Nasir Jones alias Nas gilt seit seinem Debütalbum „Illmatic“ von 1994 als einer der besten Rapper in der Geschichte des Hip-Hop. Nach neun Soloalben veröffentlicht der New Yorker Rapper nun im Gespann mit Bob Marleys Sohn Damian Marley „Distant Relatives“, eine Hommage an den Kontinent Afrika.
SZ: Im Reggae waren die afrikanischen Wurzeln immer präsent. Warum kam der Hip-Hop bisher meist nicht über ein paar „motherland“-Floskeln hinaus ?
Nas: Im Hip-Hop geht es erst einmal um Respekt für die eigene Nachbarschaft, die eigenen Freunde. Ich muss gestehen, dass ich auch immer umgeschaltet habe, wenn im Fernsehen irgendwelche Dokumentationen über Afrika liefen. Vor allem wenn es um verstümmelte Kinder oder Hungersnöte ging: Die Welt ist voller Grausamkeiten, da möchte man sich manchmal schützen.
SZ : Je tzt sampeln Sie nicht nur äthiopischen Jazz und Gesänge aus Mali, sondern adressieren sehr realistisch das Afri ka von heute, mit seinen Slums, den Krankheiten und Seuchen.
Nas: Wir bekommen unsere Nachrichten doch nur über CNN oder BBC. Das ist ein sehr beschränkter Ausblick. Auf meinem neuen Album rappe ich zusammen mit (dem Exil-Somalier) K’naan. Der hat mir aus eigener Erfahrung berichtet: Ich hatte vorher keine Ahnung, wie etwa die Flüchtlinge in Somalia oder die ehemaligen Kindersoldaten in Liberia leben. Dagegen klingen die Erzählungen über das harte Leben in der Bronx oder South Central harmlos und banal.
SZ: Sie sind immerhin in den brutalen Sozialbauten von Queensbridge, New York, aufgewachsen. . .
Nas: Ich bin an Drogendealer und tägliche Schießereien gewöhnt. Aber gegenüber dem, was viele Afrikaner jeden Tag durchmachen, kommt mir das doch wie ein Spaziergang im Park vor. Das habe ich bei meinen Besuchen in Lagos, Durban oder Abuja mit eigenen Augen gesehen.
SZ: Der Einfluss Amerikas auf die afrikanischen Musiker ist gewaltig: Viele von ihnen versuchen den Materialismus ihrer westlichen Vorbilder in ihren Videos zu emulieren, zeigen sich mit Cabrios, Yachten und Bling.
Nas: Wo ist das Problem? Videos sind doch eine feine Sache: Man darf hier seine Phantasie freien Lauf lassen, die Welt erschaffen, die man sich erträumt. Da inszeniert man eben Dinge, die man sich gewöhnlich nicht leisten könnte. Auch in Amerika träumen Jugendlichen davon, einmal ganz groß raus zu kommen. Das ist doch das Tolle am Hip-Hop: Du kannst über Nacht von den Armen zu den Superreichen aufsteigen.
SZ: Begräbt der Materialismus am Ende aber nicht die politische Botschaft der Musik?
Nas: Nicht für mich. Hip-Hop hat das Aussehen der Welt verändert. Wie Autos designt werden, welche Kleider und Turnschuhe Jugendliche auf aller Welt tragen, welche Themen Magazine aufgreifen. Das bestimmt die Generation Hip-Hop. Heute führen selbst Edel-Boutiquen Schmuck, der einst im Ghetto entworfen wurde. Nach Reichtum zu streben ist in Ordnung, deswegen ist niemand asozial.
SZ: Auf der anderen Seite beklagen Sie in „Leaders“ den Mangel an schwarzen Leitfiguren .
Nas: Ja, das fehlt mir wirklich. Niemand riskiert mehr, die Klappe aufzureißen wie einst Muhammad Ali. Aber das liegt nicht am Bling. Sondern an den Schulen, den Medien, die uns nichts über unsere schwarze Geschichte beibringen. Die uns zu wenig von Malcolm X oder Nelson Mandela erzählen. Die verschweigen, dass die Mathematik, die Baukunst der Pyramiden oder die Ursprünge der Philosophie aus Afrika gekommen sind.
SZ: Können denn Hip-Hopper wirklich als Führerfiguren in die Bresche springen?
Nas: Rapper sind keine Politiker. Sie produzieren lustige Texte, wütende Texte manchmal auch gewalttätige Texte, aber letztendlich bleibt doch eine Botschaft hängen: Gib dich nicht auf. Mach was aus deinem Leben. Ich denke da an „The Blueprint III“ von Jay-Z . Oder an Drake oder Lil‘ Wayne. Das sind natürliche Führerfiguren.
SZ: Andererseits werfen Sie den schwarzen Menschen in Amerika destruktives Verhalten vor .
Nas: Ich zeige nicht mit dem Finger auf andere. Sondern frage mich, woher diese ungeheure Aggression kommt, mit der wir Schwarzen in Amerika übereinander herfallen. Wir wissen nicht, woher wir stammen. Wir wissen nicht, wie wir in dieses Land hier gekommen sind. Wir wissen nicht, warum wir im Elend stecken. Also richten wir die Wut und die Schuldzuweisungen gegen uns selbst.
SZ: Und Sie glauben, dass die Lösung in der Beschäftigung mit den afrikanischen Wurzeln liegt?
Nas: Ja, denn in unseren Adern fließt etwas, das unseren Leuten angetan wurde, lange bevor wir geboren wurden. Und es steckt noch immer in uns. Wir kommen mit geballten Fäusten auf die Welt: Stets bereit zu kämpfen. Aber unsere Vorfahren sind nicht mehr da, um uns zu erzählen, was da passiert ist. Wenn die Gewalt aufhören soll, müssen wir selbst in unserer Vergangenheit graben. Nach Afrika schauen. Ich habe kürzlich bei einer Fernsehdokumentation über ein liberianisches Fußballteam mit Kriegsamputierten mitgewirkt. Ihr Lebenswille und ihre Lebensfreude haben mich nachhaltig beeindruckt. Deswegen sage ich mit meinem neuen Album, schaut euch das mal genauer an: Die Afrikaner sind „distant relatives“, entfernte Verwandte. Und wir können von ihnen viel lernen!
Interview: Jonathan Fischer
SZ 2.6.2010