Matta reicht ein insistierendes, gezupftes Gitarrenriff, um weite Räume zu öffnen, während Amanda Rogers auf dem Piano irgendwo zwischen Blues, Gospel und Tin-Pan-Alley-Reminiszenzen aus den dreißiger und vierziger Jahren einen rhythmischen Bodensatz hinlegt für eine Gesangsstimme, die Vergleiche mit Tori Amos und Kate Bush provoziert. Doch die singende Elfe oder Fee ist nur ihre eine Seite. Auf der anderen steht der selbstbewusste Unterton einer Frau, für die Kraft und Sanftheit keine Gegensätze darstellen. Bei den Live-Auftritten der Pleasants steht Amanda Rogers‘ vokale Präsenz im Mittelpunkt. Schon ihr Summen ist ein Segen.
Das Debüt „Here And Nowhere“ (1999) passte gut zu dem blassen, blonden Naturmädchen, das in Garagenrock-Manier die konfuse Emotionalität eines Teenagers besang. Ihre nächsten Alben nahm sie mit ihrem Freund Grant Capes auf. Dabei ließ sie ihre klassische Musikausbildung durchschimmern und schuf dieselben Melodien und dichten Atmosphären, die nun auch „Forests And Fields“ adeln: organisch, Lo-Fi und stets dem Dunkel-Sakralen im Alltag auf der Spur. Ambient-Folk hat es ein Kritiker getauft.
„Ich wollte es verwunschen klingen lassen“, hat Amanda Rogers erklärt, „so dass der Hörer glaubt, die Musik wäre nur für seine Ohren bestimmt.“ Überraschenderweise fand sie damit ein Publikum weit jenseits traditioneller Folkkreise. Seit ihrem Album „Daily News“ (2004) trat Amanda Rogers vornehmlich im Schlepptau bekannter Emo-, Hardcore- und Punkbands in Nordamerika und Europa auf. Als Teil der Folk-Combo Jupiter Sunrise verbrachte sie zwei Jahre ausschließlich auf der Straße beziehungsweise in einem von Bio-Kraftstoff getriebenen Wohnwagen. Eine Drifterin ohne Wohnsitz und Geld: Das war Amanda Rogers, als sie 2006 in Kalifornien und unter Mithilfe von Musikern aus dem Umfeld von Alanis Morissette, Fiona Apple und Better Than Ezra ihr bis dahin ausgefeiltestes Album aufnahm: „Heartwood“. Dabei sah die Sängerin ihre Musik stets nur als Teil eines alternativen Lebensentwurfs: So gründete sie das Label Do It Together Records, um die Platten ähnlich gesinnter Kollegen zu deren eigenen Bedingungen zu vermarkten, war an der Entstehung des weltweiten Künstlerkollektivs The Notebook Collective beteiligt und begann für eine eigene Bekleidungsmarke namens „Recycle My Heart“ ökologisch nachhaltige Mode zu entwerfen.
Als Hippie mag sich Rogers dennoch nicht bezeichnen. Eher als jemand, der sich „die nötige Zeit nimmt, um meine Geschichten nicht nur zu singen, sondern auch zu leben“. Wie heißt es doch in dem Song „For All We Know“: „My hands are warm in yours / So there’s no reason for wanting more / We’re never poor.“ Selbst wenn das bisweilen nach allzu dick aufgetragener Unschuld tönt – die uramerikanische Sehnsucht nach der „primitiven Intensität der Natur“ beflügelte bereits Whitman und beseelte später viele der besten Folk- und Country-Songs. The Pleasants haben mit „Forests And Fields“ die Mythologie des Amerikas der Waldgänger, Naturfreunde und Rebellen für die Gegenwart gerettet und dabei Songs geschaffen, in die man sich einwickeln kann wie in eine warme Patchwork-Decke.
The Pleasants, Forests And Fields, DIT Records 4999897 (Alive)
JONATHAN FISCHER
FAZ 27.1.2011